Dienstag, 14. Juli 2015

Casa Ricordi: Oper als Film, Film als Oper

Oder: Ein Reader's Digest der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts

CASA RICORDI (DAS HAUS RICORDI)
Italien/Frankreich 1954
Regie: Carmine Gallone
Darsteller: Paolo Stoppa (Giovanni Ricordi), Renzo Giovampietro (Tito I Ricordi), Andrea Checchi (Giulio Ricordi), Roland Alexandre (Gioachino Rossini), Marcello Mastroianni (Gaetano Donizetti), Maurice Ronet (Vincenzo Bellini), Fosco Giachetti (Giuseppe Verdi), Gabriele Ferzetti (Giacomo Puccini), Märta Torén (Isabella Colbran), Roldano Lupi (Domenico Barbaja), Micheline Presle (Virginia Marchi), Nadia Gray (Giulia Grisi), Myriam Bru (Luisa Lewis), Elisa Cegani (Giuseppina Strepponi), Fausto Tozzi (Arrigo Boito), Danièle Delorme (Maria)

Giovanni Ricordi in der Scala
Rossini, Donizetti, Bellini, Verdi, Puccini. Die klangvollen Namen stehen für rund hundert Jahre italienischer Operngeschichte, die grob vom Beginn bis zum Ende des 19. Jahrhunderts reicht, und CASA RICORDI ist ein Episodenfilm, der jedem der fünf Meister einen Abschnitt widmet. Gekrönt sind die Episoden jeweils durch eine Arie des in diesem Abschnitt behandelten Komponisten, dargeboten auf einer Opernbühne im farbenfroh-opulenten Stil des 19. Jahrhunderts. Es handelt sich um Ausschnitte aus Rossinis "Der Barbier von Sevilla", Donizettis "Der Liebestrank", Bellinis "Die Puritaner", Verdis "Othello" und Puccinis "La Bohème". Carmine Gallone stellte dazu keine Opernsänger auf die Bühne, sondern Schauspieler, und ließ sie von professionellen Sängern stimmlich doubeln - darunter so klangvolle Namen wie Mario del Monaco (der den Othello singt) und Renata Tebaldi (Mimi in "La Bohème"). Als Aufhänger und verbindende Klammer des Ganzen fungiert eine Familien- und Firmengeschichte: Der in Mailand beheimatete Musikverlag Casa Ricordi wurde bald nach seiner Gründung im Jahr 1808 zum weltweit führenden Verlag für Opernpartituren und sonstige klassische Musik, und CASA RICORDI folgt über mehrere Generationen den Leitern des Verlags, der ca. 150 Jahre lang ein Familienbetrieb blieb (ohne intensiv auf deren Geschicke einzugehen - im Vordergrund stehen immer die Komponisten). Auch die fünf im Film behandelten Tonsetzer waren alle bei Casa Ricordi unter Vertrag.

Rossini und Isabella Colbran
Während bei den meisten italienischen und französischen Episodenfilmen der 50er und 60er Jahre jede Episode von einem anderen Regisseur realisiert wurde, lag hier alles in den Händen von Carmine Gallone. Allerdings gibt es sechs Drehbuchautoren (einer davon ist Gallone), und bei jedem ist übereinstimmend in der IMDb "story and screenplay" vermerkt. Ohne dass ich eine Bestätigung dafür gefunden hätte, legt das den Verdacht nahe, dass einer von ihnen für die Rahmenhandlung und von den anderen jeder für eine Episode verantwortlich war - insofern also doch ein typischer Episodenfilm. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht und nachgeprüft, was an der Handlung authentisch und was erfunden ist - von einem solchen Film erwartet ohnehin niemand historische Genauigkeit. Das Folgende ist also der Inhalt des Films, aber nicht unbedingt im Detail die historische Wahrheit.

Der "Barbier von Sevilla" - erst Debakel, dann Triumph
1808 im napoleonisch regierten Mailand: Der Drucker Giovanni Ricordi macht mit überall angeklebten Flugblättern Reklame für seine Künste, und das bringt ihm einen Auftrag des damals schon renommierten Opernhauses, der Scala, ein: Er soll Noten in einem Rekordtempo drucken, das kein Konkurrent liefern kann. Ricordi nimmt den Auftrag an und gestaltet die Konditionen zu scheinbar für ihn ungünstigen Bedingungen um: Statt sich in Geld bezahlen zu lassen, verlangt er die Berge an altem, mit Noten beschriebenem Papier (samt Verwertungsrechten), das in den Kellergewölben der Scala unbeachtet vor sich hin gammelt. Der Intendant der Oper hält ihn für verrückt, doch in Wirklichkeit hat sich Ricordi damit eine Goldgrube eröffnet. Im sich schnell entwickelnden Markt für Partituren erlangt Casa Ricordi bald ein Quasi-Monopol, und Giovanni kann von den Direktoren der Opernhäuser ebenso wie von der Laufkundschaft viel höhere Preise verlangen, als sie bislang üblich waren. Doch er handelt nicht nur eigennützig: In bisher ungekanntem Ausmaß beteiligt er auch die Komponisten an den Einnahmen, und er gewinnt so ihr Vertrauen, ja ihre Zuneigung, und er kann viele mit langfristigen Verträgen an sein Haus binden.

