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Sonntag, 8. März 2015

Dorothy kehrt aus Vietnam zurück: einige Gedanken zu UNIVERSAL SOLDIER

UNIVERSAL SOLDIER
Regie: Roland Emmerich
Darsteller: Jean-Claude Van Damme (GR44, Luc Deveraux), Dolph Lundgren (GR13, Andrew Scott), Ally Walker (Veronica Roberts), Ed O‘Ross (Colonel Perry), Jerry Orbach (Dr. Christopher Gregor), Ralf Möller (GR76)


Im vorigen Text auf diesem Blog sprach Manfred über eine statistische Methode zur Ermittlung der kulturell bedeutendsten Filme. Unbestrittener Platz 1 in der USA-Liste war THE WIZARD OF OZ. Tatsächlich hat der Technicolor-Film von 1939 über 2.000 „referenced in“-Eintragungen in der IMDb – Roland Emmerichs US-Einstand fehlt in dieser Aufstellung allerdings. Schade, denn UNIVERSAL SOLDIER ist eine höchst interessante Adaption des Oz-Stoffs, zumal er die Thematik der langen Heimkehr aus einem fantastischen Land mit Motiven des Vietnamheimkehrer-Dramas verbindet.

THE WIZARD OF OZ und UNIVERSAL SOLDIER erzählen die Geschichte eines kleinen Farmkindes, das aus seiner idyllischen Heimat von einem gewaltigen Sturm weggeblasen wird. Es landet in einem fremden Land, wo es viele Abenteuer erlebt. Trotzdem will das Kind nach Hause zurückkehren. Auf dem Weg dorthin trifft es sowohl hilfsbereite Freunde wie auch bösartige und teils gewaltbereite Feinde.
Das Farmkind heißt nun nicht mehr Dorothy, sondern Luc (mit Jean-Claude Van Damme als Judy Garland). Die idyllische Heimat ist ebenfalls eine Farm, die sich allerdings in Louisiana befindet. Der Sturm ist kein Tornado, sondern der Vietnamkrieg. Das fremde Land heißt nicht mehr Oz, sondern Vietnam und findet seine logische Weiterführung in den zeitgenössischen USA der frühen 1990er Jahre: ein Ort, an dem der Krieg mit anderen Mitteln und teils anderem Personal fortgeführt wird und der für Luc nicht minder fremd ist, weil er mittlerweile zu einer Armee-Killermaschine umgestaltet worden ist und die Welt nicht mehr mit den Augen eines Menschen sehen kann. Wie Dorothy hat auch Luc/GR44 großes Heimweh: „I just want to go home“ wird er immer wieder im Laufe des Films sagen. Auf seiner Reise nach Hause trifft er ein hilfsbereites Wesen mit einer großen goldenen Mähne: kein „feiger“ Löwe, sondern eine sehr neugierige Journalistin (die allerdings  verständlicherweise von Schießereien und Verfolgungsjagden leicht eingeschüchtert wird). Und statt der bösen Hexen aus dem Osten und dem Westen erweisen sich der skrupellose Oberst Perry und Lucs geradezu unverwüstlicher Armee- und UniSol-Kollege Andrew Scott/GR13 als hartnäckige Gegner.

Der "feige" Löwe und Dorothy: intime Untersuchungen
Luc Deveraux ist nicht nur ein Farmjunge (daran erinnert ihn Andrew Scott immer wieder in einem verächtlichen Ton), sondern in einem fast wörtlichen Sinne ein kleines Kind. Ein eigentlich erwachsener Soldat, der aufgrund seiner traumatischen Erfahrungen im Krieg und aufgrund seines Todes und der anschließenden physischen Manipulationen und Gehirnwäschen eine Regression zum Jungen durchgemacht hat: präpubertär, auch im Sinne von präsexuell. Wenn er zwischendurch nackt vor Veronica herumläuft und sie sogar darum bittet, seinen Körper nach einem Peilsender zu untersuchen („Look for something unusual. Something hard.“), dann kann er gar nicht verstehen, warum der Journalistin etwas komisch zumute ist.

Seine Reise nach Hause ist ein Abenteuer, weil er vielerlei Sachen entdeckt, die für „normale“ Menschen ganz alltäglich sind, für ihn aber ebenso gut aus einer anderen Dimension stammen könnten. Dies kommt wunderbar in der relativ plot-irrelevanten Diner-Szene zum Ausdruck. Veronica geht mit Luc Mittag essen. Schon das Menü ist absolut faszinierend für ihn. So viele Sachen. Seine Reisegefährtin bestellt ihm eine Limo und das Tagesmenü. Als das Essen kommt, weiß er gar nicht, was er damit soll. Er guckt sich um und ein alter Mann dient ihm als gute Orientierung: Messer und Gabel in die Hand nehmen, schneiden, zum Mund führen, reinstecken. Eine ganz neue Erfahrung für GR44 alias Luc im regressiven Zustand. Und eine schöne Erfahrung: das Essen schmeckt ihm offensichtlich.
Mittagessen im Diner:
ein Abenteuer voller neuer Sinneseindrücke
Kurzer Zwischengedanke: Mittlerweile gilt man nicht mehr als grenzdebil, wenn man Jean-Claude Van Damme als tollen Schauspieler bezeichnet, oder als großen Melancholiker und Künstler des Actionkinos. Doch schon in UNIVERSAL SOLDIER zeigt er mine de rien, was in ihm an Ausdrucksmöglichkeiten stecken. Mit nur kleinen mimischen Nuancen macht er in der Diner-Szene deutlich, wie faszinierend Luc so etwas wie Hackbraten mit Kartoffelbrei findet.
Zurück: das Essen im etwas ranzigen Diner schmeckt Luc so gut, dass er das ganze Menü hoch- und runterprobiert, während Veronica draußen telefoniert. Was natürlich die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf sich zieht, und schließlich den Zorn von Kellnerin und Koch, die bezahlt werden möchten, was Luc nur weiter verwirrt. Es entspinnt sich eine kleine Keilerei zwischen Luc und den lokalen Rednecks, die der Farmjunge dank seiner besonderen Kräfte als GR44 locker für sich entscheidet. Danach kommt gleich die nächste Entdeckung für Luc: diese faszinierenden, kleinen, weißen Dinger zum Naschen, die ihn in ganz neue Geschmackswelten bringen. Veronica, inzwischen etwas alarmiert, weil ein Einheimischer durch die Frontscheibe des Diners geflogen ist, fragt sarkastisch nach, ob ihm das Essen geschmeckt habe. Der Farmjunge nascht an einer Schüssel Popcorn, seufzt voller Wonne und lächelt – das vielleicht schönste Bild in UNIVERSAL SOLDIER.

Luc macht im Laufe des Films einen Prozess der Reifung und der Vermenschlichung durch. Das beginnt mit den Blackouts und kognitiven Störungen, die er während der Mission am Staudamm zu Beginn hat: ein ostasiatisches Teenager-Paar unter den Geiseln lässt in seinem Kopf Erinnerungsbruchstücke aus dem Vietnamkrieg hochkommen. Die eigentliche Wende kommt dann im Motel, das er mit Veronica auf der Flucht aufsucht. Im Zimmer schaut er ein bisschen fern. Die Bilder einer Doku – offenbar über Richard Nixon und/oder den Vietnamkrieg – lösen in ihm etwas aus: er wird sich seiner selbst bewusst, und aus der ohnehin störungsanfälligen Kriegsmaschine GR44 wird (wieder) Luc Deveraux. Eine im übrigen vom viel gescholtenen Roland Emmerich wunderbar ökonomisch gefilmte Szene in nur vier Einstellungen.

Die Selbstbewusstwerdung des Luc Deveraux
UNIVERSAL SOLDIER erzählt auch von der Verarbeitung des Vietnamkriegs: Ein Aspekt, der nur selten in den Besprechungen des ohnehin nicht oft gelobten Films aufgegriffen wird. Mit dem Erscheinungsjahr 1992 ist er eher ein Nachzügler unter den Vietnamheimkehrer-Filmen, und dass er oberflächlich ein Actionfilm mit Jean-Claude Van Damme und Dolph Lundgren als durch die Gegend ballernde Cyborg-Soldaten ist, hat wohl nicht geholfen, ernst genommen zu werden. Aber gerade an besagten Cyborg-Soldaten stößt er Denkimpulse über das US-Trauma Vietnam an, indem er zeigt, wie diese auf den Krieg reagieren: mit extremen Schuldkomplexen und unbeirrbarem Revanchismus. So fühlt sich Luc schuldig für den Tod einer jungen Vietnamesin, die Andrew mit einer Granate in die Luft gesprengt hat. Nach seinem Tod und seiner Wiederauferstehung als GR44 (ein anderes Feld von UNIVERSAL SOLDIER: die Bilder, die – zugegeben actionfilmtypisch – von biblisch-christlicher Leidens-Ikonographie inspiriert sind) ist diese Episode zunächst weg, verdrängt – und drängt aber dann dennoch wieder an die Oberfläche. Es ist dieses extreme Schulgefühl, das Luc dazu bringt, Veronica zu retten und sie unter allen Umständen zu beschützen. Andrew macht im Laufe des Films eine ähnliche Wandlung durch. Er steht jedoch für den Revanchismus: unter keinen Umständen will er akzeptieren, dass der Krieg vorbei und verloren ist. In Reaktion darauf inszeniert er seinen ganz persönlichen Vietnamkrieg in den zeitgenössischen USA der 1990er, in denen er als GR13 gelandet ist. Würde man so etwas wie Rambo bekommen, wenn man Luc und Andrew zu einer Figur fusionieren würde?

