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Sonntag, 2. Oktober 2016

Intergalaktischer Klassenkampf mit Schlangen, Lederfetischisten und Acid aus der Sprühdose

Ein Produkt des VEB Halluzinogene für Weltraum-Trips Zünrow (made in GDR)



IM STAUB DER STERNE
Deutsche Demokratische Republik 1976
Regie: Gottfried Kolditz
Darsteller: Jana Brejchová (Akala), Alfred Struwe (Suko), Ekkehard Schall (der Chef), Milan Beli (Ronk), Leon Niemczyk (Thob), Violeta Andrei (Rall), Sylvia Popovici (Illic), Regine Heintze (My)


Ein Raumschiff vom Planeten Cynro ist auf dem Weg zum Planeten Tem, der einen Hilferuf versendet hat. Bei der Landung kommt es aufgrund von Störungen (oder sind es Angriffe?) fast zum Absturz. Die Kosmonauten unter der Leitung von Akala werden auf Tem vom Sicherheitsbeauftragten Ronk empfangen, der seinen Gästen sehr resolut, fast schon grob, versichert, dass es keinen Hilferuf gegeben habe und dass sie wieder nach Cynro zurückfliegen sollten. Vor ihrem Abflug werden sie aber auf eine Abendparty eingeladen, auf der auch alle außer Navigator Suko erscheinen, der gemäß Protokoll im Raumschiff bleibt und es überwacht. Nach der Feier leiden die Cynroer bis auf Suko allesamt an Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörungen, Gedächtnislücken und Ausbrüchen erratischen Verhaltens. Suko will sich den Planeten jetzt genauer ansehen, geht auf Entdeckungstour mit einem Minihelikopter und findet heraus, dass in unterirdischen Bergwerken Hunderte Zwangsarbeiter Kohle schippen: es sind die Turi, die Einheimischen Tems, die von den Besatzern (also den Personen, die die Cynro-Expedition empfangen haben) versklavt wurden. Suko wird bei seiner Entdeckungstour von den Sicherheitskräften Tems erwischt, gefangen genommen, anschließend befragt und gefoltert. Akala wird derweilen zum exzentrischen Chef von Tem gebeten, der sie mit Nachdruck bittet, zusammen mit ihrer Mannschaft Tem zu verlassen und ihr anschließend den mittlerweile gehirngewaschenen Suko zurückgibt. Auf dem Raumschiff erinnert ein Zufall die bewusstseinsgestörten Kosmonauten daran, dass sie eigentlich wegen eines Hilferufs hergekommen sind und dass dieser offenbar von den gefangenen Ureinwohnern des Planeten, den Zwangsarbeitern unter Tage, gesendet worden ist. Die Besucher aus Cynro sind sich unsicher, ob sie schleunigst verschwinden oder ob sie bleiben und den Turi (also den Ureinwohnern Tems) helfen sollten. Die Besatzer Tems sind sich unschlüssig, ob sie die unerwünschten Gäste ausweisen oder gefangen halten sollten. Beim Hin-und-Her kommt es zum Showdown. Die Mannschaft aus Cynro fliegt mit dem Raumschiff schließlich weg. Zurück bleiben Suko und Akala. Ersterer stirbt beim Absturz des Erkundungshelikopters und wird von den Turi würdevoll zu Grabe getragen. Akala bleibt, nachdem sie einem gefangenen Turi-Mädchen Mut zugesprochen hat, ratlos und einsam in der Wüstenlandschaft Tems zurück...

Klingt nicht gerade sehr spannend? Wem das etwas alles etwas trocken erscheint, sehe sich die folgenden Screenshots aus dem Film an:








Ein Science-Fiction-Film aus der DDR, einem Land, das im Gegensatz zur Sowjetunion oder auch zu Polen keine besonders ausgeprägte Science-Fiction-Tradition hatte... Nun, das alleine macht IM STAUB DER STERNE noch sicherlich nicht zu einem besonderen Film. Was ihn besonders macht, ist sein auffallender Hang zum Bizarren, zum Exzentrischen, zum Psychedelischen, zum Surrealistischen, zum blanken Irrsinn, der zwar nicht den kompletten Film durchherrscht, aber immer wieder in mehr oder weniger ausgedehnten Szenen hervorblitzt. Es sind eben diese Momente, die IM STAUB DER STERNE letztlich wahrhaftig faszinierend machen – ihm aber bislang auch einen sehr schweren Stand beschert haben. Es gibt im Internet nur wenige Texte, die ihn ernst nehmen. Wahlweise wird der Film als mieser Billig-Trash oder als lustiger Party-Biertrink-Trash mit ulkigen DDR-Akzenten bezeichnet. IM STAUB DER STERNE jegliches Camp-Potential abzusprechen dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein, und dass Cynro von allen Beteiligten ausgesprochen wird, als handle es sich um ein Dorf in Sachsen („Zünrow“) lässt sich auch nicht leugnen. Dennoch: Jim Morton, Betreiber des „East German Cinema Blog“ mit Sitz in San Francisco, lobt IM STAUB DER STERNE als ultimatives Beispiel dafür, dass experimentelles Filmemachen in der DDR auch im Rahmen des Mainstream- und Genre-Kinos möglich war.

In den ersten paar Minuten sieht IM STAUB DER STERNE tatsächlich so aus, wie man sich einen Science-Fiction-Film aus der DDR im allgemeinen so vorstellt: trotz eines Fast-Absturzes sehr mäßig actionreich oder zumindest holperig in der Actioninszenierung, mit Kostümen, die ein bisschen wie leicht umgenähte Trainingsanzüge einer osteuropäisch-sozialistischen Armee aussehen, mit Dekoren, die das Beste aus Mangelwirtschaft machen und mit einem fremden Planeten, der wie eine stillgelegte Salzmine im Osten Rumäniens aussieht (wahrscheinlich deshalb, weil der Film tatsächlich teilweise auf einer solchen gedreht wurde). Dass hier aber dennoch nicht alles mit „rechten“ bzw. „ostdeutsch-bieder-sozialistischen“ Dingen zugeht, wird klar, als die Kosmonauten nach ihrer Landung von einer Temerin begrüßt werden, die in ihrem Kleid wie eine Indianerin aussieht. Wird aus dem Film jetzt doch ein Western?

Bei dem Empfang durch den Sicherheitschef wird dann als erstes ein Tablett mit, nun ja, Mundsprays herumgereicht. Jeder sprüht sich etwas in den Mund. Thob, der Witzbold unter den Cynroer Kosmonauten, läuft rot an, verdreht die Augen und hustet so stark, dass zu befürchten ist, er würde gleich an einem Erstickungsanfall sterben. Ronk, der Temer Sicherheitschef, beruhigt die Anwesenden: „Blau ist süß, rot ein wenig scharf.“ Thob hatte einen roten Mundspray. Trotzdem: haben die sich eben gerade alle Drogen reingepfiffen?

Eine... Indianerin (?) begrüßt die Gäste aus Cynro,
doch statt Friedenspfeife gibt es Drogen aus der Sprühdose.

So richtig verneinen lässt sich die Frage wenige Minuten später nicht mehr, denn dann fängt die Party an. Leicht bekleidete Damen tanzen ekstatisch zu einer elektronischen Prog-Rock-Jazz-Fusion-Musik. Die Besucher aus Cynro haben sich mit ihren allerschicksten Party-Overalls aus knallrotem Leder aufgebretzelt und mischen sich unter den Einheimischen. Die Szene wird von mehreren Extremnahaufnahmen geschminkter Augen unterbrochen (die wohl den Temer Tänzerinnen gehören). Das Büffet mit den lokalen Köstlichkeiten – zu „trinken“ gibt es außerdem große Spray-Dosen, von hübschen Temerinnen auf Tabletts herumgereicht – hat eine recht interessante Deko: lebende Riesenschlagen, die nonchalant zwischen den Speisen umherkriechen. Offensichtlich ist es nicht verboten, mit der Deko zu spielen, denn einige Einheimische und auch eine Cynro-Kosmonautin tanzen später im Duett mit einer der Schlangen. Die Gäste aus Cynro bekommen dann sogar (unfreiwillig) ein Spezialprogramm: eine kleine ferngesteuerte Gehirnwäsche, die sich als strahlender Punkt auf ihrer Stirn sichtbar macht...

...und dafür sorgt, dass sie auf der Party nicht nur sehr viel Spaß haben, sondern danach so ziemlich alles wieder vergessen haben (vor allem, dass sie wegen eines Hilferufs gekommen waren) und sich etwas merkwürdig benehmen. Alle kommen recht betrunken zurück zum Raumschiff, wo sie ein stocknüchterner Suko tadelnd erwartet. Einige schlafen ein, Akala bleibt erstmal mit Kopfschmerzen wach und eine Crew-Frau geht nach dem Duschen in den Aufenthaltsraum, legt das Badetuch ab und beginnt, zur Radiomusik (Radio Tem sendet offenbar in Dauerschleife Prog-Rock-Jazz-Fusion-Mäßiges) nackt und in Trance zu tanzen. Das ist vielleicht der bemerkenswerteste Moment im ganzen Film: ein drogeninduzierter Nackttanz, wunderschön als Silhouette vor einer gelb beleuchteten Wand mit geometrischem Relief gefilmt.

Die Temer feiern wilde Parties mit Speis, Trank, Tanz, Drogen, Fetisch-Kleidung,
extravaganter Deko und telepathischen Spielchen.

Ein Nackttanz nach Ende der Feierlichkeiten 

Danach wird es wieder ein Tick ruhiger. Zeit, um ein bisschen Plot abzuarbeiten: Suko entdeckt die Zwangsarbeiter, wird erwischt, gefoltert, Akala wird als Kommandantin der Cynroer zum Chef gebeten. Hier nur ein kleiner Einschub: dass eine Frau Kommandantin einer Raumschiff-Expedition ist, wird hier nicht im geringsten thematisiert oder gar problematisiert, und zwar weder von den Mitgliedern der Mannschaft selbst (in der jede/r jede/n duzt und die Hierarchien zugegeben sehr flach sind), noch von den Besatzern Tems. Vielleicht das „unsichtbarste“ oder zumindest „unscheinbarste“ typische DDR-Element des Films?
Zurück: Wer also denkt, dass IM STAUB DER STERNE nun schon alles verpulvert hat, hat den Chef von Tem noch nicht kennen gelernt (er bleibt namenlos: man sieht ihn zwar mit einer Brosche in B-Form, doch vielleicht könnte das auch für „Boss“ stehen). Die Eingangstür zu seinem Empfangsraum wird von starken Männern in Lederstiefeln, Lederröckchen und Hemden mit offenen Maschen bewacht – als kämen sie gerade aus Londons extravagantester S&M-Fetisch-Boutique (und nicht aus der Kostümabteilung eines ostdeutschen Filmstudios). Im Eingang des Chef-Raums wird Akala von einer merkwürdigen Form der Installationskunst empfangen: Köpfe in Schaufenstern, die sich bewegen und sie dann auch grimmig anschauen. Dann folgt ein Spiegelkabinett und Akala stößt sich mehrmals an Glas, bevor sie dann den Salon findet, wo sich wieder lebende Deko (sprich: eine Schlange) tummelt. Der Chef ist nun auch da und empfängt Akala mit frisch in Blau eingesprühten Haaren (wir sahen ihn kurz vorher beim, ähm... „Friseurtermin“). Er schnappt sich die Schlange und spielt mit ihr. „Haben Sie keine Angst: sie ist giftig, aber sie gehorcht auf‘s Wort.“ – versichert er Akala. Na, da kann die Chefin der Cynro-Expedition aber beruhigt sein! Dann zeigt er ihr etwas anderes: eine komische Spielzeugkonsole mit vielen bunten Knöpfen. Er bedient sie, und schon tauchen im ganzen Spiegelkabinett leicht bekleidete Tänzerinnen auf. Ist das ein Projektionssystem, oder handelt es sich einfach nur um Tänzerinnen, die auf Knopfdruck erscheinen? Man weiß es nicht wirklich (wenngleich IM STAUB DER STERNE in plotreichen Sequenzen durchaus Expositionsdialog auffährt, so lässt er besonders die etwas irrsinnigeren Elemente ohne jegliche Erklärung – gut so!). Beim Druck bestimmter Knöpfe können die Tänzerinnen und die Musik offenbar schneller „abgespielt“ werden. Akala scheint davon nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Der Chef hat offensichtlich aber Vergnügen daran. Ja er scheint gar davon regelrecht sexuell erregt zu werden, und wie er schwer atmend die Knöpfe bedient sieht er auch ein bisschen so aus, als würde er zur Begrüßung mal eben vor seinem Gast masturbieren. Dann klinkt er sich wieder ein und erklärt Akala „Manchmal spiele ich damit viele Stunden lang“ – was die eben genannte Vermutung nicht gerade entkräftet. Da wir uns immer noch in einem Spiegelkabinett befinden, sind übrigens alle Bilder während der kompletten Szene permanent durch mehrfache Spiegelungen „zerbrochen“, so dass der Chef „normalen“ Dialog teilweise so bestreitet, als würde er nicht mit Akala, sondern mit seinem eigenen Spiegelbild sprechen – für eine so neurotische und offenbar auch schwer narzisstische Persönlichkeit wie ihn irgendwie passend. Später, im gleichen Spiegelkabinett, hat der Chef dann einen kleinen Anfall, dröhnt sich mit einem großen „Schluck“ aus einer Spraydose zu und vollführt dann eine Art Schamanentanz vor seinen eigenen Spiegelbildern und in Gesellschaft seiner lieben Giftschlangen. Am Schluss schließlich, als die Kosmonauten aus Cynro (bis auf zwei) fliehen, zerstört er in einem Wutanfall das Spiegelkabinett und starrt erschrocken in sein zerbrochenes Spiegelbild.

Merkwürdige Installationskunst, ein verwirrendes Spiegelkabinett,
wunderliche Haustiere und außergewöhnliche Hobbies: Akala lernt den exzentrischen Chef kennen

Wie gesagt: als rein narrativer Science-Fiction-Film ist IM STAUB DER STERNE kein überragender Wurf. Die Handlung ist nicht gerade besonders spannungs- oder überraschungsreich. Auf eine Geschichte von Imperialisten (Besatzer Tems), die Völker aus Entwicklungsländern (die versklavten Einwohner Tems) wirtschaftlich und kolonial unterdrücken und dann von einer revolutionären Avantgarde (die Kosmonauten aus Cynro) vertrieben werden, kann der Film aber auch nicht reduziert werden: dafür ist nicht nur die Inszenierung viel zu unkonventionell, sondern schlussendlich auch die Auflösung viel zu offen und zu pessimistisch. Am Ende ist der Status Quo auf Tem geblieben: nach der Beerdigung werden die Turi wahrscheinlich wieder Kohle schippen, der Chef der Besatzer wird sich weiterhin seiner Spielzeugkonsole erfreuen – nur Akala bleibt verwirrt und hilflos zurück.