Donizetti und Virginia Marchi; unten Marchi in "Der Liebestrank"
Gleich einer der ersten seiner neuen Klienten ist ein abgerissener junger Hungerleider, ein gewisser Gioachino Rossini, den er erst einmal mit einem von seiner Frau gekochten Gulasch aufpäppeln muss, bevor über Musik und Geschäfte gesprochen werden kann. Nach ersten Erfolgen arbeitet Rossini an einer Vertonung des Librettos "Der Barbier von Sevilla", und das ist ein gewagtes Unterfangen, weil bereits Jahre zuvor Giovanni Paisiello dasselbe Libretto zu einer Oper gemacht hatte. Paisiello hat viele fanatische Anhänger, die es als Majestätsbeleidigung auffassen werden, wenn ein Emporkömmling denselben Stoff nochmal in die Finger nimmt und damit die Künste ihres Idols in Frage stellt. Rossini hat auch ein hausgemachtes Problem: Er ist ein heißblütiger Frauenheld, und er beginnt eine Affäre mit der Sängerin Isabella Colbran, die eigentlich mit Rossinis Freund Domenico Barbaja liiert ist, dem Impresario des Opernhauses in Neapel, wo er seine ersten Opern zur Aufführung brachte. Eigentlich wollte Barbaja seinen Freund gegen Paisiello unterstützen, aber zufällig bekommt er Wind vom Verhältnis Rossinis mit Isabella, und so macht er nun das Gegenteil. So gerät die Uraufführung in Rom zum Debakel mit teilweise unfreiwillig komischen Einlagen. Anhänger Paisiellos und bezahlte Störer pfeifen pausenlos, und Rossini ist am Boden zerstört. Doch sein Aufstieg lässt sich nicht verhindern: Ricordi hält an ihm fest, setzt sofort eine neue Aufführung mit aufgeschlossenerem Publikum durch, und die gerät zum Triumph. Selbst Barbaja hat ein Einsehen und gibt der Oper ebenso wie Rossini und Isabella seinen Segen.

Generationenwechsel - Giovanni und Tito Ricordi
Der Einzige, der bei der ersten Aufführung Rossini verteidigt hat, war ein junger Mann, der selbst Musiker ist. Er stellt sich Ricordi als Gaetano Donizetti vor und wird bald selbst unter Vertrag genommen. In einem raffiniertem Schachzug erledigt Ricordi gleich mehrere Probleme gleichzeitig. Denn er selbst und mit ihm zusammenarbeitende Operndirektoren leiden unter den Launen der Diva Virginia Marchi, der man nichts recht machen kann, und die wegen jeder Kleinigkeit vor Gericht zieht. Ricordi arrangiert Proben von Donizetti mit Marchi, und trotz einiger Irritationen zwischen den beiden ist am Ende Marchi einmal zufrieden, Donizetti hat eine erstklassige Sängerin für die Titelpartie, die Direktoren akzeptieren Donizettis Werk für ihr Haus, und so steht einer triumphalen Premiere nichts mehr im Weg - und Donizetti und Virginia werden auch noch ein Paar. - Jahre später. Giovanni Ricordis Sohn Tito ist inzwischen ein junger Mann, der sich im Verlag engagiert, und - teilweise gegen den Widerstand seines Vaters - einige Neuerungen einführt, z.B. neue Druckverfahren. Nun wird er nach Paris geschickt, wo Vincenzo Bellini lebt und arbeitet, bereits ein Starkomponist. Doch in letzter Zeit hat man nichts mehr von ihm gehört, es gibt nur Gerüchte über seine angegriffene Gesundheit. Tito reist also nach Paris, um sich nach Bellinis Befinden zu erkundigen. Wie sich erweist, wird Bellini von seiner Geliebten Luisa Lewis in einer Villa außerhalb von Paris abgeschirmt und vor seinen Freunden, die ihn besuchen wollen, verleugnet - angeblich, um ihn zu schonen, aber in Wirklichkeit aus Eigennutz, weil sie ihn mit niemandem teilen will, wie der Arzt des tatsächlich kranken Bellini konstatiert. Insbesondere vor Bellinis früherer Geliebten Giulia Grisi, die zugleich die Sängerin seiner großen Partien ist, will sie ihn fernhalten. Erst als er am Abend der Premiere seiner neuen und letzten Oper im Fieberwahn zusammenbricht, erkennt Luisa ihren Fehler. Sie fährt mit einer Kutsche in die Oper, gesteht ihre Machenschaften und fordert Giulia, Tito und den mit Bellini befreundeten Rossini auf, mit ihr zu Bellini in die Villa zu kommen. In einer rasenden nächtlichen Kutschfahrt bei Gewitter, die wie ein Ausflug in den Gothic Horror wirkt, eilen die vier in die Villa - nur um Bellini tot auf dem Boden liegend vorzufinden. Verzweifelt bricht Luisa über ihm zusammen.

