Donnerstag, 5. Januar 2017

Tote Liebe, neue Liebe, entspanntes Angeln: 2016 im persönlichen Jahresrückblick


Das Kino ist tot...

Ich habe dieses Jahr einen großen Teil meines Glaubens an das Kino als (Sehnsuchts)ort der Filmrezeption verloren. Ich werde zwar älter und dadurch vielleicht auch griesgrämiger und intoleranter gegenüber vermeidbaren Kinopannen und oft unvermeidlichen Mit-Kinogängern, aber so viele Probleme mit Technik, Projektionen, Vorführern und Co-Zuschauern hatte ich bislang noch nie so gehäuft...

... ein Kinotagebuch der Schande – oder: The Pitiful Eight

30. Januar: THE HATEFUL EIGHT (Quentin Tarantino: USA 2015)
Tatort: Schillerhof Jena
Die deutsche Unsitte, den Kinosaal fluchtartig zu verlassen, wenn der Filmabspann beginnt (als wäre dieser krebserregend-ekliges Glibberzeugs, das es partout zu vermeiden gilt), hat möglicherweise dazu geführt, dass Säle gleich nach Beginn der end credits wieder in gleißendes Licht getaucht werden und die Putzkolonnen durch die Gänge wuseln. Wenn die Eine-Frau-Putzkolonne sich aber während des kompletten Abspanns im vollen Licht direkt neben die Leinwand stellt und die Zuschauer in der ersten Reihe ungeduldig anglotzt, weil diese noch nicht die Freundlichkeit hatten, zu verduften, dann ist das schon ein dickes Ding.

7. Februar: VON MORGENS BIS MITTERNACHTS (Karlheinz Martin: Deutschland 1920)
Tatort: Lichthaus Weimar
Die digitale Projektion des expressionistischen Films wies gleich von Anfang an eine hohe Anzahl an Pixel-Artefakten auf. Mit der Zeit fror das Bild immer wieder komplett ein – diese Passagen überbrückte der begleitende Pianist Richard Siedhoff gnädigerweise, indem er jeweils aus dem Stand ein Pausen-Intermezzo improvisierte. Beim x-ten Freezeframe ging es dann gar nicht mehr weiter. Grund war, dass die gebrannte Blu-ray [sic!] und der Blu-ray-Player [sic!] nicht mehr zusammen wollten. So huschte der Geschäftsführer des Kinos nach Hause, um seinen privaten Player zu holen, damit die Vorstellung (nach etwa 15-20-minütiger Unterbrechung) weitergehen konnte – ohne Freezeframes, dafür aber immer noch mit reichlich Pixel-Gematsche. Hintergrund: statt einer analogen Kopie hatte das angefragte Filmarchiv eine gebrannte Blu-ray geschickt. Vielleicht wäre es besser gewesen, die Vorführung abzusagen.

6. März: L‘ECLISSE (Michelangelo Antonioni: Italien/Frankreich 1962)
Tatort: Schillerhof Jena
Zwischen zwei Pärchen zu sitzen, die sich jeweils langweilen und deshalb beginnen, sich zu befummeln und lautstark abzuknutschen, ist nicht gerade das Gelbe vom Ei. Dass mir der Film auch nicht gefiel, ist keine Entlastung. Dass beide Pärchen keine Teenies waren, sondern gut gesetzte Anfang-Dreissiger, macht die Sache noch peinlicher. Dass eines der Pärchen Freunde von mir waren, mit denen ich den Film anschaute, macht... ach... lassen wir‘s...

22. April: RITAM ZLOČINA (Zoran Tadić: Jugoslawien 1981)
Tatort: FilmBühne Caligari Wiesbaden
Etwa ein halber Film vergeht, bis der Vorführer merkt, dass die Projektion die ganze Zeit „open matte“ war. Fliegender Wechsel von 1.33:1 zu 1.66:1.

23. April: DOM ZŁY (Wojciech Smarzowski: Polen 2009)
Tatort: Murnau-Filmtheater Wiesbaden
Ein beunruhigender Film – warum also nicht eine komplette Filmrolle mit zittrigem Bildstand abspielen?

24. April: ZIEMA OBIECANA (Andrzej Wajda: Polen 1975)
Tatort: Murnau-Filmtheater Wiesbaden
Ein komplettes Zusatzprogramm mit Filmstörungen: Zuerst wird wegen eines Raubkopier-Terroristen die Pausentaste – die Wunder des digitalen Kinos! – gedrückt und eine melodramatische Belehrung gegeben, später ein Kabel für über 10 Minuten mitten in das Bild rein gehalten. (Ausführlicheres zu den beschämenden Pannen beim diesjährigen goEast-Festival gibt es hier.)

13. Juli: THE NEON DEMON (Nicolas Winding Refn: Frankreich / Dänemark / USA 2016)
Tatort: Kino am Markt Jena
Das neueröffnete Kino am Markt in Jena war von Anfang an eine Mogelpackung: im Grunde nichts anderes als ein externer Zusatz-Saal des Schillerhofs, den dieses eben geografisch weiter entfernt aufmachte. Ein Ort, um das übliche Schillerhof-Programm abzuspielen, wenn das Hauptkino vier Monate lang TONI ERDMANN zeigen muss oder aber genau die Filme, die eh schon im örtlichen Multiplex laufen. Kurz: eine echte Bereicherung für die Filmvielfalt in Jena. Das „neue“ Kino tut nebenbei alles, um wie eine klinische Location auszusehen, die nur den Zweck hat, möglichst viel Zuschauer-Vieh durch das Programm zu schleusen – daher auch die extrem engen, sardinenbüchsenartigen Sitzreihen und das räudige Ambiente einer Bahnhofswartehalle. Und dann meinte ein Zuschauer fünf Sitze weiter noch, möglichst lautstark und aufsehenerregend – am liebsten in den leisen Momenten – ungefähr fünf Bier, drei Chipstüten und mehrere Packungen Erdnüsse vertilgen zu müssen, während direkt neben mir ein Zuschauer sich genötigt fühlte, seinen Abscheu vor den grotesken, sleazigen Szenen mit demonstrativ lautem ironischem Lachen auszudrücken, nur, um dann bei den schockierenden Gewaltmomenten doch kleinlaut zu winseln (das aber auch mit ordentlicher Lautstärke). Dass beide Zuschauer auch noch zur 8- oder 9-köpfigen Freundesgruppe angehörten, die sich aus einem ursprünglich von mir als zweiköpfig geplanten Kinobesuch gebildet hatte, macht das ganze... ach... lassen wir‘s...

18. November: PATERSON (Jim Jarmusch: USA / Frankreich / Deutschland 2016)
Tatort: Schillerhof Jena
Gegen Flüsterteppiche während der Trailerphase zu meckern – das wäre ein Luxus in einer besseren Filmkultur. Dass dieser Flüsterteppich auch nicht leiser wurde, als der eigentliche Film begann, ist schon bedenklicher. Das wenige, das ich unfreiwillig aufschnappte, zeigte aber, dass es um wirklich wichtige und relevante Dinge ging – etwa darum, spöttische Bemerkungen über die Namen der Hauptdarstellerin und des Cutters zu reissen.


...lang lebe das Kino!

Wenn das Kino tot ist, bleibt nichts anderes übrig, als es in Alternativen zu beleben. Das nenne ich gerne „ruhige DVD-Sichtung bei mir zuhause“. Aber es geht auch anders. Meine beste Filmvorführung des Jahres fand nicht in einem „richtigen“ Kino statt, sondern in einem Kellergewölbe: eine (Überraschungs-)Privatvorstellung von Stummfilmen zu Ehren meines 30. Geburtstages, mit dem Stummfilmpianisten Richard Siedhoff und einem knapp zweistündigen Programm, das ich selbst zusammenstellte – ausgewählt aus einer Sammlung von 16mm-Filmrollen, die Richard in einem großen Koffer mitgebracht hatte.

Zu sehen gab es:
IT‘S A GIFT (Hugh Fray: USA 1923) – oder: ein Magnetauto fliegt davon
WRONG AGAIN (Leo McCarey: USA 1929) – oder: ein schwieriger Umzug mit Pferd
PASS THE GRAVY (Fred Guiol: USA 1928) – oder: Peinlichkeiten an der Festtafel
NEIGHBORS (Buster Keaton / Eddie Cline: USA 1920) – oder: Romeo & Julia akrobatisch
ONE WEEK (Buster Keaton / Eddie Cline: USA 1920) – oder: DIY postexpressionistisch
IT‘S A GIFT (Hugh Fray: USA 1923) – oder: ein Magnetauto fliegt davon (Zugabe)


Jacques Rivette ist tot...

2016 war das Jahr der vielen Toten im (pop)kulturellen und auch im Filmbereich – zumindest, wenn man dem Boulevard glauben mag. Ich frage mich, ob wirklich mehr berühmte Persönlichkeiten gestorben sind als sonst, oder ob deren Tod neuerdings einfach nur wesentlich sensationsgieriger und pietätsloser ausgeschlachtet wird. Beides muss sich nicht ausschließen.
Der Tod Jacques Rivettes am 29. Januar 2016 war für viele deutschsprachige Medien kaum eine Fußnote wert. Der Grundton meist: komisch-exzentrischer nouvelle-vague-Kauz, der extrem lange Filme über komische Theatertruppen drehte. Kein Ereignis, der noch vier Tage später 90 % der facebook-Timeline ausmachte. Der metteur en scène (Rivette lehnte den „autoritäreren“ Begriff Regisseur für sich selbst ab) tauchte – übrigens ebenso wie der knapp drei Wochen später verstorbene Andrzej Żuławski – in den meisten Endjahres-(Bilder)galerien der 2016er-Toten folglich auch gar nicht erst auf. Keine der Personen, die „wir vermissen“, wie es so „schön“ hieß. Wenn ich ab und zu Rivette bei persönlichen Unterhaltungen erwähnte, wussten meine Gesprächspartner nicht, von wem ich sprach – Gesprächspartner wohlgemerkt, die teils Medienwissenschaft mit Schwerpunkt Film studiert hatten und Jean-Luc Godards LE MEPRIS zu ihren großen Lieblingsfilmen zählen.


