Freitag, 3. April 2015

Keaton aquaphob


Buster Keaton – der Name steht für spektakuläre Action und Stunts in urbanen Umgebungen, im Inneren von Häusern oder auf modernen Fortbewegungsmitteln wie Autos, Motorrädern, Bussen oder Eisenbahnen. Doch Keaton konnte auch auf hoher See und auf einem so traditionellen Fortbewegungsmittel wie einem Schiff oder einem Boot sein komisches Potential entfalten...



THE BOAT
USA 1921
Regie: Buster Keaton, Edward F. Cline
Darsteller: Buster Keaton (der Mann), Sybil Seely (die Frau), Edward F. Cline (der Mann von der Küstenwache)


Ein Mann (stellen wir uns im Folgenden vor, er würde Buster heißen) baut eigenhändig ein Segelboot. Prompt will er seine Frau und seine beiden Kinder auf eine kleine Spritztour mitnehmen. Doch davor muss das Boot noch aus der Garage geholt werden, wo es gebaut wurde – eine Operation, die eine mittelgroße Ruine hinterlässt. Dann wird das Gefährt namens „Damfino“ eingeweiht (mit Cola). Vor dem Seegang gibt es noch Schwierigkeiten: das Boot sinkt nämlich zunächst. Nach fixer Reparation geht es los! Da Buster ein echter Tüftler ist, hat er an alles gedacht: mit einem Hebel kann er Mast und Segel herunterklappen, wenn das kleine Schiff unter eine Brücke passieren muss. Technische Raffinesse bringt bei menschlichem Versagen natürlich nichts, und so beginnt die Fahrt etwas holprig. Das ganze macht richtig hungrig, und im Bootsinneren genießen Buster und die zwei kleinen Buster-Junioren die Steaks, die Ehefrau und Mutter zubereitet hat – nun, nicht wirklich, denn das Fleisch ist so hart geworden, dass es an die Wand genagelt werden kann (und später auch wird!). Nach dem Abendessen ist vor dem Schlafen: die Familie legt sich zur Nachtruhe hin. Eine feuchte Nachtruhe, wenn man das Bullauge offen lässt. Es dann zu schließen bringt auch nichts, denn ein gefährlicher Sturm ist mittlerweile aufgezogen. Das Boot wird durcheinander geworfen, Buster kämpft gegen Lecks und muss schließlich seine Familie auf dem Rettungsboot in Sicherheit bringen. Die vier Menschen, die nur einen Ausflug machen wollten, stehen kurz vor dem Ertrinken, nachdem der kleine Junior den Stöpsel des Rettungsboots herausgezogen hat (!). Doch die vier Schiffbrüchigen sinken einfach nicht, sondern bleiben stehen. Einige Schritte weiter entdecken sie, dass sie am Rande eines rettenden Strands gesunken waren.

THE BOAT gehört definitiv nicht zu meinen Keaton-Favoriten. Er ist bestenfalls die Summe seiner Teile, die für sich genommen nicht alle rundum überzeugen. Dennoch zeugt dieser Kurzfilm von Keatons inszenatorischem Können, etwa in der Szene, in der das Boot im Sturm mehrmals um die eigene Achse geschleudert wird, mit Buster im Inneren. Weniger akrobatisch, aber nicht weniger spektakulär ist der Schluss: Buster watet mit seiner Frau und seinen zwei Kindern durch ein dunkles, schwarzes Meer, und plötzlich taucht der Strand auf – ein schöner und sehr effizienter Beleuchtungseffekt. Der kreative Höhepunkt des Films ist jedoch keineswegs akrobatisch, sondern ein wunderbarer Moment purer Keaton-Poesie. Buster befindet sich im Inneren seines selbstgebauten Bootes, will das ganze gemütlicher gestalten und nagelt deshalb ein Bild mit Seemotiv an die Wand. Natürlich dringt Wasser durch und beginnt – zur Verwunderung Busters – „aus dem Bild“ herauszufließen.

