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Dienstag, 15. Oktober 2013

Brillanter Walzer für zwei Killer


EL PLACER DE MATAR („Sie töten aus Lust“ / „The Pleasure Of Killing“)
Spanien 1988
Regie: Félix Rotaeta
Darsteller: Antonio Banderas (Luis), Mathieu Carrière (Andrés), Victoria Abril („La Merche“), Mario Gas (Inspektor Santana)


Eine Villa am Stadtrand. Auf dem Bürgersteig davor trainiert ein Jogger. Ein Auto fährt vor. Ein Mann in der Villa empfängt den Ankömmling, möchte ihm etwas zu trinken geben, aber das Eis fehlt. Der Gastgeber scheint Eis holen zu gehen, gibt aber den beiden Killern, die sich verstecken, nur das Signal zur Intervention: während der Jogger den Chauffeur des Hauptziels mit einem Kopfschuss tötet, erledigt ein überaus elegant gekleideter Herr den Gast – ebenso mit einem gezielten Schuss in den Kopf. Der Tote fällt etwas unglücklich gegen das Fenster, und zieht so die Aufmerksamkeit der jungen Teenager-Nachbarin auf sich, die nach einem zu weit geflogenen Tennisball sucht. Der Gastgeber, der das Mordkommando eingefädelt hat, ruft die zwei Killer auf, die Zeugin zu beseitigen. Die beiden Handlanger haben sich – so lassen ihre verwunderten Blicke ahnen – noch nie gesehen und wussten offenbar nicht vom jeweiligen Auftrag des anderen. Doch in einem Sekundenbruchteil stimmen sie sich aufeinander ab und schießen gleichzeitig. Der Gastgeber dieses makabren Empfangs warnt die beiden danach, sich am Plan zu halten und zu vergessen, dass sie sich jemals begegnet sind. Der Elegante fährt mit seinem Mercedes weg. Der Jogger joggt weg. Dazu ertönt die „Titelmusik“ des Films: eine geradezu grotesk verfremdete Fassung von Chopins fröhlicher „Grande Valse Brillante“ in E-Dur, auf einem Synthesizer so gespielt, dass es ein wenig an Drehorgel und Jahrmarkt erinnert. Mulmiges Unbehagen setzt zusammen mit den Anfang-Credits ein...

Der joggende Killer heißt Luis. Im „richtigen“ Leben (aber was heißt schon „richtiges Leben“ in EL PLACER DE MATAR?) tauscht er seine Jogging-Klamotten gegen Jeans und schwarzer Lederjacke ein. Er verdient sich sein Geld als Drogendealer im nicht ganz so noblen Viertel der Stadt, in der der Film spielt (eine ungenannte spanische Provinzstadt). Er hat eine Freundin, die sich „La Merche“ nennt und in einer Drogerie arbeitet. Der elegante Killer hingegen ist Gymnasiallehrer für Mathematik, und heißt Andrés. Er hat eine Verlobte und mit ihr im Anhang eine Schwiegerfamilie, die er auf den Tod nicht ausstehen kann, weil deren Mitglieder allesamt arrogante Neureiche sind. In deren Kreis schaut er genauso gelangweilt rein, wie wenn er am frühen Morgen im Radio die Nachrichten von seinen Morden hört.

Luis und Andrés: Skeptische Annäherungen
Eines Abends geht Andrés spazieren, und läuft, ohne ihn zu bemerken, an Luis vorbei. Der erkennt den eleganten Berufsgenossen sofort. Er folgt ihn und bedroht ihn mit einer Pistole. Andrés reagiert darauf lässig mit einer Einladung zu einem Drink in seiner Wohnung, was Luis wie selbstverständlich annimmt. Ein in sehr knappen Worten gehaltenes Gespräch entfaltet sich: zu Scharfschützen wurden beide von einem gewissen Barrantes ausgebildet, ehemals Oberst in der Armee, heute ein hohes Tier in der Polizei. Beide arbeiten kostenlos für ihn. Für beide war die Mission in der Villa der erste Auftrag. Beide halten den „Kollateralschaden“ mit dem Mädchen für ein Jammer. Allerdings weiß keiner, welchen Zweck der Auftrag eigentlich hatte. Trotzdem verabreden sie sich zum gemeinsamen Übungsschießen auf einem Gelände vor der Stadt.