Martialische Kriegsrede im Supermarkt
Sehr bemerkenswert ist die Szene, in der das Vietnam-Trauma mit moderner kapitalistischer Konsumkultur konfrontiert wird: Andrew und seine UniSol-Kollegen stürmen einen Supermarkt (um die schwer verletzten UniSols im Tiefkühlraum inmitten von Kuhhälften zu regenerieren), und hier geht der Sergeant „an die Öffentlichkeit“. Hier, zwischen den Auslagen, den Preisschildern, den Schnäppchenangeboten und den Kitschregalien der Fischtheke hält er vor versammelten Publikum eine kriegerische Durchhalte-Rede, während im Hintergrund GR76 rohe Steaks aus der Fleischtheke verputzt. Ein fast schon surreal-irrsinniger Moment.

Das ur-amerikanische Thema des 20. Jahrhunderts wird dabei durch die Augen von Europäern gefiltert. Je ein Deutscher auf dem Regiestuhl und an der Kamera (Karl Walter Lindenlaub), ein Schwede und ein frankophoner Belgier in den Hauptrollen. Letzterer spielt einen frankophonen Farmer aus Louisiana, also jener französischen Kolonie, die die USA Anfang des 19. Jahrhunderts von Frankreich kauften und wenig später in die Union aufnahmen. Die USA, ein Bund ehemaliger Kolonien, der in einem Kolonialkrieg und einem Bürgerkrieg entstanden war, „übernahm“ anderthalb Jahrhunderte später dann von Frankreich einen Kolonialkrieg und überführte ihn in den Vietnamkrieg – wo wiederum der Louisianische Farmerjunge Luc kämpfte.

UNIVERSAL SOLDIER ist auch eine Utopie über den Sieg des Menschlichen über das Maschinelle. Egal, wie viel Technik in die Körper der toten Soldaten reinsteckt wurde: das Menschliche findet letztlich seinen Weg. Wie dies bei Luc geschieht, habe ich nun glaube ich deutlich genug gemacht. Der Film geht diesen Weg aber konsequent, in dem er auch GR13 zum Menschen macht – zu einem gewalttätigen, rassistischen, bösartigen Menschen (wie er schon zu Beginn ist), aber zu einem Menschen. Die endgültige Menschwerdung des GR13 zu Andrew Scott wird spürbar, als Colonel Perry ihm einen Befehl zubellt und dabei GR13 nennt. Laut ruft der Angesprochene „My name is Sergeant Andrew Scott!“. Das kann man als Zornbekundung eines Soldaten sehen, der mit korrektem Armeegrad und Namen angesprochen werden will, aber meiner Meinung nach ist es naheliegender, sie als Ausbruch eines Menschen zu sehen, der nach zu langer unmenschlicher Behandlung endlich wieder als Mensch behandelt werden möchte. Ein weiterer großer Moment in einem tollen Film.

Das schönste Bild zum Schluss
UNIVERSAL SOLIDER gibt es in allen möglichen DVD- und Blu-ray-Editionen. Diese Besprechung beruht auf der deutschen Studiocanal-DVD von 2013.

Mittwoch, 24. Dezember 2014

Keaton paranoid

Es gibt über Alfred Hitchcock die schöne Anekdote, wonach sein Vater ihn einmal als kleines Kind für eine Viertelstunde von einem befreundeten Polizisten in eine Häftlingszelle einsperren ließ – ein traumatisches Erlebnis, das Hitchcocks lebenslange Furcht vor der Polizei inspiriert haben soll und maßgeblich das Motiv des von der Ordnungsmacht unschuldig Verfolgten prägte. Doch vielleicht hat Hitch in seinen frühen Zwanzigern einfach nur Buster Keatons Kurzfilme THE GOAT und COPS im Kino gesehen?
In beiden Filmen geht es um einen unschuldigen Mann (gespielt von Keaton selbst), der von der Polizei für Verbrechen verfolgt wird, die er nicht, oder zumindest nicht bewusst begangen hat. Das ganze wird mit den Mitteln der Slapstick-Komödie verhandelt, und gerade dadurch nehmen diese Verfolgungen aberwitzige und groteske Züge an – und ähneln schließlich gar einer paranoiden Fantasie mit latent düsteren und morbiden Komponenten.


THE GOAT
USA 1921
Regie: Buster Keaton, Malcolm St. Clair
Darsteller: Buster Keaton (der verfolgte Mann), Joe Roberts (der Polizist), Virginia Fox (die Tochter des Polizisten), Malcolm St. Clair (Dead Shot Dan)


Ein offenbar bedürftiger Mann (nennen wir ihn im Folgenden der Einfachheit halber Buster) steht in der Schlange einer Armenspeisung. Aufgrund von für den Zuschauer lustigen und für ihn eher betrüblichen Zufällen und Missgeschicken geht er leer aus. Er geht weiter seines Wegs und bleibt am vergitterten Fenster einer Polizeistation stehen, wo der Verbrecher Dead Shot Dan gerade zwecks polizeilicher Registrierung fotografiert wird. Dieser erblickt Buster hinter sich und reagiert blitzschnell: er bückt sich kurz, löst die Kamera aus und fotografiert damit Buster – wenige Augenblicke später flüchtet Dead Shot Dan aus dem Polizeigewahrsam. Buster geht derweilen nichts ahnend weiter und beobachtet einen Passanten, der ein Hufeisen findet, ihn wegwirft und kurz darauf eine Brieftasche voller Geld auf dem Gehweg entdeckt. Offenbar eine gute Idee: Buster will es dem Glücklichen gleich tun, hebt das Hufeisen auf, wirft es weg – und dieses landet mitten im Gesicht eines Streifenpolizisten. Dieser, offenbar mehr gedemütigt als wirklich verletzt, beginnt Buster zu verfolgen. Rasch gesellen sich andere Ordnungshüter zu der Jagd. Zwischendurch beschützt Buster tatkräftig eine junge Frau und ihren Hund vor einem Passanten, der über die Leine gestolpert ist und dann gegenüber der Dame grob wurde.

Schließlich gelingt Buster die Flucht in eine andere Stadt, wo mittlerweile das Foto des flüchtenden Dead Shot Dan in allen Zeitungen zu sehen ist – wohlgemerkt das falsche Bild, auf dem eben Buster in einem suggestiven Dekor zu sehen ist. Der Gesuchte sieht schließlich selbst ein gigantisches Fahndungsplakat mit seinem Konterfei, und wird sofort von schweren Gewissensbissen geplagt: er befürchtet, den Mann, der die junge Frau mit dem Hund belästigt hat, getötet zu haben (in Wirklichkeit war dieser nur für wenige Sekunden K.O.). Panisch rennt er vor dieser Vision davon und kracht in einen dicken Mann, der sich als Polizist entpuppt. Einige fiese Jungs planen genau in diesem Moment einen Anschlag auf den kräftigen Ordnungshüter, und am Ende sieht das ganze natürlich so aus, als hätte Buster versucht, den Polizisten zu töten. Nun wird er wegen leichter Verletzung eines Polizisten, Mord und versuchtem Polizistenmord gesucht – wobei er in letzteren beiden Punkten unschuldig ist. Durch Zufall trifft er auf die junge Frau mit dem Hund, die ihn freundlich zum Essen bei ihren Eltern einlädt. Die Mutter ist erfreut, der Vater kommt später hinzu – und entpuppt sich, natürlich, als der dicke und große Polizist von vorhin. Eine Verfolgungsjagd durch das Treppenhaus und die Aufzüge des Gebäudes folgt, die Buster für sich entscheiden kann, bevor er dann die junge Frau zur Hochzeit wegtragen kann.