"Die Puritaner"; Bellini liegt krank darnieder; Giulia Grisi, Tito Ricordi und Rossini in Bellinis
Sterbezimmer; der tote Bellini und Luisa Lewis - Finale wie in der Oper
Erneuter Sprung in die Zukunft: Giovanni Ricordi ist tot, Tito ist der Chef des Hauses Ricordi, und der immer noch expandierende Verlag hat ein neues, größeres Gebäude bezogen. Titos Sohn Giulio stößt sich in den Revolutionswirren 1848 die Hörner ab und engagiert sich dann ebenfalls im Verlag. Der neue Star des Hauses heißt Giuseppe Verdi. Doch nachdem er für "Ein Maskenball" schlechte Kritiken erntet, gerät Verdi in eine tiefe Schaffenskrise. Die neue Mode der Wagner-Oper hat auch in Italien ihre Anhänger gefunden, und Verdi wird von einem Teil der Kritiker als altmodisch geschmäht. Beleidigt beschließt der Maestro, überhaupt keine Musik mehr zu schreiben, sondern sich als Edel-Bauer auf sein Landgut zurückzuziehen. Verdis Frau Giuseppina und sein Librettist Arrigo Boito können nur mit Mühe verhindern, dass er die schon begonnene Partitur zu "Othello" vernichtet, aber weder sie noch Giulio Ricordi (der in die Fußstapfen von Tito getreten ist, der sich zur Ruhe gesetzt hat) können ihn dazu bewegen, wieder zu komponieren. Der Umschwung kommt erst, als Verdi nach Parma fährt und mit seiner Kutsche mitten zwischen die Fronten von rebellierenden Armen und schussbereiter Polizei gerät. Als man ihn erkennt, stimmen die Massen spontan den Gefangenchor aus "Nabucco" an, und nun begreift Verdi, wer sein wahres Publikum ist: nicht die Kritiker, mögen sie ihn feiern oder verdammen, sondern das einfache Volk, das seine Musik liebt. Er macht sich wieder an die Arbeit zum "Othello", und einmal mehr endet eine Episode in diesem Film mit einer umjubelten Premiere.

Verdi als Ehrengast bei den Ricordis und zwischen den Fronten in Parma
Und schließlich Giacomo Puccini. Wir befinden uns mittlerweile im Jahr 1895, "im Zeitalter des Eiffelturms", wie jemand im Film sagt, denn Puccini recherchiert in Paris. Das Café Momus im Quartier Latin, in dem sich die Protagonisten von Henri Murgers Scènes de la vie de bohème trafen, existiert schon lange nicht mehr, doch Puccini will jenen Stoff zu einer Oper mit dem Titel "La Bohème" machen. In einer Parallele zwischen Roman und Oper einerseits und der Wirklichkeit andererseits lernt Puccini eine Clique junger Künstler kennen, die ohne Geld, aber sorglos in den Tag hinein leben. Eine von ihnen ist Maria, und Puccini verliebt sich in sie. Doch wie Mimi, die Heldin von "La Bohème", leidet auch Maria an der Schwindsucht, aber sie verschweigt Puccini ihren Zustand. Die Premiere von "La Bohème" findet in Italien statt, und Puccini war zur Vorbereitung schon - ohne Maria - einige Wochen anwesend. Nun soll zum Premierenabend Giulio Ricordis Sohn, der wie sein Großvater Tito heißt (zur besseren Unterscheidung werden sie auch als Tito I und Tito II bezeichnet), Maria mit dem Zug aus Paris holen. Doch er bringt nur die Nachricht, dass sie vor vier Wochen gestorben ist. So endet diese Episode für Puccini mit einem künstlerischen Erfolg, aber in Trauer. Und damit endet auch der Film - nein, nicht ganz. Als Giulio Ricordi wieder im Verlagshaus ist, wartet dort ein junger Musiker, der um ein Gespräch gebeten hat, und der zum Zeitvertreib ein paar seiner eigenen Noten auf dem Klavier spielt. Giulio hält einige Momente inne und lauscht interessiert den Klängen, bevor er sich dem jungen Mann zuwendet. Das Leben geht weiter, und die Musikgeschichte auch ...

Othello und die tote Desdemona
Man muss weder Opernexperte noch Opernliebhaber sein, um CASA RICORDI etwas abgewinnen zu können (wie ich als Opernmuffel hiermit ausdrücklich bestätige). Der Film ist in keiner Weise tiefschürfend, aber er bietet ansehnliche Schauwerte, insbesondere prächtige Technicolor-Farben, und mit seiner episodischen und anekdotenhaften Struktur wird er über seine Länge von ungefähr zwei Stunden hinweg nie langatmig, sondern bietet kurzweilige Unterhaltung (wobei die deutsche Version, die ich gesehen habe, um ungefähr 10 Minuten gekürzt ist). Große Gefühle und Dramatik (eben wie in der Oper) gibt es auch, vor allem das Finale der Bellini-Episode ist hier fast eine Oper im Kleinen.