...lang lebe sein unsterbliches Kino!

Für mich war sein Tod der Auslöser dafür, meine herumliegende DVD von LA RELIGIEUSE zwei Tage später zu sichten. Ich kannte von Rivette bislang nur PARIS NOUS APPARTIENT – ein damals eher im negativen Sinne anstrengendes Erlebnis. Die Sichtung von LA RELIGIEUSE mündete (mit ein wenig Verzögerung) in mein größtes Filmabenteuer des Jahres – neber meiner Werkschau zu John Carpenter, ein ebenso glühender Verehrer Howard Hawks‘ wie sein französischer Kollege. Wenn Rivette kein „Regisseur“ war, sondern ein metteur en scène, so war er vor allem ein furchtloser Abenteurer, ein leidenschaftlicher Entdecker in diesem großen Land namens Film... Sein Redaktions- und Filmemacherkollege Godard sagte einmal über Nicholas Ray, dass dieser vielleicht der einzige Regisseur der Welt sei, der nicht nur fähig, sondern auch willens sei, das Kino neu zu erfinden, wenn dieses verschollen ginge. Ray in allen Ehren – aber auf Rivette trifft diese Aussage vielleicht noch mehr zu. Und jetzt wird auch er nicht mehr da sein, um es neu zu erfinden. Seine Filme zu sehen, ist nicht nur ein großes Abenteuer, es kann auch eine recht mühselige, teils recht teure Herausforderung sein, wenn man sie in ordentlichen Editionen sehen möchte. Und französischsprachige Filme ohne Untertitel zu verstehen, kann auch von Vorteil sein.

Bisheriger Sichtungsstand (nach Präferenz):

LA BELLE NOISEUSE (1991)
CÉLINE ET JULIE VONT EN BATEAU: PHANTOM LADIES OVER PARIS (1974)
OUT 1, NOLI MI TANGERE (1971)

LE PONT DU NORD (1981)
SCÈNES DE LA VIE PARALLÈLE: 2 – DUELLE (UNE QUARANTAINE) (1976)
SUZANNE SIMONIN, LA RELIGIEUSE DE DENIS DIDEROT (1966)
L‘AMOUR FOU (1969)

PARIS NOUS APPARTIENT (1961) [Zweitsichtung]
NE TOUCHEZ PAS LA HACHE (2007)

VA SAVOIR – Kinoversion (2001)
HISTOIRE DE MARIE ET JULIEN (2003)
36 VUES DU PIC SAINT-LOUP (2009)

MERRY GO-ROUND (1981)
SCÈNES DE LA VIE PARALLÈLE: 3 – NOROÎT (UNE VENGEANCE) (1976)
LE COUP DU BERGER (1956)

LA BELLE NOISEUSE – DIVERTIMENTO (1992)
PARIS S‘EN VA (1981)
OUT 1, SPECTRE (1972)

2017 werde ich mit Sicherheit den einen oder anderen Rivette-Film hier besprechen. Ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster und verspreche zumindest einen Text zu L'AMOUR FOU, dem zentralen Übergangsfilm zwischen der frühen und der mittleren Werksphase – und trotz seiner zentralen Bedeutung in Rivettes Filmographie bis heute nirgendwo auf DVD (noch nicht einmal auf VHS) erhältlich. Auf ihn und weitere sieben der 18 gesichteten Rivette-Filme komme ich zunächst schon mal weiter unten noch mal kurz zu sprechen. Vorher aber gibt es noch einen kurzen Blick auf aktuelle Filme.


Meine besten Filme des Jahres 2016

Trotzdem ich Kinobesuche zunehmend anstrengend finde, habe ich mich vom aktuellen Kino- und Filmgeschehen nicht vollkommen abgekehrt. Es ist dennoch bezeichnend, dass von meiner Liste fast die Hälfte (de-facto-)direct-to-video-Veröffentlichungen, TV-Filme oder „obskure“ Filmfestival-Geheimtipps sind.
Eine Flop-Liste erspare ich mir dieses Jahr: Gordian Mauggs schreckliches Biopic FRITZ LANG und „NWR“s (wie er sich jetzt gerne nennt) THE NEON DEMON seien hiermit als besonders unerfreuliche Sichtungen lediglich erwähnt.

1 ELLE (Paul Verhoeven: Frankreich 2016)
Die erfolgreiche Chefin eines Computerspielunternehmens wird zuhause überfallen und vergewaltigt. Die Tat wird zum Auslöser für eine Rundumabrechnung mit ihrem Umfeld und ihrer Vergangenheit – und später für den Beginn eines Katz-und-Maus-Spiels mit dem Täter.
Der einzigartige und unverwüstliche Paul Verhoeven ist zurück, nach 10 Jahren Kinopause (allerdings nur 4 Jahren Filmpause – dazu weiter unten mehr). Ein Freund von mir nannte den Film „altersmild“, weil die extreme Gewalt etwas zurückgefahren und der Sleaze sublimiert ist, doch Verhoeven selbst bezeichnete ELLE als den bisher provokantesten Film seiner Karriere. Es ist sicherlich sein provokantester und schockierendster Film seit SPETTERS (1980): wie das pessimistische Panorama der niederländischen Provinzjugend greift ELLE nicht auf das Sicherheitsnetz des Genres zurück. Die Niederträchtigkeit, die Gewalt, die Grausamkeit, die Peinlichkeit, das Abstoßende (aber ebenso die schiere Lebensfreude und die unverhofften Momente der Menschlichkeit) kommen wie in SPETTERS aus dem richtigen Leben, und nicht aus Genre-Mustern. Als Thriller, wie ELLE oft bezeichnet wird, funktioniert der Film nicht und ist auch nicht so gefilmt. Das, was man wohl eher als loses Drama bezeichnen könnte, ist wie seine Hauptfigur: knochentrocken, spröde, im richtigen Moment dennoch sehr schlagkräftig, undurchdringlich, mysteriös. ELLE ist nicht nur Verhoeven pur, sondern auch Isabelle Huppert in einer unsterblichen Glanzrolle.
Der beste Film des Jahres kommt in Deutschland Anfang Februar 2017 ins Kino. Ich war zu ungeduldig und habe mir deshalb schon die französische DVD besorgt. Verhoeven ist mit ELLE definitiv in seiner Altmeister-Werksphase angekommen, ohne jedoch Ermüdungserscheinungen zu zeigen. Er plant mit LYON 1943 seinen nunmehr dritten Weltkriegsfilm, über sein Jesus-Projekt spricht er mittlerweile auch wieder. Ich bin gespannt.

2 PATERSON (Jim Jarmusch: USA / Frankreich / Deutschland 2016)
Eine Woche im ruhigen Leben des Busfahrers und Freizeit-Lyrikers Paterson in Paterson, New Jersey.
À propos Altmeister-Werksphase... Jim Jarmusch war nie ein klassischer Erzähler im engeren Sinne. Mit THE LIMITS OF CONTROL hat er sich definitiv von jeglichem Plot-Ballast befreit. ONLY LOVERS LEFT ALIVE transzendierte völlig das Genre des Vampirfilms mit seinem meditativen, langsamen Rhythmus (was ihm bei manch einem den Ruf des „Gitarrenstreichler-Films“ brachte). In PATERSON hat Jarmusch außergewöhnliche Figuren (Profikiller, Vampire) nun ganz aufgegeben. Gegliedert in sieben Kapiteln (je ein Tag der Woche) folgt er dem ruhigen Alltag eines Menschen, der fünf Tage die Woche in einem verhältnismäßig monotonen Job arbeitet und der auch in seiner Freizeit eher ein Mann des understatement ist – im Gegensatz zu seiner tatenlustigen Ehefrau oder den anderen Gästen seiner Stammkneipe. Wie Verhoeven entfernt sich auch Jarmusch vom Genre, um etwas freieres zu erschaffen. Etwas, das aus dem meditativen Charme der Wiederholung (mit kleinen Variationen) nach und nach seine volle Schönheit gewinnt.
Mir fällt gerade auf, dass Jarmusch vielleicht einer der interkulturellsten Filmemacher der USA ist. Immer wieder begibt er sich entweder in die Fremde – und das konsequenterweise auch sprachlich – (NIGHT ON EARTH, THE LIMITS OF CONTROL), oder lässt zumindest Fremde auf die USA blicken (in gut der Hälfte der Spielfilme). Am Ende von PATERSON unterhält sich Paterson mit einem japanischen Touristen, der mit dem Blick eines Gedichteliebhabers durch die US-Provinz geht. Noch konsequenter ist wohl, dass die Herkunft von Patersons Frau Laura, die mit ihrem Akzent ganz offenbar keine gebürtige US-Amerikanerin ist (gespielt von der iranisch-französischen Schauspielerin Golshifteh Farahani), gar nicht thematisiert wird und ich glaube auch noch nicht mal erwähnt – sie lebt eben in Paterson mit Paterson und will Country-Sängerin werden. 

3 SULLY (Clint Eastwood: USA 2016)
Pilot Chesley Sullenberger landet kurz nach dem Abflug ein beschädigtes Flugzeug auf dem Hudson River, wird dann als Held gefeiert, von einem Untersuchungsausschuss befragt und gerät in schwere Selbstzweifel.
Mit seiner üblichen klassischen, ruhigen und unaufgeregten Inszenierung (allerdings wesentlich pointierter als in den letzten Filmen) erzählt Eastwood von einem unfreiwilligen Helden, der eigentlich nur seinen Job gemacht hat. Statt eines reißerischen Katastrophenfilms gibt es das intime Portrait eines ruhigen, überlegten Profis, gefilmt aus Perspektive seiner Erinnerungen, seiner Erinnerungsbruchstücke und seines unbeirrbaren Arbeitsethos. Nach einer großen Enttäuschung (JERSEY BOYS) und zwei  mittelmäßigen Streifen (J. EDGAR, AMERICAN SNIPER) liefert Eastwood hier nicht nur seinen besten Film der 2010er Jahre, sondern auch sein persönlichstes Werk seit langem (seit UNFORGIVEN?).