Ein recht subtiler und stiller Gag findet sich bei der Entsorgung der ungenießbaren Steaks. Der Mann und die beiden Jungs wollen auf Ehefrau und Mutter Rücksicht nehmen und drücken deshalb keinen Unwillen gegen die Steaks aus, sondern verstecken sie – in Busters charakteristischem Hut (das selbst nach einer Fleischzubereitung benannt ist: pork pie hat). Andere Gags funktionieren hingegen nicht so richtig. Einen strahlenden Wasserleck will Buster mit einem Trichter auffangen, den er zunächst in den Boden des Bootes bohren möchte und wenig später schöpft er mit einer kleinen Teetasse das Wasser aus dem Bullauge – etwas bemüht und hölzern.
Recht interessant ist der Familienstand der Hauptfigur: Keaton spielt einen im wesentlichen glücklich verheirateten Mann mit zwei Kindern. Eine ungewohnte Konstellation, da das Grundgerüst in vielen anderen Keaton-Filmen darin besteht, dass der ledige Protagonist das Herz seiner Angebeteten zu erobern versucht oder sich auf der Suche nach der großen Liebe begibt.
THE BOAT ist ein Film, der lange Zeit als verschollen galt, bis James Mason 1952 Buster Keatons Haus kaufte, im Keller diverse Filmrollen fand und diese restaurieren ließ.



THE LOVE NEST
USA 1923
Regie: Buster Keaton, Edward F. Cline
Darsteller: Buster Keaton (der verlassene Verlobte), Joe Roberts (der Kapitän), Virginia Fox (die Ex-Verlobte)


Eine Verlobte macht mit ihrem Verlobten (den wir unter uns sicherlich Buster nennen dürfen) Schluss. Seine Traurigkeit will der junge Mann mit einer einsamen Bootsreise auf hoher See dämpfen, doch rasch ist er verloren. In letzter Minute wird er von einem Schiff gerettet. Oder eher: „gerettet“. Denn der Kapitän führt seine Mannschaft mit eiserner Hand und schmeißt seine Seemänner schon bei kleinsten Vergehen gnadenlos über Bord. Auch Buster wird irgendwann dran glauben müssen. Nachdem er aus Versehen einen Eimer Wasser auf den Kapitän verschüttet, ihn – aus Versehen – mit einem Gewehr bedroht und sein Kaffeeservice (jawohl: aus Versehen) zertrümmert hat, ist es soweit. Doch dann wird ein Wal gesichtet, und die Hinrichtung verschoben. Als bei der Jagd der Kapitän über Bord fällt und scheinbar ertrinkt, erklärt sich Buster kurzerhand zum neuen Kapitän, doch wenig später taucht der „alte“ wieder auf. Die Amtsanmassung bringt diesen endgültig zum Platzen (und dies wiederum den kleinen Rest der Seemannschaft außer Buster zum spontanen Kollektivselbstmord). Eine wilde Verfolgungsjagd entscheidet Buster für sich, als er den kompletten Dampfer zum Sinken bringt, weil er das Rettungsboot nicht auf andere Weise zum Wasser bringen konnte. Am nächsten Morgen fängt Buster einen Fisch, und erledigt diesen mit einem glatten Gewehrschuss – was wiederum das Rettungsboot zum Sinken verurteilt. Zum Glück war unser Protagonist gerade in der Nähe einer merkwürdigen, schwimmenden Holzkonstruktion. Er erkennt nicht, dass es sich um eine Zielscheibe für Marineschießübungen handelt und wird wenig später in die Luft gesprengt. Tot begibt er sich in Richtung Himmel... Und fällt dann in Richtung Hölle... Und wacht schließlich aus seinem delirierendem Traum auf. Nur wenige Sekunden später merkt Buster zudem, dass er sich auch nicht verloren auf hoher See befand: sein Boot war die ganze Zeit noch am Ufer angebunden.