Polizisten überall!
Die massive Verfolgung, die Buster Keatons Held durchzustehen hat, ist geradezu grotesk überzeichnet. Die Polizisten sind schier überall! Hinter jeder Straßenecke scheint sich ein Ordnungshüter zu verstecken, der nur auf Buster aufzulauern scheint – oder in den Buster einfach gleich mit voller Laufgeschwindigkeit reinkracht. Ein Fluchtmanöver, bei dem sich der Verfolgte an ein fahrendes Auto ranhängt (bei Keaton natürlich wortwörtlich), endet damit, dass er vor den Füßen eines Polizisten abgeladen wird. Eine Gruppe von Verfolgern wird der agile Mann dadurch los, dass er sie in einen Umzugstransporter lockt und einsperrt – nur, damit die Polizisten wenig später vor seinen Füßen abgeladen werden (erneut: wortwörtlich). Der einzige Schutzort, den Buster aufsuchen kann (die Wohnung der jungen Frau mit dem Hund), entpuppt sich als Höhle des Löwen. Und während der wilden Verfolgung durch das Treppenhaus sucht Buster Zuflucht in einer fremden Wohnung: dort wartet ein Polizist, der gerade seine Pistole reinigt (wohl, damit sie noch besser schussbereit ist), während die Zeitung mit Dead Shot Dans (also Busters) Fahndungsfoto auf einem Tisch neben ihm ausgebreitet ist. Kurz: Buster gerät in eine alptraumhafte Welt, die scheinbar fast nur von Polizisten bewohnt ist, die es auf ihn abgesehen haben. Dieses paranoide Universum wird noch bedrohlicher, als man ihn seiner Wahrnehmung nach sogar umzubringen gedenkt (Buster landet, mit einem weißen Tuch überdeckt, auf einer Krankenhausbahre in den Vorraum eines OP-Saals und ein Handwerker, der gerade irgendetwas an den Fensterläden repariert, lädt seine „bedrohlichen“ Gerätschaften kurz auf ihn ab). Dieser ganze Alptraum wird am Ende deus-ex-machina-artig aufgelöst, als Buster den Polizisten mit dem Aufzug durch die Decke des Gebäudes herausschießt – es hatte sich herausgestellt, dass nicht der Aufzug die Etagenanzeige kontrolliert, sondern umgekehrt der Zeiger der Etagenanzeige den Aufzug bewegt. Eine typische und sehr poetische Keaton-Idee.

Rasende Lokomotive, ruhiger Keaton
Das paranoide Verfolgungsszenario ist in eine erquickliche Anzahl dichter visueller Gags eingebaut, die mit ihrem Erfindungsreichtum, ihrem Gespür für Raum und Timing alle demonstrieren, dass Keaton schon 1921 auf dem Höhepunkt seiner Könnerschaft stand. THE GOAT dauert nur knapp 20 Minuten, und dennoch ist es kaum möglich, alle ausführlich zu nennen.
Die Faszination mit Autos und Zügen, also mit schnellen (und gefährlichen) Fortbewegungsmitteln, genießt Keaton in vollen Zügen. Das betrifft nicht nur die vorhin erwähnte Szene, in der er sich an ein Auto ranhängt und weggeschleift wird, sondern auch eine andere Autoflucht, die deutlich misslingt: Buster springt auf den Ersatzreifen am Heck eines Autos, das gerade wegfahren will – doch das Auto fährt ohne ihn weg, denn der vermeintliche Ersatzreifen ist in Wirklichkeit ein zum Werbeschild für eine nahegelegene Autowerkstatt umfunktionierter Reifen auf einem Ständer.
Auf einer richtig großen Kinoleinwand sicher sehr beeindruckend ist die Fahrt eines Zuges, der frontal in Richtung Kamera rast und kurz vor „Aufprall“ eine Vollbremsung macht, während Buster mit regloser Mine vorne auf der Lokomotive sitzt. An anderer Stelle lässt Keaton eine Lokomotive mit vielen Zügen auf Straßenbahnschienen durch eine belebte Innenstadt rasen, womit er seine Verfolger für kurze Zeit abschneidet.
Geradezu genial ist das Timing in der Wohnung der jungen Frau mit dem Hund: Buster wähnt sich in Sicherheit, setzt sich an ein Ende der Tafel und beginnt mit dem kleinen Hund zu spielen, während hinter seinem Rücken sein Verfolger erscheint, sich an das andere Ende der gedeckten Tafel setzt und beide erst nach dem Tischgebet merken, wem sie gegenüber sitzen. Wie Buster kurz darauf aus der Wohnung flüchtet, obwohl der Polizist die Wohnungstür abgeschlossen und sich davor aufgebaut hat, ist allerreinste Keaton-Akrobatik (und dürfte für beide Beteiligte nicht ganz ungefährlich gewesen sein).
Der Höhepunkt von THE GOAT ist dann die wilde Verfolgungsjagd durch das Gebäude, in dem Treppen, ein Aufzug, ein Aufzugschacht und eine Telefonkabine die Grundlage eines minutiös choreografierten Balletts bilden.



COPS
USA 1922
Regie: Buster Keaton, Edward F. Cline
Darsteller: Buster Keaton (der verfolgte Mann), Joe Roberts (ein Polizist), Virginia Fox (die Tochter des Bürgermeisters)


Die narrative Grundidee von THE GOAT (Unschuldiger wird von Polizisten verfolgt) wird in COPS, der nicht ganz ein Jahr später herauskam, in einer radikalisierten, zugespitzten und kompromissloseren Variante präsentiert.

Ein Mann (er ist ohne Namen, aber wir können ihn zwecks Anschaulichkeit gerne Buster nennen) erhält von seiner Verlobten ein Ultimatum: sie wird ihn erst heiraten, wenn er ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden ist. Betrübt geht Buster auf die Straße und sieht, wie ein Passant seine Brieftasche verliert. Hilfsbereit hebt er sie auf, um sie zurückzugeben, doch der große und kräftige Mann reagiert grob und stößt den ehrlichen Finder zurück. Er ruft sich ein Taxi und stolpert beim Einsteigen. Buster will ihm schon wieder helfen, und erneut reagiert der griesgrämige Mann mit brachialer Grobheit. Als das Taxi weggefahren ist, sehen wir, dass Buster sich zwischenzeitlich doch anders entschieden hat und dem Mann das Geld nun doch geklaut hat (was wir ihm als Zuschauer nicht wirklich verübeln können). Durch ein geschicktes Manöver stiehlt ihm Buster dann auch noch das Taxi, und frustriert bleibt der Bestohlene zurück – sein Jackett rutscht etwas zur Seite und enthüllt eine Polizeiplakette.
Mit dem relativ dicken Bündel Geld zahlt Buster das Taxi. Dies sieht ein zwielichtiger Mann, stellt sich vor einem großen Haufen Hausrat auf dem Bürgersteig und weint Buster so lange etwas vor, bis er ihm den Hausrat abkauft. Der erpresste Verlobte möchte nun „seinen“ Hausrat wiederverkaufen, um zu zeigen, dass er ein guter Geschäftsmann ist. Doch der Hausrat gehört einer Familie, die umzieht, und ihm natürlich den Hausrat überlässt, als er mit einem eben frisch besorgten Pferd und einer Kutsche erscheint – weil sie ihm mit einem Umzugsarbeiter verwechselt. Nun trottet die Kutsche vor sich her. Buster hat zur Verkehrssicherheit eine Apparatur aufgebaut, die an den Seiten hinausschnellt, um den Richtungswechsel anzuzeigen. Beim nächsten Wendemanöver bekommt natürlich ein Verkehrspolizist eins auf die Nase.
Ein wenig später gerät Buster mit seiner beladenen Pferdekutsche in eine Polizistenparade. Etwas zerstreut merkt er das überhaupt nicht, und glaubt sogar, dass die Akklamationen der Tribünen am Straßenrand ihm gelten. Derweilen hat sich ein Anarchist auf einem nahegelegenen Dach postiert, zündet eine Bombe an und wirft sie in die Parade. Die Bombe landet neben Buster auf den Kutschensitz, der die brennende Lunte als Feuerzeug für eine Zigarette nutzt und gedankenabwesend danach die Bombe hinter sich wirft – direkt in die paradierenden Polizisten. Panik bricht aus. Alle Anwesenden haben nur gesehen, dass der Kutschenfahrer eine Bombe geworfen hat, und nun sind alle Polizisten der Stadt hinter Buster her. Zu Dutzenden, ja zu Hunderten verfolgen sie den vermeintlichen Terroristen. Der hemdsärmlige Mann, der eigentlich mit seiner Familie umzieht, macht sich derweilen auf die Suche nach dem Umzugsarbeiter – und zieht dafür seine Polizistenuniform wieder an. Über viele Umwege, unter anderem über eine auf einer Palisade balancierende Leiter, gelingt es Buster, der Polizei zu entkommen. Als Polizist getarnt begegnet er auf der Straße seiner Verlobten, die erkennt, dass er offenbar kein erfolgreicher Geschäftsmann geworden ist, ihn mit Verachtung anschnaubt und dann pikiert wegläuft. Daraufhin ergibt sich Buster resigniert dem mittlerweile rasenden Polizistenmob und geht in den sicheren Tod.

