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Dienstag, 12. Juli 2011

Gruselpfötchen

Die Bande des Schreckens
(Die Bande des Schreckens, Deutschland 1960)

Regie: Harald Reinl
Darsteller: Joachim Fuchsberger, Karin Dor, Fritz Rasp, Elisabeth Flickenschildt, Dieter Eppler, Ulrich Beiger, Karin Kernke, Eddi Arent, Ernst Fritz Fürbringer u.a.

Es waren vor allem zwei Filmreihen, die das deutsche Publikum der 60er Jahre in die Kinos lockten und die vollständige Kapitulation der einheimischen Filmindustrie vor dem Fernsehen zu verhindern vermochten. Sie belieferten den Zuschauer, der sich im vorhergehenden Jahrzehnt noch hauptsächlich mit Heimat zufriedengeben musste, mit Exotik, ermöglichten ihm eine Reise ins ferne nebelverhangene und von geheimnisvollen Mördern heimgesuchte England oder gar in den im ehemaligen Jugoslawien hergerichteten Wilden Westen.

Die Rede ist natürlich von den Verfilmungen der Trivialromane des deutschen Schriftstellers Karl May und des Engländers Edgar Wallace. Sie erwiesen sich als äusserst erfolgreich, wobei die farbenprächtigen und mit grossem Aufwand hergestellten Karl May-Filme eher ein jugendliches Publikum ansprachen, während die recht billig produzierten und grösstenteils im Studio aufgenommenen Edgar Wallace-Streifen (sie verdankten den englischen Touch lange Zeit ausschliesslich Archivaufnahmen, die wenigen übrigen Aussenaufnahmen drehte man in Deutschland) so manchem erwachsenen Deutschen einen wohligen Schauer über den Rücken laufen liessen. Oft genügte schon der unheilschwangere Blick einer Barbara Rütting...


Woher rührte der Erfolg der beiden Reihen (die sich selbst im Modestil dem Zeitgeist anpassende Wallace-Welle hielt bis 1972 an)? Dirk Loew erkennt in ihm in seinem für das Deutsche Filminstitut geschriebenen Beitrag zur “Sozialgeschichte des bundesrepublikanischen Films” einen Bewusstseinswandel: Das bisher “unter dem Deckmantel des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders verborgene schlechte Gewissen der Deutschen" sei ins nationale Bewusstsein vorgedrungen und habe zu einer filmischen Flucht aus der unangenehm gewordenen Heimat geführt, einer Flucht, die es zum Beispiel in den Edgar Wallace-Filmen zugleich ermöglichte, mit der Generation der schuldigen Väter abzurechnen, indem man sie erdolchte, erwürgte - und was da sonst noch an ebenso abwechslungsreichen wie phantasievollen Möglichkeiten geboten wurde. - Diese These hat zweifellos etwas für sich; man sollte aber auch das “Wir sind wieder wer!”-Denken der Zeit nicht unterschätzen: Wir können Indianer-Filme drehen, sogar international erfolgreiche Thriller (tatsächlich erwarben sich die 32 von Horst Wendlandts Rialto-Filmgesellschaft  produzierten Wallace-Krimis unter anderem in England als "German Wallace wave" einen gewissen Ruf), die zwar reine Schauspielerfilme von unterschiedlicher Qualität sein mögen, im Gegensatz zu einer eigentlichen Serie aber mit recht abwechslungsreichen Stories aufwarten. Und man muss zugeben: Mochten die Ingredienzien auch immer die gleichen bleiben, die Struktur vorhersehbar sein; jenen Unterhaltungswert, der Trash zu Kult macht, konnte den Filmen niemand absprechen, weshalb sie heute noch Fans finden und parodiert werden. Es ist auch immer noch ein Genuss, grossen Schauspielern wie Lil Dagover oder Elisabeth Flickenschildt, die ihre Vergangenheit ebenfalls nur vergessen wollten, beim gnadenlosen Overacting zuzuschauen, mitzuerleben, wie ein Klaus Kinski oder ein Eddi Arent den eigentlichen  Helden (Joachim Fuchsberger wartet wohl heute noch auf die Rolle, in der er beweisen kann, dass er ein Schauspieler ist) und seine in Gefahr geratene junge Schönheit an die Wand spielen.

