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Samstag, 14. Juli 2012

Der zur Jahrhundertfigur erhobene Scharlatan

Hanussen
(Profeta, Ungarn/Deutschland/Österreich 1988)

Regie: István Szabó
Darsteller: Klaus-Maria Brandauer, Erland Josephson, Ildikó Bánsági, Walter Schmidinger, Károly Eperjes, Grazyna Szapolowska, Colette Pilz-Warren, Adrianna Biedrzynska, György Cserhalmi, Michal Bajor u.a.

"The movie is thick with period costumes, furniture and music, and thin on coherence and character", urteilte Vincent Canby in einer Kritik für die "New York Times". Ich stimme diesem Urteil vollumfänglich zu, würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und "Hanussen" als durch und durch verlogenes Machwerk bezeichnen, das als Abschluss einer Trilogie über die Konsequenzen des Aufstiegs von Figuren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geradezu eine Peinlichkeit ist. - Mein hartes Urteil hat nichts damit zu tun, dass der Regisseur 2006 zusammen mit Kardinal László Paskai als ehemaliger Stasi-Spitzel enttarnt wurde - obwohl ich als Schreiber, der auf die Nazi-Vergangenheit von Regisseuren hinweist, auch diesen "Flecken" in Szabós Vita nicht unerwähnt lassen darf. Es ist heute jedoch schwer zu beurteilen, was es bedeutete, in einem kommunistischen Land der 50er Jahre als IM für den Geheimdienst "Berichte" zu schreiben. Manche waren sich ihrer Tätigkeit gar nicht bewusst, andere übten sie aus purem Opportunismus aus und dachten, sie sei ihrer Karriere förderlich. Von Szabó lässt sich wenigstens sagen, dass er offenbar niemanden ans Messer geliefert hat. Er hielt aber auch ein Wort des Bedauerns nicht für nötig, sondern betonte: "Alles, was ich dazu sagen möchte, habe ich in meinen Filmen gesagt." - Seine ungarischen Verehrer gaben sich damit zufrieden.  Vielleicht enthalten seine frühen Filme tatsächlich bereits ausreichend versteckte Rechtfertigungsversuche, und die Filme, die ihn international bekannt machten, drehen sich ja immer wieder um Gesellschaften im Zeichen von Diktatur und Fremdbestimmung. "Hanussen" jedoch tut dies auf denkbar oberflächliche, lediglich scheinbare Art.

1981 präsentierte Szabó einem grösseren Publikum die Verfilmung des in der alten BRD lange Zeit verbotenen Romans „Mephisto“ von Klaus Mann, der trotz gegenteiliger Behauptungen des Autors natürlich eine Abrechnung mit dem Schauspieler Gustaf Gründgens war, an dem sich exemplarisch aufzeigen liess, wie ein lediglich an seinem Aufstieg interessierter Mann sich den Nazis auslieferte und am Ende erkennen musste, welche Konsequenzen diese Auslieferung hatte. Klaus Maria Brandauer, ein beinahe ausschliesslich durch seine Tätigkeit als Bühnenkünstler am Wiener Burgtheater bekannter Schauspieler, verkörperte die Titelrolle. Er hatte zwar nicht die geringste Ähnlichkeit mit Gründgens, wartete aber mit einer Leistung auf, die ihn weit über den deutschen Sprachraum hinaus berühmt machte. Der um Werktreue bemühte "Mephisto" erhielt – meines Erachtens zurecht – den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Denn was da über den Weg von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus in erlesene Bilder gepackt wurde, war schlicht überwältigend – und wenn man miterlebte, wie ein als Göring überragend agierender Rolf Hoppe dem „grossen“ Schauspieler zu verstehen gab, wie leicht er ihn zerquetschen könnte, wollte man einfach mehr von Szabó sehen. Tatsächlich entschloss sich dieser zu einer weiteren Zusammenarbeit mit Brandauer. Und wieder sollte es um einen Aufsteiger gehen, nämlich um Alfred Redl, der sich kurz vor dem Untergang der k. und k.-Monarchie aus ärmlichen Verhältnissen in die Oberschicht hinaufarbeiten wollte und an seiner Homosexualität scheiterte. „Oberst Redl“ (1985) – sich nicht detailliert an der Biographie der historischen Figur orientierend - wurde zwar wieder mit einer Oscar-Nomination belohnt, vermochte aber trotz Brandauers Leistung und der brisanten Story nicht an die erste Zusammenarbeit anzuknüpfen, weil er etwas arg von der k. und k.-Gemütlichkeit zerrte.