Keatons Filme sind teils auch Filme über gestörte Wahrnehmungen, und nirgendwo sind die Sinne offener für Verzerrungen als im Traum. Hier sind besonders wilde Kapriolen möglich, und die Möglichkeiten eines Traums entwickelte Keaton in SHERLOCK JR. als Film-im-Traum-im-Film-Konzept weiter. Der Traum von THE LOVE NEST, diese surrealistisch verzerrte Welt, entwickelt auch eine unterschwellige Gewalt, eine latent fatalistische Atmosphäre, einen morbiden Unterton, den Keaton auch schon in COPS (und etwas weniger pointiert THE GOAT) genutzt hatte.
Schon als der erste Seemann einen Fehler macht und der Kapitän ihn dann stellt, über Bord schmeißt und einen Kranz aus einer extra dafür vorbereiteten Kranzkollektion greift und hinterherwirft, ist klar, dass Buster auch einen Fehler machen und den tödlichen Zorn des Kapitäns spüren wird – und Buster selbst weiß es auch (gleichwohl er schließlich nicht vom Kapitän des Walschoners, sondern von der Marine „gerichtet“ wird). Grausamkeit, Witz und Poesie halten sich hier die Balance. Nirgends wird dies deutlicher als im angedeuteten Selbstmord Busters: er hat mit einem Gewehr rumgespielt, den er in der Kapitänskoje fand und damit aus Versehen auf den Kapitän gezielt; er nimmt in Konsequenz davon das Gewehr mit, geht auf das Deck, läuft eine Treppenleiter am Rande des Schiffs in das Wasser hinunter, geht komplett in das Wasser, bis er versinkt – und schießt dann unter Wasser... Doch dann taucht er wieder auf, und läuft mit dem Gewehr in der einen Hand und einem erlegten Fisch in der anderen wieder hoch. Das ist ein schwarzer Humor, der sehr perfide die Erwartungen der Zuschauer manipuliert und sie in die Falle lockt (dabei gilt gemeinhin Chaplin als der Subversive unter den Slapstick-Komikern der 1920er Jahre). Die Logik des Traums sieht vor, dass Fische mit Gewehren gefangen werden und deshalb ist es nur folgerichtig, wenn Buster später im Film dabei sein Boot zerschießt und so auf eine der todbringenden Holzkonstruktionen gedrängt wird.
Wesentlich einfacher und harmloser wirken die Gags, wenn Buster Befehle des Kapitäns wie etwa „all hands on deck“ oder „to the port“ allzu wörtlich nimmt und seine Hände auf‘s Deck legt oder dem Kapitän eine Flasche Portwein holt.
Der surrealistische THE LOVE NEST war Buster Keatons letzter kurzer Stummfilm.



THE NAVIGATOR
USA 1924
Regie: Buster Keaton
Darsteller: Buster Keaton (Rollo Treadway), Kathryn McGuire (Betsy O‘Brien)