4 DER BUNKER (Nikias Chryssos: Deutschland 2015)
Der Student mietet sich für seine Forschungen im Zimmer einer exzentrischen Familie in einem Waldbunker ein: während der Vater eine erschreckend freundliche passive Aggressivität an den Tag legt, unterhält sich die Mutter gerne mit einem Außerirdischen namens Heinrich, der sich in einer übel aussehenden Beinwunde versteckt hält – und Klaus, den geistig zurückgebliebenen Sohn, soll der Student dazu unterrichten, US-Präsident zu werden.
Nach drei Altmeistern Platz für die Jugend. Nikias Chryssos‘ erster abendfüllender Film ist derartig singulär, dass sich viele Kritiker in halbgare Vergleiche flüchteten à la „David Lynch und Helge Schneider drehen zusammen auf Koks eine Folge der Lindenstraße“. Das ist nicht völlig abwegig, zumal Chryssos wie Schneider prominent einen ganz offensichtlich älteren Schauspieler als kleines Kind besetzt, trifft es aber nur unzureichend. DER BUNKER mag ein klaustrophobisches Kammerspiel sein, das vier Figuren in fensterlose Räume pfercht, aber vor allem ist es ein großes Stück entfesseltes Kino: zugleich grotesk, anrührend, urkomisch, gruselig, erschreckend, zärtlich, schockierend, hysterisch, besinnlich, melancholisch. Alle Register werden ineinander überfließend gezogen. Eine Erklärung für das ganze ist nicht simpel. Selbst die Frage, ob Klaus nun eigentlich ein zurückgebliebener Achtjähriger mit dem Körper eines 30-Jährigen ist, oder ein 30-Jähriger, der eine geistige Regression durchgemacht hat, wird jeder für sich selbst beantworten müssen – ich neige zu ersterem, aber der vieldeutige Schluss verunsichert mich auch. Da passt es wie der Rohrstock auf die ausgesteckte Hand, dass der Film von einem nur vierköpfigen, aber perfekten Cast getragen wird, von wunderbar komponierten Cinemascope-Bildern veredelt wird, kunstvoll ausgeleuchtet ist (die Wände, die wie bei Suzuki Seijun – tut mir leid, noch so ein Vergleich – zwischendurch die Farbe wechseln!), und von einem grandiosen elektronischen Score Leonard Petersens begleitet wird. Den Soundtrack gibt es in der erweiterten DVD-Edition als Bonus, und ich warne eindringlich vor seinem extremen Suchtpotential.
In einer besseren Welt würden die Leute nicht sagen „Wir sind Toni Erdmann“, sondern „Klaus for President“. In einer besseren Welt wäre Klaus tatsächlich der neue Präsident der USA: die Frisur und die profunden Kenntnisse der Weltgeografie ähneln sich zwar, aber Klaus ist doch etwas freundlicher. In einer besseren Welt würde DER BUNKER auch außerhalb von Millionenstädten in Kinos laufen und keine de-facto-direct-to-video-Veröffentlichung sein. Mehr von mir zu diesem wunderbaren Film zu lesen gibt es hier.

5 ZOOTOPIA (Byron Howard, Rich Moore, Jared Bush: USA 2016)
In der Metropole Zootopia suchen die idealistische Hasen-Polizistin Judy und der kleinkriminelle Fuchs Nick nach einer entführten Otter – und stoßen dabei auf ein politisches Komplott, das mithilfe von Hass, Vorurteilen, Rassismus und Attacken auf eine Minderheit die multikulturelle Gesellschaft Zootopias zerrütten möchte.
ZOOTOPIA ist der große politische Film des Jahres 2016. Das mag bei einem 150-Millionen-Dollar-Disney-Film, der eigentlich Kinder und Familien als Hauptzielgruppe hat, befremdlich klingen. Nun... Zufällig kam ZOOTOPIA in die deutschen Kinos genau 10 Tage vor einer dreifachen Landtagswahl, bei der durchschnittlich 15 % der Wähler (insgesamt weit über eine Million Menschen) für Hass, Vorurteile und Rassismus stimmten. Diese unheilvolle Trias wird in Deutschland tagtäglich unter solch netten Begriffen wie „Sorgen“ und „berechtigte Ängste“ legitimiert – leider gerade auch von Leuten, die sich gerne eifrig als liberale Vorzeigedemokraten präsentieren möchten. ZOOTOPIA hingegen will das nicht akzeptieren, und die Hauptfigur Judy Hopps, eine naive Vorzeigedemokratin, wird schlussendlich gezwungen, ihren eigenen, tief verwurzelten Rassismus zu überwinden. Die „Botschaft“ mag vordergründig sein. Vor allem über seine Figuren und Nebenplots fordert ZOOTOPIA völlig beiläufig eine Gesellschaft, in der ethnische, sexuelle, lebensweltliche und subkulturelle Minderheiten selbstverständlich akzeptiert werden sollen (also namentlich Raubtiere, Homosexuelle mit Dienstmarke, naive Land-Stadt-Migranten und nudistische Hippies).
Auch ganz unabhängig dieser Implikationen ist ZOOTOPIA ein wunderbarer Film für Erwachsene – kleine Kinder dürften von der Laufzeit und vor allem von den sehr effektiven Thriller-Momenten (teils am Rande des Horrorfilms) überfordert sein. Mit links verbindet ZOOTOPIA Motive des police procedurals, des Buddy-Movies, des film noir, des Politthrillers, des Actionfilms und der Großstadtkomödie und funktioniert in der Hauptsache auch über die Chemie zwischen den beiden Hauptfiguren. Die einzelnen Vignetten sind alle stimmig: die erste große Verfolgungsjagd Judys nach einem Dieb ist so schweißtreibend, wie die langsame Suche nach einem Autokennzeichen bei der Kfz-Behörde (in der Faultiere arbeiten) absurd-komisch ist. Zwischendurch mokiert sich der Film milde über die Production-Code-Ära, wenn Nick einen Witz mit dem Wort „pregnant“ erzählt oder die schamhafte Judy eine Befragung in einem Nudisten-Club durchführt, in dem sich zahlreiche Tiere so schamlos wie lustvoll nackt räkeln.

6 FINDING DORY (Andrew Stanton, Angus MacLane: USA 2016)
Dory, die unter starken Amnesie-Problemen leidet, begibt sich auf die Suche nach ihren Eltern.
FINDING NEMO war schon ein netter Film. Und doch dachte ich mir: wie würde bloß ein Film aussehen, der sich der faszinierendsten Figur widmet? Die Antwort war also FINDING DORY! Ein Disney-Film, der eine Figur in den Mittelpunkt stellt, deren psychische Probleme nicht nur schwere Identitätsprobleme mit sich bringt. Sie vergisst alle paar Sekunden, was zuvor geschehen ist, und ist, wenn Zwischenfälle sie nicht weiterbringen, gewissermaßen dazu verurteilt, sich permanent im Kreis zu drehen und ist dadurch noch nicht einmal dafür gewappnet ist, die allereinfachsten Aufgaben zu bewältigen, weil sie keine konzentrierte Einordnung ihres eigenen Ichs und ihrer kürzlichen Handlung in ihre Umwelt vornehmen kann. FINDING DORY ist dann entsprechend ein Film darüber, wie das Unüberwindliche überwunden wird. Nicht erzählt mit den Mitteln des film noir (gleichwohl der Film mit einer vergesslichen Protagonistin auf der Suche nach der Vergangenheit sich dazu eignen würde und überhaupt auch der bessere MEMENTO ist), sondern mit den Mitteln des Buddy-Actionfilms. Zumindest größtenteils. Zwischendurch wartet FINDING DORY mit POV-Einstellungen auf (als die vergessliche Dory von Panik ergriffen etwas sucht), die aus einem Thriller entstammen könnten. Mehrere Momente bringen diesen Disney-Film an den Rand dessen, was ein eigentlich für Kinder produziertes Konsumprodukt tun kann – wenn sich Dory etwa in einem Eimer voller toter Fische (Futter für die Haie in einem großen Aquarium-Erlebnispark) wiederfindet, sich nonchalant mit ihnen unterhält und erst langsam merkt, dass etwas hier nicht stimmt.
Angesichts der ganzen Superhelden-Postquel-Reboot-Aufgüsse wird bisweilen von einer Infantilisierung des Publikums gesprochen. Das Paradox, dass ausgerechnet die Disney-Animations- und Kinderabteilung letztendlich intelligente Filme für erwachsene Zuschauer produziert (eben ZOOTOPIA und FINDING DORY), scheint geradezu logisch.

7 BASKIN (Can Evrenol: Türkei / USA 2015)
Eine Handvoll Polizisten begibt sich zu einem abgelegenen Tatort und betritt damit unfreiwillig das Vorzimmer der Hölle.
Can Evrenol schickt fünf türkische Polizisten zusammen mit ihrem bornierten, sexistischen Weltbild in die Hölle, wo der Männerbund ordentlich in Stücke gerissen wird (nicht nur metaphorisch). Der Weg dazu ist aber nicht geradlinig und direkt, sondern führt über diverse Alpträume und Zeitschleifen. Trotz der eindeutigen Beeinflussung durch Dario Argento und Clive Barker ist Evrenol mit seinem ersten Langfilm (ein „Remake“ seines gleichnamigen letzten Kurzfilms) ein ganz eigener, überaus sinnlicher, fleischlicher und alptraumhafter Film gelungen.

8 ZIELFAHNDER: FLUCHT IN DIE KARPATEN (Dominik Graf: Deutschland 2016)
Zwei deutsche Polizisten suchen in der rumänischen Hauptstadt, später in den Dörfern, nach einem entflohenen Kriminellen.
Auch ohne die irrsinnige Dichte von TATORT: AUS DER TIEFE DER ZEIT treibt Graf dem Tatort-Spießer die Wuttränen in die Augen mit seinem Krimi, der zuerst mit Autoverfolgungsjagden und wüsten Prügeleien in abgeranzten Bruchbuden aufwartet, um sich später völlig hemmungslos in ausgedehnten Nebenplots zu suhlen. Der Höhepunkt des Films ist entsprechend auch die feucht-fröhliche Hochzeitsfeier, getragen von einer Scheiss-drauf-lass-uns-Spaß-haben-Stimmung – gefolgt von der wundervollsten verkaterten Suche nach einer gestohlenen Kirchturmglocke, die je auf Film gebannt wurde. Auch ein „kleiner“ Graf kann ein großer Filmmoment des Jahres sein!

