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Dienstag, 7. August 2012

Norman McLaren: Minimalismus mit Linien und Kugeln

Einige Kurzfilme von Norman McLaren

Teil 1: Ein Regisseur mit Festanstellung auf Lebenszeit
Teil 2: Pixil(l)ation
Teil 3: Minimalismus mit Linien und Kugeln

LINES HORIZONTAL
Kanada 1962
Regie: Norman McLaren und Evelyn Lambart

SPHERES
Kanada 1946/1969
Regie: Norman McLaren und René Jodoin

1960 schufen McLaren und Evelyn Lambart LINES VERTICAL (den Kollege gabelingeber ebenso wie BLINKITY BLANK in seinem inzwischen eingestellten Blog Trickfilmzeit vorgestellt hat), indem sie vertikale Linien in schwarzen Film ritzten (um die Linien möglichst gerade hinzubekommen, wurde eigens ein spezielles Lineal für technische Zeichner aus rostfreiem Stahl aus England geordert). Eine zunächst einzelne weiße Linie beginnt, sich quer zu bewegen, und spaltet sich dabei in vielfältiger Weise auf. Nachdem der Film fertig war, fragten sich Lambart und McLaren, wie er wohl aussehen würde, wenn sich stattdessen horizontale Linien auf und ab bewegen würden. Ein erster Test mit quergelegtem Kopf verlief vielversprechend, und so wurde die Idee in die Tat umgesetzt. Das Ergebnis ist LINES HORIZONTAL:



Es handelt sich tatsächlich um denselben Film wie LINES VERTICAL, abgesehen davon, dass das Bild um 90° gedreht (und danach natürlich wieder in das richtige Bildformat gebracht) wurde, dass aus weißen nun dunkle Linien und auch die Farben des Hintergrunds geändert wurden, und dass der ursprüngliche Soundtrack von Maurice Blackburn durch einen neuen von Pete Seeger ersetzt wurde.

Seeger, damals schon eine Folk-Legende, spielte alle Instrumente selbst. Dazu richtete er sich in seiner eigenen Scheune ein improvisiertes Aufnahmestudio samt Filmprojektor und Leinwand ein. Ähnlich wie Ravi Shankar und Chatur Lal fünf Jahre zuvor, sah er sich den Film dutzende Male an, aber eine komplizierte Schemazeichnung gab es diesmal nicht, weil Seeger mehr nach Gefühl arbeitete. Er zerlegte schließlich den Film in vier Teile, die er jeweils in einer Endlosschleife ansah und dazu nacheinander die einzelnen Instrumente einspielte. Beispielsweise begann er beim ersten Teil mit einer Flöte, ließ sich dann diese Aufnahme von einem Tonband auf seine Kopfhörer übertragen und spielte eine Gitarrenbegleitung dazu, und so weiter. Am Ende hatte er neun separate Tonspuren, die dann am NFB zusammengemischt wurden. In seinen technischen Anmerkungen zur Enststehung zog er folgendes bescheidene Fazit: "If my music is good, credit should be shared three ways: between the visual inspiration of the film, the technical staff and the instrumentalist."

1965 setzten McLaren und Lambart noch einen drauf. Sie überlagerten Schwarzweiß-Kopien von LINES VERTICAL und LINES HORIZONTAL derart, dass sich jetzt nur noch die Schnittpunkte (genauer gesagt die kleinen, annähernd quadratischen Schnittflächen) der Linien bewegen. In dem Maß, wie sich in den LINES-Filmen die Linien aufspalten, entstehen in MOSAIC ganze Schwärme von kleinen Quadraten, die sich vorwiegend diagonal durch das Bild bewegen. Zur Auflockerung setzt McLaren selbst die Bewegung in Gang, und am Ende fängt er die Quadrate wieder ein. Einen neuen Soundtrack gab es natürlich auch wieder.



1946 animierten McLaren und René Jodoin die "Kugeln" aus SPHERES (bei denen es sich in Wirklichkeit um ausgestanzte Blechscheiben handelte), aber beide fanden das Ergebnis langweilig, und so wurde der Film unveröffentlicht eingemottet. Doch in den 60er Jahren, als sich der Minimalismus einen Platz in der Musik und anderen Künsten erobert hatte, holte ihn McLaren wieder hervor und fand ihn überhaupt nicht mehr langweilig. Mit einem Hintergrund und Musik versehen, wurde SPHERES schließlich 1969 veröffentlicht. Die Stücke aus J.S. Bachs "Wohltemperiertem Klavier" spielte Kanadas damaliger Star-Pianist Glenn Gould.