Ich vermag nicht zu sagen, ob die Idee, das Aufsteiger-Thema als Trilogie anzulegen, schon früh im Kopf des Regisseurs reifte. Auf jeden Fall wirkte die Ankündigung, man wolle die gemeinsame Zusammenarbeit mit einem Film über Hanussen beenden, mehr als verlockend. Hanussen, der Scharlatan, der sich in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts vom Hokuspokus-Clown zum steinreichen Hellseher der Nazis mit dem für Orgien berüchtigten „Palast des Okkulten“ entwickelt hatte, um nach seiner Ankündigung des Reichstagsbrands von den Machthabern ermordet zu werden, schien wie gemacht für einen Film, der sich als abschliessender Höhepunkt des Themen-Zyklus eignete – und wer sollte die Hauptfigur besser verkörpern als Klaus Maria Brandauer? Zwar hatte sich O.W. Fischer, noch persönlich bekannt mit dem „Hellseher“, 1955 unter eigener Regie als Hanussen präsentiert; jetzt aber war es an der Zeit, die faulen Tricks und den unausweichlichen Aufstieg eines der berühmtesten Leute-Verführers des letzten Jahrhunderts filmisch festzuhalten. Schliesslich war er zu einer Legende geworden.  


Erik Jan Hanussen hiess eigentlich Hermann Chajm Steinschneider und wuchs als Sohn eines jüdischen Schmierenkomödianten im Varieté-Milieu auf. Schon früh interessierte er sich für das scheinbar Okkulte und schlich sich in das Vertrauen betrügerischer Hellseher ein. Deren Tricks entlarvte er anschliessend in der Öffentlichkeit, um sie sich später selber anzueignen. Im Ersten Weltkrieg verblüffte er seine Vorgesetzten und Kameraden mit angeblichen Zukuntsvoraussagen (er fing gegen Bezahlung Schreiben aus der Heimat ab und verkündete dann deren Inhalt unter grossem Getue). Bald darauf bewies er seine „Fähigkeiten“ als Wünschelrutengänger, um sich vor gefährlichen Einsätzen zu drücken. Nach dem Krieg rückte der Showman mit Sexappeal mit immer neuen Einfällen an und leistete sich Fehden mit seinen Rivalen. Die vorgespielten Hypnose-Akte und das Zettellesen brachten dem zum Dänen gewordenen Steinschneider aber mehrere Anzeigen wegen Betrugs ein. In dem berühmten Prozess von Leitmeritz gab er sogar zu, ein Hochstapler zu sein (ein Geständnis, das er in seiner ansonsten aus Flunkereien bestehenden Autobiographie „Meine Lebenslinie“, 1930, wiederholte). All dies tat dem Erfolg des als intelligent geltenden Mannes, der mehrere Zeitungen herausgab, keinen Abbruch. Selbst das Zerwürfnis mit seinem bisherigen Manager Erich Juhn, der bald alle seine Tricks verriet, schadete ihm nicht. Im Gegenteil: Die angeblichen Hellsehshows füllten zweimal täglich die Berliner Scala.  Als er in seinen astropolitischen Zeitschriften sogar den Aufstieg Hitlers zu unterstützen begann, spielte auch seine jüdische Herkunft keine Rolle mehr. Selbst Nationalsozialisten waren abergläubisch (es wird sogar gemunkelt, der Führer habe sich mehrmals persönlich von ihm beraten lassen), und der „Hellseher“ bot der Berliner Schickeria auf seiner Yacht willige Damen und Knaben an. Seine Voraussage des Reichstagsbrands wird mit den guten Kontakten zur SA erklärt, deren Chef Ernst Röhm an den für ihn reservierten Knaben seine grosse Freude gehabt haben dürfte. – Über die Gründe, die zu Hanussens Ermordung durch seine bisherigen Gönner führte, herrscht Uneinigkeit. Sein Tod ist vielleicht das einzige Rätsel, das der angebliche Hellseher hinterlassen hat.