Puccini und Maria
So etwas wie ein Reader's Digest (was ich hier nicht abwertend meine) ist CASA RICORDI nicht nur in Bezug auf 100 Jahre Operngeschichte, sondern auch hinsichtlich Carmine Gallones Schaffen. Gallone (1885-1973) war ein sehr produktiver Regisseur, der seit 1913 ca. 125 Filme drehte und dabei natürlich verschiedene Genres bediente. So schuf er etwa aufwändige Historienepen, z.B. eine dreistündige Stummfilmfassung von DIE LETZTEN TAGE VON POMPEJI (1926), den im Zweiten Punischen Krieg spielenden KARTHAGOS FALL (1937), der als der teuerste Film des faschistischen Italien gilt, MESSALINA (1951), DER KURIER DES ZAREN (1956, die Version mit Curd Jürgens) und zuletzt KARTHAGO IN FLAMMEN (1960, diesmal ist es der Dritte Punische Krieg). Bei uns ist Gallone wahrscheinlich am besten als Regisseur des dritten und vierten der Don-Camillo-Filme mit Fernandel und Gino Cervi in Erinnerung. Aber sein eigentliches Metier war der Opernfilm: MADAME BUTTERFLY (1939), RIGOLETTO (1946), VERDIS LA TRAVIATA (1947, auch als DIE KAMELIENDAME), IHRE WUNDERBARE LÜGE (1947, wie der Originaltitel ADDIO MIMÌ! schon vermuten lässt, handelt es sich um "La Bohème"), DER TROUBADOUR (1949), LA LEGGENDA DI FAUST (1949, nach "Mefistofele" von Arrigo Boito, der nicht nur Librettist, sondern auch Komponist war), SIZILIANISCHE LEIDENSCHAFT (CAVALLERIA RUSTICANA, 1955), MADAME BUTTERFLY (1954), und schließlich TOSCA (1956). Dazu kamen noch einige Musikerbiografien wie DREI FRAUEN UM VERDI (1938), MELODIE ETERNE (1940, mit Gino Cervi als Mozart - kein Witz!), und PUCCINI - LIEBLING DER FRAUEN (1953). Fosco Giachetti, Gallones Verdi in CASA RICORDI, spielte auch schon im Film von 1938 den Maestro, und auch Gabriele Ferzetti war schon im Puccini-Film von 1953 in der Titelrolle zu sehen, wo auch Märta Torén, Nadia Gray, Myriam Bru und Paolo Stoppa mitspielten, die allesamt in CASA RICORDI wieder auftauchten. Bei all diesen (und noch weiteren) Filmen konnte Gallone auf begnadete Stimmen zurückgreifen (als Schauspieler oder Sänger-Doubles), wie etwa mehrfach Beniamino Gigli, Jan Kiepura und Maria Cebotari. CASA RICORDI bildet also so etwas wie einen Schnelldurchlauf, einen (wenn auch sicher nicht repräsentativen) Querschnitt durch Gallones Werk als Opernfilmregisseur.

"La Bohème" - Mimi auf ihrem Sterbebett; Marias Platz in der Vorstellung bleibt frei
CASA RICORDI ist in Italien auf DVD erschienen (ohne fremdsprachige Untertitel). Die Originalfassung ist derzeit auch auf YouTube zu finden (ebenfalls ohne Untertitel). Die deutsche Fassung mit einer Fernseh-Laufzeit von 104 Minuten (was einer Kino-Laufzeit von gut 108 Minuten entspricht) war letztens in mindestens zwei Dritten Programmen zu sehen. Vielleicht lohnt es sich, darauf zu achten, ob sie nochmal irgendwo läuft.

Giulio Ricordi, bereit für einen neuen Klienten - vielleicht ein neues Genie

Mittwoch, 1. Juli 2015

Wenig Chancen für morgen

ODDS AGAINST TOMORROW (dt. WENIG CHANCEN FÜR MORGEN)
USA 1959
Regie: Robert Wise
Darsteller: Harry Belafonte (Johnny Ingram), Robert Ryan (Earle Slater), Ed Begley (Dave Burke), Shelley Winters (Lorry), Kim Hamilton (Ruth Ingram), Lois Thorne (Eadie), Gloria Grahame (Helen), Will Kuluva (Bacco), Carmen de Lavallade (Kitty), Mae Barnes (Annie)

Johnny Ingram
Die bis zur Unkenntlichkeit zerfetzten und verkohlten Leichen zweier Männer (wie man als Zuschauer weiß - zu sehen bekommt man sie nur von Leichentüchern bedeckt) liegen vor rauchenden Trümmern nebeneinander auf dem Boden. Dialog eines Sanitäters und eines Polizisten:

"Well, these are the two that did it."
"Which is which?"
"Take your pick!"

Der Clou dabei: Als sie noch lebten, war der eine ein Farbiger und der andere ein rassistischer Weißer, der voller Hass und Verachtung auf Ersteren herabblickte. Jetzt sind sie ununterscheidbar geworden - man kann sich aussuchen, wer wer ist. Hämischer als Robert Wise (und seine Drehbuchautoren Abraham Polonsky und Nelson Gidding) am Schluss von ODDS AGAINST TOMORROW kann man Rassismus kaum verhöhnen.