Aberdutzende Polizisten!
COPS beginnt langsamer als THE GOAT, baut aber im letzten Drittel ein Showdown auf, das zumindest in der schieren Menge der Komparsen den Vorgängerfilm in den Schatten stellt. Doch man könnte es auch als langsames Crescendo sehen. Busters teils bewusste, teils unbewusste Gesetzüberschreitungen bauen sich nach und nach auf. Es fängt damit an, dass er einen Polizisten beklaut: allerdings ohne Wissen, dass es sich um einen Ordnungshüter handelt, sondern eher als eine kleine Rache gegen einen Mann, der ihn als „Dank“ für seine Hilfsbereitschaft grob herumschubst. Weiter geht es damit, dass er den Hausrat eines Polizisten „stiehlt“, allerdings völlig unbewusst: denn Buster ist auf einen Betrüger reingefallen (und dass der hemdsärmlige Mann ein Polizist ist, erfahren wir erst später). Schließlich schlägt Buster einen Polizisten zwei mal mit seinem improvisierten Kutschen-Blinker und wirft eine Bombe auf eine Polizistenparade – beides ebenfalls völlig unbewusst. Ihm passiert das selbe wie in THE GOAT: er ist der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Ort unter den falschen Umständen und gerät als Unschuldiger durch eine Verkettung scheinbar harmloser Situationen in einen Alptraum aus rasender Verfolgung.

Ein potenzierter Alptraum: um die Ecke lauert nicht mehr ein Polizist oder wenn es hochkommt zwei bis vier, sondern Aberdutzende, gar Hunderte – eine Massenchoreographie des Schreckens. Ja, des Terrors. COPS endet damit, dass ein im Grunde unschuldiger Mann von einem tobenden Mob (off screen) erschlagen wird. Gleichwohl Keaton in seinem Werk neben surrealistischen und poetischen auch immer wieder schwarzhumorige Elemente einbaute, findet sich hier die wohl morbideste und makaberste Filmwendung seiner Karriere. Auch sein COLLEGE von 1927 endete mit einem Grabsteinbild, dem allerdings kein gewaltsamer Tod vorausging. Die zugespitzte paranoide Welt voller Polizisten findet ihren Höhepunkt, als Buster selbst zum Polizisten wird (als Tarnung). Die Paranoia wendet sich gegen ihn, und es scheint hier auf bittere Weise folgerichtig, dass die Erlösung nur durch den Tod kommen kann.

Neben dem Motiv des unschuldig Verfolgten enthält COPS wie auch THE GOAT (aber auch andere Keaton-Filme wie z. B. CONVICT 13), in zugespitzter Weise das „proto-Hitchcock‘ianische“ Motiv des multiplen Identitätstausches (bzw. „proto-Lang‘ianisch“, wenn man bedenkt, dass Hitch von Fritz Lang beeinflusst wurde – und in diesem Sinne ist es wieder „post-Feuillade‘isch“). Es gibt wohl kaum eine Figur in COPS mit fester Identitätszuschreibung, denn alle Akteure fallen auf Identitätsverwechslungen ein. Der unglückliche Verlobte wird aus Rache zum Taschendieb, dann zum neureichen Herr und Betrugsopfer, später zum Umzugshelfer, schließlich zum Terroristen, um als Polizist und schließlich Opfer eines Mobs zu enden. Eine tödlich endende „große“ Eskalation der Identitätsverwechslungen, der sich in „kleinere“ Verwechslungseskalationen aufsplittet. Rein legal etwa „stiehlt“ Buster das Pferd und die Kutsche: er übersieht, dass das Verkaufsschild zum Pferd mit der Kutsche eigentlich ein Herrenjackett vor einem naheliegenden Bekleidungsgeschäft betraf, und drückt dem vermeintlichen Kutscher die fünf Dollar in die Hand – doch dieser war eigentlich nur ein zufällig dort sitzender Mann, der nun das unerwartete Geld nutzt, um gleich eben erwähntes Jackett zu kaufen (Buster wird ein „guter Geschäftsmann“ – von seinen „Geschäften“ profitieren aber eben nur andere).

Buster im Knast? Na... doch nicht!
Die schiere Dichte an visuellen Gags, die THE GOAT zwischendurch fast explodieren lassen, erreicht COPS zwar nicht, aber auch dieser Film enthält immer noch genug große Keaton-Momente. Das beginnt natürlich mit den ersten Bildern, die Buster in trübseliger Stimmung hinter Gittern zeigt, während eine junge Frau vor den Gittern auf ihn einredet. Das sieht aus, als erhielte ein Gefangener Knastbesuch. Doch ein Schnitt offenbart, dass dies kein Gefängnis ist, sondern das Gittereingangstor eines Hauses (womit gewissermaßen die darauf folgenden Verwechslungen, Wahrnehmungslücken und Identitätsstörungen schon vorweggenommen werden). Diesen Moment kann man sicher auch als kleine Insider-Anspielung auf THE GOAT sehen, in dem ebenfalls ein Bild Busters hinter Gittern zu sehen ist, das eigentlich „falsch“ ist.
Ein besonders bizarrer Gag, den man wohl in gallizistischem Amerikanisch wohl „risqué“ nennen würde und der ein Jahrzehnt später unter der Herrschaft des Joseph Breen nicht mehr möglich gewesen wäre, arbeitet wieder mit einer Identitätsverwechslung. Das Kutschenpferd, das Buster „gekauft“ hat, fängt an zu bocken, und der „falsche Umzugshelfer“ erblickt in der Nähe ein Schild mit der Aufschrift „Dr. Smith, goat gland specialist“. Eine indirekte Anspielung auf THE GOAT? Buster hält auf jeden Fall den besagten Smith für einen Tierarzt (wenn der schon was mit Ziegendrüsen macht). In Wirklichkeit wütete in den 1920er ein Scharlatan namens John Brinkley, der mit der Transplantation von Ziegendrüsen männliche Schwäche (also Impotenz) heilen wollte. Das klingt alles witziger, als es in Wirklichkeit ist, denn nach diesen Operationen starben offenbar zahlreiche Patienten an Infektionen. Jedenfalls bringt Buster sein bockiges („schwaches“) Pferd zu besagtem Dr. Smith. Als er herauskommt, ist das Tier tatsächlich wesentlich belebter, ja sogar so quicklebendig, dass er schwer zu kontrollieren ist. Buster selbst hält kurz inne, scheint zu überlegen, kehrt dann zu Dr. Smith ohne das Pferd zurück – um seinen liegengebliebenen, charakteristischen pork-pie-Hut zu holen. Eine kleine zusätzliche Notiz zu den John Brinkley und seinen Ziegendrüsen, die sogar die Filmindustrie beeinflussten: „goat gland“ ist auch die Bezeichnung für Filme aus den Jahren 1927 bis 1929, die als Stummfilme gedreht wurden, und in denen nach Fertigstellung noch Tonpassagen eingefügt wurden (ein Beispiel wäre etwa Hitchcocks Tonversion von BLACKMAIL).
Ein wie ich finde sehr typischer, poetischer Keaton-Moment folgt in der Interaktion Busters mit „seinem“ Pferd. Das Tier verhält sich im Allgemeinen recht schwierig, und so kramt Buster ein Elektrogerät aus dem Hausrat hervor, setzt dem Pferd Kopfhörer auf, dreht die Kurbel des Fernsprechers und sagt seine Befehle in den mit den Kopfhörern verbundenen Sprachtrichter hinein: das Pferd reagiert darauf williger als auf „direkte“ Sprachbefehle.
Akrobatischer Höhepunkt von COPS ist natürlich die Leiter-Szene. Buster klettert eine lange Leiter hoch, die an einer Palisade angelehnt ist. Die Leiter ist etwa doppelt so hoch wie besagte Palisade, kippelt daher rasch von einer Seite auf die andere, bis sie irgendwann im Gleichgewicht balanciert, als sich ein Polizist gegenüber Buster an sie ranhängt. Von beiden Seiten eilen Polizisten heran, die mit der Leiter ein „Tau-Ziehen“ um Buster veranstalten, der nach Gleichgewicht suchend sogar Rückwärtsrollen machen muss. Schließlich wird er weggeschleudert – und landet natürlich auf direkt auf den von Joe Roberts dargestellten Polizisten.


Dies war nun die letzte Filmbesprechung bei „Whoknows Presents“ in diesem Jahr. Anfang Januar folgt mein persönlicher Rückblick auf das Filmjahr 2014. Und 2015 kommen dann neue Besprechungen von Manfred und mir.

Doch bis dahin wünsche ich all unseren Lesern frohe Weihnachten...


...und einen guten Rutsch ins neue Jahr!