Rollo Treadway ist ein verträumter und tollpatschiger Millionär, der für das Leben „draußen“ kaum tauglich ist. Aus einer Laune heraus möchte er heiraten: Betsy O‘Brien, eine Millionärstochter und praktischerweise seine Nachbarin. Alles ist vorbereitet, die Schifftickets für die Flitterwochen schon gebucht – nur Betsy weiß von ihrem Eheglück nichts und lehnt den Antrag aus heiterem Himmel dann auch folgerichtig ab. Durch eine Verkettung von Umständen (es geht um eine recht wilde und wirre Industrie- und Armeespionage-Intrige) geraten die beiden jungen Millionäre auf ein Schiff, das kapitänslos durch die See gleitet. Da es sehr groß ist, viele Treppen und Etagen hat, finden sie sich zunächst nicht. Als sie das tun, lehnt Betsy Rollos wiederholten Heiratsantrag erneut ab, aber dennoch raufen sie sich zusammen, um das Überleben auf dem verlassenen Schiff zu sichern. In der Küche merken die beiden, dass Kaffeezubereitung mit Meerwasser nicht so das wahre ist, und dass Spargeldosen schwierig zu öffnen sein können. Plötzlich erblicken beide ein Schiff, das sie retten könnte. Mit einer Flagge möchten sie auf sich aufmerksam machen, doch dummerweise erwischen sie das Zeichen für Quarantäne (was das andere Schiff regelrecht flüchten lässt). Nach der ganzen Aufregung möchten sich die beiden Millionäre zur Nachtruhe begeben: gar nicht einfach, wenn Geisterbilder durch Bullaugen schweben, Türen klappern, ein Feuerwerk aus Versehen (in Keaton-Filmen passiert immer so vieles aus Versehen!) losgeht oder ein Open-Air-Camping aufgrund von Regen unterbrochen wird. Sei‘s drum: nach einigen Tagen haben sich Rollo und Betsy eingelebt, die Kesselräume zu bequemen Nachtlagern umgebaut, die Küche mit allen möglichen Hilfsapparaturen ausgestattet. Dann ist endlich Land in Sicht. Freilich ein Land, das von angriffslustigen Kannibalen bevölkert wird und nicht zum Andocken einlädt. Nun bekommt Rollo allerhand zu tun: ein Leck muss unter Wasser repariert, Betsy vor den Kannibalen gerettet, schließlich letztere in einem rasanten Showdown vom Leibe gehalten werden. Als die beiden Protagonisten schon kurz vor dem Ertrinken sind, taucht ein U-Boot auf, das die beiden rettet. Betsy küsst Rollo in Dankbarkeit (der nächste Heiratsantrag könnte also klappen), doch dieser bringt schon in wenigen Sekunden das U-Boot (im wörtlichen Sinne) durcheinander...

Als ich THE NAVIGATOR im Jahr 2012 zum ersten Mal sah, speicherte ich ihn in der Kategorie „okay-ish“ ab. Eine Sichtung im Kino letztes Jahr öffnete mir dann die Augen für die grandiose Keaton‘sche Komik, die tolle inszenatorische Gestaltung und die Poetik des Films. Die erneute Sichtung für diese Besprechung ließ mich noch weitere Feinheiten entdecken, die ich vorher nicht gesehen oder bemerkt hatte.

THE NAVIGATOR mag vielleicht nicht Keatons bester Film sein und er ist auch nicht mein Lieblings-Keaton (da bin ich recht „traditionell“ und würde wohl THE GENERAL wählen). Wer mich jedoch – als erklärter Keaton-Fan und ambivalenter Chaplin-Skeptiker – fragen würde, warum ich den „Mann mit dem Steingesicht“ für den allergrößten unter den Stummfilm-Komikern der 1920er Jahre halte, dann würde ich wohl auf die „Verfolgungsjagd“ im ersten Drittel von THE NAVIGATOR hinweisen. In knapp drei Minuten und (je nach dem, wo man das Ende setzen möchte) 31 Einstellungen erschafft Keaton ein Gag, der wie ein eigener Ultrakurzfilm funktioniert, mit einer eigenen minutiösen Dramaturgie und der fast zu 100 % nur mittels der Montage und der Rauminszenierung abgewickelt wird (zum Nachverfolgen siehe hier).