Earle Slater
Zurück zum Anfang. ODDS AGAINST TOMORROW ist die Geschichte dreier verkrachter Existenzen in New York City, die sich widerwillig zu einem Bankraub zusammenschließen. Johnny Ingram ist ein talentierter junger Nachtclubsänger, den seine Leidenschaft für Pferdewetten in den privaten und finanziellen Ruin getrieben hat. Seine Frau Ruth hat sich wegen seines Lebenswandels von ihm scheiden lassen, seine kleine Tochter Eadie darf er nur zu den genau festgesetzten, knapp bemessenen Zeiten sehen. Johnny kann kaum die Alimente für Ruth und Eadie zahlen, und er hat 7500 Dollar Schulden bei dem Gangsterboss Bacco, von denen er nicht weiß, wie er sie zurückzahlen soll - wenn er nicht beim nächsten Rennen gewinnt. Earle Slater, der Rassist, stammt aus den Südstaaten, und seit seiner Zeit bei der Armee hat er beruflich und privat nichts auf die Reihe gekriegt. Momentan ohne Job, ist er impulsiv und unberechenbar. Es ist Selbstmitleid und ein latenter Minderwertigkeitskomplex, den er mit seinem aggressiven Verhalten kaschiert. Slater saß schon zweimal im Gefängnis, das zweite Mal wegen Totschlags. Zahm ist er nur bei seiner Freundin Lorry, die einen guten Job hat und genug für beide verdient. Doch Slaters Ego verträgt es auf Dauer nicht, von ihr ausgehalten zu werden.

Dave Burke
Treibende Kraft des Bankraubs ist der gealterte Ex-Polizist Dave Burke. Er saß ein Jahr in Sing Sing ein, weil er vor einem Ausschuss zur Untersuchung des organisierten Verbrechens die Aussage verweigert hatte. Er sei da zum Sündenbock gestempelt worden, meint er zu Slater bei ihrer ersten Begegnung. Vielleicht war das so, vielleicht war er aber auch selbst in korrupte Machenschaften verstrickt. Wie sich nämlich zeigt, besitzt er einen guten Draht zu Bacco. Es ist Burke, der den Plan für den Überfall ausbaldowert und Johnny und Slater als Komplizen auserkoren hat, und der sie nun nacheinander zu sich bestellt. Slater sieht eine Chance, seine finanzielle Misere zu beenden, und sagt mit Vorbehalten zu. Johnny ist ein alter Bekannter von Burke, fast sind sie sogar Freunde - aber nur fast. Denn Johnny will zunächst sauber bleiben und lehnt seine Mitwirkung ab. Da greift Burke zu einem drastischen Mittel: Er wendet sich an Bacco, und der setzt daraufhin Johnny die Daumenschrauben an. Bacco verlangt die sofortige Zurückzahlung der Schulden, und um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, droht er Johnny, sich an Ruth und Eadie zu vergreifen. Johnny weiß, dass es sich um keine leeren Drohungen handelt, und weil er keine andere Möglichkeit sieht, das Geld aufzutreiben, gibt er nun doch seine Zusage zur Mitwirkung. Doch als Slater erfährt, dass ein Farbiger mit von der Partie ist, will er nichts mehr damit zu tun haben und zieht sich zurück. Aber nach einem unerfreulich verlaufenden Tag, an dem Lorry befördert wird und noch mehr Geld verdient, während Slater mit der aufdringlichen Nachbarin Helen schläft, hält er es weniger denn je aus, ohne eigenes Einkommen dazustehen, und er steigt doch wieder ins Boot.

Bacco und Burke füttern Tauben - und hauen Johnny in die Pfanne
So findet sich also das ungleiche Trio zusammen. Und jeder der drei hat einen triftigen Grund dafür, auch Burke. Wenn er seinen beiden Komplizen seinen Plan schmackhaft machen will, spricht ihm zwar die nackte Geldgier aus den Augen, doch da ist noch mehr. Die Wände seiner kleinen Wohnung in einem heruntergekommenen Hotelbau, in dem der Wind durch das Treppenhaus pfeift, sind vollgepflastert mit Erinnerungsfotos, Urkunden und Ehrenplaketten aus 30 Jahren Polizeidienst. Es ist offenkundig, dass er noch nicht mit seiner Polizistenvergangenheit und deren unrühmlichem Ende abgeschlossen hat. Er will sich nicht nur materiell verbessern, sondern auch neue Reputation gewinnen. "Fifty grand can change it back", sagt er zu Johnny, und damit meint er die 50.000 Dollar, die jeder der drei als Beute zu erwarten hat. Wohlgemerkt, 50.000 Dollar von 1959, ungefähr das Achtfache wert wie dieser Betrag heute. - Als Ziel ausersehen ist die First National Bank in einer Kleinstadt am Hudson River, 100 Meilen nördlich von New York. (Der Ort namens Melton ist fiktiv, die dort spielenden Szenen wurden in Hudson gedreht.) In dieser Bank werden jeden Donnerstag die Lohngelder der örtlichen Firmen für die Auszahlung am folgenden Freitag bereitgehalten und in den Abendstunden die Tageseinnahmen der Geschäfte am Ort gezählt und in die Bücher eingetragen - ein Vermögen in kleinen, nicht registrierten Scheinen, das nur darauf wartet, von Burke und seinen Spießgesellen abgeholt zu werden. Denn in der Bank befinden sich dann nur einige harmlose Angestellte und ein alter, kurzsichtiger Wachmann. Man muss nur in die Bank hineinkommen, und genau dafür brauchte Burke unbedingt Johnny. Denn an jedem dieser Donnerstage bringt ein Kellner aus einer nahe gelegenen Imbissbude um 18:00 Uhr Verpflegung für die Bankangestellten an einen Seiteneingang, der dafür vom Wachmann kurz geöffnet wird. Dieser Imbiss-Bote ist ein Farbiger, und der Plan sieht vor, ihn kurzzeitig außer Gefecht zu setzen, während Johnny in einer identischen Kellner-Uniform an die Tür klopft. Wenn der kurzsichtige Wachmann erst einmal geöffnet hat, wird es leicht sein, ihn zu überwältigen, und der Rest ist ein Kinderspiel.