Dienstag, 7. Oktober 2014

Die Rache des schwarzen Samurai

VENGEANCE IS MINE aka DEATH FORCE aka FORCE OF DEATH aka FIGHTING MAD aka THE FORCE aka FIERCE („Death Force – Ein Mann wird zum Killer")
USA / Philippinen 1978
Regie: Cirio H. Santiago
Darsteller: James Iglehart (Doug Russell), Carmen Argenziano (Morelli), Leon Isaac Kennedy (McGee), Jayne Kennedy (Maria Russell)


Als Jim Jarmusch 1999 in GHOST DOG: THE WAY OF THE SAMURAI einen afroamerikanischen Samurai losschickte, um die Unterwelt einer US-Großstadt aufzumischen, klang das nach einem witzigen und originellen Konzept. Doch schwarze Samurais gab es schon länger. Im 16. Jahrhundert soll tatsächlich der afrikastämmige Diener eines italienischen Jesuiten, der Japan besuchte, in den Rang eines Samurai aufgestiegen sein und den Namen Yasuke angenommen haben. Einige Jahrhunderte später, um genauer zu sein in den 1970er Jahren, sprossen schwarze „Samurais“ geradezu aus dem Boden, als in einer der vielen Varianten von Exploitation-Crossovers Blaxploitation und Martial Arts Film zusammenfanden. THAT MAN BOLT (1973, mit Fred Williamson), BLACK BELT JONES (1974, mit dem Karateka Jim Kelly) und DEATH DIMENSION (1978, ebenso mit Jim Kelly) verbanden ostasiatische Kampfkunst-Action mit schwarzen Hauptfiguren, auch wenn es sich offenbar nicht um Samurais mit Schwertern handelte. Die Inhaltsangabe von BLACK SAMURAI (1977, wieder Jim Kelly) suggeriert nicht wirklich, dass der Titel wörtlich sein Versprechen einhält, hat aber in seinem imdb-Eintrag zumindest die Stichworte „samurai“, „sword fight“ und „katana sword“ gelistet.

Anders bei VENGEANCE IS MINE (der Film hat mit Imamura Shoheis ein Jahr später veröffentlichtem Film nichts zu tun. Auf die verwirrende Titelvielfalt komme ich noch zu sprechen – ich nutze einheitlich diesen Titel, weil meine Fassung ihn trägt), in dem tatsächlich ein schwarzer Samurai zum Schrecken der Unterwelt von Los Angeles wird. Doch wie kommt es dazu?

Drei (noch) fröhliche Veteranen nach dem Deal
Russell, Morelli und McGee haben zusammen in Vietnam gekämpft. Nun können die Soldaten nach Hause zurückkehren. Morelli und McGee träumen von einer Karriere als Ganoven, die schnelles Geld, Ruhm, Macht und Frauen verspricht. Russell hingegen will nur eins: zu seiner Ehefrau Maria zurückkehren und ein bürgerliches Leben führen. Doch zunächst werden die drei auf den Philippinen stationiert, wo sie sich ein kleines Taschengeld verdienen wollen. Sie wickeln einen kleinen Goldschmuggel-Deal mit einem zwielichtigen Mafioso ab – wo sie das Gold warum und wie gefunden haben, soll uns nicht weiter interessieren. Auf einem kleinen Kreuzer wollen nun die drei Veteranen mit viel Geld in der Tasche zurückkehren. Doch Morelli hat eine bessere Idee: wenn er und McGee ihren Kollegen Russell töten, bleibt mehr von der Beute für sie beide übrig – und mehr Einstiegskapital für ihre verbrecherischen Vorhaben, an denen Russell sich eh nicht beteiligen will. Gesagt getan! Morelli und McGee schnappen sich Russell, erstechen ihn, schneiden ihm die Kehle durch und schmeißen ihn ins Meer.

In Los Angeles zurück beginnen die beiden fiesen Armeeveteranen, sich in die Geschäfte der Unterwelt einzumischen. Sie beseitigen Konkurrenten durch Einschüchterungen, massive Zerstörungen und schließlich durch Mord. Derweilen wird Russell an den Strand einer fast einsamen Insel gespült. Zwei Japaner in abgerissenen Soldatenuniformen entdecken den für tot gehaltenen, aber nur schwerverletzten Mann, bringen ihn in ihre Höhlenunterkunft und pflegen ihn gesund. Als Russell wieder Bewusstsein erlangt, glaubt er seinen Augen kaum. Sugoro stellt sich als Oberst der Kaiserlich Japanischen Armee vor (die 1945 aufgelöst wurde). Ichikawa, ein einfacher Soldat, ist sein Diener. Beide landeten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs auf der Insel, wurden aber nach der Kapitulation vergessen und leben seit etwa drei Jahrzehnten zivilisationsfern wie Robinsons. Wie kampfbereite Robinsons freilich: Sugoro ist überzeugt, dass der Zweite Weltkrieg noch in Gange ist.

Russell wird von zwei japanischen Soldaten gefunden
Morelli und McGee mischen die Unterwelt von L. A. auf
Während Russell auf der verlassenen Insel langsam wieder zu Kräften kommt, haben sich Morelli und McGee dank brachialster Gewalt einen führenden Platz in der kriminellen Welt Los Angeles erarbeitet. Konkurrenten werden weiterhin ermordet, doch die Geschäfte laufen mittlerweile so gut, dass einige – genauso wie die Polizei – auch einfach gekauft werden können. Und für McGee bleibt nun auch Zeit, um Maria Russell zu besuchen, sie über das Dahinscheiden ihres Mannes zu unterrichten und ihr dann auf äußerst penetrante Weise den Hof zu machen. So könnte es weiter gehen, doch Russell hat den Verrat nicht vergessen. Er lebt nun in einer interkulturellen und intergenerationellen Veteranen-WG und beginnt, sich für Sugoros Kampfkunstwissen zu interessieren. Dieser willigt ein, den Amerikaner zu unterrichten. In langen Tagen trainiert Russell genug hart, um schließlich von Sugoro zum Samurai ernennt zu werden und zwei Schwerter verliehen zu bekommen. Doch das löst nicht das Problem, dass Russell auf der Insel festsitzt.

Seine Ehefrau, die ihn für tot hält, verliert derweilen ihren Job als Nachtclubsängerin und findet auch keine andere Anstellungen – dem Zuschauer wird rasch klar, dass McGee, der als großer Boss die wichtigsten Nachtclubs von L. A. kontrolliert, Maria wohl auf eine schwarze Liste gesetzt hat, nur, um ihr dann „großzügig“ Arbeit anzubieten, wenn sie bloß „netter“ zu ihm wäre. Auf der weit entfernten tropischen Insel stirbt derweilen Ichikawa bei einem Unfall. Kurz danach landet eine Einheit der philippinischen Armee auf der Insel. Für Sugoro ist dies ein Grauen, für Russell eine große Chance – ersterer begeht Seppuku,  letzterer kann, mit zwei Samurai-Schwertern im Handgepäck, in die USA zurückkehren.

Russell "fragt" sich zu McGee und Morelli durch...
...und findet seine Familie wieder.
In L. A. angekommen betätigt sich Russell in zwei Richtungen. Er sucht einerseits seine Frau, die er vorerst nicht findet (sie musste – nunmehr arbeitslos – bei einer Freundin einziehen). Andererseits fragt er sich zu Morelli und McGee durch und metzelt dabei jeden Ganoven nieder, der ihm nicht freundlich genug antwortet. Dass kleine Gangster mit Schwerthieben verstümmelt aufgefunden werden, sorgt bald für Unruhe in der Unterwelt. Little Tokyo wird nunmehr – trotz Beschwichtigungen – argwöhnisch beobachtet. Geschäftsführer von Clubs und Restaurants, die Schutzgelder an Morelli und McGee bezahlen, beschweren sich, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen. Als jemand von einem Schwarzen mit einem Schwert erzählt, dämmert es den beiden frisch gebackenen Gangsterbossen langsam, dass Russell von den Toten auferstanden und zurück gekommen ist, um sich zu rächen.

Dieser findet erst einmal seine Familie wieder und sieht zum ersten Mal überhaupt seinen Sohn. Eigentlich eine ideale Gelegenheit, um mit Maria und Nachwuchs aus der Stadt zu verschwinden. Doch Russell denkt nicht daran: es ist für ihn eine Frage der Ehre, seine beiden Fast-Mörder zu jagen und hinzurichten. Er drängt zur Eskalation: einer Begegnung mit Russells Schwert entkommt McGee mit einem Ohr weniger, während Morelli dabei seinen Kopf verliert. McGee entführt daraufhin Maria und ihren Sohn in seine mexikanische Fluchtvilla. Russell folgt ihm dorthin und richtet ihn und all seine Gehilfen mit dem Schwert. Gerächt will der schwarze Samurai mit seiner Frau und seinem Sohn in die Zukunft ziehen, wird jedoch von einem korrupten Polizisten in McGees und Morellis Dienst aus dem Hinterhalt erschossen.