9 THE KEEPING ROOM (Daniel Barber: USA 2014)
Während des Amerikanischen Bürgerkriegs, irgendwo in den Südstaaten: Die Hausherrin einer kleinen Farm, ihre kleine Schwester und ihre schwarze Sklavin leben alleine auf dem Hof, während die Männer im Krieg sind. Zwei marodierende Soldaten belagern und bedrohen sie...
Der Western ist immer noch nicht tot zu kriegen, und das ist auch gut so! THE KEEPING ROOM verbindet dabei das Setting eines Frauen-Südstaaten-Westerns äußerst effektiv mit Elementen des Home-Invasion-Thrillers und des Rape-and-Revenge-Exploiters. Nebenbei thematisiert der Film auch, wie Krieg Geschlechter- und ethnische Beziehungen wandelt. Die ältere Schwester muss nun funktional „zum Mann“ werden: also den Hof betreiben und beschützen, notfalls mit Gewalt. Doch zugleich erodiert die eindeutige Beziehung zwischen ihr, der Sklavenherrin, und ihrer Sklavin, weil letztere aufgrund des kriegsbedingten sozialen Zusammenbruchs nicht mehr bereit ist, einfach nur Sklavin zu sein. In einem denkwürdigen Moment gibt die Herrin der Sklavin eine Ohrfeige. Diese antwortet mit einer ebenso schallenden Ohrfeige. Für mehrere Sekunden sind beide (und der Zuschauer) erstaunt darüber, was eben passiert ist. Nur wenige Sekunden, die vielschichtiger sind als alles, was Quentin Tarantino in den gesammelten 6 Stunden von DJANGO UNCHAINED und THE HATEFUL EIGHT zu diesem Thema zu sagen (um nicht zu sagen: zu labern) hat.

10 SIMPLY THE WORST (Günther & Hindrich: Deutschland 2016)
Zwei sächsische Slacker fahren zusammen auf Spritztour ins tschechische Erzgebirge. Alkoholkonsum und Tollpatschigkeit bringen bald Trubel.
In Sachsen gibt es nicht nur Naz... besorgte Bürger, sondern auch kreative Filmemacher. Was auf den ersten Blick wie kleine statische Sketches aussieht, verwandelt sich nach dem Start des Trips Richtung Osten in ein Feuerwerk aus irrsinnigen Gags und absurden Ideen. Auf ein Ausschmücken der Handlung wird komplett verzichtet: brutale Schnitte und gnadenlose Ellipsen peitschen die Bilder nur so voran, dass es kracht. Das Resultat ist nicht ein kurzes Roadmovie von 20 Minuten, sondern ein extrem kompaktes Konzentrat mit genug Stoff für 3 Stunden Film. Zeit offline hat mit seinem Statement („Most epic roadmovie ever“) den rostigen Nagel der Marke VEB Kleinmetallwaren Karl-Marx-Stadt direkt auf den Kopf getroffen. SIMPLY THE WORST läuft auf Sächsisch mit hochdeutschen und englischen Untertiteln. Diese differieren in Bedeutung, Länge und Witzform teils sehr erheblich sowohl untereinander wie auch zum gesprochenen Sächsischen und fügen dem Film, der nicht melodisch verläuft, sondern wie ein Schichtkuchen aufeinander geschichteter Akkorde aufgebaut ist, somit eine zusätzliche Note hinzu.
SIMPLY THE WORST sah ich Ende Februar bei den Vorauswahl-Sichtungen zum diesjährigen Jenaer cellu l‘art Kurzfilmfestival (und der Film schaffte es auch in das fertige Festivalprogramm). Er lief auch auf diversen anderen Kurzfilmfestivals und ist auf Video-on-demand bzw. auf Anfrage bei den Machern auf DVD erhältlich.


Film und Kontext: Das Filmbuch des Jahres 2016

SAUFT BENZIN, IHR HIMMELHUNDE! GESPRÄCHE ÜBER MÄNNLICHE ALLMACHTSPHANTASIEN, MASCHINENGEWEHRE, ZERSTÖRUNGSWUT & UNGEHEMMTE MORDLUST (Oliver Nöding, Marcos Ewert)
Wer den Blog kennt (siehe unsere Blogroll) weiß, worum es in diesem Buch geht: um die Rehabilitation eines verfemten Genres – des US-amerikanischen Actionfilms der 1980er Jahre – mit den Mitteln des Filmdialogs. Eine echte Goldgrube nicht nur für Fans von Sylvester Stallone, Chuck Norris, Arnold Schwarzenegger, Charles Bronson, Menahem Golan und Co., sondern für alle Filminteressierte, weil es wohl wenige Filmtexte gibt, die auf einem solch hohen Niveau Liebhaber-Herzblut mit analytischem Scharfsinn verbinden.
Hier noch mal ein paar Infos von einem der beiden Autoren selbst, inklusive eines Links für Käufer.


2016: mein persönlicher Kanon der Erstsichtungen

Ich habe dieses Jahr 439 Filme gesehen (bzw. ein bisschen weniger, weil ich einige auch zwei- oder mehrmals gesehen habe – oder doch eher ein Tick mehr, wenn man noch unzählige Kurzfilme hinzurechnet). Die crème de la crème meiner diesjährigen Erstsichtungen habe ich in der folgenden Liste mit einigen mehr oder minder kurzen Kommentaren versammelt.

1 MAN‘S FAVORITE SPORT? (Howard Hawks: USA 1964)
(4 Sichtungen) Pure Entspannung auf Zelluloid. Mehr von mir zum „ultimativen Hollywood-Autorenfilm“ gibt es hier zu lesen.

Jacques Rivette – Liebe für Kunst, (Lebens)künstler und Schauspieler
LA BELLE NOISEUSE, CÉLINE ET JULIE VONT EN BATEAU
OUT 1
2 LA BELLE NOISEUSE (Jacques Rivette: Frankreich / Schweiz 1991)
Dieser Film war der Beginn einer neuen großen Liebe – zu Jacques Rivettes Filmen. Dass er in meiner Liste direkt nach MAN‘S FAVORITE SPORT? kommt, ist wohl kein Zufall: es ist der späthawksianische Film eines großen, erfahrenen Meisters, der nur noch ein bisschen südfranzösische Sonne, Emmanuelle Béarts entschlossene Blicke und Michel Piccolis zögerliche Artikulation braucht (und vier Stunden Zeit), um eine Filmperle zu zaubern.

3 CÉLINE ET JULIE VONT EN BATEAU: PHANTOM LADIES OVER PARIS (Jacques Rivette: Frankreich 1974)
Der Film beginnt mit einer 10-minütigen Verfolgungsjagd durch das sommerliche Paris und endet mit dem Bruch der vierten Wand, als eine Katze in die Kamera schaut. Dazwischen gibt es drei Stunden Kinomagie, bei der alles möglich ist. Rivettes Semi-Remake von Hawks‘ GENTLEMEN PREFER BLONDES, mit 16mm aus der Hüfte während eines Sommers gedreht, steht und fällt mit seinen fantastischen Hauptdarstellerinnen, die zwischendurch nonchalant jeweils die andere spielen. Juliet Berto hat als Céline ihre schönste von dreieinhalb Rollen für Rivette und es ist eine Schande, dass Dominique Labourier keine weiteren Filme mit ihm gedreht hat.

4 OUT 1, NOLI MI TANGERE (Jacques Rivette: Frankreich 1971)
Das zwölfeinhalbstündige Mammutwerk, das trotz der epischen Länge auch ein unglaublich intimer Film ist. Das Komplott löst sich wie meist bei Rivette am Schluss in Beliebigkeit auf, es bleiben viele unvergessliche Momente. Was anderswo als zermürbende und strapaziöse Theaterprobeszenen beschrieben wird, gehört zu den intensivsten performativen Kinomomenten, die ich bisher gesehen habe, besonders jene mit Thomas‘ (Lonsdale) Truppe. OUT 1, NOLI MI TANGERE enthält auch eine große herzzerbrechende, unerfüllte Liebesgeschichte zwischen Colin (Léaud) und Pauline (Ogier), die voller Hoffnung anfängt und schließlich in Nicht-Kommunikation und totaler Entfremdung endet. Und eine wunderbare Auferstehung aus Verrücktheit in das Leben zurück, wenn Quentin (Baillot) nach etwa einer Stunde (oder zwei?) scheinbar verrückten Herumirrens wie ein Vollprofi in die andere Theatertruppe einsteigt – ein echter Hawksianischer Professional eben!
Die Laufzeit von 12 Stunden ist zwar logistisch ein bisschen herausfordernd, vergeht aber wie im Flug.

5 WALKABOUT (Nicolas Roeg: UK / Australien 1971)
Roegs 1 1/2. Film über das Erwachen der Sexualität in der Wüste ist ein unglaubliches Kinogedicht von fast unerträglicher Schönheit und Traurigkeit und großem Verstörungspotential. Die pièce de résistance ist die vierminütige Jagd-Schwimm-Montage in der Mitte des Films. John Barry großartiger Score bringt den Bildern das letzte I-Tüpferchen.

Fantastische Bilderwelten mit
unterschiedlichen Mitteln: CALIFORNIA
LE PONT DU NORD
6 CALIFORNIA (John Farrow: USA 1947)
(2 Sichtungen) Ein exzentrischer Western in psychedelischem Technicolor und extralangen Plansequenzen. Zu diesem bizarren Wunderwerk gibt es von mir hier mehr zu lesen.

7 SALON KITTY (Tinto Brass: Italien / Bundesrepublik Deutschland / Frankreich 1976)
Die Idee, dass Prostituierte (die für das stehen, was viele als „unanständig“ sehen) einen kleinen, utopischen, symbolischen Sieg über Nazis (die für das stehen, was viele als „ordentlich“ in einem hoffnungslos ausgehöhlten Sekundärtugend-Sinne sehen) feiern, ist schon wunderschön, aber SALON KITTY war zumindest bei der Erstsichtung vor allem ein unermüdlicher, musikalischer Bilderfluss, der in einer großartigen Katharsis der Zerstörung endet.