Luis besorgt für Andrés eine Pistole (im Gegensatz zu seinem jüngeren Kollegen, der als Drogendealer gerne verteidigungsbereit bleibt, hat der Gymnasiallehrer seine Auftragswaffe wohl vorsorglich entsorgt). Und dann treffen sie sich in einem Brachland außerhalb der Stadt und üben gemeinsam Zielschießen auf ein Metallschild. Sie haben viel Spaß dabei. Nach einer Runde Sandwich und Jack Daniels aus dem Pappbecher machen sie noch ein bisschen weiter. Es scheint ein implizites gegenseitiges Verständnis zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Auftragskillern zu geben. Sie verabreden sich zu weiteren Schießübungen, und Andrés verspricht, zum nächsten Termin eine Zielscheibe mitzubringen, die spannender und interessanter ist, als ein schnödes Metallschild. Gesagt getan... Zum nächsten Schützentreffen entführt Andrés seine Verlobte und gemeinsam mit Luis tötet er sie mit einem gezielten Kopfschuss. Bei einer anschließenden Dose Bier fragt Luis, ob Andrés sie gut gekannt habe: „Sie dachte, sie sei meine Verlobte“ entgegnet er – eine Antwort, die Luis offenbar wenig zu überraschen, zu beeindrucken oder zu berühren scheint.

Und so geht es weiter. Und immer weiter. Luis und Andrés treffen sich immer wieder, manchmal zum Mittagessen, manchmal zum Trinken, und zwischendurch immer wieder zu tödlichen Schießübungen: mal bringt Andrés eine seiner Schülerinnen als Zielscheibe mit, manchmal flirtet er mit Luis seine Beute auch in der Disco an, um sie später leichter entführen zu können. Derweilen macht sich seine Schwiegerfamilie Sorgen um die verschwundene Verlobte und die Polizei ermittelt auch, aber das nicht besonders effizient oder motiviert...

Harmloses Zielschießen auf ein Metallschild
Wer nun nach dieser Lektüre Verwunderung oder Befremdung empfindet, dürfte wohl nur einen Teil der Gefühle haben, die man bei der richtigen Sichtung von EL PLACER DE MATAR spürt. Denn dieser Film ist in der Tat höchst schwierig zu beschreiben, zu erklären, zu deuten, trotzdem er eine große Faszination ausübt – zumindest auf mich ausgeübt hat. Wenn man sich die zwei Protagonisten genauer anschaut, so ist festzustellen, dass sie kaum an irgendetwas Spaß haben, dass sie sich für kaum eine Sache begeistern mögen: nur beim Schießen blühen sie auf! Werden eins mit ihrer Waffe und mit sich selbst! Nicht im Sinne eines Waffenfetischismus, sondern eher in der Befriedigung, präzise anvisierte Ziele zu treffen. Offenbar haben sie nicht weniger Spaß mit einer Metallzielscheibe als mit einem menschlichen Opfer. Sie töten nicht aus Lust, sondern sie wollen zielgenau treffen: immer genau in der Mitte der Stirn. Luis und Andrés nehmen menschliche Opfer, weil die sich einfach anbieten. Und sie es können. Und sie vielleicht den Moment ihrer ersten Begegnung zelebrieren wollen, als sie gemeinsam die unerwünschte Zeugin erschossen haben: ein Moment vollkommenen, nonverbalen gegenseitigen Verständnisses, den keiner von ihnen anderswo gefunden hat. Luis findet diese Vertrautheit nicht bei seiner Freundin, und schon gar nicht bei seinen Drogendealer-Kollegen. Andrés findet sie nicht bei seiner Verlobten, geschweige denn bei deren Familie – alle scheinen ihm auf die Nerven zu gehen.

Tödliches Zielschießen auf Kneipengäste
Geht es also in EL PLACER DE MATAR tatsächlich um die „Freude des Tötens“? Eine Frage, die sich ebenso gut bejahen wie verneinen lässt. In der Tat zeigt der Film deutlich, wie banal extreme Gewalt in diesem kleinen Paralleluniversum ist, den sich Luis und Andrés schaffen: sie töten so locker, wie sie sich eine Zigarette anzünden oder an einem Drink nippen – und alle diese Dinge tun sie unzählige Male während des Films. Andererseits liefert der Film nicht den geringsten Hinweis darauf, dass die beiden Killer das Töten an sich genießen: sie befriedigen keine Tötungslust. Im umgekehrten Schluss gibt es allerdings auch keinerlei Anzeichen dafür, dass sie ihre Taten irgendwie reflektieren (oder gar Gewissenskonflikte entwickeln). Gegen Ende des Films, kurz bevor Luis und Andrés die ganze Kundschaft und Belegschaft einer Bar töten, sagt letzterer: „Alle scheinen zu denken, dass man nur töten kann, wenn man Soldat ist. Oder Polizist. Terrorist. Oder Jäger oder Psychopath. Oder wenn man dafür bezahlt wird. Aber so ist es nicht. Töten kann auch nur einfach so.“ Bis zu diesem Zeitpunkt ist klar, dass keine der Benennungen auf sie passt, und sie tatsächlich „einfach so“ Leute töten.