Eine Kritik des Films beschrieb das so:
„Der Unterschied zwischen zwei historisch-sozialen Epochen müßte [...] für den Zuschauer in der Fabelführung, vor allem aber in den Haltungen der Figuren erlebbar gemacht werden; in der Begegnung von Persönlichkeiten unterschiedlicher historischer und sozialer Ordnungen, im Aufzeigen des Widerspruchs läge der Sinn der Geschichte, läge ihre besondere Spannung. Diese Spannung herzustellen, gelingt Gottfried Kolditz jedoch [...] kaum. Das Gleichnis [...] geht nicht auf.“

Was wie die völlig entgeisterte Reaktion eines provinziellen DDR-Filmkritikers klingt, der nachts mit seinem SED-Parteibuch unter dem Kopfkissen schläft (auf den ersten Blick las sich das so für mich auf der deutschen Wikipedia-Seite des Films), sind übrigens die Worte des Wuppertaler Science-Fiction-Schriftsteller Ronald M. Hahn. Das Gleichnis geht also nicht auf – aber wer braucht schon Gleichnisse, wenn es fetzige Nackttanzeinlagen auf LSD und Bösewichte mit blauen Haaren und Dracula-Capes gibt? Als „straighter“ Science-Fiction-Film wäre IM STAUB DER STERNE lediglich nur solide inszeniert, wahrscheinlich nach der Hälfte der Laufzeit schon etwas dröge – und würde wohl von mehr Zuschauern geschätzt und vor allem ernst genommen werden. Das selbe Schicksal ereilte später ja auch den wohl besten und vor allem bizarrsten und irrsinnigsten Teil von STAR WARS (RETURN OF THE JEDI). Mit 800.000 Zuschauern lief IM STAUB DER STERNE bei den ostdeutschen Zuschauern jedenfalls ganz gut (auf die heutige Bundesrepublik hochgerechnet wären das 3,75 Millionen Kinobesucher). Trotz seines Hangs zum Irrsinnigen blieb er trotz allem – ein Mainstream-Film für das breite Publikum.

Mit Gottfried Kolditz hatte IM STAUB DER STERNE tatsächlich einen der produktivsten Routiniers des Genre-Films in der DDR auf dem Regiestuhl sitzen. Kolditz begann in den 1950er Jahren als Schauspieler und Regisseur an verschiedenen Theatern, wechselte dann zur DEFA. Dort machte er sich rasch einen Namen als fähiger und dennoch durchaus experimentierfreudiger Regisseur von Märchen-Filmen und Musicals. Kolditz blieb Ende der 1960er Jahre weiterhin dem Genrefilm verpflichtet, nun als Spezialist für Science-Fiction und Westerns bzw. sogenannte „Indianerfilme“. Kurz vor dem Dreh eines neuen Indianerfilms starb der gebürtige Sachse 1982 mit nur 59 Jahren bei Drehvorbereitungen in Dubrovnik, IMDb meint alternativ Ljubljana – DER SCOUT wurde auf Grundlage von Kolditz' Drehbuch von Dshamjangijn Buntar und Konrad Petzold noch gedreht.
Jim Morton bezeichnet Kolditz als einen der besten Regisseure der DDR, als ein Filmemacher, der trotz der extremen Genre-Disparität zwischen seinen Filmen immer ein sehr gutes Gespür für Inszenierung, Farbdramaturgie und Musikuntermalung hatte. Bis auf die Westerns (bzw. „Indianerfilme“) enthalten gemäß Morton nicht nur die Musicals, sondern praktisch alle Kolditz-Filme eine Musical-Nummer oder zumindest ein musikalisches Intermezzo – so natürlich auch IM STAUB DER STERNE, wo es reichlich Musik bei der Party und beim Nackttanz gibt. Kolditz war in seiner Karriere mehrmals bei internationalen Filmprojekten beteiligt. Der Märchenfilm DIE GOLDENE JURTE von 1961, eine deutsch-mongolische Produktion, inszenierte Kolditz etwa in Co-Regie mit dem Mongolen Rawsha Dorshpalam, basierend auf einer Erzählung des mongolischen Autors Sengiin Erdene. Der Science-Fiction-Film SIGNALE – EIN WELTRAUMABENTEUER war eine deutsch-polnische Ko-Produktion, gefilmt auf 70mm in Polen mit einer deutsch-polnisch-sowjetisch-rumänischen Crew, ein Film, der wohl so etwas wie die osteuropäisch-sozialistische Antwort auf Kubricks 2001: A SPACE ODYSSEY sein sollte. Gemäß Morton ziehe SIGNALE gegenüber 2001 ganz klar den kürzeren im Bereich der Effekte und sei im direkten Vergleich zu IM STAUB DER STERNE weniger interessant, besteche aber mit einigen interessanten Szenen, so etwa ein verspieltes musikalisches Intermezzo in der Schwerelosigkeit. Seine Westerns drehte Kolditz hingegen größtenteils in Rumänien. Hier filmte Kolditz, nach seinem eigenen Drehbuch, auch IM STAUB DER STERNE, und zwar bei den Schlammvulkanen von Berca (beim englischen Wikipedia-Artikel finden sich einige Bilder, die nach der Sichtung des Films durchaus bekannt vorkommen) sowie in einer stillgelegten Salzmine in der Nähe. Die Innenszenen wurden in Babelsberg gedreht.

Ein anderer großer Routinier des ostdeutschen Films, der an IM STAUB DER STERNE mitwirkte, war der Komponist Karl-Ernst Sasse. Der gebürtige Bremer war von Haus aus klassisch ausgebildeter Komponist und Dirigent und arbeitete in der DDR parallel im „klassischen“ Musikmilieu – so als Chefdirigent des Sinfonieorchesters Halle (heute Staatskapelle Halle) – und in der ostdeutschen Filmindustrie. Als Leiter des DEFA-Sinfonieorchesters in Potsdam-Babelsberg war er mit der Einspielung von Filmkompositionen beauftragt, komponierte aber rasch auch eigene Filmmusik. Seine 40-jährige Karriere als Filmkomponist umfasst fast 200 Filme für Kino und Fernsehen, darunter den 1965 verbotenen KARLA, unzählige Indianerfilme, Literaturverfilmungen wie DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN und LOTTE IN WEIMAR, mehrere POLIZEIRUF-Episoden bis hin zu – nach der deutschen Einheit – Rosa von Praunheims Hirschfeld-Biopic DER EINSTEIN DES SEX sowie mehrere Neukompositionen für Stummfilme (DER GOLEM, DER MÜDE TOD, DER LETZTE MANN, ASPHALT). Jim Morton betont auf seinem Blog, wie unglaublich vielfältig Sasse (nicht nur bei Kolditz-Filmen) war, dass er sich mühelos zwischen Jazz, Rock, Klassischem und Elektronisch-Avantgardistischem bewegte. Für IM STAUB DER STERNE hat er neben dem gediegenen Titellied für Gitarre und Frauenchor eine Musik komponiert, die sich wie bereits erwähnt im Grenzbereich zwischen Prog-Rock und Jazz-Fusion bewegt, mit einigen abstrakten, elektronischen Elementen – eine fetzige, mitreissende und stimmige Musik. Sasse und Kolditz verband bis zum Tod des letzteren eine lange Zusammenarbeit. Sasse dirigierte die Musik zu Kolditz‘ Musicals DIE SCHÖNE LURETTE, REVUE UM MITTERNACHT sowie GELIEBTE WEISSE MAUS. Später komponierte er die Musik zu Kolditz‘ Westerns BRENNENDE ZELTE IN DEN SCHWARZEN BERGEN und ULZANA (und für den von Kolditz geschriebenen DER SCOUT) sowie zu all seinen drei Science-Fiction-Filmen, neben dem hier besprochenen auch den bereits erwähnten SIGNALE – ABENTEUER IM WELTRAUM sowie DAS DING IM SCHLOSS.

Weder für den Produktionsdesigner Gerhard Helwig, noch für den Kameramann Peter Süring, noch für die Kostümdesignerin Katrin Johnsen, die drei Personen, die hinter der Kamera nebst Kolditz und Sasse wohl den größten Beitrag zum Gelingen von IM STAUB DER STERNE geleistet haben, finde ich in den jeweiligen Werkslisten viel Bekanntes. Süring und Johnsen arbeiteten mit Kolditz noch bei seinem letzten Science-Fiction-Film DAS DING IM SCHLOSS zusammen. Gerhard Helwig hat beim Set-Design von DIE ABENTEUER DES WERNER HOLT mitgewirkt und ist der einzige der drei, dessen Karriere nicht sofort mit der Wende ein Ende fand.

Eine erstklassige internationale Besetzung:
Jana Brejchová, Leon Niemczyk,
Alfred Struwe, Milan Beli
Die fünf wichtigsten Figuren von IM STAUB DER STERNE werden von Darstellern aus vier verschiedenen Ländern gespielt. Jana Brejchová, die Hauptdarstellerin, war nicht nur die zeitweilig die Ehefrau des Neue-Welle-Regisseurs Miloš Forman und später des Schauspielers Vlastimil Brodský, sondern eines der berühmtesten Gesichter des tschechischen Kinos und Fernsehens. Sie war allerdings auch west- wie ostdeutschen Zuschauern bekannt, etwa in der Tucholsky-Verfilmung SCHLOSS GRIPSHOLM von 1963.
Der Pole Leon Niemczyk, ein Veteran des Warschauer Aufstands und zeitweilig Soldat der US-Armee im besetzten Deutschland, verbrachte in der stalinistischen Ära einige Zeit im Gefängnis für versuchte Republikflucht. Er begann als Schauspieler beim Arbeitertheater und wechselte dann zum Kino. Er spielte in vielen Filmen von Regisseuren, die im weitesten Sinne der „nouvelle vague polonaise“ zugerechnet werden können: CŁOWIEK NA TORZE und EROICA von Andrzej Munk, POCIĄG von Jerzy Kawalerowicz, international am berühmtesten dürfte aber seine Rolle als der Ehemann in Roman Polańskis NÓŻ W WODZIE sein. Auch ostdeutschen Zuschauern war er durch seine Beteiligung an Spielfilmen der DEFA ein bekanntes Gesicht – unter anderem als Nebenrolle in ostdeutschen Westerns, darunter Kolditz‘ APACHEN. Niemczyk starb im November 2006 – vier Tage nach der polnischen Premiere von David Lynchs INLAND EMPIRE, der teilweise in Polen gedreht worden war und in dem Niemczyk eine Nebenrolle spielte. Niemczyk, dessen Name übrigens so viel wie „Deutsch“/„Der Deutsche“ bedeutet, war auch im privaten Leben ein kosmopolitischer Mensch: er war sechs Mal verheiratet, doch keine einziges Mal mit einer polnischen Frau. 
Alfred Struwe, der den Navigator Suko spielt, war hingegen hauptsächlich in ostdeutschen TV-Filmen und TV-Serien zu sehen – die einzigen davon, die mir persönlich etwas sagen, ist der POLIZEIRUF 110. Kolditz und er kannten sich bereits von dem Indianerfilm ULZANA (1974 – ob der Film ein direkter Versuch ist, an Robert Aldrichs ULZANA‘S RAID von 1972 anzuknüpfen, kann ich nicht beurteilen). Milan Beli, der den Sicherheitschef Ronk spielt (er sieht aufgrund seines Kostüms nicht so furchterregend aus, wie er sollte – dafür knallt er zwischendurch mit einem Pistolenkugelschreiber zum Spaß Modellflugzeuge ab), war gebürtiger Serbe, arbeitete aber gar nicht in der jugoslawischen Filmindustrie. Abgesehen von einer Nebenrolle in Erwin Dietrichs Nazi-Sexploitation-Film EINE ARMEE GRETCHEN (der internationale Titel „She-Devils of the S.S.“ war markanter) spielte er nur in ostdeutschen Produktionen mit, unter anderem als Bösewicht in Indianerfilmen. Auch er war gewissermaßen ein Kolditz-„Regular“ und war in dessen ULZANA und DAS DING IM SCHLOSS zu sehen.
Üblicherweise weder im Fernsehen, noch im Kino, sondern im Theater war der größte Besetzungsstreich von IM STAUB DER STERNE zu sehen, nämlich Ekkehard Schall, der den exzentrischen, narzisstischen Chef der Tem-Besatzer mit seinen Neigungen zu merkwürdigen Haarfarben und Kostümen spielt. Schall war ein Urgestein des Berliner Ensembles, wo ihn Bertolt Brecht 1952 geholt hatte. Dort blieb er bis 1995 als Darsteller und Regisseur, lange Jahre auch als stellvertretender Intendant. Der vielfach in Ostdeutschland und auch international preisgekrönte Theaterschauspieler galt als einer der größten Brecht-Darsteller in der DDR (nicht nur auf den Bühnen, sondern auch bei Brecht-Verfilmungen für das Kino und das Fernsehen). Die Rolle des namenlosen Chefs der Tem-Besatzer war sicherlich eine schöne und interessante Abwechslung für Schall, und noch mehr als bei den anderen scheint man ihm anzumerken, dass er wohl beim Dreh Spaß gehabt haben muss. 