Die Animation des Hintergrunds ist technisch interessanter als die der Kugeln. McLaren verwendete Pastellzeichnungen, die er mit Hilfe von Techniken, die er Mix of Chains und Travelling Zoom nannte, und die er selbst erfunden hatte, ineinander überführte. Beim Mix of Chains wird eine Zeichnung als Einzelbild aufgenommen, dann in einigen Details verändert, wieder aufgenommen, wieder etwas verändert, und so weiter. Dann werden die Bilder in einem optischen Printer gemischt. Zunächst stellt Bild A 100%. Dann wird der Anteil von A linear gesenkt und im selben Ausmaß der von Bild B gesteigert, bis nach beispielsweise 50 Frames das Bild zu 100% aus B besteht. In diesem Augenblick wird der Anteil von B wieder gesenkt und dafür Bild C eingeblendet, und so weiter. So ergibt sich eine endlose Kette von weichen Metamorphosen im Bild ohne erkennbare Brüche oder Schnittstellen. Für eine mehrminütige Sequenz braucht man zwar eine ganze Reihe von Einzelbildern, aber viel weniger, als wenn man für jeden Frame des Films ein eigenes Bild anfertigen müsste. Beim Travelling Zoom (nicht zu verwechseln mit dem Dolly Zoom, der manchmal ebenfalls Travelling Zoom genannt wird) zoomt die Kamera zunächst auf ein Bild zu (ob tatsächlich ein Zoom-Objektiv benutzt wird oder die Kamera selbst auf das Bild zufährt, ist dabei zweitrangig). Beim minimalen Abstand wird die Kamera zurückgesetzt und gleichzeitig das Bild durch eine vergrößerte Version des Innenbereichs des ursprünglichen Bilds ersetzt, und dann wird wieder herangefahren, dann gibt es wieder ein vergrößertes Bild, usw. Der Clou: Da die Bilder Zeichnungen sind, können bei jeder Vergrößerung problemlos neue Details hinzugefügt werden, und das ohne Begrenzung. So kann endlos in das Bild "hineingezoomt" werden, und selbst bei "Vergrößerungsstufen", bei denen man in der Realität bei einzelnen Atomen angekommen wäre, gibt es hier keine Grenze. Indem man die einzelnen Abschnitte sanft überblendet, sind auch hier keine Brüche sichtbar. McLaren erfand diese Technik bereits Ende der 30er Jahre. Erwähnte ich schon, dass er ein Genie war?

Damit ist die kleine McLaren-Reihe zu Ende. Ich hätte noch weitere Themen ansprechen können, z.B. McLarens surrealistische Filme wie A PHANTASY (er begeisterte sich schon früh für surrealistische Maler, insbesondere Yves Tanguy), aber man soll ja aufhören, bevor die ersten zu gähnen beginnen.

1990 drehte Donald McWilliams den zweistündigen Dokumentarfilm CREATIVE PROCESS: NORMAN McLAREN. McWilliams hatte McLaren 1968 kennengelernt und sich seitdem zu einem führenden McLaren-Experten entwickelt. Bis zu seinem Tod 1987 wirkte McLaren noch an den Vorbereitungen zum Film mit, und es sind Ausschnitte aus älteren Dokus und Interviews enthalten, außerdem natürlich Ausschnitte aus diversen Filmen von McLaren und Erläuterungen der dafür verwendeten Techniken. Das NFB stellt CREATIVE PROCESS: NORMAN McLAREN lobenswerterweise online in voller Länge zur Verfügung:



Beim NFB gibt es auch noch weitere Filme McLarens online, aber bei weitem nicht alle, und bei YouTube findet man auch etwas.

McLaren auf DVD:

2006 veröffentlichte das NFB in Zusammenarbeit mit Image Entertainment die Box "Norman McLaren: The Master's Edition" mit sieben DVDs, die alle Filme McLarens digital restauriert enthält (auch die aus seiner Zeit vor dem NFB), selbst Vorstudien und unvollendete Filme sind enthalten. Auch für Komplettisten bleiben hier kaum Wünsche offen. Ebenfalls enthalten sind zwei ältere einstündige Fernseh-Dokus über McLaren, 15 neue Featurettes von jeweils ca. fünf Minuten und weiteres Doku-Material.

Schon 2003 hatte das NFB zusammen mit Milestone Film & Video das Set "Norman McLaren: The Collector's Edition" mit zwei DVDs veröffentlicht. Enthalten sind auf einer Scheibe McWilliams' CREATIVE PROCESS: NORMAN McLAREN und auf der anderen eine Auswahl von McLarens wichtigsten Filmen, darunter fast alle hier besprochenen. Enthalten ist auch ein 106-seitiges Booklet, das neben allgemeineren Inhalten auch detaillierte technische Informationen zu den enthaltenen Filmen liefert, die von McLaren selbst (und in einigen Fällen zusätzlich von seinen Mitstreitern wie Maurice Blackburn und Pete Seeger) verfasst wurden. Ein beträchtlicher Teil der Infos für meine Artikel hier stammt daraus. Beide DVD-Sets sind leider nicht ganz billig.