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Samstag, 25. August 2012

Machte sich Kleist über Goebbels lustig?

Der zerbrochene Krug
(Der zerbrochene Krug, Deutschland 1937)

Regie: Gustav Ucicky
Darsteller: Emil Jannings, Friedrich Kayssler, Max Gülstorff, Lina Carstens, Angela Salloker, Bruno Hübner, Paul Dahlke, Elisabeth Flickenschildt u.a

Die deutsche Literatur vermag nicht mit vielen Lustspielen aufzuwarten, von denen man mit Fug und Recht behaupten darf, sie seien völlig auf ihrem eigenen Mist gewachsen. Im 17. Jahrhundert setzten Wanderbühnen und Autoren wie Andreas Gryphius auf Shakespeare-Grobianismus, während man anschliessend bis tief ins 18. Jahrhundert hinein - Molière folgend - die lustige Figur als Typus in den Vordergrund rückte. Spätestens der "Sturm und Drang" begann dann zu erkennen, dass die Tragödie dem Deutschen wohl angemessener sei als das Lustspiel. - Es bleiben, sieht man von Goethes weitgehend vergessenem "Die Mitschuldigen" einmal ab, deshalb bis ins 20. Jahrhundert hinein nur drei Lustspiele aus deutscher Feder, die es zu Ruhm über die Grenzen hinaus brachten und noch heute gespielt werden: G.E. Lessings "Minna von Barnhelm" (1767), Heinrich von Kleists "Der zerbrochene Krug" (1806) und Gerhart Hauptmanns "Der Biberpelz" (1893). Eine traurige Bilanz, wenn man an das Wiener Volkstheater denkt, das Lacher über Lacher hervorrief!

Es war abzusehen, dass sich der Film des Dritten Reiches dieser drei „genuin deutscher“ Stücke annehmen würde, wollte man doch dem Publikum nicht nur eher belanglose Komödien servieren, sondern ihm auch vorgaukeln, wie humorvoll die Seele der deutschen Dichter seit jeher war. So drehte der Vielfilmer Jürgen von Alten 1937 seine – recht unbedeutende - Version von Hauptmanns „Biberpelz“ mit Ida Wüst in der Rolle der Mutter Wolff, und 1940 erblühte Käthe Gold zum etwas langweiligen „Fräulein von Barnhelm“ unter der Regie von Hans Schweikart (man fragt sich, ob wohl auf den Originaltitel des Stücks verzichtet wurde, um nicht übermässig auf den Autor hinzuweisen, der in seinem „Nathan“ einen Juden zur vorbildlichen Figur gemacht hatte). – Mit Kleists Lustspiel tat man sich jedoch wesentlich schwerer: Einerseits wurde der Dichter, dessen Werke sich leicht ideologisch instrumentalisieren lassen, von den Nationalsozialisten regelrecht vereinnahmt. Das Käthchen von Heilbronn erhob sich augenblicklich zum nationalsozialistischen Weiblichkeitsideal, während die heute ungeniessbare „Hermannsschlacht“ mit ihrem Hohelied der Vernichtung bestens ins Kampfkonzept des Führers passte. Leni Riefenstahl zeigte sich ob einer Freilichtaufführung der „Penthesilea“ sogar derart begeistert, dass sie sich augenblicklich zu einem Film inspiriert fühlte, in dem sie selber als Amazonen-Königin ihren Geliebten zu Tode beissen und auffressen wollte (ein Projekt, das nie zustande kam). Bei so vielen Möglichkeiten, mit dem Werk des Dichters Missbrauch zu betreiben, blieb sogar dem Germanisten Joseph Goebbels nur noch der begeisterte Ausruf: „Was für ein Kerl ist doch dieser Kleist gewesen!“ – und eine Abituraufgabe im Jahre 1944 beschäftigte sich mit der Frage, ob Kleist auch Selbstmord begangen hätte, wenn er SS-Offizier gewesen wäre.