Die lange Inhaltszusammenfassung macht es vielleicht klar: VENGEANCE IS MINE ist ein unheimlich dichter Film, der beeindruckend viele Elemente in sich vereint. Das Herz und die Seele des Film ist meiner Meinung nach die Sequenz, die ich der Anschaulichkeit halber als „interkultureller Buddymovie meets Veteranendrama im Robinsonade-Gewand“ bezeichnen würde. Hier finden sich verschiedene Personen wieder, die sich einander verstehen, gerade weil sie sich teilweise missverstehen. So murmelt Russell, noch an der Schwelle zum Tod, im Delirium immer wieder „those motherhumpers“. Ichikawa fragt seinen Offizier, was der Amerikaner sagt, und Sugoro meint, das sei ein Englisch, das er nicht verstehe. Als die beiden japanischen Soldaten den Vietnamveteranen fragen, wer ihn so schwer verletzt habe, weicht er unwillig aus und murmelt wieder etwas von „those motherhumpers“:
– (Sugoro) You said that in your sleep. What does that mean?
– (Russell) Nothing. Some friends of mine.
– (Ichikawa) They do that to you? They no friends. We your friends! We motherhumpers!
Spätestens hier wird klar, dass die drei Männer in Frieden auf der verlassenen Insel zusammenleben werden – auch wenn sie sich gegenseitig oft nicht verstehen.

Interkulturelle und intergenerationelle Veteranen-WG
Im weiteren Verlauf entpuppt sich besonders Sugoro als faszinierende und paradoxe Figur. Einerseits ist er ein typischer, bornierter Militär mit fast klischeehaften Zügen eines japanischen Imperialisten: „I‘m shogun here, I‘m the supreme commander of the island.“ sagt er an einer Stelle selbstherrlich, als Russell sich weigert, dessen Befehle zu befolgen. Er ist überzeugt, dass der Zweite Weltkrieg noch in Gange ist und tut Russells Hinweis, dass dem mittlerweile nicht so wäre, als amerikanische Propaganda ab. Zusammen mit dem gemeinen Soldaten Ichikawa hält der Oberst die verzerrte Karikatur einer Armeestruktur aufrecht: die allerletzte Einheit der Kaiserlich Japanischen Armee, verloren irgendwo auf einer kleinen philippinischen Insel. Dennoch ist er praktisch dazu verurteilt, wie ein Robinson außerhalb der Zivilisation und des Weltgeschehens zu leben. Das muss für ihn schmerzhaft sein, denn er ist offenbar auch ein kultivierter Mann, der sich teilweise weltoffen zeigt. Sein Englisch ist wesentlich besser als das von Ichikawa und immer wieder schwärmt er von amerikanischem Baseball und besonders von Joe DiMaggio (deutet das darauf hin, dass Sugoro einmal die USA besucht hat?). Russells Hinweis, dass der Baseballer jetzt Werbung für vollautomatische Kaffeemaschinen macht, versteht er nicht („What‘s wrong with coffee pots?“).

Sugoro weigert sich zunächst, Russell zu unterrichten: „It‘s no use to learn how to fight. Learn how to live.“ Außerdem sieht er, dass der Amerikaner nur die Schwertkampfkunst erlernen möchte, um sich zu rächen, während für den Japaner diese in erster Linie eben das ist: eine Kunst. Schließlich willigt er ein: aus Langeweile, aus Sympathie für den jungen Vietnamveteranen und wohl auch, weil er relativ sicher ist, dass nie jemand sie auf der Insel finden wird. Auch ein Punkt, in dem sich der Amerikaner und der Japaner uneinig sind. Und ein wunder Punkt Sugoros: nachdem er Russell kennen lernt, möchte er erst recht nicht entdeckt werden. Weil er sich eingestehen muss, dass der Krieg offenbar wirklich verloren ist und er somit Jahrzehnte lang in einer Blase lebte. Weil er zu sehr Angst vor dem Japan hat, das er entdecken könnte. Als sein Diener Ichikawa stirbt, erkennt er erst, was er an ihm hatte: der einzige Mensch, mit dem er in einem Zeitraum von Jahrzehnten gesprochen hatte. Lieber stirbt er auf der Insel, als sich der „neuen“ Welt draußen zu stellen.

Der Weltkriegsveteran als kampfbereiter Robinson
Sugoro ist auch deshalb ein faszinierender Charakter, weil mit ihm zwischen den Zeilen das Schicksal eines traumatisierten, verwirrten und von der Gesellschaft völlig entfremdeten Veteranen erzählt wird – und zwar explizit aus der Sicht eines japanischen Soldaten, der zudem auch größtenteils mitfühlend gezeichnet wird. VENGEANCE IS MINE kam im selben Jahr heraus wie COMING HOME und THE DEER HUNTER, also zwei Mainstreamfilmen, die das Schicksal von Vietnamveteranen verhandelten – was die US-philippinische Koproduktion implizit und symbolisch mittels eines verschanzten japanischen Soldaten macht.

VENGEANCE IS MINE erzählt auch, ich möchte fast sagen „nebenbei“ und „mit links“, eine klassische Geschichte vom Aufstieg und Fall einer Gangsterbande. Die beiden Heimkehrer Morelli und McGee erfüllen sich ihren eigenen amerikanischen Traum, indem sie mit rücksichtsloser Gewalt oder mittels Korruption alles niedermachen, was sich ihnen in den Weg stellt oder stellen könnte. Dabei ist es interessant, dass beide im Grunde schon bestraft werden, bevor das Schwert Russells sie richtet. Morelli ist stets gestresst, besorgt, unruhig und schließlich paranoid. Von Glamour des Paten-Lebens ist nichts zu spüren. Währenddessen hat McGee materiell alles, was er sich wünscht, kann aber die einzige Frau, die er wirklich haben möchte, nicht besitzen – nicht einmal mit Erpressung. Denn Marias Liebe zu ihrem Doug ist stärker.

Mit seinen starken schwarzen Figuren (Held, love interest, einer der Antagonisten) stellt sich VENGEANCE IS MINE teilweise in die Tradition der Blaxploitation-Filme der frühen 1970er Jahre. Doch interessanterweise ist er wenig selbstreferentiell. Schwarzsein wird im gesamten Film kaum wirklich thematisiert: weder in den philippinischen Szenen, noch auf der Insel, noch in den Teilen, die in L. A. spielen. Sugoro etwa verachtet am Anfang latent den Gestrandeten, aber nur deshalb, weil er US-Amerikaner ist. Schwarze, Weiße, Latinos – in L. A. bringt Russell ohne Unterschied jeden Gangster um, der sich ihm in den Weg stellt. Einen einzigen Hinweis gibt es am Anfang, als McGee zögert, einen „der seinen“ („of my own kind“) zu töten – aber meint er damit einen Schwarzen, oder einen Armeekameraden? Morelli antwortet ihm mit: „Don‘t give me that brother-shit. The only brother is the man on the dollar bill. And he ain‘t black.“ Deutlich markanter ist wohl die Tatsache, dass ganz am Ende ein weißer Polizist einen nur mit kalter Waffe bewaffneten Schwarzen aus der Ferne mit einem Gewehr hinrichtet. Es ist ein unglaublich starkes Schlussbild (festgehalten in einem freeze frame), das thematisch an das Ende von NIGHT OF THE LIVING DEAD erinnert. Hier stellt sich auch die Frage, ob das eben Gesehene nicht komplett in einer blasenartigen Parallelwelt spielte und dieses Finale eine Rückkehr in eine reale US-amerikanische Welt markiert, in der Schwarze am kürzeren Hebel saßen. Es könnte einiges darauf hin deuten, dass besonders philippinisch koproduzierte Exploitationfilme lockerer mit ihren schwarzen Figuren umgingen als rein US-amerikanische Blaxploitationfilme oder gar Mainstreamfilme: schließlich wurden sie mehrheitlich auf den Philippinen gedreht, mit philippinischen Filmemachern und philippinischen Drehteams in einer Umgebung, in der es keine US-amerikanische Realität gab.

Als Rachefilm ist VENGEANCE IS MINE in den ersten zwei Dritteln relativ generisch, entpuppt sich aber in der letzten halben Stunde als „gebrochen“ (was ihn vielleicht nicht so sehr von anderen Rache- und Vigilantenfilmen der Zeit abhebt, die oft wesentlich ambivalenter waren, als Zuschauer und Zensoren zugeben mochten). Der tiefere Sinn von Russells Rachefeldzug wird infrage gestellt, als er seine Frau und seinen Sohn wieder findet. Es folgt nämlich kurz darauf eine „happy family“-Montage in Zeitlupe, die einen Bruch zum vorher Gesehenen markiert und einen Neuanfang suggeriert, der dann aber nicht kommt. Warum bleibt Russell trotz des wieder gefundenen Glücks stur und setzt dieses mit seinem fortgesetzten Rachedurst in Gefahr? Warum geht er nicht mit seinen Liebsten einfach weg? „It‘s a matter of honor“ antwortet er, als ihn das Maria fragt. Dass er weiter an seinem Racheplan schmiedet, zeigt schlussendlich, dass er nicht wirklich verstanden hat, was Sugoro ihm auf der Insel sagte. „It‘s no use to learn how to fight. Learn how to live!“ sagte ihm der Japaner zunächst. „You never win combats in anger“ hörte Russell später vom Weltkriegsveteranen. Tatsächlich agiert Russell wie ein Amokläufer im Autopilotmodus, von Hass zerfressen und von Zorn kontrolliert – also im Grunde nicht so, wie ein Samurai handeln sollte. Dass er am Ende gewaltsam stirbt, scheint in diesem Licht eine bittere Zwangsläufigkeit zu haben – er wollte nicht leben, sondern kämpfen.