Soviel zum Thema Ursachen, Motivationen, Beweggründe etc. Ist der Film vielleicht eine ätzende Satire des post-franquistischen Spaniens? Geht es um eine zersplitterte, latent extrem gewalttätige Gesellschaft, in der ehemalige Soldaten aus Langeweile, aus Frustration, wahrscheinlich eher aber völlig ohne Grund auf Mordtour gehen – im Hintergrund ein dubioser Polizist, der ehemals Oberst der Armee war und irgendwie das Stein ins Rollen gebracht hat. Doch genau er, der „Gastgeber“ des makabren Empfangs im Prolog, gerät schließlich selbst in die Schusslinie seiner ehemaligen Schützlinge und wird von ihnen als Zielscheibe missbraucht. Unverkennbar ist jedoch, wie dysfunktional die Polizei dargestellt wird: die Beamten sind völlig überfordert, oder unmotiviert, oder stecken selbst unter einer Decke mit den Mördern (zumindest beim „ordentlichen“ Auftragsmord).

Andrés zwischen Langeweile bei der
Schwiegerfamilie und unbewusster Einbringung
seines "Hobbys" in den Schulunterricht.
Auch unverkennbar ist, dass EL PLACER DE MATAR „mehrere Spaniens“ in Gegensätzen zeigt: einen Konflikt zwischen den Neureichen und behördlichen Eliten auf der einen, und den prekär Beschäftigten und Kleinkriminellen auf der anderen Seite. Dieser Klassengegensatz zieht sich durch den ganzen Film und bildet auch die Spannung zwischen den beiden Killern. Es scheint kein Zufall zu sein, dass der „proletarische“ Luis am Anfang den Chauffeur tötet und der „gehoben-gebildete“ Andrés das Hauptopfer: ein Mann mit elegantem Anzug und Mantel (dessen Identität unklar bleibt und für den weiteren Verlauf des Films auch irrelevant bleibt). Nur in den gemeinsamen Morden Luis‘ und Andrés‘ wird der Gegensatz aufgehoben: für sie gibt es beim Schießen keinen Unterschied zwischen Andrés‘ Verlobten und zwei jungen Frauen, die aus schmuddeligen Clubs (die Luis gerne frequentiert) abgeschleppt werden.

Das sind allerdings alles auch eher Nebenbeobachtungen für einen Film, der sich am ehesten als schwarzhumorige Groteske beschreiben lässt. Denn EL PLACER DE MATAR scheint sich eigenwillig jeglicher politisch-sozialer Interpretation zu verwehren. Ein richtiger Thriller ist er mangels klassischer Spannung aber auch nicht. Genauso wenig ist er ein Krimi oder ein Milieudrama, denn polizeiliche Ermittlungen und die sozialen Lebenswelten der Protagonisten spielen nur eine geringe Rolle. Auch als psychologisches Drama lässt sich der spanische Film kaum bezeichnen: beide Protagonisten bleiben bis zum Schluss geradezu undurchdringlich. Sie sprechen fast nur durch ihr Handeln – im wörtlichen Sinne allerdings nur selten. Wer aufgrund des Inhalts und der Filmplakate einen Exploitationfilm erwartet, wird auch enttäuscht werden: wie der Rest des Films sind auch die tatsächlich häufigen Mordszenen mit minimalistischem Understatement inszeniert.

Ein latenter schwarzer Humor durchzieht den ganzen Film: das merkt man, wenn nach drei Morden in den ersten Minuten die Anfangscredits mit ihrer beschwingten Chopin-Walzer-Variation einsetzt. Immer wieder kippt die Atmosphäre: von düster zu beschwingt, von gewalttätig zu quickfröhlich, von beklemmt zu gelöst, von fatalistisch zu hoffnungsvoll, von melancholisch zu absurd – und wieder zurück. Manchmal aber auch alles gleichzeitig. So ist EL PLACER DE MATAR im Gegensatz zum musikalischen Leitmotiv polytonal. Jedoch hat er gewissermaßen tatsächlich die Form eines Walzers: zwei Tanzpartner drehen sich im Kreis, bewegen sich zwar, aber in keine bestimmte Richtung, und durchschreiten manchmal auch wieder die selbe Stelle im Tanzraum.