Vom Berliner Ensemble zum psychedelischen Planeten Tem:
der wunderbare Ekkehard Schall als exzentrischer Chef

IM STAUB DER STERNE gibt es in zwei, wahrscheinlich identischen Editionen auf DVD zu sehen, einmal als Einzelfilm, einmal als Teil der „Science-Fiction-Special-Edition“ zusammen mit EOLOMEA und DER SCHWEIGENDE STERN. Beide Editionen kommen vom Icestorm-Label, das exklusiv die Filme der DEFA-Stiftung auf DVD vertreibt.
In beiden Editionen gilt der Film gemäß OFDb als gekürzt, was folgenden Hintergrund haben könnte: offenbar wurde aus dem Vorspann und dem Nachspann das Logo gekürzt, das darauf hinweist, dass der Film von der Künstlerischen Arbeitsgruppe defa futurum produziert wurde. Allerdings fehlen mehr als nur ein paar Sekunden, die dieses Logo ausmachen würde. Es fehlt auch jegliche Spur von einem Nachspann: wie bei fast allen Filmen, die das Label Icestorm veröffentlicht, wird das Ende recht abrupt abgeschnitten und das unfassbar hässliche Banner „Bundesarchiv – Filmarchiv – DEFA-Stiftung“ zusammen mit einem Copyright-Vermerk eingeblendet. Und wie bei allen Editonen des Labels Icestorm wird auch IM STAUB DER STERNE nicht-anamorph präsentiert, wenngleich hoffentlich – aber vollkommen sicher bin ich mir da nicht – im richtigen Bildformat, zumindest aber mit halbwegs okayer Bildqualität.
Nun... über den Anlass der Deutschen Einheit in diesen Tagen wollte ich eigentlich keine großen Worte verlieren, aber vielleicht wäre es jetzt, immerhin 26 Jahre „danach“, mal an der Zeit, dass das Filmerbe der DDR nicht mehr einem vorgestrigen Ramsch-Label überlassen wird, das noch nie etwas von anamorpher Codierung gehört hat, oder von ästhetisch ansprechender Cover-Gestaltung, oder davon, dass man Abspänne vielleicht nicht durch hässliche Copyright-Vermerke ersetzen sollte oder, bei sowjetischen Filmen, davon, dass manche Leute heutzutage gerne auch die Originalsprachfassung sehen möchten, und wenn es geht vielleicht sogar auch noch im richtigen Bildformat. So ungnädig, unwürdig und schäbig wird wohl kaum irgendeine Gruppe von Filmen in Deutschland behandelt. Bis sich das allerdings geändert hat, bleibt die Icestorm-Edition von IM STAUB DER STERNE (und vieler anderer Filme) alternativlos – leider.

Sonntag, 2. August 2015

Ein erotisches Kuleschow-Experiment an der Adriaküste

VERFÜHRUNG AM MEER / OSTRVA
Bundesrepublik Deutschland / Jugoslawien 1963
Regie: Jovan Živanović
Darsteller: Peter van Eyck (Peter), Elke Sommer (Eva)


„Eine miserabel gespielte und schlecht inszenierte Kolportage-Geschichte, deren Ansätze zu spekulativer Erotik unfreiwillige Heiterkeit erzeugen könnten, wenn der Film nicht so extrem langweilig wäre.“ So urteilte das Lexikon des internationalen Films in dem ihm so typischen Duktus über VERFÜHRUNG AM MEER - einem in vielerlei Hinsicht absolut bemerkenswerten Film (weshalb er in meinem großen persönlichen Filmkanon des Jahres 2014 Eingang gefunden hat).

Eva zieht im Dorf die Blicke aller Männer auf sich, interessiert
sich aber nur für eine der umliegenden Inseln und ihrem
mysteriösen Herrn
Worum geht es? Eine junge Frau (Elke Sommer) erhält in Berlin von einem dubiosen älteren Paar einen mysteriösen Auftrag, der sie an die jugoslawische Adria-Küste bringt. Mit ihrem natürlichen Charme verdreht sie dort allen Männern, ob jung und alt, den Kopf, doch sie interessiert sich nur für die umliegenden, angeblich vollkommen unbewohnten Inseln, die sie mit einem Boot abfährt. Eine der Inseln wird offenbar doch von einem Bewohner für sich reklamiert: ein unfreundliches Schild, ein Gewehrschuss, bellende deutsche Schäferhunde vertreiben Eva rasch von diesem Eiland. Sie kehrt dennoch zurück und lernt schließlich den Bewohner kennen: Peter (Peter van Eyck), ein Einsiedler, der von der Zivilisation abgewandt in einer improvisierten Bretterhütte haust und sich autark mit Fischerei versorgt. Eva setzt alles daran, diesen freiwilligen „Robinson“ zu verführen - dies gehört offenbar zu ihrem Auftrag, denn zwischendurch kehrt sie an die Küste zurück und telefoniert mit ihrer dubiosen Auftraggeberin. Deren Plan wird jedoch durchkreuzt, als sich auch Eva wirklich in Peter verliebt...

Nur anhand der Inhaltszusammenfassung könnte man hinter VERFÜHRUNG AM MEER eine Altherrenfantasie vermuten, die in biederer Inszenierung öde vor sich hinschmiert. Tatsächlich haben wir es bei diesem faktischen Zweipersonenkammerspiel auf einer mediterranen Insel mit einem Film zu tun, der eine ungeheuerliche und sehr erotische Energie entwickelt, und dabei immer ein Quäntchen Mysterium behält.

VERFÜHRUNG AM MEER funktioniert in erster Linie über die Montage. Diese treibt den Film voran, indem sie narrative Erklärungen teils brutal abwürgt und dafür auf Emotionalisierung und Affekt setzt. So wird schon der Prolog, in dem Eva ihren Auftrag erhält, abrupt unterbrochen: sie und ihre Auftraggeberin kommen gerade zu den Details, als die ältere Frau die jüngere fragt, ob sie etwas trinken wolle, „Kaffee? Oder Cognac“ - Schnitt - zu der jungen Frau, die bereits auf dem Adria-Dampfer ist und an der Schiffsbar einen Cognac nimmt. Einen ähnlichen „matching cut“ gibt es später an dem Küstendorf, wo der lokale Beau (eigentlich Gigolo) Eva nachstellt und sie fragt, ob er für sie den Mond stehlen solle. Sie bittet ihn darum, die Tafel am Badestrand zu klauen, an der für Touristen die Wasser- und Lufttemperatur des Tages vermerkt ist (und die in früheren Szenen en passant gezeigt wurde). Schnitt - Eva befindet sich auf der Insel des Einsiedlers und verfasst darauf eine besänftigende Nachricht.

Die Verweigerung, im ersten Drittel den „Auftrag“ zu erklären, wäre in einem anderen Film ein Aufhänger für eine Spannungssituation. Nicht hier jedoch. Die „Motivation“ des „Auftrags“, die ganz am Ende noch nachgereicht wird, scheint fast schon ein Zugeständnis an plotgesättigte Zuschauererwartungen zu sein. Wer mit solchen an den Film rangeht, wird ihn vermutlich tatsächlich „extrem langweilig“ finden. VERFÜHRUNG AM MEER ist im Kern ein Film darüber, wie sich eine junge Frau in einer Situation verliert und sich verliebt, weil irgendetwas an dem Einsiedler oder irgendetwas an seiner Lebenssituation ihn reizt. Als „schwierig, schweigsam, ohne Charme, verwöhnt, grob, müde“ beschreibt sich Peter selbst gegen Ende des Films. Eva kann ihm nur antworten, dass sie schon immer genau so einen Mann gesucht habe. VERFÜHRUNG AM MEER zeigt einen Prozess, in dem aus der kalkulierenden Eva, die eiskalt auf Geld aus ist und gegenüber Peter zunächst sehr theatralisch aufspielt, eine liebende Eva wird; und wie aus dem abweisenden, eigenbrötlerischen Peter ein liebender Peter wird. Diesen Prozess hält VERFÜHRUNG AM MEER in tatsächlich verführerischen, erotischen und oft mysteriösen Bildern fest. Der Moment, in dem es bei den beiden „Klick“ macht, ist undeutlich (und irgendwie ist das ja auch wie im wirklichen Leben). Der Film etabliert aber eine Grundatmosphäre, in dem dieser Prozess möglich wird und inszeniert die Umgebung, in der sich Eva und Peter befinden, als Raum, der mit erotischem Knistern und mit begehrenden Blicken angereichert wird, als Resonanzraum, der auf die Annäherungen zwischen den beiden zu reagieren scheint.

Auf eine kurze Formel ausgedrückt: über weite Strecken funktioniert VERFÜHRUNG AM MEER wie erotisches (und von den Füßen auf den Kopf gestelltes) Kuleschow-Experiment. Scheinbar neutrale, oder um es in der Sprache des Lexikons des internationalen Films auszudrücken, langweilige Bilder, werden durch die Montage mit erotischer Spannung aufgeladen.

Am deutlichsten wird dies an einer Einstellung, bei der man Kiesgeröll einen Abhang hinunterrollen sieht. Diese kommt direkt nach einer Einstellung, in der Eva auf der Inselküste ihre Bluse ausgezogen und begonnen hat, sich in einem knappen Bikini zu sonnen, um Peters Blicke auf sich zu ziehen (gesehen aus einer relativ großen Distanz von oben - eine voyeuristische Perspektive andeutend). Ein erotisches Bild wird mit einer banalen Naturimpression verbunden. Später im Film wird die Geröll-Einstellung fast identisch wiederholt, nachdem Eva eine Botschaft auf dem geklauten Temperaturenschild geschrieben hat: keine vordergründig erotische Szene, doch durch das wiederholte Geröllbild wirkt die gesamte Situation dennoch wieder aufgeladen.

Sonnenbad (beobachtet von voyeuristischer Position), gefolgt von Geröll
Tafel platzieren, gefolgt von erotisch aufgeladenem Geröll
Solche merkwürdigen Montagen durchziehen den gesamten Film: immer wieder schneidet er von Elke Sommer in mehr oder minder anzüglichen Posen auf die Umgebung - auf die Meereswellen, auf einen schwankenden Schiffsmast, auf kreischende Möwen im Himmel. Irgendwann hat dies die Nebenwirkung, dass das Meer im Hintergrund, das Möwengeschrei auf der Tonspur, das Bild eines Bootes am Strand eine eigene Erotik entwickeln. Die Spitze dieser Inszenierung findet sich, als Peter und Eva sich am Strand leidenschaftlich küssen und auf den Boden niedersinken. Ein Schnitt führt uns zu einer Felsenverengung am Ufer, die von einer tosenden Welle aufgefüllt wird: ein Explizite-Sexszene-Vermeidungsschnitt-mit-Symbolbildcharakter, der sich gut in den Rest des Films einbettet.

Von Evas Beinen zu den Möwen
Von Eva und ihrem Rücken zum Meer und wieder zu den Möwen
Sex on the Beach - sexy Montage
Diese Montagetechnik lädt die scheinbar zufällige, „neutrale“ Umgebung nicht nur auf, sondern macht sie auch zum Beobachter, gar zum Voyeur. Als Eva von Peter recht schroff von der Insel verwiesen wird, bereitet sie sich zum Gehen auf, doch bevor sie ins Boot steigt, kommt ihr ein Gedanke: sie nimmt ihre Schwimmflossen und „verbummelt“ sie hinter einem Busch, wohl um später einen Vorwand zu haben, auf die Insel zurückzukehren. Ein ganz kurzer Zwischenschnitt zeigt eine Ziege. Mit einfachen, aber effizienten Mitteln wird gleich deutlich gemacht, dass Eva bei ihrem Manöver beobachtet wird (und wenn Peter sie später genau darauf anspricht, erinnert sich der Zuschauer daran, dass sie tatsächlich beobachtet wurde).

Ganz ohne diese Techniken arbeitet die vielleicht bemerkenswerteste Szene von VERFÜHRUNG AM MEER. Peter und Eva, mittlerweile ein Paar, bereiten sich auf einen Kinobesuch vor. Sie zieht ein hübsches Abendkleid an, er einen Anzug mit Krawatte. Sie treten aus dem Haus, also Peters Bretterhütte, und rufen ein Taxi. Da keines vorbeikommt, gehen sie eben zu Fuß. Auf dem Weg zum Kino entscheiden sie, dass sie einen Liebesfilm schauen wollen. Sie kommen an der Kasse (einem Baum) an: sie kauft die Tickets, dann betreten sie den Saal und müssen sich dann an bereits sitzenden Zuschauern vorbei auf ihre Sitze schmuggeln. Eva entschuldigt sich mehrmals, als sie aus Versehen Co-Zuschauer stört. Während der Film läuft, lobt sie das Spiel des Hauptdarstellers, den Peter als John Dos Passos identifiziert. Eva, die sehr wohl weiß, dass Dos Passos ein Schriftsteller ist, bringt das zum schmunzeln und sie spricht ihn auch darauf an. Peter begeistert sich hingegen eher für die Hauptdarstellerin (die „voyeuristische“ Inselziege). Als Eva Anzeichen von Eifersucht zeigt, legt ihr Peter den Arm um die Schultern und fordert seine Co-Zuschauer dazu auf, ihm das nicht übel zu nehmen. Schließlich küssen sich die beiden und die Kamera enthüllt, dass er die ganze Zeit seine Hauspantoffeln und sie ihre Gummistiefel trug.

Sich schick machen, Tickets kaufen, bei Co-Zuschauern um Verzeihung bitten
Der Liebesfilm läuft, doch die beiden möchten im Kinosaal lieber rumknutschen
Die beiden, die gerade eine Art Idylle durchleben, mimen selbstbewusst und parodierend ein bürgerliches Leben in einer ganz und gar unbürgerlichen Umgebung und haben sichtlich Spaß daran. Es ist vielleicht der Moment, in dem deutlich wird, dass die Beziehung der beiden tatsächlich etwas Handfestes geworden ist, und in dem beide Figuren im Umgang miteinander jegliche Doppelbödigkeit haben fallen lassen. Der „Kinobesuch“ ist passend auch ein Moment, in dem sich die angestaute Spannung des Films humoristisch entlädt, in dem die Figuren ebenso wie die Zuschauer sich etwas entspannen können - durchaus in einer bewußten Komplizenschaft, denn Eva wie auch Peter brechen mehrmals die vierte Wand, wobei der jeweilige Adressat ein imaginärer Co-Zuschauer im imaginären Kino ist. Ein Kommentator bei IMDb erinnerte dieser Bruch der vierten Wand an französische nouvelle-vague-Filme.