Problematische Ehe und Rachedurst
Wie sehr Russell innerlich von Rachedurst zerfressen wird, zeigt auf wunderbare Weise eine (Wende-)Szene kurz nach der Wiederzusammenführung der Familie. Er fährt mit Maria und seinem Sohn ans Meer. Alleine setzt er sich am Strand an den Rand eines Felsvorsprungs und meditiert – sein Schwert auf dem Schoß, ein tosendes Meer im Hintergrund: Gewaltbereitschaft und latente Unruhe in einem eindeutigen Bild vereint. Von Maria ist er abgeschnitten. Zunächst durch den Felsvorsprung. Dann, als sich das Ehepaar das Frame teilt, durch den Knauf des Schwerts, der das harmonische Bild zerstört. Die beiden sprechen zwar miteinander und im Dialog wird deutlich, dass es wohl ein Problem gibt. Doch im Grunde machen alleine nur die Bilder schon deutlich, wo das Problem liegt, und dass Russell nicht ruhen wird, bis Morelli und McGee durch seine Hand getötet wurden.

Diese Szene ist einer von mehreren Momenten, in denen Form und Inhalt vollkommen miteinander verschmelzen und nicht mehr zu unterscheiden sind. Grundsätzlich würde ich sagen, dass VENGEANCE IS MINE über weite Strecken relativ unauffällig, aber effizient und ökonomisch inszeniert ist. Aber das ist wohl nur ein Teil seiner formalen Brillanz. Regisseur Cirio H. Santiago, Kameramann Ricardo Remias und die Cutter Gervacio Santos und Robert E. Waters schaffen es in oft in wenigen Bildern, Figuren einzuführen, Situationen zu verdeutlichen und inhaltliche Zusammenhänge klar zu machen. Fast mühelos werden in der ersten Hälfte des Films Russells Heilung und sein Training zum Samurai, McGees und Morellis Aufstieg zu den Herren der Unterwelt von Los Angeles und Marias Trauer und sozialer Abstieg parallel erzählt. Was anderswo Stoff für drei ganze Filme ergeben würde, wird hier für den Zeitraum eines halben Films aufs Äußerste konzentriert. Exposition, Handlung, Figurencharakterisierung, Aufbau von Atmosphäre: in VENGEANCE IS MINE läuft dies oft alles gleichzeitig. Etwa in der dreieinhalbminütigen Szene im Nachtclub, in der Maria als Sängerin präsentiert wird:
1 ein matching cut zwischen der gleißenden, tropischen Sonne über Russells Kopf auf der Insel und dem Scheinwerfer im Nachtclub leitet die Szene ein und erstellt, trotz geographischer Distanz, eine Verbindung zwischen den beiden Liebenden her
2 das Lied, das Maria zum Besten gibt, erschafft den inhaltlichen Zusammenhang zur extradiegetischen Musik: sie singt nämlich das Titelthema
3 die Szene präsentiert einen zentralen Identitätspunkt Marias: sie ist eine talentierte und ambitionierte Sängerin, die auch ohne Ehemann selbstbewusst für ihren Lebensunterhalt sorgen kann
4 die Szene führt Marias beste Freundin als Figur ein (sie ist Kellnerin im Nachtclub)
5 die Szene führt eine Nebenfigur ein, die später als Freund von Marias bester Freundin erkenntlich wird und dann ein bisschen später auch als Handlanger McGees und Morellis
6 der Kreis wird geschlossen, als die Szene ausklingt, zu einem nachdenklichen Russell abblendet und die Titelmusik nur wieder extradiegetisch erklingt

Schwert- und Körperchoreografien
Zunächst wollte ich solche Szenen als „Pausen“, als „Kitsch-Kadenzen“ bezeichnen, in denen sich der Film Luft holt, um genüsslich in Kitsch zu schwelgen. Bei der Zweitsichtung wurde mir erst deutlich, wie zentral wichtig sie eigentlich sind. Gerade die Szenen, in denen Russell und Sugoro am Strand trainieren, sind auch purer „Action-Kitsch“ im Sinne des Actionkinos der 1970er und 1980er Jahre: delirierende Fetischisierungen der Einheit von Körper und Waffe. Doch sie machen im Laufe der Zeit eine Entwicklung durch: von den holprigen ersten Lektionen, in denen Sugoro Russell mit einem Schwertersatz aus Holz regelrecht den Hintern versohlt bis hin zu den gemeinsamen Schwertchoreographien, gefilmt in fließenden, musikalischen Montagen. Das ist mehr als eine Fetischisierung von Körper und Schwert bzw. von Geist und Schwert (was gemäß Sugoro wesentlich wichtiger ist). Es drückt auch die Verbundenheit der beiden Männer klarer aus als jeglicher Dialog es könnte. 

Vielleicht ist es mittlerweile deutlich geworden, aber es schadet nicht, es explizit zu sagen: ich halte VENGEANCE IS MINE für ein Meisterwerk, und wenn der Film bekannter und gleichzeitig verschmähter wäre, dann stünde dieser Beitrag wohl in meiner inoffiziellen Rubrik „Aufzeichnungen zu einem verkannten Meisterwerk“. Wer steht hinter dieser Perle des Exploitationkinos?

Regisseur Cirio H. Santiago wurde 1936 in Manila geboren, und zwar praktischerweise gleich in das Filmgeschäft hinein. Sein Vater, Ciriaco Santiago, war der Begründer einer der großen Filmproduktionsgesellschaften auf den Philippinen, der 1946 gegründeten „Premiere Productions“. Cirio Santiago übernahm später selbst den Vorsitz der Firma. Seine Karriere im Film begann er offenbar im zarten Alter von 19 Jahren als Drehbuchautor und Produzent, inszenierte dann aber auch rasch eigene Filme.
Ende der 1950er Jahre begann auch das Zeitalter des US-amerikanisch-philippinisch koproduzierten Exploitationfilms, der seine Hochphase in den 1970er Jahren erlebte. Im Inselstaat war es für amerikanische Produzenten (unter anderem zum Beispiel Roger Corman) billiger, Filme zu drehen. Die Philippinen verfügten auch über eine langjährige Filmtradition und über eine große Filmindustrie mit einem breiten Reservoir an erfahrenen und fähigen Handwerkern (zu denen Leute wie Cirio H. Santiago gehörten). Mit Imelda Marcos verfügte das nicht ganz lupenrein-demokratische Land über eine First Lady, die sich sehr für Film interessierte und ein bisschen was vom Geld, das sie nicht in die eigene Tasche steckte, der Filmindustrie zukommen ließ. Auch die philippinische Armee war, wenn sie nicht gerade die Bevölkerung zum Schutz vor Kommunisten terrorisierte, gerne bereit, gegen Bezahlung Ressourcen und Komparsen für Filme zur Verfügung zu stellen. Philippinische Filmemacher profitierten dabei von der Möglichkeit, Filme für einen ausländischen Markt zu produzieren und genossen dadurch größere Freiheiten (besonders im Bereich der Zensur) als bei Filmen für den Inlandsmarkt.
Zeremonielle Übergabe des Todesinstruments
In diesem Kontext arbeitete Cirio H. Santiago. In den 1970er Jahren inszenierte und produzierte er Dutzende Exploitationfilme, teilweise in Zusammenarbeit mit Roger Corman. Dazu gehörten „Women in Prison“-Filme (THE BIG DOLL HOUSE, THE BIG BIRD CAGE, WOMEN IN CAGES, HELL HOLE), zahllose Actionfilme mit oder ohne Martial Arts-Elementen (SAVAGE!, TNT JACKSON) und sogar einen Vampirsexfilm (VAMPIRE HOOKERS). In den 1980er Jahren drehte Santiago zahlreiche Vietnamkriegs- und Vietnamveteranen-Actioner, darunter 1988 einen Film mit dem klangvollen Namen THE EXPENDABLES.
2008 verstarb Santiago in Makati City – doch nicht, bevor die weltgrößte Recyclingtonne des Exploitationfilms, Quentin Tarantino, sich als Fan geoutet hatte. Pelle Felsch, der das Bookletessay zur weiter unten besprochenen deutschen DVD-Edition von VENGEANCE IS MINE geschrieben hat, weist auf die Parallelen in der Struktur von Santiagos Film und KILL BILL hin: „Verrat an der Freundschaft – Tod & Auferstehung – Ausbildung & Auftrag – Rache“. Die dramatische Übergabe des Schwerts an den Lehrling durch den Meister, die in VENGEANCE IS MINE an einem kargen Strand stattfindet, scheint Tarantino zu einer ähnlichen Szene in KILL BILL inspiriert zu haben. Auch in der deutschen Blogosphäre gibt es zumindest einen großen Fan: Sano Cestnik plädierte vor über vier Jahren bei „Eskalierende Träume“ in einer Besprechung von FINAL MISSION (1984) leidenschaftlich für mehr Cirio H. Santiago. Ein Aufruf, dem hier hiermit gefolgt bin.