New York City ...
Am Tag des Überfalls fahren die drei getrennt nach Melton, um sich erst dort zu vereinen, und schon dabei kommt es zu Unregelmäßigkeiten im Ablauf. Slater fährt den hochfrisierten Fluchtwagen und tankt kurz vor dem Ziel, und dabei wirft der Tankwart aus reiner Neugier einen Blick unter die Motorhaube und erkennt mit dem Blick des Fachmanns, dass der äußerlich unscheinbare alte Kombi stark übermotorisiert ist, worauf Slater aufbrausend reagiert. Wird sich der Tankwart an ihn erinnern, wenn er von dem Überfall hört? Als Johnny in der Stadt flaniert, ereignet sich ein harmloser kleiner Autounfall - und ein Polizist spricht ihn direkt an und fragt ihn, ob er den Unfall gesehen hat. Johnny trägt eine Sonnenbrille, aber wird ihn der Polizist mit seinem geübten Blick später vielleicht trotzdem beschreiben oder wiedererkennen können? Zwischen Johnny und Slater herrschte seit ihrer ersten Begegnung eine aggressive Spannung, und Burke musste immer wieder beschwichtigend eingreifen. Nun, beim Treffen der drei auf einer Brache irgendwo am Rand von Melton, droht die Stimmung weiter zu eskalieren, und Burke kann nur mit Mühe verhindern, dass die beiden anderen jetzt schon übereinander herfallen. Da bis zum Abend noch einige Zeit bleibt, trennen sie sich vorerst wieder, um die Zeit totzuschlagen, durch zielloses Herumgehen oder Dasitzen und auf den Fluss Starren. In dieser Passage kommt die Handlung für fünf Minuten praktisch zum Stillstand. Nach klassischen Genre-Konventionen müsste man das als Durchhänger bezeichnen. Doch in Wirklichkeit ist der Film in dieser Sequenz völlig bei sich. Nicht durch Handlungselemente, aber durch eine Atmosphäre bleierner Langsamkeit und Schwere wird eines klargemacht: nämlich, dass die Protagonisten längst auf verlorenem Posten stehen. Um noch mit heiler Haut davonzukommen, müssten sie schleunigst zusammenpacken und verschwinden. Doch selbst wenn jeder einzelne von ihnen das wollte, würden sie durch ihre interne Gruppendynamik daran gehindert werden.

... und Melton / Hudson
So nimmt das Verhängnis also seinen Lauf. Unmittelbar vor dem Überfall weicht Slater vom Plan ab. Entgegen der Abmachung gibt er Johnny nicht die Autoschlüssel für den Fluchtwagen, sondern er behält sie zunächst selbst und gibt sie dann in der Bank an Burke weiter. Der Überfall selbst verläuft zunächst wie geplant. Der Wachmann kann problemlos überwältigt werden, und in der Bank gibt es keine Überraschungen. Doch als Burke als erster die Bank verlässt, steht zufällig ein Polizeiwagen ganz in der Nähe. Burke wird zum Stehenbleiben aufgefordert, und als dann Sekunden später die Alarmsirene der Bank losgeht, kommt es sofort zur Schießerei mit den Polizisten. Burke wird getroffen und bricht fluchtunfähig zusammen. Statt seinen Lebensabend im Gefängnis zu verbringen, zieht er es vor, sich eine Kugel in den Kopf zu schießen. Johnny und Slater könnten jetzt noch mit dem schnellen Wagen fliehen - wenn sie den Schlüssel hätten. Doch der liegt jetzt vor Burke auf der Straße, mitten im Schussfeld der Polizei. So bleibt nur die Flucht zu Fuß, und aus dem Schusswechsel mit der Polizei wird dabei eine Schießerei der beiden Kontrahenten gegeneinander. Der finale Showdown findet auf den Dächern riesiger Treibstofftanks statt. Es kommt, wie es kommen muss: Eine Kugel schlägt an der falschen Stelle ein, und alles fliegt mit einem gewaltigen Rumms in die Luft (wie es zehn Jahre zuvor schon James Cagney in Raoul Walshs WHITE HEAT widerfuhr). Als i-Tüpfelchen folgt der schon geschilderte Epilog mit den Sanitätern und Polizisten. Als die Leichen abtransportiert werden, gerät ein Schild mit der Aufschrift "STOP - DEAD END" ins Bild.