Andererseits hatte Heinrich von Kleist die Unverschämtheit besessen, die Hauptfigur des „Zerbrochenen Krugs“ mit einem Klumpfuss auszustatten. Diese Hauptfigur, Richter Adam, war zwar ein Schuft, aber, da er die Leute zum Schmunzeln brachte, ein wesentlich sympathischerer Schuft als der Propagandaminister mit Klumpfuss, der sich gelegentlich so aufführte, als hätte sich Kleist in seinem grossen Lustspiel – was zwar vom zeitlichen Ablauf her schwer nachzuvollziehen ist - über ihn lustig machen wollen. - Entsprechend pikiert reagierte Goebbels, als ausgerechnet Emil Jannings mit dem Wunsch an ihn herantrat, eine Filmversion des „Zerbrochenen Krugs“ mit sich selber in der Hauptrolle verwirklichen zu dürfen. Denn Jannings war nicht nur eine Diva, er war auch der einstige grosse Star des internationalen Films, der den ersten Oscar als Schauspieler gewonnen hatte und nach seiner Rückkehr in Deutschland wegen seiner Erfolge weitestgehend künstlerische Freiheiten genoss. Und es war schwer, dem Mann, der sich erst noch die Nähe nationalsozialistischer Machtinhaber gesichert hatte (er sollte 1941 die Verantwortung für den Propagandastreifen „Ohm Krüger“ übernehmen), die Bitte abzuschlagen, einen seiner grossen Bühnenerfolge auch dem Kinopublikum präsentieren zu dürfen, damit es sich über den Klumpfuss totlachen konnte. Der Propagandaminister schrieb denn auch nur in sein Tagebuch: „Jannings will ‚Zerbrochenen Krug‘ verfilmen. Mit Kleistscher Sprache. Ein sehr gewagtes Experiment.“ 

Sollte Goebbels, wie Gerüchte besagen, ernsthaft versucht haben, das Projekt des Stars, der ihn hinter seinem Rücken „Hinkefuss“ nannte, zu sabotieren, so befand er sich auf verlorenem Posten. Denn Jannings hatte bereits alles um sich versammelt, was Rang und Namen hatte – und zum Teil in der NS-Zeit noch von sich reden machen würde. Thea von Harbou, die ehemalige Lebensgefährtin von Fritz Lang, war als Drehbuchautorin dafür verantwortlich, dass die gefürchtete Kleist’sche Sprache auf ein für den Kinogänger erträgliches Mass gekürzt wurde, ohne ihren herrlichen Witz zu verlieren; der bereits in grossen expressionistischen Filmen ("Nosferatu", 1922) eingesetzte Kameramann Fritz Arno Wagner sollte Bilder erschaffen, die den Zuschauer vergessen liessen, dass er im Grunde genommen „nur“ einem Theaterstück beiwohnte – und als Regisseur wurde Gustav Ucicky, einer der führenden und gleichzeitig fragwürdigen Könner der Zeit engagiert, der mit gelegentlichen Literaturadaptionen (etwa auch „Der Postmeister“, 1940) ganz gern von seinen propagandistischen Machwerken ablenkte. – So blieb dem Propagandaminister nur noch die Hoffnung, das Publikum werde die boshafte Verfilmung eines Klassikers, der schon vor rund 130 Jahren sein kleines körperliches Gebrechen verspottet hatte, nicht goutieren, und er vertraute sich denn nach der Premiere auch hoffnungsvoll seinem Tagebuch an: „… der Film wird trotz anfänglicher grosser Bereitschaft des Publikums wie zu erwarten ausgesprochen flau aufgenommen. Er ist photographiertes Theater, aber kein Filmkunstwerk.“ Tatsächlich erwies sich „Der zerbrochene Krug“ als grosses Verlustgeschäft für die Tobis; man darf im Nachhinein jedoch an der Urteilsfähigkeit von „Hinkefuss“, was den Wert des Jannings-Films anbelangt, zweifeln.