Wer nun freilich erwartete, Szabó habe diese mehr als reichhaltige Vita tatsächlich zum Anlass genommen, den Aufstieg eines Scharlatans im Schatten eines noch weitaus gefährlicheren Scharlatans, Hitler, darzustellen, sah sich getäuscht. Das Gegenteil war der Fall. Denn was der Zuschauer da vorgesetzt bekam, war nicht nur die schamlos zusammengewürfelte Lebensgeschichte eines Märtyrers, die – wiederum in erlesenen Bildern - zum Teil sogar auf Hanussens Autobiographie basierte; es zeugte, und das macht das Lügengebilde weitaus schlimmer als die nicht ganz der Wahrheit entsprechende „Redl“-Geschichte, von einem unerschütterlichen Bemühen, die seherischen Fähigkeiten Hanussens als echt hervorzuheben, ein Bemühen, das so viel Raum in Anspruch nahm, dass zeitgeschichtliche Abläufe nur noch für den „Hellseher“ von Bedeutung waren, während die Angst eines Juden vor der Zukunft kurz mit einem vorübereilenden Trupp der SA abgetan wurde, den ein Blick aus dem Fenster zeigte. Denn im Mittelpunkt stand Erik Jan Hanussen, der hier vom Scharlatan in den Rang einer von ihren Visionen beherrschten Jahrhundertfigur erhoben wurde: 

Im Ersten Weltkrieg zieht sich der Österreicher Klaus Schneider bei einem Gefecht eine Kopfverletzung zu. Der ihn behandelnde Arzt Dr. Bettelheim erkennt rasch, dass sein Patient über aussergewöhnliche Fähigkeiten verfügt („Schneider ist in jeder Hinsicht ein interessanter Fall.“), und er möchte ihm mit Hypnose helfen. Tatsächlich erweist sich Schneider, der ständig von Ahnungen redet, nicht nur bald als Frauenheld (er spannt dem Doktor dessen Freundin, Schwester Betty, aus), er liefert auch einen Beweis seiner Macht zur „Willensübertragung“, indem er einen lebensmüden Soldaten davon abhält, sich und das ganze Lazarett mit einer Handgranate in die Luft zu jagen. Nowotny, ein Hauptmann, ist von diesem Ereignis begeistert und überredet Schneider, bei einem Fronttheater für Unterhaltung zu sorgen. – Nach dem Krieg wird Nowotny zum Manager des Mannes, der sich jetzt Hanussen nennt. Man klappert gemeinsam die Grenzstädte ab (die gelungene Aufnahme eines Spaziergangs durch Karlsbad zeigt, wie gefragt damals Varieté-Künstler und Hellseher waren), und als Hanussen eine Schiffskatastrophe voraussagt, erlangt er nicht nur Berühmtheit sondern zeigt sich auch ob seiner „Gabe“ völlig überwältigt. In einem Prozess führt er dem Staatsanwalt vor, dass er mit seiner Willenskraft sämtliche Zuschauer zum Aufstehen zu bewegen vermag. - Die Weltstadt Berlin, wo sich alles trifft, was sich schon vom Krieg her kannte, ruft. Von nun an splittert sich der Film vornehmlich in unzusammenhängende Episoden auf, die den Weg des „Hellsehers“ durch die esoterische Szene der 20er und frühen 30er Jahre nachzeichnen und dessen herausragende Fähigkeiten beleuchten sollen: Er setzt einen Störenfried unter Hypnose und fordert ihn auf der Stuhllehne zum Krähen auf, wandelt durch das dekadente Reich einer Inderin und betont in einem Gespräch mit Politikern: „Ich interessiere mich nicht für Politik“ – um dann doch Hitler als nächsten Reichskanzler zu „sichten“. Die politische Äusserung führt zum Bruch mit seinem Manager, was jedoch am Aufstieg des „Hellsehers“ nichts ändert: An seiner legendären „astrologischen Bar“ lässt er sein Medium verkünden, die neue Zeit bringe Ordnung. Und dann geht er einen Schritt zu weit. 