Zwei Seiten von Slater - mit Lorry und Helen
ODDS AGAINST TOMORROW wird meist als Film noir bezeichnet. Das ist auch nicht falsch, aber von den klassischen Vertretern der Gattung aus den 40er und frühen 50er Jahren unterscheidet er sich doch deutlich. 1959 gedreht, weist er schon deutlich in die 60er Jahre. Das beginnt schon mit der Titelsequenz, die mit abstrakt-grafischen Ornamenten gestaltet ist, und die an Kreationen des großen Meisters Saul Bass erinnert. Heute noch modern wirkt auch der unterkühlt-jazzige Soundtrack des Films. Geschrieben wurde er von John Lewis, dem musikalischen Vordenker und Pianisten des Modern Jazz Quartet. Diese Formation verband Bebop und Cool Jazz mit Einflüssen europäischer Klassik und bewahrte dabei eine dezente Blues-Note. Lewis und seine drei Kollegen im Modern Jazz Quartet spielten die Musik auch ein, unterstützt von einigen weiteren Solisten und einem Orchester. Der Soundtrack erschien 1959 auch auf LP. - Die Außenaufnahmen - von denen es reichlich gibt - wurden komplett on location in New York und in Hudson gedreht, und die Innenaufnahmen entstanden auch nicht in Hollywood, sondern in einem altehrwürdigen Studio in der Bronx, das einst der Biograph Company gehört hatte. ODDS AGAINST TOMORROW knüpft damit nicht an die klassischen Noirs an, die meist komplett im Studio produziert wurden, sondern an die Semidocumentaries wie etwa Jules Dassins THE NAKED CITY (1948), in dem der "Big Apple" New York der eigentliche Star des Films ist. - Nicht neu, aber selten genutzt war ein Stilmittel, das Robert Wise unbedingt einmal ausprobieren wollte, wozu er jetzt die Gelegenheit hatte, nämlich den Einsatz von Infrarot-empfindlichem Film in manchen Szenen (das hatte beispielsweise auch schon Leni Riefenstahl bei DAS BLAUE LICHT gemacht). Noir-typisches low key lighting gibt es dagegen wenig, und die meisten Szenen spielen im Tageslicht.

Johnny bei Ruth und Eadie
Produziert wurde ODDS AGAINST TOMORROW von einer kleinen und kurzlebigen Firma namens HarBel Productions, und "HarBel" bedeutete nichts anderes als "Harry Belafonte". Tatsächlich war Belafonte die treibende Kraft des Films. Durch Hits wie "Matilda", "Island in the Sun" und dem "Banana Boat Song" bereits berühmt und wohlhabend geworden, konnte er es sich leisten, seine eigene Produktionsfirma zu gründen. ODDS AGAINST TOMORROW war ihr erster Film, allerdings war er kommerziell erfolglos, und nachdem ein oder zwei weitere von HarBel produzierte Filme an der Kasse auch durchfielen, gab Belafonte seine Ambitionen als Produzent schnell wieder auf. In den Credits von ODDS AGAINST TOMORROW wird er nicht genannt, aber er war tatsächlich der Executive Producer, also der, der letztlich zahlt und anschafft. Und er war es, der den Stoff auswählte (nach einem Roman eines William McGivern, von dem der Film dann vor allem am Schluss erheblich abweicht), und der Abraham Polonsky als Drehbuchautor und Robert Wise als Regisseur verpflichtete. In den Credits steht "Directed and produced by Robert Wise", aber in seiner Eigenschaft als Produzent war Wise nur für die praktischen Tagesentscheidungen beim Dreh zuständig - der Chef war Belafonte. Belafonte hatte damals auch schon als Schauspieler reüssiert, vor allem mit der männlichen Hauptrolle in Otto Premingers CARMEN JONES, so dass es keine Hybris war, sich selbst mit der Rolle des Johnny zu betrauen. Tatsächlich hatte er HarBel auch dazu gegründet, sich selbst Rollen von starken, unabhängigen Charakteren abseits subalterner Klischee-Schwarzer zu verschaffen (auch in dieser Hinsicht ist ODDS AGAINST TOMORROW meilenweit von den Noirs der 40er Jahre entfernt). Es war auch Belafonte, der das Modern Jazz Quartet ins Spiel brachte, aber Wise war von dieser Idee auch gleich begeistert.