Worum geht’s? – Just an dem Tag, an dem unerwartet der Gerichtsrat Walter aus Utrecht auf seiner Kontrollreise in einem kleinen niederländischen Dorf eintrifft, sieht sich der ohnehin lädierte Richter Adam des Orts mit einer Klage konfrontiert, die ihn selber betrifft. Gegenstand des Prozesses ist oberflächlich betrachtet der wertvolle Krug der Witwe Marthe Rull, der zu Bruche ging, als jemand in der Nacht das Zimmer ihrer Tochter Eve fluchtartig verliess. Marthe Rull verdächtigt als Täter den Bauernsohn Ruprecht, der Eve eigentlich heiraten wollte. Ruprecht aber streitet alles ab und bringt den Flickschuster Leberecht, der dem Mädchen schon längere Zeit schöne Augen machte, ins Spiel. Und so entwickelt sich die Verhandlung, der der Richter kahlköpfig vorstehen muss (eine Katze hat angeblich in seine Perücke gejungt)  zunehmend zum Prozess, bei dem es um die möglicherweise verlorene Ehre der schönen Eve geht, von der sich Ruprecht bereits abwenden will. Das Mädchen aber schweigt. – Und Adam, dessen Ausreden ihn zunehmend als den Mann entpuppen, der sich mit falschen Versprechen gierig Zugang zu Eves Schlafzimmer verschaffen wollte, ist  zuerst froh, nicht erkannt worden zu sein, sieht sich aber am Ende eines turbulenten Prozesses sogar mit einer Zeugin konfrontiert, die den Teufel höchstpersönlich kahlköpfig und mit Klumpfuss das Haus der Marthe Rull flüchtend verlassen sah…


„Der zerbrochene Krug“ findet in der Literatur über den Film der NS-Zeit eher selten Erwähnung. Geht man ausnahmsweise doch auf ihn ein, dann liegt der Schwerpunkt (angesichts der Entwicklung einiger der Teilnehmenden) auf der Frage, wie sehr man die angeblich werkgetreue (!) Umsetzung der Vorlage politisiert habe, ob sie regelrecht braun eingefärbt worden sei. – Dazu ist zu sagen, dass der Film in erster Linie ein Emil Jannings-Vehikel war (Jannings wird im Vorspann sogar nach dem Regisseur als der Mann erwähnt, der für die künstlerische Oberleitung zuständig zeichnete) und weder auf Werktreue noch auf Anpassung an die Ideologie der Zeit abzielte. Er wollte, was zu dieser Zeit noch möglich war (ich erinnere an „Amphitryon – Aus den Wolken kommt das Glück“, 1935), in erster Linie unterhalten und seinem Star jede Möglichkeit zur Selbstdarstellung bieten. Bereits der Beginn lässt erkennen, wie wenig Kleists ohnehin leicht in Bilder umsetzbare Sprache in den Mittelpunkt gestellt werden sollte: Der Zuschauer sieht rund sieben Minuten lang dem Richter zu, der von den Mägden mit einem Klaps auf den Hintern geweckt wurde und jetzt (sich gelegentlich einen Schnaps genehmigend) wortlos die Wunden versorgt, die er einer Türklinke verdankt, mit der Ruprecht im Dunklen den Eindringling verjagt hatte. Erst dann trifft der Schreiber Licht ein und muss sich anhören, Adam sei soeben aus dem Bett gefallen („Der erste Adamsfall, den Ihr aus einem Bett heraus getan“). Kleists gelegentlich nicht einmal zu Ende geführte Blankverse werden zum Bestandteil einer herrlichen Burleske, deren Tempo und Ideenreichtum die Zeit im Fluge vergehen lassen. Jannings' aus purer Bewegung bestehende „tour de force“ enthebt die Vorlage jeder möglichen moralisierenden Botschaft, die sich missbrauchen liesse; sogar das „Üb immer Treu und Redlichkeit!“-Motiv wird musikalisch verulkt. – Als die Kläger eintreffen, sitzt der Richter gerade auf dem Klo, und bevor er die unangenehme Sitzung („Die werden mich doch nicht bei mir verklagen?“) beginnt, schnäuzt er sich die Nase mit einem riesigen Taschentuch, um anschliessend die Eröffnungsglocke so laut zu läuten, dass sich der neben ihm sitzende Gerichtsrat Walter die Ohren zuhalten muss. Kleists Stück muss regelrecht den Beweis erbringen, dass es filmtauglich ist und zu unterhalten vermag.  - Und tatsächlich: Man kann sich während der Sichtung plötzlich vorstellen, wie unpassend die Aufteilung der "analytischen" Komödie in drei Akte gewirkt haben muss, die Goethe für die Uraufführung veranlasste. "Der zerbrochene Krug" braucht Schwung, strebt dem Ziel zu, wie dies der Jannings-Film vorführt.