8 BRAT (Aleksej Balabanov: Russland 1997)
No Future in Piter! Ein genialer Beitrag zum Genre des Hitman-Films mit entfremdeten, nur scheinbar coolen und kontrollierten Killern.

9 WAKE IN FRIGHT (Ted Kotcheff: Australien / USA 1971)
Weihnachten mit neuen Bekanntschaften und mehreren Bierchen – garantiert unbesinnlich, dafür am Ende besinnungslos betrunken... Auch wenn die Biere so unglaublich schnell getrunken werden, so ist vor allem die bedrückende, qualvolle Langsamkeit dieses Films faszinierend. Ein Abstieg in die Hölle vom Feinsten.

10 LE PONT DU NORD (Jacques Rivette: Frankreich 1981)
Die Hauptfigur des Films ist schwer klaustrophobisch, deshalb wurde LE PONT DU NORD passenderweise auf 16mm im Guerilla-Stil komplett auf den Straßen von Paris gedreht. So wird neben Bulle Ogier und Pascale Ogier dieses dreckige, graue Paris fern der Touristenorte, das langsam gentrifiziert und abgerissen wird, zur dritten Hauptfigur – und zum Spielbrett für Protagonisten, metteur en scène und Zuschauer.

11 SCÈNES DE LA VIE PARALLÈLE: 2 – DUELLE (UNE QUARANTAINE) (Jacques Rivette: Frankreich 1976)
DUELLE ist möglicherweise Rivettes „purster“ Film (vielleicht neben NOROÎT, mit dem er eine Art Duo bildet) – definitiv auch einer seiner „schwierigeren“. Weitere Sichtungen werden zeigen, was mich am Duell der Nachtgöttin (Juliet Berto) und der Sonnengöttin (Bulle Ogier), die in einen irdischen Komplott um einen verschwundenen Edelstein geraten, so fasziniert hat.

12 UN COMISAR ACUZĂ (Sergiu Nicolaescu: Rumänien 1974)
Dirty Tudor räumt auf. Oder wie in Rumänien ein poliziesco gedreht wird, dass den Italienern und Amerikanern Sehen und Hören vergeht. Mehr von mir zum rumänischen Dirty Harry gibt es hier zu lesen.

Bittere Frauenschicksale und Einsamkeit in
THE KILLING OF SISTER GEORGE
LA RELIGIEUSE
13 THE KILLING OF SISTER GEORGE (Robert Aldrich: USA 1968)
Das Schöne und das Grausame, das Vulgäre und das Edle, das Witzige und das Schreckliche, das Nihilistische und das Hoffnungvolle, das Brutale und das Zärtliche nahtlos miteinander verbinden: das gehört sicherlich zu den hervorragendsten Eigenschaften der späten Aldrich-Filme (ich denke an THE GRISSOM GANG, EMPEROR OF THE NORTH POLE, THE LONGEST YARD, HUSTLE). Hier, in seinem persönlichsten Film, kommt das wohl zum ersten Mal in Aldrichs Werk wirklich so gut und meisterhaft zum Tragen.

14 JE T‘AIME MOI NON PLUS (Serge Gainsbourg: Frankreich 1976)
Ein Musikkünstler und Filmamateur dreht aus dem Stand gleich einen solch unfassbaren Film: ein Proto-New-Queer-Cinema-Melodrama, der zunächst nach einer nouvelle-vague-Interpretation von „The Postman Always Rings Twice“ wirkt, dann aber doch unerwartete Wege einschlägt.

15 SOY CUBA (Michail Kalatozov: Kuba / UdSSR 1964)
40 Jahre nach DER LETZTE MANN erfinden Michail Kalatozov und Sergej Urusevskij in diesem Filmessay die entfesselte Kamera neu. Schwerkraft, Natur, Architektur, Menschenmengen, Wasser oder die gängigen Regeln räumlicher Orientierung – nichts kann sie stoppen. Mehr zu Kalatozov und Urusevskij gibt es von Manfred hier zu lesen.

16 HARDWARE (Richard Stanley: UK / USA 1990)
Als „art-house sci-fi gorefest“ wurde der erste abendfüllende Film des exzentrischen Südafrikaners Richard Stanley genannt, in dem der wiedererwachte Schädel eines Cyborgs in einem isolierten Apartment Amok läuft. In diesem klaustrophobischen Kammerspielsetting entfesselt Stanley seine recht banale Geschichte zu einem singulären Bildgedicht – inklusive einer extrem denkwürdigen und bizarren Sterbeszene.

17 SUZANNE SIMONIN, LA RELIGIEUSE DE DENIS DIDEROT (Jacques Rivette: Frankreich 1965)
Rivette leiht sich die Muse seines Freundes Godard aus und erreicht nur mit ihrem Blick, dem kargen und trostlosen Setting und einigen Jumpcuts eine erschreckende emotionale Intensität. Eine Passionsgeschichte, die wirklich weh tut (und nicht nur Genre-Ingredienzen für Tränen zusammenwirft). Der späte NE TOUCHEZ PAS LA HACHE ist der ideale Ergänzungsfilm, weil er Ähnliches mit den gleichen Mitteln erreicht.

18 VAMPYROS LESBOS (Jess Franco: Bundesrepublik Deutschland / Spanien 1971)
Fans von Jess Franco schreiben oft über die Faszination des Disparaten in seinem Werk oder greifen gerne auf die von ihm selbst genutzte Metapher zurück, dass seine Filme wie Jazz-Nummern mit langen Improvisationen seien. Für letzteres scheint mir VAMPYROS LESBOS der ultimative Beleg zu sein. Zusammengefügt wie die Schattierungen eines Musikstücks, nicht wie eine Erzählung, entwickeln die surrealen, grotesken, schaurig schönen Bilder (dieser Skorpion im Wasser!) eine große Faszination.

(Nicht(?)-/mehr-)Paar-Spiele:
COPIE CONFORME
L'AMOUR FOU
19 COPIE CONFORME (Abbas Kiarostami: Frankreich / Italien / Belgien / Iran 2010)
Kiarostami fügt mit einem kleinen Twist den Annäherungsliebesfilm mit den „Szenen einer Ehe“ zusammen – im Rahmen dessen, was man wohl als eine Art Remake von Orson Welles‘ Essay über Kunstfälscher und Autorenschaft F FOR FAKE sehen kann. 

20 BORDERLINE (Kenneth Macpherson: UK 1930)
Schneller montiert als es die Sowjets kurz zuvor taten, und mindestens so assoziativ und energiegeladen wie Orson Welles 20 Jahre später. Mehr zu diesem verblüffenden Stummfilm und seinen faszinierenden Machern schrieb Manfred hier.

21 ¿QUIÉN PUEDE MATAR A UN NIÑO? (Narciso Ibáñez Serrador: Spanien 1976)
Das spät- und postfranquistische transgressive Kino Spaniens ist immer wieder eine Quelle von Freude, Überraschung und Verwunderung. Der Auslandsspanier Ibáñez Serrador reibt den Zuschauern die Schrecken des Bürgerkriegs unter die Nase, indem er einen eigenen Bürgerkrieg – am Ende gar einen Weltkrieg – der Kinder gegen die Erwachsenen inszeniert.

22 VILLAGE OF THE DAMNED (John Carpenter: USA 1995)
À propos fiese Kinder... Carpenters humanistischster Film und sein vielleicht vollendetster Cinemascope-Film. Einige Sätze mehr von mir dazu in meinem Artikel zu meiner diesjährigen Carpenter-Retrospektive.

23 NO BLADE OF GRASS (Cornel Wilde: UK / USA 1970)
Der große auteur maudit des provokativen politischen Films, Cornel Wilde, beendet seine Trilogie über den zivilisatorischen Zusammenbruch mit der ökologischen Postapokalypse – er gibt sich als wütender Prediger in einem schwierigen Film, der es schafft, agitatorisch zu sein, ohne pädagogisch zu werden. Hans Schmid hat über NO BLADE OF GRASS hier einiges Interessantes geschrieben.

24 A COTTAGE ON DARTMOOR (Anthony Asquith: UK / Schweden 1929)
Es soll ja immer noch Leute geben, die denken, dass vor der Erfindung des Tonfilms dem Kino etwas wesentliches fehlte. Der konzentrierte, intime Thriller A COTTAGE ON DARTMOOR, wie auch THE GENERAL, SUNRISE, SPIONE, LA PASSION DE JEANNE D‘ARC, GENERAL‘NAJA LINIJA, beweist, dass dem nicht so ist: schon vor den „talkies“ war fast alles möglich. Weitere Sichtungen werden vielleicht ergeben, dass Asquiths A COTTAGE ON DARTMOOR (im Grunde ein früher film noir) tatsächlich auf der Höhe der eben genannten ist.

25 ONE PLUS ONE (Jean-Luc Godard: UK 1968)
Godard schwurbelt vergnügt mit Politik herum, während die Stones „Sympathy for the Devil“ in x-verschiedenen Varianten ausprobieren. Von wegen „ein Mädchen und eine Knarre“: ein Sänger und eine Gitarre tun‘s auch.

26 ONE, TWO, THREE (Billy Wilder: USA 1961)
Die schnellste Komödie, die ich dieses Jahr gesehen habe (schneller als Hawks‘ BRINGING UP BABY). Und auf eine gewisse Weise auch ein ambivalentes Portrait der frühen Bundesrepublik und ihrer (Nicht-)Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich: der Sekretär ist ein liebenswürdiger Sidekick, aber wenn er davon erzählt, er habe in der SS nur in der Konditorei-Abteilung gearbeitet, läuft es einem auch kalt den Rücken herunter.

27 L‘AMOUR FOU (Jacques Rivette: Frankreich 1969)
Rivettes zweiter „erster Film“, seine Befreiung vom „konventionellen“ Filmemachen, gedreht ohne Drehbuch und entwickelt in improvisierter Zusammenarbeit mit den Darstellern. In langen, langen, langen Szenen schält sich langsam ein Theaterstück heraus, während parallel eine Liebesbeziehung langsam durch Wahnsinn, Paranoia und Betrug zusammenbricht. Vielleicht hätte auch eine Laufzeit von nur drei Stunden statt vier gereicht, aber was soll‘s: selten fühlte sich ein „Neubeginn“ so sehr befreiend an.