Es wäre eigentlich faszinierend, die Etappen des wiederbelebten Esoterischen zu verfolgen, spielte es doch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine nicht unbedeutende Rolle (ich erinnere nur an den Kreis um den selbsternannten Dichter-Propheten Stefan George oder an Rudolf Steiner, den Begründer der Anthroposophie). Auch die Vereinnahmung dieses Esoterischen durch den ohnehin einem Mystizismus huldigenden Nationalsozialismus (der ältere irische Dichter W. B. Yeats, der sich sein esoterisches Weltbild aus verschiedenen Kulturen zusammengebastelt hatte, fühlte sich regelrecht geehrt, als man zu erkennen glaubte, er habe in seinem unverständlichen Gedicht „The Second Coming“ das Herannahen des „Dritten Reichs“ vorausgesehen) liesse sich an der Figur des Mannes, der als Hanussen in die Geschichte einging, eindrücklich darstellen. Was Szabó aber bietet, ist eine sich durch das gewohnt sanfte Licht der Bilder und belanglose Dialoge auszeichnende langatmige Huldigung an den Scharlatan der Nazis. Dabei versucht er dessen Glaubwürdigkeit („Der Reichstag wird in Kürze in Flammen stehen!“) noch zu erhöhen, indem er das Feuer als Motiv den ganzen Film durchziehen lässt (Höhepunkt: der Hellseher bringt in einer seiner Shows eine Zuschauerin dazu, den Bühnenvorhang in Brand zu setzen). 


Einzelne Szenen lassen durchaus erahnen, was ein solcher Film zu bieten hätte: Das Treffen mit der Männerkleidung tragenden Fotografin Henni Stahl, die zuerst nackte Arierkörper zu Riefenstahl’schen Pyramiden formiert und anschliessend am Hellseher herausfinden möchte, worin das Geheimnis des Charismas liegt (kurz darauf lässt sich Hitler in den Posen ablichten, die für Hanussen charakteristisch sind). Solche zeitgeschichtlich aufschlussreiche Momente (Hitler muss sich das Charisma aneignen!) sind allerdings eine Rarität in dem Film, von dem Szabó zwar sagte, er sei keine Dokumentation, sondern eine Modellgeschichte, dessen Verlogenheit aber nichts mehr mit der Devise zu tun hat: „Wenn wir über unsere Gegenwart sprechen wollen, müssen wir wissen, von wo wir gekommen sind“ (zitiert nach „Der Spiegel“, 42/1988). Dass statt Hanussen sein sich in Berlin ängstigender Arzt zum Juden gemacht wird oder der „Hellseher“ sein Geburtsdatum mit dem des Führers teilt, gehört zum harmlosen Teil der Flunkereien, die der angeblichen Devise des Ungarn widersprechen. Wichtiger ist: Es geht ihm einzig um die Verherrlichung des Scharlatans, er ist an der Vergangenheit gar nicht interessiert, weist nur am Rande - mit einem Propagandaminister, dessen sympathische Ausstrahlung geradezu pervers wirkt - auf sie hin. Und man kommt um die Frage nicht herum: Was macht diese Figur so faszinierend, dass für den letzten Teil der Aufsteiger-Trilogie sämtliche Grundsätze über Bord geworfen wurden, die man einem ehemaligen Stasi-Spitzel eigentlich hoch anrechnen würde?


Der Verdacht liegt nahe, es sei Szabó und Brandauer zum Abschluss der gemeinsamen Arbeit nicht nur um eine Verherrlichung der Hauptfigur, sondern vor allem um eine des Darstellers gegangen. Brandauer war kurz zuvor mit einer Oscar-Nomination geehrt worden („Out of Africa“, 1985), und der zum Weltstar avancierte Bühnenkünstler hatte offenbar seine „One Man Show“ verdient. Tatsächlich entdeckt man in „Hanussen“ (wie auch in einigen seiner späteren Filme) weniger das grosse Können des Schauspielers als die wohl unvermeidliche Eitelkeit, die mit dem Ruhm einhergeht. Und diese Eitelkeit führt zu unnötig eindringlichen Gesichtsausdrücken im falschen Augenblick, zu hysterischem Herumschreien, ja sogar zu einem regelrecht dämlichen Lächeln, wenn er seine Bettgefährtin auffordert, aus dem Fenster zu springen. Er mag gelegentlich galant wirken, überzeugend ist er nie als geschwätziger Alleinunterhalter. Und für diese verlogene Brandauer-Show wurden Schauspieler wie Erland Josephson verheizt, die wahrlich bessere Rollen in besseren Filmen verdient hätten. – Vielleicht wäre Klaus Maria Brandauer sogar eindrucksvoller gewesen, wenn er den Hellseher wirklich als Scharlatan hätte geben dürfen. So aber bleibt die letzte Zusammenarbeit mit Szabó eine Enttäuschung, ein schicker und belangloser Untergang des Abendlandes, für den sich wohl nur Leute begeistern können, die als Reinkarnation von Hanussen durchs Internet geistern. Soll uns so etwas helfen, wenn wir wissen wollen, von wo wir gekommen sind?