Ganz falsch ist diese Bemerkung nicht, doch eigentlich war die Welle nicht französisch, sondern jugoslawisch und „schwarz“: VERFÜHRUNG AM MEER ist eine Produktion Artur Brauners, mit zwei deutschen Hauptdarstellern, doch die komplette restliche Crew war jugoslawisch, mit teils persönlichen Verbindungen zur „Jugoslawischen Schwarzen Welle“ (über die ich bereits hier und hier schrieb). Regisseur Jovan Živanović, der in den 1940er Jahren seine Filmkarriere begann und zunächst vor allem im Dokumentarfilmbereich tätig war, inszenierte in den 1960er Jahren vor allem Melodramen mit einer pessimistischen Sicht auf den jugoslawischen Lebensalltag. Sein urbanes Melodrama ČUDNA DEVOJKA („Studentenliebe“) von 1962 wurde als „kitchen sink realism“ auf Jugoslawisch bezeichnet. UZROK SMRTI NE POMINJATI („Do Not Mention The Cause Of Death“), das in einem Dorf während des Zweiten Weltkriegs spielt, sorgte wohl 1968 für starke politische Kontroversen. I BOG STVORI KAFANSKU PEVAČICU (“Und Gott schuf die Wirtshaussängerin”) von 1972 vermischt pessimistischen Realismus, Melodrama und Folklore-Musical-Elemente und gilt unter Kennern als Wegmarke der späten Jugoslawischen Neuen Welle.

Kameramann Stevan Mišković war bereits in den 1930er Jahren im Filmbereich aktiv. Sein Haupttätigkeitsbereich war jedoch nicht der Spiel-, sondern der Dokumentarfilm (etwas, was man den Bildern von VERFÜHRUNG AM MEER nicht unbedingt wirklich ansieht). Seine „schwarze“ Verbindung war seine Mitarbeit mit dem berühmten Skandalregisseur Dušan Makavejev an dessen kontroversen Dokumentarfilm/Mockumentary/Essay NEVINOST BEZ ZASTITE (“Unschuld ohne Schutz”).

Die mazedonische Cutterin Jelena Bjenjas arbeitete wiederholt mit Jovan Živanović. Später schnitt sie auch Filme von Miodrag Popović und Vojislav Rakonjac, zwei zentralen Figuren der „Schwarzen Welle“.


VERFÜHRUNG AM MEER ist in einer deutschen DVD-Edition erhältlich. Diese ist zwar ziemlich schmucklos, enthält aber den Film in einer recht guten Bild- und Ton-Qualität. Der Film liegt nur in einer deutschen Tonfassung vor. Gemäß IMDb ist die Originalsprache des Films Serbokroatisch. Falls es sich tatsächlich um eine Synchronfassung handelt, dann hat sich für diese auf jeden Fall Peter van Eyck selbst eingesprochen.

Montag, 22. Juni 2015

Howard Hawks zu Gast bei Jess Franco

X312: FLUG ZUR HÖLLE
Bundesrepublik Deutschland / Spanien 1971
Regie: Jess Franco
Darsteller: Thomas Hunter (Tom), Esperanza Roy (Anna Maria Vidal), Fernando Sancho (Bill der Steward), Gila von Weitershausen (Steffi), Siegfried Schürenberg (Alberto Rupprecht), Howard Vernon (Pedro)


Vor einigen Wochen schrieb ich in meinem Bericht zum goEast-Festival 2015 über einen Film, der die „trashig-sleazige“ Seite von Artur Brauners Wirken als Filmproduzent veranschaulichte. Nun, im Gegensatz zur „Riskanten Welle“, die sich auf einen Film beschränkte (also ČOVEK I ZVER), war Brauner in diesem Bereich etwas umfangreicher tätig. So produzierte er ab Anfang der 1970er Jahre mehrere Filme des Eurosleaze-Papstes Jess Franco, darunter VAMPYROS LESBOS, DR. M SCHLÄGT ZU (eine Art Mabuse-Ripoff, wenn man das wirklich so sagen möchte), DER TODESRÄCHER VON SOHO (nach einer Vorlage von Edgar Wallaces Sohn Bryan Edgar) – und eben X312: FLUG ZUR HÖLLE. Das Arbeitsverhältnis Brauners mit Franco war wohl enger als mit Menahem Golan, da er mit dem Spanier zusammen auch die Drehbücher verfasste.

Stets mit charmantem Lächeln, oft mit schmackhaftem
Drink in Griffweite: Tom (hier im Beicht-Modus)
Irgendwo in einer brasilianischen Küstenstadt lässt sich ein etwas müde aussehender Mann zu einem Bürogebäude chauffieren. Dort setzt er sich in einen Arbeitsraum, greift nach den beiden Arbeitsgegenständen, die er in den nächsten Stunden brauchen wird – nämlich eine Flasche Scotch mit Glas und ein Diktiergerät – und beginnt seine Erzählung, oder man möchte fast sagen: seine Beichte. DOUBLE INDEMNITY-mäßig erinnert er sich an die vergangenen, todbringenden Ereignisse. Tom, der im „wahren“ Leben als Reporter arbeitet, ist zusammen mit einer Gruppe von mehr oder minder bizarren Passagieren in einem holprigen Flugzeug aus Chile geflohen (wir schreiben das Jahr 1971: Salvador Allende ist der erste Marxist, der in demokratischen Wahlen Ende 1970 zum Präsident eines lateinamerikanischen Landes gewählt wurde – für manche Leute in Chile und international ein geradezu apokalyptisches Ereignis, wesentlich apokalyptischer als die Ereignisse Ende 1973. Jedenfalls greift der Film diese „Rote-Socken“-Panik auf, zumindest am Rande). Unter Toms Co-Passagieren findet sich ein hunde- und männerliebender spanischer Adeliger, eine ultranervige US-amerikanische Touristin, die naive junge Wienerin Steffi, ein junger Mann namens Carlos, der besagter Steffi schöne Augen macht, der grobschlächtige Steward Bill und eine mysteriöse Schönheit namens Anna Maria Vidal. Vor allem aber fliegt der ehemalige Chef der chilenischen Nationalbank Alberto Rupprecht mit einem Aktenkoffer voller Kostbarkeiten mit. Dumm nur, dass dies nicht geheim gehalten wurde und er nur einen Bodyguard dabei hat, der sich auch noch auf dem Flugzeugklo wie ein kleiner Amateur von einem Gangster erschießen lässt. Der Gangster allerdings, der den Auftrag hat, die Maschine zu einem mit seinen Auftraggebern ausgemachten Treffpunkt umleiten zu lassen, ist auch nicht der Geschickteste: den Piloten kann er im Cockpit nicht unter Kontrolle bringen und die Maschine stürzt ab. So findet sich die illustre Gesellschaft mitten im brasilianischen Dschungel wieder. Der Survival-Marsch beginnt. Würze in das ganze bringt die Tatsache, dass alle auf den Inhalt von Alberto Rupprechts Koffer neugierig sind, und die gröberen unter ihnen (zum Beispiel der Steward Bill) durchaus bereit sind, über Leichen zu gehen.

So weit, so banal, möchte man sagen. X312: FLUG ZUR HÖLLE könnte ein fürchterlicher Langweiler sein (und die ersten zehn Minuten deuten ein wenig in diese Richtung). Dennoch ist der Film, wenn man keine allzu bornierte Sichtweise auf Kino und seine Magie hat, wunderbar gelungen. Und zugespitzt ausgedrückt könnte man sagen: er ist gelungen, trotzdem Jess Franco auf dem Regiestuhl saß und gleichzeitig eben weil der exzentrische Spanier den Film gedreht hat.

Zum „trotzdem“: X312: FLUG ZUR HÖLLE ist ein Actionfilm mit leichtem Survival-Thriller-Touch, also ein Stoff, der eine effiziente, ökonomische, dynamische Inszenierung verlangt, mit einem Drehbuch, das recht schnörkellos von A nach B führt. Das sind nicht gerade Attribute, die man mit Jess Franco in Verbindung bringt, bei dem eine Striptease-Szene sich auch über ganze fünf Minuten hinziehen kann und dessen Filme im Allgemeinen eher frei assoziativ als kompakt zusammengeschnürt sind. Die Gratwanderung gelingt ihm dennoch und mit X312: FLUG ZUR HÖLLE ist etwas herausgekommen, das man wohl als so etwas wie einen „straighten“ Jess-Franco-Actionfilm bezeichnen kann (aber bei über 200 Filmen kann es durchaus vielleicht noch ein weiteres halbes Dutzend von dieser Sorte geben).

X312: FLUG ZUR HÖLLE ist tatsächlich als Actionfilm im wörtlichen Sinne inszeniert, als Aktionsfilm, als Film der permanenten Bewegung. Bei Franco bewegt sich die Kamera meistens nicht, sie zoomt, rein, raus, wieder rein, und das nicht zu wenig. Und was hier Franco liefert, ist ein schwindelerregendes Crashzoom-Feuerwerk ohnesgleichen. Kein Stillstand, immer Bewegung, Schnitt von einem Zoom in den nächsten. X312: FLUG ZUR HÖLLE wurde mehr am Schneidetisch realisiert als „in“ der Kamera. Das betrifft natürlich auch den Zusammenschnitt aus holprigen Studiodrehs mit Aufnahmen, die sehr offensichtlich von der Second Unit gedreht wurden oder gar Stockmaterial sind und der bei Jess Franco fast schon als „auteuristisches“ Statement erscheinen kann. Was in einigen seiner anderen Filme nicht recht überzeugt, weil es den Bogen dann doch überspannt, funktioniert hier wunderbar. Franco übt sich sogar ein wenig darin, Stockmaterial zu sparen, wenn die Explosion des Flugzeugwracks so gefilmt wird, dass sie nur zu hören bzw. auf den schockierten Gesichtern der Verunglückten zu sehen ist.

So schön kann es sein, sich zu verlieben!
Wohldosierte Zärtlichkeit in einer erbarmungslosen Welt
In den ersten Minuten des Films überwog bei mir noch die Skepsis. Die „Vorstellung“ der Flugpassagiere durch Tom im Off weckte mein Interesse, weil die teils gekippt gefilmten Bilder der Gesichter so bizarr und elliptisch zusammengeschnitten wurden. Die kurze Zwischenlandung in einer schmierigen Dschungelbar (wo Alberto Rupprecht zusteigt) nahm mich schließlich ganz für den Film ein. Steffi, die Wienerin, sitzt Carlos gegenüber. Den Kuschelbär, den sie im Flugzeug auf dem Nebensitz angeschnallt hatte, hat sie für die Zwischenlandung mit raus genommen (wie sie überhaupt auch später im Dschungel den Teddybären immer mit sich und ihn sogar zwischendurch zu Carlos' Radio tanzen lässt!). Carlos hingegen hat sein tragbares Radio auf den Tisch gestellt: es läuft gerade ein leichter Schlager und der Junge Mann beginnt, fröhlich die Melodie mitzupfeifen, während er die Wienerin dabei anschaut. Steffi, die bislang die Blicke Carlos‘ eher uninteressiert, wenn nicht sogar etwas genervt entgegennahm, fängt an zu lächeln! Später kriegen die beiden vor lauter Lächeln und Pfeifen gar nicht mit, dass es mit dem Flug weitergehen soll und der Steward muss sie schon sehr laut auffordern, mitzukommen. Die Szene in der schmierigen Dschungelbar ist überhaupt toll: das Dekor ist wahrscheinlich eher eine bundesdeutsche Kantine, aber das „Beba CocaCola“-Schild und ein Pflanzentopf mit brasilianischer Flagge teilen uns mit, dass wir uns im südamerikanischen Dschungel befinden. Bill tauscht ein paar Worte mit dem Kneipier aus (der für den Steward natürlich noch ein kaltes Getränk im Hinterzimmer übrig hat). Tom ist offenbar verkatert und deswegen trinkt er ein großes Glas Rum mit einer darin aufgelösten Aspirintablette. Die mysteriöse Schönheit namens Anna Maria Vidal, die später im Film wichtig wird, sitzt weiterhin hinten, raucht und sieht dabei verführerisch und mysteriös aus. Dann geht‘s weiter.

Edelsteine mit klangvollen Namen
Von Hawks‘ianischer Figurencharakterisierung zu sprechen ginge vielleicht zu weit, aber tatsächlich werden die Figuren in X312: FLUG ZUR HÖLLE hauptsächlich über ihre Handlungen und nicht über ihre Auslassungen charakterisiert. Stichwort Hawks: der hat zusammen mit einigen anderen großen Regisseuren ein kleines Cameo in einer der wohl wunderlichsten Details dieses an Details sehr reichen Films. In der Aktentasche des Alberto Rupprecht befindet überhaupt kein Geld, sondern gewöhnlicher Plunder – und ein unscheinbares Zigarrenkarton, das einige wertvolle Edelsteine enthält. Das findet Bill heraus, nachdem er Rupprecht ermordet und den Krokodilen zum Fraß gegeben hat. Die weggeworfene Zigarrenschachtel findet später Anna Maria Vidal, und darin befindet sich ein Papier mit der Auflistung der Edelsteine – und ihrer Namen!

Aufgelistet von den teuersten zu den billigsten (unter den Namen, die erkennbar sind) handelt es sich um:
[Howard] „Hawks“ – 374.000 $
[Buster] „Keaton“ – 325.000 $
[Nicholas] „Ray“ – 243.000 $
[Ernst] „Lubitsch“ – 198.000 $
[Max] „Ophuls“ – 145.000 $
[Josef von] „Sternberg“ – 121.000 $
[George] „Cukor“ – 120.000 $
[Alexander] „Dovjenko“ – 117.000 $
[Budd] „Boetticher“ – 90.000 $
„Scarface“ – 88.000 $ (zwei Mal Hawks kann nie schaden?)
(Ohne Pause- und Einzelbild-Funktion beim DVD-Player hätte ich Sternberg vielleicht nicht und Cukor sicherlich gar nicht entdeckt.)
Wenn ich den Film bis zu diesem Zeitpunkt auch schon vorher mochte: spätestens da habe ich mich in ihn verliebt. Mitten im Urwald in einem wilden Action-Survival-Exploiter eine Liste mit den „teuersten“ Regisseuren rauszuholen, das hat schon irgendwie Klasse! Ob das Francos und Brauners gemeinsame Liste ist? Dass Franco den Surrealisten Keaton, den expressionistischen Seelenerkunder Ray und den abstrakten Minimalisten Boetticher mochte, wäre zumindest nicht verwunderlich.