28 BIS ANS ENDE DER WELT (Wim Wenders: Deutschland / Frankreich / Australien / USA 1991)
Mein Jahr 2016 war ganz gut, wenn es um sehr lange Filme ging. Wenders‘ Viereinhalbstünder über einen Diebstahl, Übertragungen von Bildern und Träume in die Gehirne, nukleare Apokalypse und eine große Liebe hat – rückblickend gesehen – tatsächlich etwas leicht Rivette‘ianisches in seiner schieren Verspieltheit.

29 THE WARD (John Carpenter: USA 2010)
Der wohl vorerst leider letzte Film eines großen Meisters. Mehr zu Carpenters „chick flick“ gibt es von mir hier zu lesen.

30 RITAM ZLOČINA (Zoran Tadić: Jugoslawien 1981)
Der audiovisuelle Link zwischen Alfred Hitchcock und Eric Rohmer wird ausgerechnet in einem Thriller aus Jugoslawien hergestellt. Mehr zu diesem erstaunlichen Film gibt es von mir hier zu lesen.

31 TWIXT (Francis Ford Coppola: USA 2011)
Coppola zeigt allen Zuschauern, die gerne THE GODFATHER 4 oder APOCALYPSE NOW 3 sehen möchten, den Mittelfinger und amüsiert sich zusammen mit Val Kilmer und Bruce Dern einfach prächtig in dieser Räuberpistole um traurige Vampire, Untote und einen abgehalfterten Schriftsteller... 

32 YOUTH WITHOUT YOUTH (Francis Ford Coppola: USA / Rumänien / Frankreich / Italien / Deutschland 2007)
... seine altersradikale Phase begann aber mit YOUTH WITHOUT YOUTH, der schamlos Mindfuck-Thriller, Melodrama, meditativer Grüblerfilm, Mystery, Liebesfilm, schwarze Komödie, Surrealismus und Esoterik zusammenfügt.

33 THE DIARY OF A CHAMBERMAID (Jean Renoir: USA 1946)
Uff... was für ein merkwürdiger Film. Ihm wurde vorgeworfen, dass die Charaktere „not in tune“ mit dem Drehbuch seien – ich glaube eher, dass genau das seine Stärke ist. Alle Bilder, ihrer oberflächlichen Fröhlichkeit zum Trotz, werden von etwas überlagert, was nicht passt, was irritiert, stört, ja gar verstört. Eine leichte Komödie mit verrückten Leuten, die Leichen im Keller haben, und am Ende werden sogar Leute getötet. Im Grunde ein bisschen wie in LA RÈGLE DU JEU, bloß noch pessimistischer.

34 DRAK SA VRACIA (Eduard Grečner: ČSSR 1968)
Ein slowakischer Heimatfilm aus der Blütezeit der Neuen Tschechoslowakischen Welle. Mehr dazu von mir gibt es hier zu lesen.

35 STEEKSPEL (Paul Verhoeven: Niederlande 2012)
Zwischen ZWARTBOEK und ELLE war Verhoeven nicht ganz untätig. Der TV-Film STEEKSPEL war eine Art misslungenes Experiment, das Drehbuch mit der „Schwarmintelligenz“ des Publikums zu entwickeln. Entstanden ist eine Art Screwball-Komödie mit viel screw um die eskalierende Geburtstagsfeier eines Schürzenjägers, der eine Affäre mit der besten Freundin seiner alkoholischen Tochter hat und dessen Geschäftspartner ihn mithilfe einer Ex-Geliebten aufs Kreuz legen wollen. Der Film dauert nur 50 Minuten, und vermittelt einen Eindruck davon, wie eine Telenovella-Schmonzette von Paul Verhoeven inszeniert aussehen würde: extrem witzig, hintergründig, mit einem ordentlichen Schuss Sleaze abgeschmeckt, hochenergetisch und schonungslos.
(Die Vorstellung, dass Verhoeven mal nach Deutschland kommen könnte, um eine TATORT-Folge zu inszenieren, ist im Lichte dessen sehr anregend. Ein Meuffels-POLIZEIRUF wäre natürlich sehr naheliegend.)

36 KEETJE TIPPEL (Paul Verhoeven: Niederlande 1975)
Verhoevens Version des gediegenen, respektablen period-Melodrama – natürlich ohne „gediegen“ und ohne dem, was viele Leute unter „respektabel“ verstehen. Die Geschichte des mühseligen und aufopferungsvollen Aufstiegs eines Arbeitermädchens in höhere soziale Gefilde würde mit SHOWGIRLS wahrscheinlich ein perfektes Double-Feature bilden.

37 AIRPORT (George Seaton: USA 1970)
Ich hatte ehrlich gesagt einen fürchterlich pompösen und behäbigen Film erwartet, eine Verbildlichung der Gründe, warum so etwas wie „New Hollywood“ dringend notwendig war. Bekommen habe ich einen Thriller mit einem perfektem Timing, einer grandiosen Darstellerriege, viel Platz für den menschlichen Faktor und für Gewitzheit und – auch wenn er bereits in der Darstellerriege inkludiert ist – mit einem überlebensgroßen Burt Lancaster. Ein perfektes Samstagabend-Programm!

38 L‘INCONNU DU LAC (Alain Guiraudie: Frankreich 2013)
Ein ultraminimalistischer Thriller: ein Badesee im Sommer, mehrere aufeinanderfolgende Tage, ein Mörder, sein Liebhaber, eine moralische Zwickmühle.

"How d'you get your kicks for living?"
 Geschwindigkeit (SPEEDY)
Filmemachen (AMATOR)
39 SPEEDY (Ted Wilde: USA 1928)
Harold Lloyds letzter Stummfilm ist vielleicht auch sein entspanntester – zumindest plotmäßig: er ist schon verlobt, muss also nicht sein Mädchen erobern. Deshalb verbringt SPEEDY auch fast die Hälfte der Laufzeit bei Nebenplots, die für den roten Faden irrelevant sind und hat umso mehr Zeit für Gags und halsbrecherische Verfolgungsjagden.

40 AMATOR (Krzysztof Kieślowski: Polen 1979)
Achtung: Filmemachen macht süchtig und gefährdet Sie und Ihre Umgebung. Mögliche Wirkungen: Probleme am Arbeitsplatz, Entfremdung in der Ehe, Zerstörung der Karrieren anderer Leute.

41 FAT CITY (John Huston: USA 1972)
In einer besseren Welt würde FAT CITY als der große Boxerfilm der New-Hollywood-Ära gelten, und nicht der total überschätzte RAGING BULL.

42 THE HUNTED (William Friedkin: USA 2003)
Friedkin war ja eigentlich schon immer ein Radikaler, insofern sind seine wüsten Spätwerke BUG und KILLER JOE weniger verwunderlich als Coppolas YOUTH WITHOUT YOUTH oder TWIXT. THE HUNTED ist Friedkins letzter groß- bzw. (für Hollywood-Verhältnisse) mittelbudgetierter Film, zeigt aber schon in Richtung der extremen Reduzierung von BUG: zwei Männer, zwei Messer, ein Wald.

43 QIANG JIAN ZHONG JI PIAN: ZUI HOU GAO YANG (Wong Jing: Hong Kong 1999)
(„Raped by an Angel 4: The Raper‘s Union“)
Ein Glücksgriff eines Weihnachtswichtelns von 2015... Zwei Serienvergewaltiger brechen aus, ein Polizist streitet sich mit seiner Freundin, Anthony Wong als Vergewaltigungsguru trinkt gerne Milch – das ganze gefilmt mit einer Verve, als würde hier der letzte Film auf Erden gedreht werden. Eine wunderbare Sleaze-Delikatesse für fortgeschrittene Filmgourmets.

44 A WALK AMONG TOMBSTONES (Scott Frank: USA 2014)
Zu den faszinierendsten Trends der 2000er Jahre gehört, dass Liam Neeson seine Karriere als „ernsthafter“ Schauspieler in den Pausenmodus gestellt hat, um bei mehreren explosiven Actionfilmen mitzuwirken. A WALK AMONG TOMBSTONES ist der Höhepunkt dieses Trends, wenngleich kein Actionfilm im engeren Sinne, sondern eher ein grimmiger Serienmörder-Thriller. Mehr als in seinen „ernsthaften“ Rollen zeigt Neeson, was in ihm steckt und der Film selbst übertrumpft mit links solch weitaus gefeiertere Beiträge zum Genre wie PRISONERS.

Einsamkeit und die Tristesse der nächtlichen Arbeit
CROUPIER
TOPAZU
45 CROUPIER (Mike Hodges: UK / Frankreich / Deutschland / Irland 1998)
An einer Stelle fragt die Freundin der Titelfigur aufgebracht, woher denn das Wort überhaupt herkomme: „Croupier“. Er gibt darauf keine richtige Antwort – weiß er vielleicht, dass das etymologisch etwas mit dem Hintern eines Pferdes zu tun hat? Damit will sich der Croupier, der sich selbst gleich noch ein Roman-alter-ego zur Seite stellt (der für ihn auf die schiefe Bahn gerät) natürlich nicht identifizieren.

46 FIVE CORNERS (Tony Bill: UK / USA 1987)
Ein Liebespaar, das sich zerstritten hat, findet unter widrigen Umständen wieder zusammen. Kurz, bevor sich ihre Wege trennen, bittet er sie, ihn noch einmal fünf (oder sechs?) Mal zu küssen. Ein emotionaler Schlüsselmoment, unscheinbarer als das Fahrstuhl-Ballett, aber trotzdem kennzeichnend für diesen großen „kleinen“ Film. Mehr von Manfred, der hoffentlich nicht nur mich auf diesen Geheimtipp aufmerksam gemacht hat, gibt es hier zu lesen.