Noch einige Worte zu den Darstellern: der charismatische James Iglehart spielte zunächst Nebenrollen in zwei Filmen Russ Meyers (BEYOND THE VALLEY OF THE DOLLS, THE SEVEN MINUTES), bevor er dann dem lockenden Ruf der Philippinen folgte und dort für Regisseur und Produzent Cirio H. Santiago die Hauptrolle in drei actionreichen Filmen spielte: SAVAGE!, BAMBOO GODS AND IRON MEN und eben VENGEANCE IS MINE. Dieser ist gemäß imdb auch sein letzter Film. Offenbar hat er sich danach aus dem Filmgeschäft zurückgezogen. Sein Sohn James Monroe Iglehart, der vierjährig auch in VENGEANCE IS MINE den Filmsohn spielt, ist später selbst Film- und vor allem Theaterschauspieler geworden.

Im Film Antagonisten, im wahren Leben Ehepartner:
Jayne Kennedy und Leon Isaac Kennedy
Leon Isaac Kennedy kommt aus dem Blaxploitation-Bereich und blieb auch in den 1980er Jahren dem B-Actionfilm treu. Anfang der 1990er Jahre stieg er aus dem Filmgeschäft aus. Irgendwann in dieser Zeit hat er wohl Jesus für sich entdeckt und betätigt sich heute als evangelistischer Prediger. Von 1970 bis 1982 war er mit Jayne Kennedy, geborene Jayne Harrison verheiratet. Auch sie, die Darstellerin der Maria, blieb dem Filmgeschäft nicht lange treu. 1970 wurde sie als erste Afroamerikanerin zur Miss Ohio gewählt und war im selben Jahr eine der Semifinalistinnen von Miss USA. Sie war wohl offenbar auch die erste Afroamerikanerin, die auf dem Cover des Playboy Magazine abgelichtet wurde. Kennedy spielte vor allem Nebenrollen im Fernsehen und zusammen mit ihrem Ehemann. Cirio H. Santiago kannte sie schon vor VENGEANCE IS MINE durch die Zusammenarbeit bei THE MUTHERS (1976) kennen, einem Film um eine Bande weiblicher Piraten, die sich undercover in ein Plantagengefängnis einschleusen lässt, um eine Kameradin zu befreien. Ihre Karriere bei Film und Fernsehen dünnt sich seit den 1980er Jahren aus, da sie sich vielfältigen Tätigkeiten wie dem Produzieren von Fitnessvideos und der Arbeit bei wohltätigen NGOs und christlichen Organisationen zuwandte.

Im Gegensatz zu seinen Kollegen ist Carmen Argenziano ein umtriebiger Schauspieler geblieben und hat seit seinem Filmdebüt 1969 über 200 Rollen gespielt. Er tauchte einige Male im Umfeld von Corman-produzierten, teilweise in den Philippinen gedrehten Filmen auf, trat aber ebenso in THE GODFATHER: PART II auf. Hauptsächlich spielte er und spielt er Nebenrollen in Fernsehserien, zuletzt in CSI: NY oder DR. HOUSE. Über den Kameramann Ricardo Remias lässt sich rasch in Erfahrung bringen, dass er zum festen Mitarbeiterstamm Cirio H. Santiagos gehörte und über 20 seiner Filme fotografierte.

Und wer sind die Darsteller Sugoros und Ichikawas? Hier ist es tatsächlich schwierig, Namen zuzuordnen. Der Abspann von VENGEANCE IS MINE erwähnt unter „also appearing“ nur noch die Namen der Nebendarsteller ohne Rollennamen (interessant zu sehen: Produzent Robert E. Waters hat mindestens drei Verwandte als Darsteller untergebracht). Im Vorspann werden außer den bekannten Darstellern noch erwähnt: Jose Mari Avellana (bei imdb Joe, nicht Jose), Joonie Gamboa (bei imdb Joonee), Leo Martinez, und ein „guest star“ Roberto Gonzalez (bei imdb überhaupt nicht erwähnt).

freeze frame im Moment des Todes

Hier ist nun der Ort, um noch einmal auf einen bizarren Fakt hinzuweisen: nämlich dass der besprochene Film keinen „richtigen“, oder zumindest keinen „festen“ Titel hat. DEATH FORCE ist gemäß der imdb der Originaltitel. Der Film lief jedoch, wie viele für Grindhouse-Auswertung produzierte Filme, eine zweite Runde Kino-Auswertung durch, dann offenbar mit dem Titel THE FORCE und FIGHTING MAD. Ein Filmplakat mit letzterem findet man bei imdb: witzig ist, dass Leon Isaac (ohne „Kennedy“) und Jayne Kennedy als Hauptrollen genannt werden. Das Plakat nimmt Bezug auf das Playboy-Cover mit Jayne und auf Leon Isaacs Rolle im Film PENITENTIARY, der im Dezember 1979 in den USA anlief. Wahrscheinlich dürfte also FIGHTING MAD der Titel für eine Neuauswertung des Films irgendwann 1980 gewesen sein. FORCE OF DEATH war offenbar der Titel des Films in Großbritannien. Pelle Felsch nennt im Booklet der deutschen DVD auch noch FIERCE als zusätzlichen Neuauswertungstitel in den USA. Gemäß Felsch ist VENGEANCE IS MINE eine komplette Neuschöpfung für die US-amerikanische DVD-Veröffentlichung des Films im September 2013, die erstmals die komplette 110-Minuten-Fassung enthielt. Allerdings scheint er sich zu irren, da das Cover der entsprechenden DVD eindeutig einen Film namens DEATH FORCE zeigt.
Erschwerend kommt hinzu: irgendwo zwischen 84 Minuten und 110 Minuten dauert VENGEANCE IS MINE aka DEATH FORCE aka FIGHTING MAD. Im September 1978 kam der Film in einer 96-minütigen Fassung in die US-amerikanischen Kinos. In Deutschland lief er, stark geschnitten (ob es sich um Gewaltzensur handelte, ist unklar) mit 84 Minuten Laufzeit im April 1982 an. Die 110-minütige Fassung wird teilweise als „director‘s cut“, teilweise als „extended cut“ bezeichnet: wo sie herkommt, ist allerdings unklar. War es eine Premierenfassung, die später (um)geschnitten wurde? Oder ist es die Rekonstruktion einer „imaginären“ Ur-Fassung? Ein zentraler Unterschied ist jedoch ganz sicher: die 110-minütige Fassung enthält als einzige die letzten paar Sekunden – also den Tod Russells durch Erschießung. Das heißt, dass alle kürzeren Fassungen mit einem „happy end“ aufhören.
Der Film ist wie gesagt als US-DVD im Doppelpack mit Santiagos VAMPIRE HOOKERS unter dem Titel DEATH FORCE in der integralen 110-Minuten-Fassung erhältlich. Auf der Website des Labels steht tatsächlich DEATH FORCE aka VENGEANCE IS MINE, wobei letzterer als „Originaltitel“ genannt wird.
In Deutschland ist der Film dieses Jahr beim Label Subkultur / Media Target als Nummer 2 der „Grindhouse Collection“ als DVD-Blu-ray-Dualedition veröffentlicht worden. Der Film liegt in einer relativ guten Qualität vor: manche Momente sind unscharf, etwas kontrastarm, und zumindest eine Rolle (knapp über 10 Minuten) hat einen gelben Laufstreifen in der Mitte. Trotzdem insgesamt gut. Als Bonus gibt es ein Booklet mit einem Essay von Pelle Felsch, der über Grindhousekino, Actionfilme, Männlichkeitskonstrukten in diesen, Cirio Santiago und die verschiedenen Fassungen des Films schreibt – sehr unterhaltsam, stellenweise sogar poetisch (eine Kostprobe: „Aktions-Kino, das Kino der Beschleunigung und abrupten Zersprenung: Die Quintessenz des bewegten Bildes. Der Karatekick, der Knochen splittern lässt. Das Projektil, das menschliches Fleisch penetriert. Der Car-Crash, der feste Materie seiner starren Form entreißt. Die Explosion, Vernichtung aller molekularen Ordnungen. Kino der Zerstörung. Kino der Befreiung“). Weniger unterhaltsam, sondern vielmehr ärgerlich ist der Bonusfilm: MACHETE MAIDENS UNLEASHED, eine Doku über die Geschichte des US-philippinischen Exploitationfilms. Besonders störend ist nicht nur der Stil dieses Machwerks (es ist nicht so sehr ein Dokumentarfilm als eher eine abendfüllende Interviewschnipsel-Montage), sondern auch die schiere Verachtung für sein Subjekt, das er von oben herab zur nostalgischen, aber lächerlichen Freakshow degradiert.