Exposition: ein Mann und eine Frau – verloren auf dem Schiff
1 Panorama auf das verlassene Schiff
2 Rollo tritt nach der Nachtruhe gutgelaunt aus seiner Kabine aufs Deck hinaus, doch ein Windstoß bläst sein Hut weg. Er tritt wieder an seine Kabine, nimmt einen Reservehut und geht weiter (die Grundlage für eine spätere und erstaunlich nonchalante Wiederholung des Witzes)
3 Betsy läuft auch auf dem Deck, ist sichtlich verunsichert und sucht nach Ko-Passagieren
4 Rollo betritt das Schiffsrestaurant, das sichtlich menschenleer ist
5 Halbnahaufnahme: Rollo ist etwas irritiert und
6 tritt aus dem Schiffsrestaurant hinaus...
7 aufs Deck, wo ihm ein Windstoß wieder den Hut wegbläst – im Gehen greift er gleich in seine Kabine und setzt den nächsten Hut auf (diesmal einen Zylinder, also einen Hut, den man als Bräutigam tendenziell eher auf einer Hochzeit tragen würde als einen pork pie hat!)
8 er kommt an das Steuer, findet dort niemanden vor, dreht ein wenig an der Lenkung und blickt neugierig auf das, was sich gleich als Kompass herausstellt
9 Kompassnahaufnahme
10 Er blickt auf seine Uhr, erstaunt auf den Kompass, dann wieder auf seine Uhr

Mittelteil: ein Mann und eine Frau – Möglichkeit einer Begegnung
11 Sie kommt auf das Deck an, wo sich seine Kabine befindet, und steigt die Treppen herunter und kehrt ihm den Rücken zu, während er von weiter oben hinuntersteigt: die Möglichkeit einer Begegnung ist also gegeben
12 Beide bleiben erst einmal auf ihrer jeweiligen Etage stehen
13 Er wirft eine aufgerauchte Zigarette herunter
14 Er entfernt sich langsam aus dem Bild, während sie stehen bleibt.
15 Nahaufnahme brennende Zigarette
16 Sie hebt die Zigarette auf...
17 ...und ruft

Showdown: ein Mann und eine Frau – verpasste Begegnung
18 ...er hört, dreht sich um, beginnt zu rennen
19 sie steigt auf seine Etage, ruft, beginnt zu rennen
20 er rennt
21 sie rennt, biegt ab – er kommt am anderen Ende um die Ecke und rennt
22 sie rennt, biegt ab – er biegt ab, rennt
23 sie biegt ab, rennt, biegt ab – er biegt ab, rennt
24 sie rennt, biegt ab – er biegt ab, rennt, biegt ab
25 sie tritt in einen Raum und geht dort eine Treppe runter – er kommt am anderen Ende des Raums (das zwei Türen hat) rein, ignoriert die Treppe, und springt an der anderen Seite aus der Tür raus
26 Nun rennen beide durchgehend im gleichen Bild vereint durch drei verschiedene Etagen des Schiffs, und verpassen sich trotzdem. Dieses Bild ist gewissermaßen die radikale Zuspitzung der Grundsituation eines Mannes und einer Frau, die sich verpassen – und vielleicht der visuelle Höhepunkt des Films.

Auflösung: ein Mann und eine Frau – Zufallsbegegnung
27 Sie steigt schließlich in das Schiffsinnere hinab und setzt sich auf eine Bank
28 Aus Versehen (schon wieder!) fällt Rollo durch ein Lüftungsrohr (oder wie man die Dinger nennt – Marinejargon beherrsche ich nicht gerade fließend)
29 Sie sitzt auf der Bank, er fällt runter, dabei zerbricht die Bank
30 Beide ahnen schlimmes, richten sich auf, sehen sich an, erkennen sich, schrecken auf. Er entspannt sich sogleich, nimmt eine coole Charmeurpose ein, setzt ein verführerisches Gesicht auf (Stoneface hin oder her: Keaton ist ein grandioser Mime) und spricht:
31 Zwischentitel: „Will you marry me“

Jetzt, wo ich die „Verfolgungsjagd“ in einzelne Einstellungen aufgesplittet habe, fällt mir auf, dass sie gleichermaßen auch eine Art kondensierte Zusammenfassung einer Mann-Frau-Annäherung ist (Existenz untereinander unbekannt, Begegnung möglich, Begegnung angebahnt, Begegnung findet statt) – und damit gewissermaßen auch das Thema des gesamten Films (ein Mann möchte eine Frau heiraten) zusammenfasst.
Sie ist formell großartig, weil sie den Gag aus Montage und Rauminszenierung heraus entwickelt. Das Lachen wird so im Raum verortet, und nicht mehr im Körper der Darsteller oder in den Accessoires (außer im Sub-Gag mit dem Hut). Buster Keaton war durch seine Stunts eigentlich immer körperlicher als Chaplin, aber zugleich auch abstrakter und formalistischer (einen solchen Formalismus erreicht Chaplin meiner Meinung nach nur in seinem unterschätztesten und gewissermaßen Keaton‘schesten Stummfilm, THE CIRCUS).