47 Z (Costa-Gavras: Frankreich / Algerien 1969)
Ein toller Politthriller, über den Hans Schmid einen seiner monumental langen, kenntnisreichen, teils pointierten und teils lustvoll ausschweifenden, jedoch unbedingt lesenswerten Artikel (in drei Teilen) geschrieben hat.

48 ÚSMEV DIABLA (Ján Zeman: ČSSR 1987)
Außen Kriminalfilm, aber innen tobt das Abstruse und der Wahnsinn. Mehr zu diesem bizarren Anti-Krimi gibt es von mir hier zu lesen.

49 L‘IBIS ROUGE (Jean-Pierre Mocky: Frankreich 1975)
Michel Serraults verträumter Jérémie, ergriffen von einer Besessenheit mit dem weiblichen Busen, die auf ein Kindheitstrauma zurückzuführen ist, ist der biedere Serienmörder von nebenan. Sein Umfeld ist allerdings moralisch wesentlich niederträchtiger als er. Vielleicht bekommt Jérémie deshalb eines der absurdesten Film-Happyends aller Zeiten gegönnt. Im wahren Leben war dies Michel Simons letzter Film.

50 TOPAZU (Murakami Ryu: Japan 1992)
Im Juni 2008 wurde TOPAZU auf arte gezeigt: ich sah mir den Film nicht wirklich an, sondern schaltete ab und zu kursorisch beim Zappen rein. Im Gedächtnis haften blieben mir die geisterhaften Autofahrten durch unwirtliche Straßen in Tokyos Business-Viertel und durch eine von Baumkronen bedeckte Straße, leicht aus der Untersicht gefilmt, ein bisschen wie die Autoverfolgungsjagd am Ende von DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE, unterlegt von „Llegue Llegue“ der kubanischen Band Los Van Van mit dieser extrem markanten Basslinie. Ich glaube nach der kompletten Sichtung immer noch, dass diese das Herzstück dieses Films bilden: trostlose Stadtlandschaften mit verzweifelten und kaputten Menschen (wenn die Kamera dann wieder nach unten blickt).
Gefunden habe ich die DVD übrigens bei einer Videotheken-Auflösung, und zwar im hinteren Bereich des abgetrennten Ab-18-Raumes, sprich: in der Porno-Abteilung. Dort habe ich – wohl wissend, dass wir in Deutschland sind und solche transgressiven Kunstfilme in Zweifelsfall dort eingeordnet werden – genau nach solchen Filmen gesucht.

51 LA PREMIÈRE NUIT (Georges Franju: Frankreich 1958)
Eine geisterhafte Fahrt durch die Nacht prägt auch Franjus LA PREMIÈRE NUIT, wenn ein kleiner Junge ausbüxt und mit der Pariser Metro die Welt erkundet – und dabei Unheimliches und möglicherweise Geister sieht. Ein wundervoller 20-minütiger Film, in wundervollem Schwarzweiß und komplett ohne Dialoge.

52 LES LÈVRES ROUGES (Harry Kümel: Belgien / Frankreich / Bundesrepublik Deutschland 1971)
Geisterhaft geht es weiter mit diesem Horror-/Vampirfilm, in dem es keinen klassischen Horror und keine klassischen Vampire gibt – was es da denn eigentlich gibt, ist unsicher oder zumindest ambivalent, und das macht LES LÈVRES ROUGES so beunruhigend und irritierend. Nur diese statischen Aufnahmen des monströsen Hotels, die immer wieder auftauchen – die sind wirklich der pure Horror! Ein bisschen mehr von Manfred zu diesem Film (in einem seiner wohl kürzesten Texte auf diesem Blog) gibt es hier zu lesen.


Wiedersehen macht Freude

Neue Blicke auf neun bereits bekannte Filme...

DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE (Fritz Lang: Deutschland 1933)
3. Sichtung
Mit den MABUSE-Filmen von Lang hatte ich bislang so meine Probleme. Die ersten zwei Minuten von SPIONE sind actionreicher und spannender als die gesamte viereinhalbstündige Stummfilm-Dilogie. DAS TESTAMENT und DIE 1000 AUGEN schienen mir ein Rückschritt zu ihren direkten Vorgängern (M bzw. die Indien-Dilogie) zu sein. Nun hat es zumindest beim TESTAMENT bei mir Klick gemacht. Eine wunderschöne, kristallklare 35mm-Kopie brachte mir Langs letzten deutschen Film der Frühphase endlich nahe: die wunderbaren Bilder, die Ton-Montage, den trockenen Humor des Kommissar Lohmann. Ja wirklich: ein großer Lang!

DEATH PROOF (Quentin Tarantino: USA 2007)
2 1/2. Sichtung (zum zweiten Mal vollständig, das andere Mal in der kürzeren GRINDHOUSE-Fassung)
Außerhalb Frankreichs gehört es zu den großen unerhörten Provokationen, DEATH PROOF zum besten Tarantino-Film zu erklären. Gut fand ich ihn schon vorher, aber im relativ zeitnahen Vergleich zu PULP FICTION gewinnt doch der Autorennfahrerinnen-Exploiter: nicht nur sein schönster Film, sein großer Frauenfilm, sondern auch sein musikalischster, zugleich formalistischster und intellektuellster – ein Muster-Exploitationfilm, gefolgt von einem neuen Film, der als Kritik und Kommentar des ersten fungiert. Ein Kaleidoskop an Spiegelungen.

Hitchcocko-Hawskianisch entspannt...
THE TROUBLE WITH HARRY
RIO LOBO
THE TROUBLE WITH HARRY (Alfred Hitchcock: USA 1955)
6./7. und 7./8. Sichtung (letzte Sichtung Sommer 2015)
Hitchcock zu schauen, als würde man einen Hawks-Film schauen, ist sehr erkenntnisreich – gelten doch beide, der eine grob zusammengefasst ein ausgesprochener Expressionist mit minutiös geplanten Filmen, der andere ein nüchterner Realist mit locker strukturierten Filmen, als Gegenpole in Sachen Filmemachen. Ich fand THE TROUBLE WITH HARRY schon immer sehr gut. Jetzt halte ich ihn für Hitchcocks wahrscheinlich entspanntestes Werk. Wenn RIO BRAVO ein Film über einige Kumpels sind, die in Ruhe miteinander abhängen (na ja, da ist noch diese blöde Belagerungssituation), dann ist THE TROUBLE WITH HARRY ein Film über einige Nachbarn, die sich an einem schönen Herbsttag endlich mal näher kennen lernen, Freundschaften schließen, sich ineinander verlieben (na ja, da ist noch diese blöde Leiche). „What seems to be the trouble, captain?“ dürfte der schönste Hitchcock-Oneliner überhaupt sein.

CRANK (Mark Neveldine / Brian Taylor: USA 2006)
2. Sichtung (erste Sichtung noch zu Schulzeiten, in einer wahrscheinlich schwer verstümmelten TV-Fassung)
Als Trost-DVD in einem stark verspätet verschickten Paket erhalten. Geschaut am Abend nach einem sehr unangenehmen Arztbesuch, bei dem es im allerweitesten Sinne auch um mein Herz ging. Die kathartische Wirkung, Jason Statham dabei zuzusehen, wie er gegen den Stillstand seines Herzens rennt, Sachen kaputtmacht, vögelt und Leute totschießt, war erleichternd. Doch auch unabhängig davon: CRANK, wie in jüngerer Zeit vielleicht nur noch MAD MAX: FURY ROAD, ist ein Actionfilm, der das Versprechen der Non-Stop-Action nicht nur hält, sondern in irrsinnige Höhen treibt – ohne dabei sich selbst mit auch nur einer Spur Selbstironie ein Bein zu stellen. Wirklich explosiv.

Y TU MAMÁ TAMBIÉN (Alfonso Cuarón: Mexiko 2001)
2. Sichtung (erste Sichtung wohl 2008 oder 2009)
Ein wunderbarer, einfacher Roadmovie um eine sehr komplizierte Liebe, bei dem mich die schiere Wärme auf neue Weise überrascht hat – trotz der teils sehr formalistischen Inszenierungsmittel (der Ton, der zwischendurch für den nüchtern-distanzierten Voice-Over ausgeblendet wird). Am wunderschönsten ist Emmanuel Lubezkis Kamera, die den Körpern der drei Hauptfiguren in dieser melancholischen Sommerlandschaft nonchalant  und unaufdringlich folgt. Die Fotografie mag nicht so spektakulär sein wie bei seinen jüngeren Zusammenarbeiten mit Malick, Iñárritu oder auch Cuarón, aber sie ist eben auch nicht so technizistisch, so emotional leer – sondern eben durch ihre „Ungeschliffenheit“ und „Rohheit“ Bestandteil des humanistischen Herzens von Y TU MAMÁ TAMBIÉN. Schönheit, die glücklich und wehmütig macht.

THE FUTURE (Miranda July: USA / Deutschland / Frankreich 2011)
3. Sichtung (2 Sichtungen im Kino 2011)
THE FUTURE wirkte 2011 für mich wie ein lockerer, fluffiger, fantasievoller Film über eine Beziehungskrise, die am Ende in einen Neuanfang mündet (das offene Ende lässt sich ohne Zweifel in diese Richtung interpretieren). Die Neusichtung war wie ein brutaler Fausthieb in den Magen. Nun sah ich einen unter der Oberfläche unglaublich pessimistischen Film über eine Beziehungskrise, die sich ganz leise, aber mit einer erschreckenden und tragischen Eskalationslogik entfaltet und nicht in eine melodramatische Katastrophe, sondern in etwas schlimmeres mündet: in totale Gleichgültigkeit. Jasons magische Fähigkeit, die Zeit zu stoppen, wirkte nicht mehr wie eine Lösung des Problems als eher wie eine Metapher für seine Unfähigkeit, mit der Realität seiner kaputten Beziehung umzugehen. Der Tod der Heimkatze, deren geplante Betreuung eigentlich eine neue Phase der Beziehung einleiten sollte, wirkte nicht mehr wie ein trauriger Plotpoint, sondern wie die Bestätigung eines schlechten Omens: bei einer Geschichte, die aus der Perspektive einer toten Katze aus dem Jenseits erzählt wird, muss irgendetwas ganz fürchterlich im Argen sein. Als Film über eine Beziehungs-Apokalypse wohl auf einer Stufe mit dem ähnlich deprimierenden IN A LONELY PLACE von Nicholas Ray.