Nackte Haut; grausame Tode; Howard Vernon mit Bräunungscreme
und Goldkettchen; Faustkampf auf dem Lastwagen
X312: FLUG ZUR HÖLLE bleibt dennoch ganz und gar ein Franco-Film. Am deutlichsten wird dies in den Szenen, die man als „Sleaze-Inserts“ bezeichnen könnte. Anna Maria Vidal, die ausgiebig zur treibenden Musik Bruno Nicolais in einer Dschungelkaskade badet – dann wird sie von einer Schlange bedroht und von Tom gerettet, der ihr mitteilt, dass er sie wie die Schlange die ganze Zeit beobachtet hat. Oder Anna Maria Vidal, die später von der Freundin des schmierigen Dschungelgangsters Pedro (Howard Vernon mit angeklebtem Schnurrbart und Bräunungscreme) auf dessen Anordnung vergewaltigt wird, bevor er dann selber ranmöchte (dumm für ihn, dass er in seinem Zimmer Stichwaffen so offen rumliegen lässt).

Am Franco-istischsten ist vielleicht der Umgang mit dem gewaltsamen Tod der Figuren. So unfeierlich, dreckig, klanglos, gänzlich von jeglichem Pathos entledigt sterben in Filmen wohl nur wenige Figuren außerhalb des Franco-Universums. Das betrifft nicht nur „Pappkameraden“ am Rande, sondern den harten Kern der Figurenriege. Die zarte Liebe, die Franco zwischen Steffi, Carlos, seinem Radio und ihrem Teddybär sanft aufbaut, ist ein zartes Pflänzchen, das vor Pfeilen, Messern, Gruppenvergewaltigungen und Kopfschüssen nicht sicher ist. Ein einfaches Abenteuer-Survival-Filmchen mit Diamantenraub-Subplot hätte jeder drehen können. Für einen holprigen Exploiter voller irritierender Brüche, der weder schmachtenden Kitsch noch wahrhaftig Abgründiges verschmäht, der den Zuschauer zwischendurch geradezu auf die Schnauze fallen lässt, brauchte es schon einen Exzentriker wie Franco.

X312: FLUG ZUR HÖLLE ist in Deutschland auf einer DVD von Pidax erhältlich. Ton und Bild sind in Ordnung, wirklich mehr, was man auf dieser Edition gut oder schlecht finden könnte, gibt es nicht, außer vielleicht, dass der Film hier im Gegensatz zur britischen DVD offenbar ungekürzt ist.

Sonntag, 3. Mai 2015

Moskauer Straßen, kaukasischer Mais und immer wieder Krieg: das 15. goEast-Festival des mittel- und osteuropäischen Films



Freitag, 24. April 2015

16.00 Uhr, Caligari FilmBühne
GOLI (NAKED ISLAND)
Regie: Tiha K. Gucac
Kroatien 2014
75 Min., DCP

Die kroatische Insel Goli Otok (wörtlich: „nackte Insel“) wurde von 1949 bis 1989 als Strafgefangenenlager genutzt. In den Anfangsjahren diente sie vor allem als Internierungsort für Stalinanhänger und Sowjetunion-nahe Mitglieder der Kommunistischen Partei, die nach dem Bruch Jugoslawiens mit der UdSSR 1948 massiv verfolgt wurden. Tiha Gucacs Großvater gehörte zu den knapp über 16.000 Menschen, die auf Goli Otok interniert wurden. In GOLI arbeitet die kroatische Filmemacherin das Schicksal ihres Opas auf, sucht mehrere Menschen auf, die sie als kleines Kind „Onkel“ oder „Tante“ nannte (Mitgefangene ihres Großvaters) und begibt sich schließlich auf Spurensuche auf die Insel.
Als persönliches Projekt mag GOLI sicherlich seine Berechtigung haben. Als Dokumentarfilm finde ich ihn eher mäßig gelungen. Das Nachvertonen von Archivfilmen und -fotografien bei historischen Dokumentationen ist mir nach wie vor unsympathisch, zumal in einer solchen Penetranz. Nach etwa der Hälfte des Films verliert Gucac auch vollkommen ihren Fokus: intimes Portrait des Großvaters, persönliches Familienalbum, Erforschung der „stalinistischen“ Frühphase Jugoslawiens, Denkmal für die ehemaligen Gefangenen von Goli Otok, Rundumschlag über politische Repression im sozialistischen Jugoslawien, öffentlich ausgetragene Fehde mit Mutter und Vater – irgendwie will der Film all das zugleich sein, und so gelingt ihm auch keines davon.


18.00 Uhr, Murnau-Filmtheater
ČOVEK I ZVER (MAN AND BEAST)
Regie: Edwin Zbonek
Jugoslawien / Bundesrepublik Deutschland 1963
90 Min., 35mm


© Fotoarchiv des Deutschen Filminstituts – DIF
ČOVEK I ZVER war Teil der selektiven Artur-Brauner-Retrospektive, die das diesjährige Symposium des goEast-Festivals mit dem Untertitel „Der Produzent als Grenzgänger und Brückenbauer“ präsentierte. Im Mittelpunkt standen west-östliche, thematisch und und von den Bedingungen der Produktion her grenzüberschreitende Filme Brauners.
Gemäß den Ausführungen Olaf Möllers, Kurator der Brauner-Retrospektive, wurde im Deutschland der 1960er Jahre kaum ein Film mit so viel Hass, Zorn und Missmut empfangen wie die jugoslawisch-deutsche Produktion ČOVEK I ZVER. Mit heutigen Augen hingegen kann man ein kleines Filmmeisterwerk begutachten, ein wunderbarer Grenzgang zwischen dem klassischen Erzählkino und den Erneuerungswellen der frühen 1960er Jahre. Das Lexikon des internationalen Films erwähnt „dramaturgische Schwächen“ und „Kolportage“ (der kann also nur toll sein!).
Erzählt wird die Geschichte der mühsamen Flucht eines Häftlings aus einem Konzentrationslager. Franz (Götz George) flieht aus dem Lager, in dem sein Bruder Willy als Wachmann arbeitet. So wird die Flucht nicht nur zu einem Weg in die Freiheit, sondern auch zu einer tragischen Familienauseinandersetzung biblischen Ausmaßes.
Die Projektion des Films war – gelinde ausgedrückt – eine Katastrophe. Das Bild, dessen Format wohl offenbar irgendwo bei 1.66:1 liegen sollte, war viel zu eng maskiert. Die Maskierungen waren schlecht eingestellt, so dass an den Seiten des Bildes relativ breite Schattenstreifen zu sehen waren. Gezeigt wurde offenbar ein originaler jugoslawischer Cut des Films auf Serbokroatisch, und die englischen Untertitel wurden digital projiziert – meistens aber nicht. Optimistisch geschätzt wurden vielleicht gerade mal ein Drittel der Dialoge halbwegs adäquat untertitelt, und das bei einem Film, der, wenn er mal Dialoge hat, dann auch richtig loslegt.
Und was kann man sagen: der Film war trotzdem magisch. Die eindringlichen Bilder wirkten dennoch wuchtig, beeindruckend, furchteinflössend, umwerfend. Die teils sehr schnelle Montage brachte dennoch genau das richtige Maß an Überwältigung, die dem Thema angemessen erscheint. Wenngleich das Gesagte oft keinen Sinn ergeben konnte und keine Zusammenhänge schuf, so hielten die Bilder das ganze zusammen. Dieser schreckliche Moment, wenn Franz und ein anderer Gefangener gezwungen werden, einen an ein Kreuz gebundenen nackten Co-Häftling zu Tode auszupeitschen. Franz‘ Versteck in der wassergefluteten Höhle, mit dichtem weißen Nebel, das über das Wasser zieht. Und eine der vielleicht ungewöhnlichsten Verfolgungsjagden, die je in einem Film zu sehen war: ein Mann fährt bei hohem Schnee wackelig mit einem Fahrrad davon und ein Schäferhund rennt ihm nach. Die unvermeidliche Begegnung mündet in einen Kampf: der Mann kann den Hund würgen, auf den Boden niederringen. Der Hund versteht dies als Unterwerfungsgeste, und anerkannt infolgedessen Franz als seinen neuen Meister. Ein magischer Filmmoment.


20.00 Uhr, Murnau-Filmtheater
BRICHA EL HASHEMESH (ESCAPE TO THE SUN)
Regie: Menahem Golan
Israel / Frankreich / Bundesrepublik Deutschland 1972
ca. 115 Min., 35mm

„Wer denkt, dass Artur Brauner keine trashig-sleazige Seite hatte, wird hiermit eines besseren belehrt.“ - meinte sinngemäß Olaf Möller in einem inoffiziellen Statement vor den Türen des Murnau-Filmtheaters nach der Aufführung dieses zutiefst bizarren Films. Ja, man lasse sich das mal auf der Zunge zergehen: Menahem Golan, der spätere Boss der Cannon Group, inszeniert einen Film über das Schicksal sowjetischer Juden, denen zu Beginn der 1970er Jahre die Ausreise aus der Sowjetunion verweigert wird.

© Fotoarchiv des Deutschen Filminstituts – DIF
Filmstill ist schwarzweiß, der Film selbst aber in Farbe
Herausgekommen ist ein echtes Kuriosum. Der Film soll ein ernsthaftes oder besser gesagt ein ernsthaft gemeintes Statement über Antisemitismus in der Sowjetunion sein. Dabei ist er jedoch nicht angemessen nüchtern, sondern völlig melodramatisch inszeniert, voller übergroßer Gefühle und überdrehtem Kitsch – als hätte sich Golan mit einer Douglas-Sirk-Retro auf den Dreh vorbereitet. Golan ist aber nicht Sirk, und zwischendurch ist BRICHA EL HASHEMESH ein echt banales Stück Film, der energielos Expositionsschnipsel vor sich hinjagt – nur um dann wenig später kleine Manierismen bis zum Anschlag aufzudrehen. Als der Held der Geschichte, Yasha Bazarov, mit einer Schusswunde in der Schulter delirierend in einer Scheune liegt, beginnt die Kamera pumpend in eine Öllampe an der Decke rein- und rauszuzoomen – ganz so, als hätten wir kurzzeitig in einen italienischen Giallo reingezappt. Oder als Sarah Kaplan (Lila Kedrova) den Bescheid über die Ablehnung ihres Ausreiseantrags erhält, da geht sie in eine schummerige Kneipe. Eigentlich will sie nicht trinken, doch der lokale Säufer vom Dienst flirtet sie an und überredet sie dazu, einen zu heben und ihre Seele auszuweinen. Ein paar Jahre zuvor deklamierte Kedrova einige antikommunistische Gemeinplätze in einer ähnlichen Situation in TORN CURTAIN und das war‘s, doch hier geht es anders aus: es wird weiter gesoffen, und weiter gesoffen, und irgendwann wird das Mobiliar zertrümmert, Zucker aus unerfindlichen Gründen systematisch auf der Tischdecke verstreut und nostalgische jiddische Liebeslieder gesungen.
Aber um noch mal von vorne anzufangen... ähm... ob das hilfreich ist? Der Film beginnt mit einem fingierten Prozess, der, wenn die Angeklagten keine Juden wären, glatt aus dem feuchten Schritt eines McCarthyisten entspringen könnte (so strunzegemein ist diese sowjetische Richterin mit ihrer blau getönten Sonnenbrille, die aus dem in der UdSSR natürlich nichtexitenten Hippieladen um die Ecke zu kommen scheint)! Die Angeklagten werden von den Kommunisten jedenfalls durch die Bank zum Tode verurteilt (von der Frau abgesehen), und der Schriftsteller zum Zwangsaufenthalt in der Psychiatrie, was ihn zu einer schwülstigen Rede über Gedankenfreiheit inspiriert. Schnitt: in Zeitlupe fährt ein verliebtes Pärchen während der Credits in einer Kutsche durch eine romantische verschneite Landschaft und tollt dann ein wenig im Schnee herum (wirklich komplett von A bis Z in Zeitlupe!). Und dann folgt die nächste Szene: Yasha Bazarov ist beim Handball der tollste Spieler, doch seine Mannschaftskollegen mögen ihn nicht, weil er Jude ist. Das sieht man an dem Goldkettchen, das er auch in der Gemeinschaftsdusche der Sporthalle auf seiner wuchernden Brustbehaarung trägt, während er sich nach dem Spiel genüsslich einseift. Es gibt dann eine kleine Prügelei, in Zuge derer Seifenschaumteile auch mal den Körper wechseln.
Metaphorisch gesagt, schafft der Film die Gradwanderung zwischen ernsthaftem Anliegen und irrsinnigem Melodrama nicht: er stolpert, und fällt... aber er prallt nicht auf den Boden, sondern fängt an zu schweben und fliegt dann einfach weg, um etwas anderes zu werden.
Am vielleicht beeindruckendsten ist die Figur des Major Kirsanov (Laurence Harvey), der die Familie Bazarov und deren Freunde verfolgt, schikaniert, bedrängt, unter Beobachtung stellt. Major Kirsanov (a. k. a. „Major Hartschnurrbart“, wie ich ihn seit der Sichtung des Films gerne nenne) ist gewissermaßen die Heisenbergsche Unschärferelation des Films. Er ist die fleischgewordene politische Repression der UdSSR – aber ist kein Antisemit! Er ist der persönliche Dämon des Films und der Bazarovs – und verbrachte dennoch seine Kindheit als armer kleiner Waisenjunge! Er ist die Verkörperung des bürokratischen Glaubens an das Sowjetsystem – aber im Grunde drangsaliert er die Bazarovs nur, weil er gerne mal Yashas Verlobte Nina zum Beischlaf zwingen würde. Er ist die absolute Negativfigur des Films – doch wie soll man jemanden hassen, der aussieht, als hätte ein Elvis-Imitator mit Schnurrbart aus Tollpatschigkeit sein weißes Las-Vegas-Kostüm mit einer KGB-Uniform verwechselt? Irgendwie scheint sich Golan auch ein bisschen in Major Hartschnurrbart verliebt zu haben (die logischste Alternative wäre Nina Kaplan, gespielt von Josephine Chaplin, doch diese bewarb sich wohl mit diesem Film für den Negativpreis der ausdruckslosesten Schauspielerin ever). Und irgendwie scheint es auch logisch und folgerichtig, dass ihm, Major Hartschnurrbart, das Freezeframe gehört, mit dem der Film aufhört.
Auch wenn das nach diesen vielen Ausführungen nicht verwunderlich klingt: BRICHA EL HASHEMESH lässt mich einfach nicht los, und je mehr ich über diesen Film nachdenke, umso mehr mag ich ihn.