Edgar Wallace (1875-1932) war wie Karl May ein Vielschreiber. Er schrieb jedoch als Spielsüchtiger und hoffnungslos über seine Verhältnisse Lebender regelrecht gegen seine Gläubiger, die ihm ständig auf den Fersen waren, an. Diese unangenehme Situation ruinierte nicht nur seine Gesundheit; sie brachte ihn auch auf die Idee, recht simple Kriminalromane im “Baukastenstil” zu verfassen, die wiederkehrende Elemente variierten (der Held war grundsätzlich Polizist, die Welt um ihn herum korrupt, es wimmelte nur so von Verkleidungen und Schauereffekten, die man der “Gothic novel” entlehnt hatte und die es aufzuklären galt, bevor die junge Heldin - oft das eigentliche Ziel des Bösewichtes - geheiratet werden konnte), und die sich bei den Lesern als ausserordentlich beliebt erwiesen. Da Wallace, der auch als Dramatiker und Drehbuchautor tätig war (er verstarb mitten in seiner Arbeit für den Klassiker “King Kong”, 1933), sich ständig auf der Suche nach neuen Einnahmequellen befand,  verkaufte er die Rechte seiner Werke rasch an Filmproduktionen, weshalb bereits ab 1915 die ersten Wallace-Filme entstanden.

Diese Filme wandten sich im Gegensatz zu den Agatha Christie-Verfilmungen nicht an die Ratio des Zuschauers, sie lebten von der Stimmung, deren Meister Edgar Wallace war. Er liess seine geradezu abartigen Morde nicht in einem scheinbar ganz normalen britischen Landhaus stattfinden, sondern in einer fremden, möglichst obskuren Unterwelt, in der  der “schwarze Abt” oder der “grüne Bogenschütze” ihr Unwesen trieben, “tote Augen” das “Gasthaus an der Themse” bevölkerten - oder die “Tür mit den sieben Schlössern” geöffnet werden musste. In diese Welt drang der unbestechliche Polizist ein und begegnete einer ganzen Horde von Verdächtigen, aber auch einer jungen Erbin oder Sekretärin, in die er sich verliebte. Von diesem Moment an - dies bemerkt auch der heutige Leser der Romane - wurden die meisten Geschichten stereotyp, geradezu langweilig; denn es ging nur noch darum, nach ein wenig Action eine der Gestalten, die diese Welt bevölkerten, als zufälligen Mörder zu entlarven, der wahnsinnig war oder dem es ganz banal ums liebe Geld ging. - Dennoch: die anfängliche Stimmung blieb unvergesslich.

Die deutsche Wallace-Welle, die 1959 mit “Der Frosch mit der Maske” ihren Anfang nahm, fügte den bekannten Ingredienzien noch ein paar weitere hinzu: der Vorgesetzte des Polizisten bei Scotland Yard, oft ein Sir John oder ähnlich, war grundsätzlich eine ahnungslose Lachnummer, die Butler gaben sich so britisch, dass sie wie die - gelegentlich unheimliche - Karikatur eines Butlers wirkten - und die hübsche Heldin wirkte ebenso deutsch wie die “lockeren” Sprüche ihres Polizisten fade. Die Handlung wurde in die Gegenwart verlegt, wodurch das seltsame Figurenarsenal, die unheimlichen Blicke von Klaus Kinski und die schrille Musik (der legendäre Vorspann wurde übrigens längst nicht in allen Filmen der Reihe benutzt) noch an Wirkung gewannen. Vielleicht benötigte ein guter Wallace auch sein Schwarzweiss: Viele Fans verloren ihr Interesse nach dem ersten Farbfilm (“Der Bucklige von Soho”, 1966), spätestens ab 1969 wurde die erfolgreiche Reihe ohnehin von der Zeit eingeholt.


Lange bevor das ZDF mit der legendären Ausstrahlung seiner Edgar Wallace-Reihe begann, zeigte die ARD 1966 bereits “Die Bande des Schreckens” - und der Film jagte dem kleinen Whoknows  eine Heidenangst ein, weshalb er noch heute gern an ihn zurückdenkt. Es handelte sich um die dritte Edgar Wallace-Produktion der Rialto Film (die in Berlin ansässige Kurt Ulrich-Film hatte dem Studio vorher mit dem erheblich schwächeren “Der Rächer”, 1960, Paroli zu bieten versucht, worauf solchen “Ausrastern” bald einmal per gerichtlicher Verfügung verboten wurde, gewisse Elemente der Reihe zu übernehmen). Regie führte Harald Reinl, der schon  “Der Frosch mit der Maske” gedreht hatte und  nach Alfred Vohrer als die prägendste Kraft der Reihe gilt. Der Film wartet wohl mit dem unheimlichsten Beginn auf und hält die wohlig gruselige Atmosphäre für einige Zeit aufrecht, lässt während der zweiten Hälfte allerdings deutlich nach und bietet auch nicht die Gewalttätigkeit, der man im ersten Wallace begegnete. Dennoch ist er noch heute sehenswert:

Gleich am Anfang von “Die Bande des Schreckens” wird der von Scotland Yard schon lange gesuchte Bösewicht, der raffinierte Checkbetrüger Clay Shelton, in einer Londoner Bank von Chefinspektor Long (diesem Film verdankt die Parodie “Der WiXXer”, 2004, wohl einen Namenskalauer, auf den der anständigste Blogger im ganzen Internet nicht näher einzugehen gedenkt) festgenommen. Bei seinem Fluchtversuch, der von mehreren Personen zum Teil unfreiwillig aufgehalten wird, erschiesst er einen Polizisten, weshalb ihn der Richter zum Tod durch den Strang verurteilt. - Kurz vor seiner Exekution bittet Clayton (“ein seltsamer Mensch, direkt unheimlich, möchte man sagen”) alle, die ihn bei der Flucht störten oder an seiner Verurteilung beteiligt waren, zu sich in die Todeszelle. Dort droht er ihnen mit furchtbarer Rache: seine Galgenhand werde sie noch nach seinem Tode einholen und alle umbringen. Long, den man auch den "Wetter" nennt, wettet dagegen, und man vergisst die Drohung, bis der Staatsanwalt das Opfer eines seltsamen “Unfalls” wird.  Von nun an sterben bereits in den ersten zwanzig Minuten wohl mehr Figuren auf höchst makabere Weise als in jedem anderen Wallace. Vom Richter bis zum Henker werden sie von der Galgenhand getötet, während Long, der eigentlich den Polizeidienst quittieren wollte, um bei seinem Vater in einer Bank zu arbeiten, hilflos zusehen muss. Hinzu kommt: Diverse Zeugen berichten sogar, sie hätten  nach den Morden den seine Galgenhand drohend in die Höhe haltenden Clayton gesichtet.

Da hilft wohl nur noch eine Exhumierung, die natürlich während einer Gewitternacht stattfinden muss und den Polizeifotografen, der einst begeistert Tiere fotografierte, beinahe in Ohnmacht fallen lässt (eine jener Paraderollen für Eddi Arent). Der Sarg ist leer, enthält jedoch eine Liste mit den weiteren Opfern, zu denen auch Long gehört (er ergänzt das “Inspektor” mit einem “Chef-”, was ich für eine der wenigen witzigen Gesten halte, die Fuchsberger-“Meine Freunde nennen mich Blacky” zu bieten hat). - Nun gilt es, weitere Tote zu verhindern. Zu ihnen könnte auch die robuste Mrs. Revelstoke gehören, die aber nicht daran denkt, sich Long’s Anweisungen zu fügen, weil sie an einem Golfturnier teilnehmen will. Immerhin hat sie eine süsse Sekretärin, mit der “Blacky” eine Uhr aus Neuseeland bei einem weiteren potentiellen Toten abliefern darf. - Das Hotel, in dem die eintreffenden Teilnehmer des Golfturniers logieren wollen, beherbergt, so stellt man rasch einmal fest, seltsame Gäste. Und bald ist jeder verdächtig, möglicherweise sogar Long’s Vater, der offenbar ein Geheimnis nicht preisgeben will. - Oder war es der Butler des Hauses?

Der Film bietet zwar nicht Klaus Kinski, jedoch jede Menge anderer grosser Schauspieler, die schlicht eine herrliche Show abziehen: Elisabeth Flickenschildt, die, mit grässlich blonder Perücke bewaffnet, in einer völlig überladenen Wohnung lebt, lässt sich so leicht nicht einschüchtern, Fritz Rasp gibt sich als Long's Vater, dem die Tätigkeit seines Sohnes gar nicht zusagt, direkt gespenstisch zurückhaltend, während sich Karin Kernke als Geliebte eines heimlichen Messerwerfers im Liegestuhl räkelt. Und Karin Dor, Harald Reinls Gattin, die in Hitchcock's “Topaz” (1968) einen ausserordentlich ästhetischen Tod würde sterben dürfen, war nach Bekunden eines gewissen Joachim Fuchsberger, der angeblich auch noch mit von der Partie war, seine schönste Partnerin in einem Wallace-Film. - Ein Film mit harmlos-hübschen Schockmomenten, die man noch heute - und sei es auch als "guilty pleasure" - von Herzen geniessen kann.