Narrativ so richtungslos wie magisch!
Diese narrative Richtungslosigkeit könnte den einen oder anderen Zuschauer vielleicht abschrecken, kann aber auch als Chance begriffen werden. Das Ende der Killerpartnerschaft erscheint nicht als deterministisch, sondern als ein zufälliger Ausgang von vielen vorangehenden Konstellationen und Momenten. Einer dieser Momente folgt direkt dem Mord an Andrés‘ Verlobten: die beiden Mörder streifen ausgelassen und entspannt durch eine Einkaufsgalerie. Luis will Zigaretten holen gehen. Auf dem Weg zum Tabakstand lässt er höflich eine junge Dame ihren Weg passieren. Nach Kauf der Glimmstängel überholt ihn dieselbe Frau, und zwinkert dabei Luis an. Dieser stellt sich vor der Vitrine eines Fernsehgeschäfts, schaut ein wenig fern, steckt sich eine Zigarette in den Mund, als erneut die junge Frau auftaucht und eine winzige Pistole zückt und auf ihn zielt. Sie drückt ab, eine Flamme erscheint, und sie zündet ihm die Zigarette an. Dann schenkt sie ihm das Feuerzeug und geht weg. Luis schmunzelt, geht einige Schritte weiter, setzt sich zu Andrés an den Tisch und schenkt ihm wiederum das Feuerzeug... Vielleicht die wunderbarste Sequenz des ganzen Films, deren lockere Nonchalance noch verstärkt wird durch die Tatsache, dass die Ermordung von Andrés‘ Verlobter ihr voranging.

Kurz: es ist sehr schwer, den Sog der Faszination, den EL PLACER DE MATAR entwickelt, adäquat zu begreifen. Der Film schein sich bewußt jeglichen Zugriffs zu verweigern, auch wenn er oberflächlich nicht besonders „schwierig“ oder gar irgendwie verkopft wirkt. Am ehesten könnte man das so beschreiben: man stelle sich vor, zwei „asoziale“ Gangster aus einem späten Melville-Film würden in das Universum eines späten Buñuel-Films eintauchen, in dem Logik, Ratio und Ursache-Wirkungs-Prinzipien keine Rolle spielen... Das ist allerdings nur eine sehr assoziative Annäherung. EL PLACER DE MATAR ist ganz und gar ein eigenes Original.

Der Regisseur, Félix Rotaeta, war von Haus aus Theater-, Fernseh- und Kinoschauspieler, Journalist, und Theaterautor. In den 1970er Jahren spielte er vor allen Dingen in TV-Serien mit. Einem mäßig breiten internationalen Publikum ist er bekannt als Darsteller in Pedro Almodóvars PEPI, LUCI, BOM Y OTRAS CHICAS DEL MONTÓN von 1980. Rotaeta war auch Schriftsteller, und mit EL PLACER DE MATAR hat er seinen eigenen Roman „Las pistolas“ verfilmt. Als Regisseur hat er nur einen Kurzfilm, ein Segment eines Episodenfilms, eine TV-Serien-Folge und einen weiteren abendfüllenden Film gedreht. 1994 ist er, gerade mal 52-jährig, in Barcelona verstorben.




Es ist der Zufall, der einem manchmal die seltsamsten Filme in die Hände spielt. Im Falle von EL PLACER DE MATAR heißt dieser Zufall luzifus von the-gaffer.de: auf mein eindringliches Flehen hin hat er mir vor mehreren Wochen seine DVD von Álex de la Iglesias PERDITA DURANGO ausgeliehen. In der Bonus-Sektion der Scheibe befinden sich nicht nur eine „Bildergalerie“ (= anamorphisch verzerrte Screenshots aus dem Film), „Hintergrundinformationen“ (= mangelhaft lektorierte Kurz-Bios zu Javier Bardem und Rosie Pérez) und eine „Trailershow“ (= Trailer zu SHALLOW GROUND und THA EASTSIDAZ), sondern tatsächlich auch: „Pleasure of Killing (Bonusfilm)“...
Daher habe ich den Film nicht gerade unter besten Bedingungen gesehen: in Synchronfassung (es gab nur die), im zwar richtigen, aber nicht anamorphischen Bildformat und in einer grausam fürchterlichen Qualität (die dadurch, dass der 90-Minuten-Film nur Beigabe zu einem 125-Minuten-Film auf einer einzigen Scheibe ist, nicht gerade besser wird). Die Screenshots bezeugen auch letzteres.
Glaubt man den Kommentaren bei ofdb, so sind auch die „richtigen“ DVD-Editionen dieses Films nicht wirklich besser, was Bildqualität betrifft. Und die Editionen mit der spanischen Originalversion haben keine Untertitel, dafür aber das falsche Bildformat... Und offenbar sind diese mangelhaften deutschen Veröffentlichungen die einzigen DVD-Editionen, die es gibt!
Da EL PLACER DE MATAR  entweder als schmuddeliger Actioner oder als reines Antonio-Banderas-Vehikel vermarktet wird, ist nicht vorauszusehen, dass irgendwann einmal eine richtige (ohne Anführungszeichen) DVD-Edition dieses absolut bemerkenswerten und bizarren Films kommen wird. Leider!