Killens oder Polonsky? Auflösung unten im Text
Über Robert Wise, einen der vielseitigsten Regisseure, die Hollywood hervorgebracht hat, will ich hier nicht viele Worte verlieren, und dafür ein bisschen über Abraham Polonsky (1910-1999) berichten, dessen Drehbuch schon mehr oder weniger fertig war, als Wise engagiert wurde. Polonsky war Kommunist und machte kein großes Geheimnis daraus. Im Krieg war er beim militärischen Geheimdienst OSS in Frankreich aktiv, danach schrieb er u.a. die Drehbücher zu Robert Rossens BODY AND SOUL und den von ihm selbst inszenierten FORCE OF EVIL, beide mit John Garfield in der Hauptrolle. 1951 wurde Polonsky von Sterling Hayden (der auch beim OSS gewesen war) vor dem einschlägigen Kongressausschuss unamerikanischer Umtriebe bezichtigt. Daraufhin selbst vorgeladen, weigerte er sich, seinerseits Namen zu nennen, und wurde deshalb von seinem damaligen Studio 20th Century Fox gefeuert und auf die Schwarze Liste gesetzt. In den 50er Jahren lebte er dann hauptsächlich als ungenannt bleibender Drehbuchautor von TV-Serien. Unter wechselnden Pseudonymen soll er auch weiterhin an Kinofilmen beteiligt gewesen sein, aber anscheinend ist nichts Näheres darüber bekannt, um welche Filme es sich handelte und wie er sich jeweils nannte. ODDS AGAINST TOMORROW ist jedenfalls der erste Film nach Polonskys Blacklisting, bei dem seine Mitwirkung gesichert ist. Weil aber die Schwarze Liste damals noch Bestand hatte, war er in den Credits als John O. Killens aufgeführt. Dieser Name war nicht erfunden, sondern Killens war ein schwarzer Schriftsteller, und ein guter Freund von Belafonte, der sich hier als Strohmann zur Verfügung stellte. Als weiterer Drehbuchautor von ODDS AGAINST TOMORROW ist Nelson Gidding (1919-2004) gelistet. Gidding war ein Freund von Robert Wise, und er schrieb allein oder gemeinsam mit anderen bei vier weiteren Wise-Filmen das Drehbuch, nämlich I WANT TO LIVE!, THE HAUNTING, THE ANDROMEDA STRAIN und THE HINDENBURG. Ich bin nicht sicher, ob Gidding bei ODDS AGAINST TOMORROW als zusätzlicher Strohmann eingeführt wurde, sozusagen zur doppelten Absicherung, oder ob er noch nennenswert zum Script beitrug, das ja eigentlich schon fertig war, als er dazustieß. Falls Letzteres, war sein Beitrag jedenfalls deutlich kleiner als der von Polonsky. Bemerkenswert ist übrigens, dass die Involvierung von Polonsky nicht nur dem engsten Kreis um Belafonte und Wise bekannt war, sondern mit semi-offizieller Billigung durch United Artists geschah, die den Vertrieb von ODDS AGAINST TOMORROW übernahm. 1997, zwei Jahre vor seinem Tod, wurde Polonsky von der Writers Guild of America offiziell als Autor von ODDS AGAINST TOMORROW anerkannt.

Typisch Noir - in diesem Film eher die Ausnahme
Der Banküberfall gegen Ende des Films nimmt nur wenig Raum ein, viel mehr Zeit und Gewicht bekommen davor die Interaktionen der drei Protagonisten untereinander und mit ihrem jeweiligen Umfeld: Johnny als Sänger und Vibraphonist in einem verrauchten Nachtclub. Sein letzter Besuch bei Ruth, wobei er als Fremdkörper wirkt, weil sie gerade mit ihren honorigen (und überwiegend weißen) Bekannten von der Eltern-Lehrer-Vereinigung (PTA) eine Sitzung abhält. Sein letzter Ausflug mit Eadie in den Central Park. Als er nach dem Ausflug mit Ruth allein ist, wird deutlich, dass er sie noch immer liebt, aber sein Versuch, wieder eine Brücke zu ihr zu bauen, wird abgeblockt. Belafonte gibt diesen zornigen jungen Mann zwischen Verzweiflung und Selbstbehauptungswillen sehr überzeugend. Und Earle Slater und sein kompliziertes Verhältnis zu Lorry, sein Seitensprung mit der verheirateten Helen, und seine brutale Überreaktion, als er in einer Bar von einem vorlauten jungen Soldaten provoziert wird. Robert Ryan - privat ein netter Mensch - wohnte damals in derselben Gegend wie Belafonte, und sie waren gut miteinander bekannt, ihre Kinder gingen zusammen zur Schule. Wie so oft in seiner Karriere spielt Ryan hier keinen platten, eindimensionalen Schurken, sondern einen getriebenen Charakter, in dessen Abgründe man hineinschauen, die man aber nicht ausloten kann. Auch Ed Begley gibt eine famose Vorstellung. Er stand in seiner Karriere selten in der ersten Reihe, glänzte aber in prägnanten Nebenrollen, etwa in TWELVE ANGRY MEN, SWEET BIRD OF YOUTH, BILLION DOLLAR BRAIN (wo er als durchgeknallter Milliardär mit einer Privatarmee die Sowjetunion erobern will und von Michael Caine als Agent Harry Palmer daran gehindert wird) oder in dem vom Italowestern beeinflussten HANG 'EM HIGH mit Clint Eastwood. - Die überzeugenden Darsteller, Wise, Polonsky, die Musiker, der Kameramann Joseph Brun und Belafonte als Mastermind des Ganzen haben einen Film gemacht, der heute auf mich zeitlos modern wirkt.

Zeit totschlagen bis zum Abend
ODDS AGAINST TOMORROW ist u.a. in den USA und in England auf DVD erschienen. In der US-DVD von MGM, die ich besitze, ist in den Credits tatsächlich Polonsky statt Killens aufgeführt. Der Soundtrack ist auf CD und Vinyl zu haben. Derzeit ist ODDS AGAINST TOMORROW auch auf drei Portionen verteilt auf YouTube zu sehen.

Eine Lunchbox als Sesam-öffne-dich; der Autoschlüssel - unerreichbar