Regisseur und „künstlerischer Oberleiter“ waren sich auch bewusst, dass Richter Adam erst zur Geltung zu kommen vermochte, wenn man dem Rest des Ensembles Gelegenheit zur Entfaltung bot. Jannings setzte denn auf zuverlässige Schauspieler, von denen jeder „seine Nummer abziehen“ durfte: Herrlich, wie Lina Carstens als Witwe Rull – den ganzen Text der Vorlage übernehmend – dem Gericht ausführlich erklärt, was auf den verschwundenen Scherben des Krugs zu sehen war! Paul Dahlke spielt den Ruprecht als Bauerntölpel, von dem man sich (auch hier nahe an Kleists Stück) fragt, ob er Eve überhaupt verdiene. Und Licht, der eigentlich von Anfang an ahnt, worauf die Sache hinausläuft und der an der Aufklärung interessiert ist, weil er zu Adams Nachfolger werden will, wird von Max Gülstorff als lustiger kleiner Kobold gestaltet, obwohl er eigentlich die negativste Figur der Geschichte ist. Gegen den Schluss hin darf Elisabeth Flickenschildt in einer ihrer ersten Filmrollen die Perücke in die Höhe halten, die Adam auf seiner Flucht verlor - und die ihn - noch immer auf den Teufel als Täter setzend - zur letzten verzweifelten Ausflucht veranlasst: „Wir wissen hierzuland nur unvollkommen, was in der Hölle Mod ist, Frau Brigitte!“ – Man wusste aber vor allem um die Bedeutung der Photographie, die virtuos des Propagandaministers Hoffnung, man habe es nur mit abgefilmtem Theater zu tun, widerlegen sollte. Tatsächlich vergisst der Zuschauer über weite Strecken, dass sich der grösste Teil der Geschichte  in einem einzigen Raum abspielt. Denn vor ihm entstehen Bilder, die sich in ihren stets wechselnden Figurenkonstellationen nicht die niederländische Malerei eines Vermeer, sondern die seines etwas in Vergessenheit geratenen Zeitgenossen Jan Steen (um 1626 - 1679), dessen Genrebilder wesentlich mehr an Humor und Grobianismus interessiert waren, zum Vorbild nehmen. Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, weniger einem Theaterstück als einer 80-minütigen an Malerei erinnernden Bilderflut beizuwohnen. Und die Darsteller, die sich am Ende in einem Kirchenspiel mit der Gerechtigkeit im Hintergrund vor dem Publikum verbeugen, scheinen neckisch daran zu erinnern, dass „Der zerbrochene Krug“ eigentlich doch ein Theaterstück ist, was der Film auf wunderbare Weise vergessen liess. – Man kommt um die Frage nicht herum, ob Goebbels, beleidigt, dass Kleist sich immer noch über ihn lustig zu machen vermochte, dafür sorgte, dass Jannings' Wunschprojekt nicht zum erwarteten Erfolg wurde.


„Der zerbrochene Krug“ wurde 1945 von den Alliierten vorübergehend verboten. Heute sollte das Jannings-Spektakel weniger als Produkt der Nazizeit denn als eine der wenigen Verfilmungen eines Bühnenstücks betrachtet werden, die regelrecht Lust auf einen Dichter machen, dessen Kettensätze einen nicht mit ihm vertrauten Gymnasiasten sonst rasch das Fürchten lehren könnten. Ich war als Kind vom Film derart begeistert, dass ich mich schon bald an Kleists grosse Erzählungen und später auch an die Dramen machte. Der Mann, der Goethe seine Penthesilea „auf den Knien seines Herzens“ darbrachte, wurde für längere Zeit mein Lieblingsdichter, was ich dem herrlichen Jannings-Film verdanke. Der Gedanke, dass sich Goebbels regelrecht über ihn ärgerte, lässt ihn mir noch wertvoller erscheinen.