22.30 Uhr, Caligari FilmBühne
CRNCI (THE BLACKS)
Regie: Goran Dević, Zvonimir Jurić
Kroatien 2009
75 Min., 35mm

Stell dir vor, einige Männer in lächerlichen Kostümen rennen durch einen Wald, spielen Krieg und der ganzen Welt ist es egal...
Die ersten zwanzig Minuten von CRNCI sagen vielleicht mehr über die Absurdität von Krieg als die meisten (vermeintlich) großen Meisterwerke des Antikriegsfilms. Während der jugoslawischen Zerfallskriege begeben sich ein paar kroatische Soldaten auf eine Mission, um einige Kollegen aus serbischer Gefangenschaft zu retten. Sie haben keine Ahnung, wo sie sind. Sie wissen nicht, welcher Spur sie folgen sollen. Der älteste Soldat und Chef des Trupps behauptet unermüdlich zu wissen, wo sie sich befinden. Die anderen wissen, dass das nicht stimmt. Sie rennen weiter. Der jüngste Soldat muss sich hinter einem Gebüsch erleichtern, und als alle nach zwei weiteren Stunden Marsch seinen Haufen entdecken, ist es kaum noch zu verbergen, dass sie herumirren. Feinde gibt es bestimmt auch irgendwo im Wald, bloß wo? Das ganze endet jedenfalls in einem fürchterlichen Blutbad: die Soldaten bringen sich gegenseitig bzw. sich selbst um.
Nach diesem Prolog folgt die große Rückblende, die erklärt, warum das eben gesehene passiert ist. Was ich davon halten soll, weiß ich ehrlich gesagt nicht: verwirft der Film nicht seine eigene Prämisse, wenn er alles doch irgendwie „erklärt“? Und hätte ich nicht lieber einen Film gesehen, in dem ein paar Männer 70 Minuten lang durch einen Wald rennen? Beide Fragen würde ich mit Ja beantworten. 
Allerdings kämpfte ich nach etwa einer halben Stunde Laufzeit mit großer Müdigkeit und nickte immer wieder ein: jeweils nur ganz kurz, aber trotzdem konnte ich irgendwann die gesehenen Bilder nicht mehr sinnvoll zusammenfügen – also auf einer rein kognitiven Ebene. Ich schaute den Film, sah ihn aber nicht.


Samstag, 25. April 2015

10.00 Uhr, Pressesichtungsraum Festivalzentrum im Gebäude der Wiesbadener Casino-Gesellschaft
ANGELY REVOLJUCII (ANGELS OF REVOLUTION)
Regie: Aleksej Fedorčenko
Russland 2014
113 Min, Screener
© goEast
Aleksej Fedorčenko ist gewissermaßen ein alter Bekannter des goEast (siehe hier). Zusammen mit seinem Drehbuchautor Denis Osokin befasst er sich nun schon seit einigen Filmen immer wieder mit kleinen ethnischen Minderheiten in Russland. Nun auch in ANGELY REVOLJUCII.
Den Inhalt zusammenzufassen ist gar nicht so einfach, aber in Grundzügen zu schaffen: Polina Schneider, eine Beamte des Bildungsministeriums (?), wird zusammen mit anderen Sowjetaktivisten (die vielleicht ihre früheren Liebhaber sind?) in die Provinz geschickt, um den indigenen Völker der Chanty und der Nency die sowjetische Lebensweise näher zu bringen. Das klappt teils mehr (die Ausstellung suprematistischer Avantgardebilder kommt erstaunlich gut an), teils weniger (die Kampagne gegen religiöse Katzenverehrung stößt auf massives Unverständnis). Schlussendlich werden die sowjetischen Bildungsaktivisten ermordet, und es folgt eine brutale sowjetische Terrorkampagne, bei der unter anderem Älteste öffentlich verstümmelt werden...
ANGELY REVOLJUCII zeichnet den Übergang von der „liberalen“ sowjetischen Nationalitätenpolitik in den 1920er Jahren hin zur terroristischen Nationalitätenpolitik der 1930er Jahren nach. „Liberal“ war immer in Anführungszeichen zu verstehen, denn die Verbreitung des muttersprachlichen Unterrichts, die Förderung traditioneller Kultur und die ethnischen Quotenregelungen für Staats- und Parteiposten auf lokaler oder regionaler Ebene hatten von Beginn an ihre Schattenseiten. Die UdSSR führte zugleich einen Zwang zu eindeutiger nationaler Identität ein, kleine Minderheitengruppen wurden exotisiert, der sowjetische Vielvölkerstaat war stets ein recht eindeutig russisch-zentriertes „Zivilisierungsprojekt“.
Die recht differenzierte Darstellung sowjetischer Minderheitenpolitik, das Portrait indigener Völker in der frühen Sowjetunion, die Gestaltung der Dramaturgie nach der (Nicht-)Logik des magischen Realismus, die Unterbringung vieler, vieler, vieler, vieler kleiner Ideen: all dies gelingt Fedorčenko und Osokin mit Ach und Krach. ANGELY REVOLJUCII ist kein schlechter Film, und wirklich Langeweile kann eh nicht aufkommen, aber er ist manchmal hoffnungslos überladen, verzettelt sich in Mini-Vignetten variierender Qualität. Sein Zugang zur frühen Sowjetzeit als historisches Ereignis ist nicht uninteressant, zumal die zerschossene Form des Films vielleicht mehr über das gewalttätige Chaos der Zeit sagen kann, als eine „realistische“ Herangehensweise. Dennoch bleibt neben der Hoffnung auf weitere spannende Filme Fedorčenkos und Osokins auch ein leichtes Gefühl der Frustration oder Enttäuschung zurück.


12.00 Uhr, Pressesichtungsraum Festivalzentrum im Gebäude der Wiesbadener Casino-Gesellschaft
[DIGITAL RESTAURIERTE FILME DER MANAKI-BRÜDER]
Regie: Janaki Manaki, Milton Manaki
[Mazedonien] 1905-1923
ca. 70 Min. (gesehen: 35), Screener

Janaki und Milton Manaki gelten als die ersten bedeutenden Filmemacher des Balkans, als Filmpioniere Südosteuropas. Ganz und gar nicht pionierhaft ist der Screener, der die Kinovorführung ohne meine Anwesenheit ersetzen musste. Möglicherweise war die Kontextualisierung bei der Aufführung besser oder anders, aber so präsentierte sich das ganze als lose Ansammlung von Filmschnippseln ohne jegliche Kontextualisierung. Filmtitel und Zwischentitel hatten das gleiche Schriftbild, was die Sichtung nicht eben einfacher machte. Die Bilder selbst: in dieser Form ethnografisch interessanter als filmografisch. Die Manaki-Brüder filmten Alltagsszenen in mazedonischen Dörfern (Markt, Schlachtbetrieb, Hochzeitsfeier), und offenbar ganz viele osmanische Militärparaden. Ratlos und enttäuscht unterbrach ich irgendwann die Sichtung und ging in die Mittagspause vor dem längsten Film des Festivals.


14.00 Uhr, Murnau-Filmtheater
MNE DVADCAT‘ LET (I AM TWENTY)
Regie: Marlen Chuciev
UdSSR 1965
175 Min., 35mm

© goEast
Der in Tiflis geborene Regisseur Marlen Chuciev gehört zu den Gallionsfiguren des sowjetischen Tauwetters im Kino – gleichwohl er namentlich unbekannter ist als etwa Tarkovskij oder Kalatazov. Seinen Magnum Opus MNE DVADCAT‘ LET bezeichnete Olaf Möller gar als „Zentralmassiv des Tauwetter-Kinos“.
Wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es von diesem Film drei Versionen. Die erste, von 1962, hieß noch ZASTAVA IL‘IČA und kam niemals in die Kinos, weil Nikita Chruščev den Film sah, nicht mochte und sogleich verbot. Unter strengen Auflagen erhielt Chuciev die Erlaubnis, denselben Film noch einmal zu drehen: heraus kam MNE DVADCAT‘ LET in der Fassung von 1965, die im Murnau-Filmtheater lief und unter Experten als die beste gilt. Ende der 1980er Jahre schnitt Chuciev eine neue Fassung zusammen, möglicherweise aus den beiden existierenden?
Im (vagen) Zentrum von MNE DVADCAT‘ LET steht Sergej, der vom Militärdienst in seine Heimatstadt Moskau zurückkehrt und dort sein neues Leben als Erwachsener in die Gänge leitet. Er verliebt sich in eine Passantin, deren Liebe er tatsächlich erobern kann, besucht Parties, sorgt sich mit Mutter und Schwester um den Unterhalt der Wohnung, stellt sich die großen Fragen des Lebens und begegnet schließlich in einer Vision seinem im Zweiten Weltkrieg gefallenen Vater.
Trotz der Laufzeit ist MNE DVADCAT‘ LET ein „kleiner“ Film der „großen“ kleinen Momente. Weniger ein dramaturgisches Konzept als eine lockere Aneinanderreihung kleiner Vignetten bietet Chuciev in seinem monumentalen Film. Mehr als das große Ganze brennen sich eher mehr oder weniger kurze Passagen in die Netzhaut. Eine Bande von Kumpels, die sich nach einer durchfeierten Nacht im Innenhof eines Wohnkomplexes trifft, und einer bringt einen Topf mit Fleischnudeln mit, aus dem direkt gelöffelt wird. Die Eröffnung mit der komplexen Plansequenz, in der die Kamera durch eine Straße streift und nach dem Protagonisten sucht. Überhaupt Chucievs Vorliebe für fast menschenleere Moskauer Straßen.
Der Höhepunkt des Films ist sicherlich die „große Verfolgungsjagd“: Sergej geht mit dem Nachbarsjungen ins öffentliche Bad. Im Bus verliebt er sich spontan in eine Co-Passagierin, die ganz in ihre Buchlektüre vertieft ist. Er will unter allen Umständen die junge Frau im Blick behalten, auch wenn der Bus ganz schön voll ist und andere Passagiere ihn teils zur Seite schieben. Als sie aussteigt, folgt er ihr weiter, über einen Büchermarkt, über einen Imbiss und bis hin zu ihrer Haustür. Sie hat irgendwie geahnt, dass sie verfolgt wurde, und als sie Sergej schließlich erblickt,  „verabschiedet“ er sich mit einem Winken.
Nicht weniger schön ist die Sequenz der Maiparade, bei der Sergej die Frau wieder trifft. Sie ist dort mit ihren Freunden unterwegs, die nach ihr rufen („Anja“) als sie kurz zurückbleibt, um mit Sergej zu reden (so erfährt er ihren Namen). Er selbst spannt dann seine Kumpels ein, um ebengesagte Freunde der Frau loszuwerden: geschickt drängen sie sie in Situationen, in denen sie gezwungen werden, eines der vielen großen 1.-Mai-Banner zu tragen. Sergej flieht mit Anja aus der Maiparade, geht zu ihr nach Hause. Auf dem Treppenabsatz wehrt sie einen Kuss ab, doch sie erlaubt ihm, ihn anzurufen. Ein Bild für die Ewigkeit: Anja steigt die Treppe hoch, und am Ende eines jedes Stockwerks schaut sie herunter und teilt Sergej ein weiteres Stück ihrer Telefonnummer mit.
Nun... so sehr viele dieser Momente auch geglückt sind (die Begegnung mit dem Vater in der Vision ist ebenfalls sehr berührend), so sehr scheint mir MNE DVADCAT‘ LET als epische Erzählung unausgegoren. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass ich zwischendurch mit der typischen Festivalmüdigkeit zu kämpfen hatte. Vielleicht würden weitere Sichtungen andere Erkenntnisse bringen (wie sie mir bei einem anderen „monumentalen“ Hauptstadtfilm, LA DOLCE VITA, schlussendlich brachten).


18.00 Uhr, Caligari FilmBühne
KEBAB I HOROSKOP (KEBAB AND HOROSCOPE)
Regie: Grzegorz Jaroszuk
Polen 2014
72 Min., DCP

Ein Horoskopschreiber und ein Mitarbeiter in einer Dönerbude, die beide eben arbeitslos geworden sind, treffen sich zufällig. Spontan stellen sie ein gemeinsames Projekt auf die Beine: zusammen geben sie sich als Marketing-Spezialisten und möchten einen fast bankrotten Teppichladen und seinen Mitarbeitern mit klugen Tips über Selbstoptimierung und Effizienzsteigerung wieder auf die Beine helfen...
KEBAB I HOROSKOP ist ein recht sympathischer Film. Zu viel mehr reicht es allerdings nicht. Die minimalistische aber großartige Eingangssequenz, in der sich die beiden Protagonisten in einer Dönerbude begegnen und kennenlernen, setzt allzu hohe Versprechen. Die Grundidee (zwei „Loser“ erklären einer Gruppe von „Losern“, wie sie ihr Geschäft verbessern können, und alle lernen sich dabei besser kennen) läuft recht schnell ins Leere. Mehrere Subplots, etwa über einen japanischen Selbstmörder, der bei der Kassiererin des Ladens untergebracht ist oder über die manisch-depressive Mutter der Verkaufsberaterin laufen gegen die Wand: zu kurz, um wirklich interessant und greifbar zu werden, zu lang als einfache „Nebensätze“. Da die Grundidee rasch ausgelutscht ist, gerät der Film auch in eine gewisse Vorhersehbarkeit und arbeitet sich zunehmend verkrampft am Plot ab.
Je mehr ich über den Film nachdenke, umso belangloser scheint er mir.