Einen ähnlich formalistischen Gag bringt Keaton schon früher im Film. Rollo hat gerade entschieden, zu heiraten. Also geht er zu seiner Nachbarin, um sie über ihre glückliche Zukunft zu unterrichten. Er setzt sich in das Auto, der Chauffeur fährt los. Normalerweise eine expositorische Einstellung, die mit einem Schnitt oder einer Abblende abgebrochen wird, damit die Person in der Einstellung danach ankommt. Stattdessen folgt ein kleiner Kameraschwenk, und wir sehen, dass das Auto kurz nach Anfahrt umbiegt, um auf der anderen Straßenseite, also knapp zehn Meter weiter, zu parken. In nur wenigen Sekunden entwickelt sich nicht nur ein subtiler, aber sehr witziger Gag, sondern zugleich auch eine Charakterisierung der Rollo-Figur, deren Untauglichkeit für den Lebensalltag (von einer extremen Survival-Situation mal ganz abgesehen) in einer einzigen Einstellung demonstriert wird. Mit einer einzigen Einstellung (geschenkt: dass Rollo ein etwas tollpatschiger Träumer ist, wissen wir schon aus vorherigen Szenen) wird eine Fallhöhe für das darauffolgende Survival-Szenario geschaffen, und obwohl wir über die Figur lachen, fühlen wir mit ihr und ihrem klassenbedingt beschränkten Lebenshorizont. Diese Einstellung ist sozusagen die eigentliche, richtige Exposition des Films. Die vordergründige Exposition um die wirre Spionagegeschichte wird vergleichsweise recht verkrampft und überkompliziert abgewickelt und dient nur dazu, die beiden Protagonisten halbwegs glaubwürdig auf das leere Schiff zu bringen.

Auch in kleinen, scheinbar unwichtigen Momenten beweist Keaton einen großen visuellen Einfallsreichtum und einen feinen Sinn für Poesie. Als sich Rollo und Betsy sich zur Nachtruhe verabschieden, tun sie es auf eine relativ formelle und distanzierte Weise. Rollo zündet für Betsy nur noch kurz eine Kerze an und dann geht jeder aufs Zimmer. Doch eben jenes Kerzenlicht wirft einen Schatten der beiden in den Hintergrund, der leicht verzerrt ist – sodass sich Rollo und Betsy in ihrer Schattenvariante küssen! Das kann man leicht übersehen, weil abrupt von einem Zwischentitel in die Szene geschnitten wird und die „realen“ Figuren, die im Bildvordergrund die Kerzen anzünden, eher die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die deep-focus-photography, die Keaton nicht nur in diesem Film sehr gewinnbringend einsetzt, ermöglicht aber auch in diesem Fall einen Blick auf die vermeintliche Nebenhandlung.

Einen sehr schönen Moment würde ich als „Poesie des Trotzes“ bezeichnen. Rollo und Betsy haben versucht, draußen zu übernachten, wurden jedoch vom Regen überrascht, sind durchnässt in das Schiffsinnere geflüchtet und können nicht mehr auf guten Schlaf hoffen. Rollo entdeckt an einem Tisch ein Kartendeck, das jedoch eine kleine Wasserfontäne aus Betsys Hut nass gemacht hat. Er nimmt es auf, und beginnt zu mischen. Oder versucht es. Gleich zwei Karten bleiben kleben (Herzbube und Herzdame!). Dann mischt er weiter. Was natürlich überhaupt nicht klappt, weil die durchweichten Karten sich verbiegen, aneinander kleben bleiben. Doch Rollo stört das nicht wirklich und er macht unbeirrt einfach weiter, bis am Schluss nur noch matschige Papierpampe übrig ist. Erst beim Austeilen der Karten hat Rollo Einsehen, dass das nichts wird.

