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Montag, 19. November 2012

Lantana

Dies ist nun die letzte Besprechung, die Bruno geschrieben hat, vor ungefähr drei Monaten.

Manfred




Lantana
(Lantana, Australien/Deutschland 2001)

Regie: Ray Lawrence

Obwohl die Figuren im Abräumer bei den AFI-Awards 2001 zu komplex sind, als dass sich der Film von Ray Lawrence auf ein einzelnes Thema festlegen liesse,  kann man doch sagen, die Bereitschaft, sich über sich selber zu täuschen und sich von anderen täuschen zu lassen, spiele eine grosse Rolle. Die Täuschungsproblematik überträgt sich sogar auf den Zuschauer, der Erwartungshaltungen aufbaut, die sich schlicht als falsch erweisen. Denn „Lantana“ spielt nicht in einem nach Australien verlegten Twin Peaks, hat überhaupt nur auf den ersten Blick etwas mit David Lynch zu tun. Er lässt sich auch nicht mit Robert Altman’s „Short Cuts“ (1993) vergleichen, schon gar nicht mit dem Krötenregner „Magnolia“ (1999) von P.T. Anderson. Wer solche verlockenden Vergleiche, wie sie vom Criticus Roger Ebert angeboten werden, einmal überwunden hat, wird das dichte, auf einem Bühnenstück von Andrew Bovell mit dem passenden Titel „Speaking in Tongues“ beruhende Werk in seiner Eigenständigkeit zu würdigen lernen.


Im Mittelpunkt von „Lantana“ stehen vier Paare. Der unter dem Verlust seiner Gefühle leidende Polizist Leon Zat betrügt seine Frau Sonja mit Jane O’May, die sich von ihrem Mann getrennt hat. O’May wiederum beneidet ihren arbeitslosen Nachbarn Nik Daniels und dessen Frau um ihre offen gezeigte, uneingeschränkte Liebe zueinander. Sonja versucht Leidenschaft in ihre Ehe zurückzubringen, indem sie ihren Mann für einen wöchentlichen Salsa-Abend begeistern will, an dem allerdings auch die Frau teilnimmt, mit der er zweimal Sex hatte. Doch auch Sonja verheimlicht etwas vor Leon: Sie besucht die Psychotherapeutin Valerie und erzählt ihr von ihren Ängsten, betrogen zu werden. Valerie, die die Ermordung ihrer Tochter nie überwunden hat, ist allerdings selber vor Täuschungen nicht gefeit: Als ihr ein schwuler Patient zunehmend herausfordernd von seiner Beziehung zu einem verheirateten Mann berichtet, überkommt sie das Gefühl, er spiele auf ihren verschlossenen Gatten John an. – Und über all dem schwebt unheilvoll die Leiche einer Frau, zu der uns die Kamera am Anfang im dichten Tropengestrüpp, das dem Film seinen Titel gab, geführt hat.


Diese Leiche ist es, die den Zuschauer vom eigentlichen Problem der Vorstadtbewohner, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, ablenkt. Sie verlockt ihn zu gewohnten Vorstellungen vom Ablauf eines Krimis, und er rätselt während der ersten Hälfte von „Lantana“, um wen es sich bei dieser Leiche handeln möge, während er die zweite Hälfte der Frage widmet, ob und von wem die entdeckte Tote ermordet worden ist. Denn Jane, die von ihrem Liebhaber verlassen wurde und ihren Mann nicht zurück haben will, entdeckt, das Glück anderer Menschen nicht ertragend, an ungewöhnlicher Stelle einen Schuh… - Erst mit der Zeit erkennt man, dass der Toten im Gestrüpp eine ganz unerwartete Funktion zukommen könnte: Sie ist vielleicht das Opfer, das die Figuren benötigten, um wenigstens für eine gewisse Zeit ihrem Beziehungsgestrüpp zu entkommen und zu dem zu finden, was ihnen entgangen war oder von ihnen verdrängt wurde. Am Ende sieht man eine Jane O’May, die sich ihre Einsamkeit durch konsequent falsches Handeln unbewusst erstritten hatte, sich ganz alleine dem Salsa hingeben, während ein anderes Paar seine Probleme überwunden hat und eng umschlungen tanzt. Ein Schwuler beobachtet im Regen seinen kurzfristigen Liebhaber, der zu seiner Frau zurückgekehrt ist, während sich ein anderer Mann endlich der stillen Trauer um sein verlorenes Kind hingeben darf, die er vor seiner Frau verheimlichte.


Einzelne geradezu erlösend wirkende Szenen deuten an, was eigentlich im Zentrum steht: die Unfähigkeit der von Anthony LaPaglia, Geoffrey Rush, Barbara Hershey und  anderen hervorragend verkörperten Charaktere,  Gefühle einander mitzuteilen und sie offen auszuleben: Ein Mann, der beim Joggen mit dem Polizisten Leon zusammenstösst, sich plötzlich an ihn klammert und hemmungslos zu weinen beginnt, ein verstörter Mann, der von der sich befreiend ihrer Hysterie ergebenden Valerie nachts auf der bevölkerten Strasse angeschrien wird, weil er sie angesprochen haben soll. – Versuche, den Ensemblefilm mit „Short Cuts“ oder dem Krötending zu vergleichen, sind nicht berechtigt: Das Hauptthema und die sich daraus ergebenden Beziehungsprobleme halten die  Geschichte enger zusammen als die lockeren, verschiedenen Erzählungen von Raymond Carver entnommenen Episoden in Altman’s Meisterwerk. Und das unaufgeregte Fortschreiten mit scheinbar  dem echten Leben entnommenen Figuren zeigt, wie wenig sich „Lantana“  der Küche Hollywood mit ihrem gelegentlich unerträglichen Pathos anpasst. Hier wird in einer eigenen Liga gespielt, die derjenige für entdeckenswert halten wird, der seine Erwartungen ablegt und sich – Missverständnisse überwindend - dem Salsa hingibt.