20.00 Uhr, Alpha-Saal im Apollo-Kinocenter
SIMINDIS KUNDZULI (CORN ISLAND)
Regie: George Ovashvili
Georgien / Deutschland / Frankreich / Tschechische Republik / Kazachstan / Ungarn 2014
100 Min., DCP

© goEast
In einem Fluss, der Georgien von Abchasien trennt, werden in jedem Frühjahr kleine Inseln aufgeschwemmt, die bis in den Herbst, wenn sie wieder weggeschwemmt werden, fruchtbare Mini-Kornkammern bilden. Auf eben einer solchen Insel baut ein alter abchasischer Bauer mit Hilfe seiner Enkelin eine Hütte und legt ein Maisfeld an. Um die beiden herum bekämpfen sich währenddessen georgische und abchasische Soldaten...
Der größte Skandal des diesjährigen goEast-Festivals ist wohl, dass diese kleine Filmperle aus Georgien nicht im Wettbewerb lief, sondern in der „Beyond Belonging“-Sektion „Filmen gegen Krieg: von Trauma und Aussöhnung“. SIMINDIS KUNDZULI ist eine Urgewalt von einem Film. Eine extrem einfache Erzählung, inszeniert in traumhaft schönen Cinemascope-Bildern, die vom Klang der Wellen, des Windes in der Mais-Plantage und ab und zu der Gewehrschüsse rhythmisiert werden. Der Film ist über weite Strecken fast komplett dialogfrei (ohne die Uhr gestoppt zu haben: die erste Dialogzeile erklingt wohl nicht vor der 30-Minuten-Marke), sondern vertraut vollkommen seinen Bildern. Klar, Filme mit extrem wenigen Dialogen können mich immer leicht beeindrucken. Aber der Zauber von SIMINDIS KUNDZULI reicht weiter. Es ist auch eine universelle und wahrhaft große humanistische Geschichte. Dabei vollkommen unsentimental. Der alte Mann rettet einen verletzten georgischen Soldaten – nicht, weil es im Drehbuch so nett aussieht, sondern weil es in seinem Weltbild keine Alternative geben kann: er ist ein Gast, und der Gast wird eben versorgt. Reden tut er mit ihm dennoch nicht: sie könnten sich rein sprachlich eh nicht verstehen. Nur zornig wird der alte Mann, als der georgische Soldat und seine Enkelin sich anzuflirten beginnen. Wenn der Georgier dem alten Abchasier bei den Arbeiten hilft, dabei einige Pflöcke mit einer Axt zuspitzt und währenddessen die Teenagerin anguckt, dann ist klar, was Sache ist (überhaupt ist SIMINDIS KUNDZULI immer wieder unumwunden erotisch, wenn nicht gar ganz offen sexuell). 
Als Beitrag über Krieg ist dieser Film eigentlich mitnichten zu „gebrauchen“, denn das georgisch-abchasische Setting mit der angeschwemmten Insel gibt nur eine Grundsituation vor, die fast einer Laboranordnung gleicht, aber eben glaubwürdig unterfüttert ist.
Nun, wenngleich dieser ziemlich großartige Film nicht im Wettbewerb war, so gibt es dennoch eine kleine Gerechtigkeit auf dieser Welt: er läuft ab 28. Mai auch in Deutschland regulär im Kino.


22.00 Uhr, Caligari FilmBühne
POD ELEKTRIČESKIMI OBLAKAMI (UNDER ELECTRIC CLOUDS)
Regie: Aleksej German Jr.
Russland / Ukraine / Polen 2015
138 Min., DCP

Im Moskau der Zukunft wird ein Hochhaus nicht fertig gebaut, steht trist wie ein Klotz in der Gegend und viele Leute tummeln sich dann drum herum und deklamieren pompöse Dialogzeilen.
Zweifelsohne der Tiefpunkt des Festivals. Hohe Erwartungen, weil er ja auf der Berlinale gut lief. Im Ergebnis die Karikatur prätentiösen Kunstkinos. „Es ist hart, ein Gott zu sein“ hieß der letzte Film Aleksej Germans Sr.. Ich kann nur sagen: es ist hart, Sohnemanns Film zu dieser fortgeschrittenen Stunde zu gucken und dabei wach zu bleiben. Mir ist es gelungen. Knapp. Die Mühe war es nicht wert.


Sonntag, 26. April 2015

10.00 Uhr, Pressesichtungsraum Festivalzentrum im Gebäude der Wiesbadener Casino-Gesellschaft
DE CE EU? (WHY ME?)
Regie: Tudor Giurgiu
Rumänien / Bulgarien / Ungarn 2015
132 Min., Screener

Ein eifriger Staatsanwalt ermittelt in einem Fall von Korruption gegen einen Kollegen. Dabei entdeckt er, dass hinter der Sache viel mehr steckt, als er ursprünglich dachte...
„Sidney Lumet für sehr arme Leute“ mag ein hartes Urteil sein, aber tatsächlich hat mich dieser rumänische Beitrag arg enttäuscht (nicht nur, weil Rumänien seit meinem letzten goEast für mich ein Filmland voller großer Versprechen ist). Der Hauptdarsteller Emilian Oprea war nach meinem Geschmack zu blass. Der Film schleppte sich mühsam und sehr drehbuchraschelnd durch seine Intrigen und Wendungen. Manche Charaktere (etwa die Verlobte des Protagonisten) scheinen nur da zu sein, weil es im Drehbuch steht. Vor allen Dingen aber scheitert DE CE EU? daran, dass die extreme Bedrängnis der Hauptfigur im Kampf gegen die Korruption zu keinem Zeitpunkt wirklich spürbar ist (genau das war die große Stärke von Altmeister Lumet in SERPICO, PRINCE OF THE CITY und NIGHT FALLS ON MANHATTAN), sondern stets nur eine reine Behauptung bleibt. Aus dem Nichts wird die Figur paranoid (weil es so im Drehbuch steht). Aus dem Nichts springt sie am Ende in den Freitod.


13.30 Uhr, Murnau-Filmtheater
IJUL‘SKIJ DOŽD‘ (JULY RAIN)
Regie: Marlen Chuciev
UdSSR 1966
108 Min., 35mm

© goEast
Wenn man IJUL‘SKIJ DOŽD‘ im Sinne des klassischen Erzählkinos zusammenfassen möchte, dann geht es um eine glückliche und harmonische Beziehung, die durch zunehmende Entfremdung nach und nach in die Brüche geht. Doch Chuciev „erzählt“ das nicht straight, sondern gönnt sich und seinen Figuren zahllose Umwege. Und tatsächlich sind diese Umwege wesentlich spannender als die „eigentliche“ Geschichte. Und zugespitzt: die „toten“ Momente des Films waren faszinierender als die „lebendigen“.
Drei dokumentarisch gefilmte, gewissermaßen „abstrakte“ Momente strukturieren IJUL‘SKIJ DOŽD‘. Zu Beginn gibt es eine sehr lange Plansequenz durch einen Moskauer Bürgersteig, die zwischendurch von Motiven aus der Renaissance-Malerei unterbrochen wird (die Hauptfigur, Lena, arbeitet in einem Verlag für Kunstbücher) und von einem Radio begleitet wird, dessen Sender immer wieder abrupt umgeschaltet werden.
Etwa in der Mitte des Films gibt es eine Passage mit einer Straßenmontage, bei der Kamera sich durch den Moskauer Straßenverkehr bewegt. Irgendwann taucht dann mit einer gewissen Regelmäßigkeit dasselbe Motiv auf: ein Transportwagen mit zwei aufgeladenen Pferden. Die „suchende“ Kamera „entscheidet“ sich schließlich für dieses Motiv und bleibt dann dran hängen. Dieser Moment ist vielleicht eine schöne Zusammenfassung von dem, was Chuciev-Filme charakterisiert: sie scheinen oftmals das Ergebnis zufälliger „Entscheidungen“ der Kamera zu sein. Wichtig scheint es zunächst immer zu sein, die vielen Möglichkeiten aufzuzeigen, um nach der Entscheidung zu wissen, dass es auch andere Auswahloptionen gegeben hätte. Es ist eine sehr offene Herangehensweise ans Kino und eine radikale Absage an das Konzept der Schicksalshaftigkeit: es muss nicht kommen, wie es kommt.
Chucievs „Kino der extremen Zwanglosigkeit“, wie ich es nennen würde, leitet ebenso MNE DVADCAT‘ LET ein, wenn die Kamera eine Moskauer Straße erforscht und es mehrmals so scheint, als würden wir den Protagonisten im Visier haben (und dem dann doch nicht so ist).
IJUL‘SKIJ DOŽD‘ schließt dann ebenso offen ab. Der Film endet mit einer Montage aus vielen Gesichtern von der Straße: Lenas Geschichte ist nicht abgeschlossen, aber wir könnten uns nun trotzdem theoretisch einer anderen Geschichte widmen. Wessen Geschichte?
Ehrlich gesagt macht es mir im Nachhinein mehr Spaß, über IJUL‘SKIJ DOŽD‘ nachzudenken, als ihn wirklich zu schauen. Gerade die eigentlichen Handlungsmomente mit ihren vielen langen und meiner Meinung nach fürchterlich trivialen Dialoge haben mich bisweilen etwas angeödet. Mein Fazit aus diesem Film ist aber klar: es ist jammerschade, dass im Rahmen der Hommage an Chuciev keiner seiner Dokumentarfilme gezeigt wurden!


16.00 Uhr, Alpha-Saal im Apollo-Kinocenter
DESTINACIJA_SERBISTAN / LOGBOOK_SERBISTAN
Regie: Želimir Žilnik
Serbien 2015
94 Min., DCP

Želimir Žilnik, einer der Vertreter der jugoslawischen Neuen Welle (hier nun erneut ein Verweis auf meine alte goEast-Besprechung, in der Žilnik allerdings nicht gut weggekommen ist), nimmt in seinem Dokumentarfilm LOGBOOK_SERBISTAN einen ungewöhnlichen Aspekt Serbiens in den Blick: nämlich seine Eigenschaft als Aufnahme- und Transitland für Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten.
Im Laufe seines Films erzählt Žilnik vom Leben vieler Menschen mit vielen verschiedenen Hintergründen und Zielen. Ein Syrer etwa hat sich spontan dazu entschieden, in Serbien zu bleiben, Serbisch zu lernen und in einer Gemeinschaftsunterkunft als Dolmetscher für arabischsprachige Flüchtlinge zu arbeiten. Zwei afrikanische Flüchtlinge, die aus verschiedenen englischsprachigen Ländern kommen (der eine aus Ghana, glaube ich), gehen den Weg in Richtung Westeuropa gemeinsam. Ein (ostafrikanisches?) Ehepaar mit Kleinkind möchte ursprünglich die Grenze nach Ungarn überschreiten, doch die Eheleute entscheiden sich nach dem Rat eines Fluchthelfers anders: sie kaufen ein brachliegendes, kriegszerstörtes Haus für ein Appel und ein Ei und richten sich vorläufig als Kleinbauern ein, während der Mann als Erntehelfer anheuern geht.
Žilnik legt implizit sehr viel Wert auf das Moment der Begegnung zwischen einheimischen Serben und Flüchtlingen und offenbart dabei viel gegenseitige Neugier und Offenheit. In geballten anderthalb Stunden wirft das natürlich auch Fragen auf. Kommt dieser relativ offene Umgang der Serben mit Flüchtlingen daher, dass eine Kamera dabei ist? Oder dass Žilnik sein verfügbares Material so zusammengesucht hat? Oder weil Serben sehr lebhafte und vor allem relativ aktuelle Erfahrungen mit Flüchtlingen aufgrund der jugoslawischen Zerfallskriege haben?
LOGBOOK_SERBISTAN ist als Projekt der Sensibilisierung sowohl in Serbien selbst wie auch im Ausland gut zu gebrauchen. In einem deutschen Kontext, in dem viele Leute so oft über die ganzen Flüchtlinge maulen, erinnert er jedenfalls daran, dass deren Aufnahme bzw. überhaupt der Umgang mit ihnen eine gesamteuropäische Angelegenheit ist.


18.00 Uhr, Alpha-Saal im Apollo-Kinocenter
NIČIJE DETE (NO ONE‘S CHILD)
Regie: Vuk Ršumović
Serbien / Kroatien 2014 
95 Min., DCP

Die Geschichte eines Wolfskindes, übertragen in die Ära des zerfallenden Jugoslawien: ein von Wölfen erzogener Junge wird von Jägern in einem Wald gefunden, später in ein Waisenheim gebracht, wo er zunächst sich selbst überlassen wird, sich nach und nach durch die Freundschaft mit einem der anderen Bewohner zu einem „richtigen“ Menschen entwickelt. Mit dem gewaltsamen Zerfall Jugoslawiens wird er als Kindersoldat von einer bosnischen Miliz zwangsrekrutiert.
NIČIJE DETE habe ich eigentlich – mangels Alternativen – nur als Lückenfüller zwischen der 16-18- und der 20-22-Uhr-Schiene gesehen. Und so entstehen aus Lückenbüßer doch wundervolle Sichtungen. Ich befürchtete ein wenig eine „pädagogisch wertvolle“ Betroffenheitskeule, doch die serbisch-kroatische Koproduktion erwies sich als erstaunlich unsentimentaler und komplexer Film mit störrischen, vielschichtigen Charakteren. Haris, so wird der Wolfsjunge genannt, ist sicherlich auch ein Opfer in einem recht tristen Waisenheim, aber er ist eben auch ein Mensch, dessen Umgang tagtäglich eine schwere und strapazierende Herausforderung ist. Žika, der Haris‘ bester Freund und Vertrauter wird, ist in der Nahrungskette des Waisenheims recht weit unten positioniert, und freundet sich nur zu gerne rasch mit jemandem an, der noch weiter unter ihm steht. Doch auch er schlägt und beschimpft Haris immer wieder. Der schnurrbärtige Sozialpädagoge, der sich nicht damit abfinden will, dass man Haris sich selbst überlässt, glaubt felsenfest an eine gute Zukunft des Wolfsjungen, doch auch seine Erziehungsmethoden sind oft autoritär, teils latent gewalttätig. Paradoxerweise sind es die Mobbingtäter, die Haris dazu bringen, seine ersten (zornigen) Worte auszusprechen, als sie ihm seine geliebte Glasmurmel wegnehmen. Und der Mensch, der Haris als Mitglied der Gesellschaft am ernsthaftesten nimmt, ist ausgerechnet der Kommandant einer paramilitärischen bosnischen Miliz: er „identifiziert“ Haris als Bosnier, gibt ihm eine Uniform und drückt ihm eine Maschinenpistole in die Hand. In NIČIJE DETE hat eben alles seine vielen Seiten.
© goEast
Luzifus von the-gaffer.de a.k.a. Der Chefredakteur (mit dem ich den Trip nach Wiesbaden unternommen habe, und der hier seinen eigenen Bericht veröffentlicht hat) schien die Zwangsmobilisierung Haris‘ gegen Ende des Films etwas zu viel des Guten. Doch ich denke, dass man sie auch als ultimative Stufe einer radikalen „Zivilisierung“ sehen kann: Krieg ist in diesem Sinne der absolute (freilich nach gängigen Maßstäben natürlich negative) Höhepunkt von Zivilisation. Vom Wolfskind aus dem Walde zum sozialistisch-jugoslawischen Pionier zum bosnischen Soldaten – kein Wunder, dass Haris am Ende wieder aus der Zivilisation aussteigen möchte. Den Preis für seine Zivilisierung muss er trotzdem bezahlen: eine Rückkehr und Integration in die Natur, die sich von ihm abwendet, ist nicht mehr möglich.
Auch wenn ich für den deutschen Kinostart des nächsten Films nun komplett schwarz sehen muss, ist es trotzdem fein, dass NIČIJE DETE den Hauptpreis des Festivals gewonnen hat (was seine Chancen auf westeuropäische Kinostarts erhöht).