Ein kleiner Höhepunkt der Akrobatik ist natürlich die Tauchssequenz, als Rollo mit einem schweren Taucheranzug unter Wasser geht, um ein Leck am Schiff zu reparieren. Als er ins Wasser taucht, scheint er zugleich in eine Art Unterbewusstsein, oder in einen Traum einzutauchen: die Gags werden surrealer. Ein Baustellenwarnschild für die Straße findet sich zufällig unter Wasser, und Rollo stellt es dann auch gewissenhaft und gut lesbar hin, bevor er ans Werk geht. Nach Ende der Reparatur wäscht er sich auch ganz gründlich die Hände und trocknet sie ab – also unter Wasser!

Sowie COPS oder eben THE LOVE NEST zu den düstersten Keaton-Filmen gehören, gehört THE NAVIGATOR zu den fröhlichsten und optimistischsten. Wenn ich vorher schrieb „der nächste Heiratsantrag könnte also klappen“, dann ist damit gemeint: der wird klappen! Der unbewusst aufgesetzte Zylinderhut (bräutigamtauglich) während der „Verfolgungsjagd“, der nächtliche Schattenkuss, das Zeichen der Karten: Immer wieder weist der Film mit mehr oder minder subtilen visuellen Mitteln daraufhin, dass Rollo und Betsy eigentlich ein gutes Paar sind bzw. heiraten sollten. Und warum nicht auch gleich noch Sex haben sollten! Als Rollo mit seinem Taucheranzug die Kannibalen verscheucht, wollen er und Betsy zum Schiff zurückkehren. Sie wählen dabei eine unorthodoxe Variante: Rollo legt sich im Wasser auf den Rücken, während sich Betsy rittlings auf ihn draufsetzt und dann in Richtung Schiff paddelt. Sex in Reiterstellung bei einem unverheirateten Paar kennt man in Hollywood gewöhnlich nur aus „Post-Code“-Zeiten (also über vier Jahrzehnte nach Erscheinen von THE NAVIGATOR). Nun: 1924 war Will H. Hays schon Präsident der Motion Picture Producers and Distributors of America, aber bis zu seinem „Code“ sollte es noch ein bisschen dauern (die gleiche Szene ist nach 1930/34 schwer vorstellbar).

Interessant und etwas verstörend ist der autoaggressive Akt, der folgt, als die beiden am Schiff ankommen. Wasser ist in den Taucheranzug gelangt. So greift Rollo zu einem Messer und schlitzt sich den Bauch auf. Natürlich: nur der Bauch des Anzugs. Das ganze wirkt dennoch recht drastisch. Thanatos folgt wenige Sekunden nach dem Eros. Eine selbst auferlegte Bestrafung für die vorangehende Ungezügeltheit?

THE NAVIGATOR endet jedenfalls mit einer kleinen Anspielung auf THE BOAT: das U-Boot dreht sich um die eigene Achse wie das kleine Schiff im Kurzfilm. In den ganzen Apparaturen, die sich Rollo und Betsy in der Küche zusammenzimmern, kann man durchaus ein kleines Zitat aus dem Kurzfilm THE SCARECROW sehen, in dem sich Buster Keaton und Joe Roberts eine WG mit allerlei technisch raffinierten Apparaturen eingerichtet haben – ein kleiner Triumph des Geistes über die Materie. THE NAVIGATOR wiederum übt mit seiner Trias aus Mann-Frau-Maschine Themen ein, die später in THE GENERAL noch beschleunigt wurden.