NEMESIS (Albert Pyun: USA / Dänemark 1992)
2. Sichtung (nach einer Sichtung im Halbschlaf 2014)
Ein Cyborg-SciFi-Actioner, gefilmt auf industriellen Müllhalden und in abgeranzten Bruchbuden, der sich als kleine neo-noir-Perle entpuppt. Der Film ist voller Grenzgänge: zwischen Cyborgs und Menschen, zwischen Männer und Frauen (fast alle Figuren tragen androgyne Namen), zwischen Körperlichkeit und Virtualität, zwischen Polizist und Verbrecher, zwischen Realität und Traum (viele Szenen wirken wie Träume, manche scheinen dem Nichts, also vielleicht dem Schlaf, zu entspringen). Auch bei einer aufmerksamen Sichtung ist der Plot völlig wirr und undurchschaubar: wie Alex wird man als Zuschauer durch ein undurchsichtiges Labyrinth absurder und gefährlicher Situationen geführt. Kein Wunder, dass Alex sich in einem denkwürdigen Moment sogar den Boden unter den eigenen Füßen wegschießt. NEMESIS ist tatsächlich der bessere BLADE RUNNER (wie es Oliver Nöding einmal schrieb) und der bessere TERMINATOR für fortgeschrittene Filmgourmets.

PARIS NOUS APPARTIENT (Jacques Rivette: Frankreich 1961)
2. Sichtung (nach der eher unerfreulichen Erstsichtung 2010 oder 2011)
Jacques Rivette drehte von allen nouvelle-vague-Regisseuren das wahrscheinlich schwierigste und sperrigste Debüt (wobei ich für Rohmers LE SIGNE DU LION nichts garantieren kann). Nachdem ich einige von seinen Filmen nun gesehen habe, scheint mir PARIS NOUS APPARTIENT tatsächlich eines seiner schwierigeren Werke zu sein. Ein Paranoia-Thriller, bei dem niemand richtig konkret weiß, woher die Paranoia nun wirklich kommt – was die Grundatmosphäre der Unbequemlichkeit, der Angst, der latenten Bedrohung nur steigert. Ein Film voller Mysterien ohne richtige Lösungen, sondern nur mit viel Herumirren.

RIO LOBO (Howard Hawks: USA 1970)
Irgendwo zwischen achter und zwölfter Sichtung – erste Sichtung nach wahrscheinlich über zehn Jahren.
Hawks‘ letzter Film mag die Brillanz des Vorbilds RIO BRAVO nicht erreichen (wie viele Filme können das schon?), zeugt aber dennoch von der sicheren und altersentspannten Hand des Meisters. Mehr als durch die überraschungsarme Geschichte glänzt der Film mit seinen tollen Charakteren und auch den kleinen Momenten. Der Nordstaaten-Oberst, der zwei Südstaaten-Soldaten nach dem Krieg nonchalant zu einem Drink einlädt – das hat natürlich etwas Männerbündisches, aber es ist vor allem eine Art Utopie der Versöhnung in einer gespaltenen Nation. À propos Trinken: John Waynes Colonel McNally spricht beim Nachtlager das Motto der späten Hawks-Filme aus: „Well, I‘ve had about the right numbers of drinks, and I‘m warm, and I‘m relaxed.“

Die richtige Anzahl an Drinks, genügend Wärme und viel Entspannung wünsche ich unseren Lesern für das Jahr 2017...



und natürlich viele spannende Filme!

4 Kommentare:

  1. Oh weh, das "Bonusprogramm" vom GoEast findet seine ganzjährige Fortsetzung. Aber wenn man mit so einem Geburtstagsgeschenk getröstet wird, sieht die Welt wieder besser aus. Ist IT'S A GIFT so ein toller Film, oder hat da nur Siedhoff so toll in die Tasten gegriffen, dass es ein da capo gab? Ich kenne nur den gleichnamigen Film mit W.C. Fields, aber der hat wohl nichts damit zu tun?

    Das mit Rivette scheint mir eine Generationenfrage zu sein. In meinen jungen Jahren kannte man als Cineast den Namen Rivette, selbst wenn man nur wenige oder gar keinen seiner Filme gesehen hatte. Filmjournalisten wie Peter W. Jansen (der damals im ZDF die Kino-Rubrik in "Aspekte" betreute) sorgten schon dafür. Also sollten ihn heutige Cineasten über 50, die noch nicht an Gedächtnisschwund leiden, eigentlich immer noch kennen. Da würde mich mal die Alterszusammensetzung der Jahresrückblickstotenlistenschreiber interessieren. Als exzentrisch galt Rivette auch damals schon. Nicht unbedingt als komisch, aber als knorrig bis unwirsch, und so konsequent und unbeirrbar wie Bresson vor ihm. Und jetzt muss ich beschämt das Geständnis ablegen, dass DVDs von DUELLE, MERRY-GO-ROUND und VA SAVOIR seit Jahren ungesehen bei mir rumliegen. Damals für jeweils das Einstiegsgebot von einem Euro bei eBay ersteigert, während mir jemand CÉLINE ET JULIE..., der da auch angeboten wurde, in allerletzter Sekunde weggeschnappt hat. Wahrscheinlich hat das bei mir ein Trauma ausgelöst, von dem ich mich noch nicht erholt habe (daraus sollte mal jemand einen Revenge-Film machen, nicht immer wegen so Kinkerlitzchen wie Mord und Vergewaltigung).

    SOY CUBA ist wirklich ganz erstaunlich. In der etwas längeren Usenet-Urfassung meines KRANICHE-Artikels von 2004, die man immer noch bei Google Groups findet, habe ich auch ein paar Zeilen darüber geschrieben.

    Ah, DER ROTE IBIS. Den hab ich letztes Jahr auch gesehen, wohl auf arte, und war ziemlich begeistert. Ich hatte aber auch nichts anderes erwartet, bei der Besetzung, und bei Mocky, von dem ich schon ein paar Filme kannte, die ähnlich schräg sind wie die von Lautner. Ansonsten gilt natürlich wie immer, dass ich einen Teil der erwähnten Filme kenne, einen Teil nicht, aber von den ungesehenen liegen schon einige auf DVD oder als Datei bei mir rum - neben den Rivettes noch WAKE IN FRIGHT, VAMPYROS LESBOS, A COTTAGE ON DARTMOOR und BIS ANS ENDE DER WELT. Die kommen alle noch auf jeden Fall zum Zug - es kann sich nur noch um Jahre handeln! Und es freut mich natürlich, dass ich zwei Filme in deine Liste hieven konnte.

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    1. Dass der Cinestar in Jena nach seiner Renovierung jetzt noch schlechter organisiert ist, das Personal mittlerweile wohl nur nach dem Kriterium der maximalen Unhöflichkeit ausgewählt wird und auch noch angewiesen wird, Taschen zu kontrollieren, bei eventuell „kritischem“ Inhalt (Getränke / Nahrungsmittel) jedoch kein Garderobenservice zur Verfügung stellt, habe ich jetzt mal ausgelassen, sonst wäre ich heute noch nicht bei Rivette.

      Die Vorführung zu meinem Geburtstag war wie gesagt eine Überraschungsparty und ich war unter einem Vorwand in das Kellergewölbe des Internationalen Hauses der Uni Jena gelockt worden. Das Timing der „Verschwörer“ war nicht ganz präzise, so dass IT‘S A GIFT schon zwei bis drei Minuten lief, als ich mit meinen Freunden hineinging. Deshalb, und auch tatsächlich weil es so ein schöner Film ist, habe ich ihn mir als krönenden Abschluss des Abends noch einmal gewünscht.

      Wenn ich jedes Mal Amok gelaufen wäre, wenn mich bei ebay jemand überboten hat, dann wäre ich heute wohl ein Massenmörder – vielleicht sogar ein eigener Eintrag bei den Himmelhunden. Paul Kersey wäre ein reiner Witz in Vergleich zu mir ;-) Aber trotzdem bin ich neidisch: 1 Euro für Rivette-DVDs. Deine Bemerkung mit der Generation finde ich interessant, denn ich glaube nicht, dass ich seine Filme vor 10 oder auch nur 5 Jahren so gemocht hätte wie ich das heute, als 30-jähriger, tue. Bei PARIS NOUS APPARTIENT hat sich diese Wandlung deutlich gezeigt.

      Bei Mocky wäre mir nicht unbedingt Lautner als Vergleich eingefallen. Lautners Filme sind ja, zumindest die 9 Komödien von ihm, die ich kenne (er hat ja auch Thriller und Actionfilme gedreht), eher slapstickorientiert, parodistisch, aber meist doch eher „mild“, während Mocky (gemäß den zwei Filmen, die ich kenne und dem, was ich über ihn gelesen habe) schon sehr aggressiv antibourgeois, melancholischer und düsterer ist. Da denke ich eher an Bunuel, vielleicht auch Chabrol. Lautner ist aber trotzdem ein gutes Stichwort: einer meiner liebsten französischen Mainstream-Regisseure. Da wäre auch mal eine Besprechung fällig. Also perspektivisch...

      Die arte-Mediathek war dieses Jahr überhaupt eine sehr gute Alternative zum „normalen“ Kino. Alle von dir gegen Ende genannten Filme (WAKE IN FRIGHT bis BIS ANS ENDE DER WELT) habe ich jeweils dort geschaut. L‘IBIS ROUGE und SOY CUBA auch und dazu noch L‘INCONNU DU LAC und LES LÈVRES ROUGES.

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  2. Ach ja, weil Du "den besseren BLADE RUNNER" erwähnt hast - schau mal, wer gestern Geburtstag hatte ... ;-)

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    1. BLADE RUNNER fand ich damals kein schlechter Film, aber ich habe mich schon gefragt, warum der so Kult ist und so viele begeistert. Zumindest letzteres frage ich mich aber bei den allen Filmen von Ridley „hier gibt‘s übrigens noch eine weitere Fassung zu kaufen“ Scott, die ich kenne. Rutger Hauer ist aber natürlich immer toll :-)

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