20.00, Caligari FilmBühne
KREDITIS LIMITI (LINE OF CREDIT)
Regie: Salomé Alexi
Georgien / Frankreich 2014 
85 Min., DCP

KREDITIS LIMITI ist eigentlich eine relativ leichte, absurde Komödie. Hinter dieser verbirgt sich eine bittere, fast unendlich traurige Tragödie. Und hinter dieser lauert ein purer Horrorfilm.
Nino, die Betreiberin eines Imbissladens in Tiflis und stolze Wohnungsbesitzerin, konnte sich bislang ein bequemes Leben leisten, weil ihr Vater einst als mittelgroßer Bonze zu Sowjetzeiten recht erfolgreich und ohne geschnappt zu werden die örtliche Kasse der Partei für sich „privatisierte“. Doch nun ist das Geld durchgebracht, Nino und ihre große Familie (Ehemann, Tochter, Sohn, Mutter, Großmutter) stehen vor dem Ruin. Täglich muss die Frau aufs Neue ums Geld kämpfen, aber der Imbissladen läuft nicht richtig, und mit jedem neuen Tag flattern neue Rechnungen, Mahnungen und geldvernichtende Situationen ins Haus.
Eine Komödie ist KREDITIS LIMITI, weil der Ton immer sehr leicht erscheint. Doch er ist auch ein Film über eine Frau, die in einer erbarmungslosen Schicksalsmaschine gefangen ist, aus der es für sie kein Entkommen geben kann. Für jede weitere Geldquelle, die sich auftut (meistens ein Kredit oder ein Anpumpen) tun sich zwei weitere Rechnungen auf, die immer größer werden. Der Gipfel kommt, als die Großmutter in ein Koma fällt und im Krankenhaus an Schläuchen zur Lebenserhaltung angeschlossen wird: nach zehn kostenlosen Tagen folgt mit jedem neuen Tag eine neue happige Rechnung, doch den Schlauch abdrehen darf Nino rechtlich nicht, solange sich der Zustand der Großmutter nicht verschlechtert und natürlich will sie das auch nicht – sie, die alles menschenmögliche tut, um auch noch Geld für die Behandlung einer kranken Freundin aufzutreiben. Der Schluss ist unvermeidlich: Nino und ihre Familie werden aus der Wohnung rausgekehrt, wie Hunderttausende anderer Haushalte in Georgien, als 2008 (oder 2009?) eine Immobilienblase platzte.
© goEast
Die strenge Komposition des Films macht deutlich, wie sehr Nino von Anfang an ausweglos gefangen ist. KREDITIS LIMITI ist ein Film, der die meisten Elemente seiner Geschichte nicht diskursiv, sondern mit seinen formalen Mitteln erzählt, besonders mithilfe des Produktionsdesigns. Ein aufgehellter Fleck auf einer Tapete weist etwa daraufhin, dass hier mal ein Bild oder ein wertvoller Spiegel hing, der wohl verkauft wurde. In anderen Momenten kann die Einrichtung auch eine Wahrnehmungsfalle sein, eine Verkörperung von Falschheit und ein Versuch, das Gesicht zu bewahren: eine üppige Vitrine voller wertvoller Liköre und Alkohole enthüllt Ninos Mutter ganz nebenbei als Fake, als Ansammlung von Flaschen, die mit Tee oder Kaffee gefüllt wurden. KREDITIS LIMITI ist mehrheitlich in starren Tableaus gefilmt, es gibt aber auch lange Plansequenzen durch Tifliser Bürgersteige, wenn Nino geschäftig nach dem nächsten Schnäppchen sucht oder zum naheliegenden Pfandhaus geht: überall an den Läden prangern riesige Zahlen voller Versprechungen, die die Hauptfigur noch mehr unter Druck setzen.
Die Wege des Geldes werden formalistisch aufgezeigt. So holt sich Nino mithilfe einer Freundin einen Kredit in einer hyperstilisierten Bank, in der alles durcharrangiert ist (selbst die Abstimmung der Nagellackfarbe der Bänkerin mit der Farbe ihres Datumstempels), in der nächsten Szene teilen sich die beiden Frauen das Geld in der Gosse auf, vor einer graffitibesprühten Wand, die von Hunden angepisst wurde: im Tempel gibt es Geld im Übermaß, in der Gosse werden die Krummen aufgeteilt.
Auch immer wieder faszinierend ist es, wie Salomé Alexi den Raum und die Tiefenschärfe nutzt. In der absurdesten Szene des Films möchte Nino eine Tante (?) oder Freundin der Mutter um Geld anpumpen, während sich die quartiersbekannte Straßenkehrerin von Nino wiederum Geld leihen möchte. Beide gehen zur Tante, diese wirft in einem Stoffbündel das Geld vom Balkon herunter – und natürlich bleibt dieses an den Ästen eines Baumes hängen. Spielende Kinder werden beauftragt, das Bündel zu holen. Nino setzt sich mit der Straßenkehrerin auf eine Bank, unterhält sich mit ihr über die Mühen des Lebens, während im Hintergrund die Kinder auf dem Baum klettern, von der Tante auf dem Balkon angefeuert. Das Geld bleibt also schon irgendwo hängen, aber oft da, wo man es nicht gebrauchen kann!
Meisterhaft! Und das auch noch bei einem Debüt, den die Regisseurin selbst geschrieben, produziert und geschnitten hat.


22.00 Uhr, Caligari FilmBühne
POSLESLOVIE (EPILOGUE)
Regie: Marlen Chuciev
UdSSR 1984
98 Min. 35mm

© goEast
Filmstill ist schwarzweiß, der Film selbst aber in Farbe
Schwiegereltern! Im Volksmund gibt es ja nichts nervigeres. Über eben diese sprichwörtliche Nervigkeit hat Marlen Chuciev einen wunderbaren Film gedreht.
Der Zoologe Viktor, der in einer schönen Moskauer Wohnung mit seiner Frau und seiner Hündin lebt, bekommt eines Tages Besuch von seinem Schwiegervater Aleksej angekündigt. Viktors Frau kennt ihren Vater nur allzu gut und macht sich auch aus dem Staub: eine Geschäftsreise kann praktischerweise vorgeschoben werden. Viktor, der gerade Urlaub macht, muss nolens volens den alten Mann empfangen. Recht schnell merkt er, was für eine Nervensäge er sich da eingefangen hat. Eine Nervensäge, die sich über kleinste Dinge minutenlang freut, abgedroschene Lebensweisheiten von sich gibt, darüber meckert, dass Moskau sich geändert hat und schlussendlich sogar seinem Schwiegersohn vorschreiben möchte, wie dieser sein Schreibtisch arrangieren sollte.
Aber! So einfach läuft das ganze nun doch nicht. Wir sind in einem Chuciev-Film, und wenn wir mittlerweile etwas gelernt haben, dann wohl, dass Chuciev keine direkten Wege nimmt, sondern lieber verwilderte, unbekannte Nebenpfade betritt. Denn der Regisseur und seine beiden tollen Hauptdarsteller Rostislav Pljatt und Andrej Mjagkov verteilen die Sympathien recht unerwartet: der penetrante alte Mann kann sich des Herzens der Zuschauer sicher sein, während der in seiner Arbeit gestörte junge Mann rasch pedantisch, herrisch und intolerant wirkt (auch wenn wir wissen, dass seine Aufregung eigentlich gerechtfertigt ist). Diese Verteilung der Sympathien erzeugt Chuciev mit einem recht einfachen Mittel: er lässt einfach Viktor immer wieder in die Kamera sprechen und das Geschehen kommentieren. Was anderswo ein Mittel der Identifikation sein könnte, wird hier zum Mittel der unbewussten Distanzierung: denn Viktor erscheint dann automatisch in einer Position der Rechtfertigung, seine diesbezüglichen Versuche wirken selbst penetrant und vor allem besserwisserisch. 
Chuciev ist aber kein Zyniker, sondern ein Humanist. Beide haben ihre Gründe. Und hinter der jovialen Fassade des alten Mannes verbirgt sich eine tiefe Traumatisierung aus dem Zweiten Weltkrieg. Sein Dozieren über die Vorzüge des klassischen Rasiermessers über den Systemrasierer dient in erster Linie dazu, seelische Kriegsnarben zu verbergen und ein eigenes persönliches Stück Erinnerungskultur aufzubauen.
POSLESLOVIE ist über weite Strecken ein Zweipersonen-Kammerspiel, gefilmt in einem recht nüchternen Stil. Abweichungen stechen umso mehr hervor. In einer Szene, die man wohl als psychedelisch bezeichnen könnte, freut sich Aleksej stürmisch, als draußen ein Gewitter ausbricht, und Viktor hält diese Begeisterung mit einer Kamera fest, während die Wohnung von Gewitterblitzen brutal aufgehellt wird. Und wieder zeigt sich Chuciev in den Außenszenen als feinsinniger Dokumentarist. Die Häuser- und Wohnblockfassaden, die in den 1960er Jahren noch von einem optimistischen Aufbruch kündeten, erscheinen hier nun einfach nur trostlos: was in Schwarzweiss modern erscheint, kann in Farbe eben abgeranzt und verbraucht aussehen.


Montag, 27. April 2015

10.00 Uhr, Pressesichtungsraum Festivalzentrum im Gebäude der Wiesbadener Casino-Gesellschaft
BELYE NOČI POČTAL‘ONA ALEKSEJA TRJAPICYNA (THE POSTMAN‘S WHITE NIGHTS)
Regie: Andrej Končalovskij
Russland 2014
101 Min., Screener
© goEast
Andrej Končalovskij, der Grenzgänger zwischen UdSSR/Russland und den USA (und dessen TANGO & CASH ich bislang sehr schätzte), kehrt nun in die russische Provinz zurück. Das Konzept von BELYE NOČI POČTAL‘ONA ALEKSEJA TRJAPICYNA klingt im Grunde wie eine russifizierte Version von De Sicas LADRI DI BICICLETTE. Končalovskij drehte den Film komplett mit Laiendarstellern, die sich selbst spielen. Erzählt wird vom Lebensalltag eines Postboten im Gebiet Pleseck, im russischen Norden. Aufgrund der geografischen Bedingungen ist er nicht mit dem Fahrrad unterwegs, sondern mit einem Motorboot, um auch an entlegene Orte die Post bringen zu können. Auf seinen Touren begegnet er natürlich allen Bewohnern, darunter auch einer alleinerziehenden Mutter, in die er ein bisschen verliebt ist und einem lokalen Dorfsäufer. Eines Tages wird der Motor seines Bootes geklaut und er kann keine Post mehr austragen...
Končalovskij, der schon in SIBIRIADA ein feines Gespür für die Lebensumstände in der abgelegenen russischen Provinz bewiesen hatte, entwirft hier ein faszinierendes und zutiefst menschliches Portrait vom Alltagsleben in einer infrastrukturschwachen Region. Mit Ausnahme eines Traummotivs, das immer wieder auftaucht (nämlich eine graue Katze) verzichtet der Film konsequent auf Psychologisierung und Symbole, sondern verlässt sich ganz und gar auf seine tollen Laiendarsteller. Aleksej Trjapicyn ist ein unwahrscheinlicher Filmheld, aber dank seines knittrigen, kantigen und höchst lebendigen Charaktergesichts trägt er mühelos den ganzen Film auf seinen Schultern.
Fazit: klein, leise, unscheinbar, nach klassischen Maßstäben „ambitionslos“ – und sehr schön!


Persönliches Ranking

aktuelle Filme:

1. SIMINDIS KUNDZULI (CORN ISLAND)

– KREDITIS LIMITI (LINE OF CREDIT)

3. NIČIJE DETE (NO ONE'S CHILD)

4. BELYE NOČI POČTAL‘ONA ALEKSEJA TRJAPICYNA (THE POSTMAN‘S WHITE NIGHTS)

5. DESTINACIJA_SERBISTAN / LOGBOOK_SERBISTAN

6. ANGELY REVOLJUCII (ANGELS OF REVOLUTION)

7. KEBAB I HOROSKOP (KEBAB AND HOROSCOPE)

– [CRNCI (THE BLACKS)]

9. GOLI (NAKED ISLAND)

10. DE CE EU? (WHY ME?)

11. POD ELEKTRIČESKIMI OBLAKAMI (UNDER ELECTRIC CLOUDS)


Retrospektive:

1. ČOVEK I ZVER (MAN AND BEAST)

 BRICHA EL HASHEMESH (ESCAPE TO THE SUN)

3. POSLESLOVIE (EPILOGUE)

4. MNE DVADCAT‘ LET (I AM TWENTY)

5. IJUL‘SKIJ DOŽD‘ (JULY RAIN)

6. [DIGITAL RESTAURIERTE FILME DER MANAKI-BRÜDER]


Persönliche Spezialpreise: 

Bester Darsteller
- Ilyas Salman als der alte Mann in SIMINDIS KUNDZULI
(knapp vor Denis Murić als Haris in NIČIJE DETE und Aleksej Trjapicyn als er selbst in BELYE NOČI POČTAL‘ONA ALEKSEJA TRJAPICYNA)

Beste Darstellerin:
- Evgenija Uralova als Lena in IJUL‘SKIJ DOŽD
(knapp vor Nino Kasradze als Nino in KREDITIS LIMITI)

Bester Nebendarsteller:
- Laurence Harvey als Major Hartschnurrbart a.k.a. Major Kirsanov in BRICHA EL HASHEMESH

Bestes Produktionsdesign:
- ? für KREDITIS LIMITI

Bester Filmanfang:
- Straßenplansequenz meets Renaissancemalerei meets gestörtes Radioprogramm in IJUL‘SKIJ DOŽD (vor Arbeitsloser meets Arbeitsloser in Dönerbude in KEBAB I HOROSKOP)

Bester Filmschluss:
- Eine Wölfin steht in einem Wald, blickt einen Teenager an und läuft desinteressiert weg in NIČIJE DETE

Bestes Arrangement prolliger Goldkettchen auf wallender Brustbehaarung:
- Yehuda Barkan als Yasha Bazarov in BRICHA EL HASHEMESH