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Mittwoch, 28. Juli 2010

Doo Wop - Der Film zum Kontext für Frustrierte

Heerscharen von Lesern (es waren zwei, um genau zu sein) haben sich bei mir beklagt, weil ich meinem Kontext ohne Film Truffaut anstelle des von ihnen erhofften Doo Wop-Spektakels folgen liess. Ich möchte  ihre Enttäuschng wenigstens ein wenig mildern und widme mich vor der Sommerpause noch

Cry-Baby
(Cry-Baby, USA 1990)

Regie: John Waters
Darsteller: Johnny Depp, Amy Locaine, Susan Tyrrell, Polly Bergen, Iggy Pop, Ricki Lane, Traci Lords, Joe Dallesandro, Patricia Hearst u.a.

Es gäbe sicher Gründe für eine eher zurückhaltende Würdigung von “Cry-Baby”: Zum einen entfernte sich John Waters in seinem ersten Studiofilm  noch weiter von seinem Image als unangefochtenem König des schlechten Geschmacks als in “Hairspray” (1988) - und Dietrich Kuhlbrodt war wohl nicht der einzige Kritiker, der die “Verschnulzung” des Trash-Kult-Renommees bedauerte; zum anderen könnten sich Doo Wop-Fans wegen des schlechten Abschneidens der von ihnen vergötterten Musikrichtung, die erst noch durch zwei beinahe zu oft recycelte Titel (“Sh-Boom” und einem im Nachthemd und mit Schlafmütze wenigstens ironisch spiesserhaft vorgetragenen “Mr. Sandman”) vertreten war, sogar regelrecht diskriminiert vorkommen.

Aber: Auch John Waters dürfte bemerkt haben,  dass seine Umwertungen herkömmlicher Vorstellungen (etwa durch das Propagieren  des Genusses von Hundekot) mit der Zeit ihren provokativen Charakter verloren hatten, dass er dabei war, sich ungewollt vom Underground-Filmer zum gesellschaftlich akzeptierten, wenn nicht gar verhätschelten kleinen “Bürgerschreck” zu entwickeln. Weshalb also nicht nach dem Tanzfilm über die 60er gleich noch eine augenzwinkernde Verbeugung vor den 50er Jahren, die zugleich eine leicht boshafte Erinnerung  an seine Jugend in Baltimore war und beinahe unweigerlich die Form eines Musicals (viele Kritiker sprechen von einem “Grease” mit Grips) annehmen musste? Und kam er bei dieser Gelegenheit darum herum,  die Wahrheit über die musikalische Entwicklung  in jenen Jahren zur Sprache zu bringen? Der Doo Wop, der mit seinen Nonsense-Silben in den 40ern noch ganz den Afroamerikanern (“The Clovers”, “The Five Keys” etc.) gehört hatte, zog Mitte der 50er Jahre zunehmend weisse Jugendliche in seinen Bann und mauserte sich (erste ausschliesslich aus weissen Mitgliedern bestehende Gruppen waren entstanden) zur Musik, deren harmlose Liebestexte sich die Mädchen aus gutem Hause im Gegensatz  zum “den Charakter verderbenden”   Rock‘n’Roll einer aufbegehrenden Jugend anhören durften. - Gleichzeitig wies Waters, um dessen Drehbuch sich die Studios gerissen haben sollen, darauf hin, wie nahe sich Doo Wop und Rock‘n’Roll im Grunde genommen doch standen: Waren die jungen Rebellen erst einmal verliebt, fielen sie (dies sollte später auch Elvis Presley beweisen) rasch einmal dem unumgänglichen mehrstimmigen Gesangsarrangement zum Opfer und stimmten im Kitchen zusammen mit den anderen Häftlingen  ein schnulziges “Teardrops Are Falling” an...

In einem Punkt blieb John Waters seinem “Enfant terrible“-Image treu:  Da man ihm nach dem unerwarteten Erfolg von “Hairspray” freie Hand bei der Wahl der Darsteller gelassen hatte, fügte er seiner bewährten Truppe (Ricki Lane, Kim Webb, Alan J. Wendl) eine Schauspielerriege hinzu, wie sie aus unterschiedlicheren Winkeln nicht hätte zusammengesucht werden können: So traf Ex-Porno-Star Traci Lords auf die einst für einen Golden Globe nominierte Polly Bergen, das ehemalige Entführungsopfer Patricia Hearst begegnete dem “Godfather of Punk” Iggy Pop, der als nackt in einem Blecheimer badender Uncle Belvedere seinen Leuten ein “Woo-Wee, you caught me in my birthday suit, butt-naked!” entgegenrief - und der eher aus Fernsehserien bekannte “brave Amerikaner” David Nelson durfte sich am Neuling Kim McGuire erfreuen, die als Hatchet Face, der Frau mit dem schönsten Gesicht, das je auf der Leinwand zu bewundern war (“There’s nothing the matter with my face. I got character!”), ihr Messerchen zeigte und den Leuten ein “GET CUT!” zu-“flüsterte”. Sie alle arbeiteten mehr oder weniger talentiert auf eine herrliche Weise zusammen, betrieben gnadenlos das, was als “Overacting” bezeichnet wird - und verliehen so dem Film doch jene grellen, anarchischen Trash-Züge, die man sich von einem Meister des “Camp” erhofft (man soll auch hinter der Kulisse zusammengehalten haben: in einer kritischen Situation erzählten alle einander, weshalb sie selber schon - wenn vielleicht auch nur für eine Nacht - “gesessen” hatten). - Waters’ eigentliches As im Ärmel war jedoch ein bildhübscher, unwiderstehlichen Bad Boy-Charme versprühender Bengel, den man hierzulande für einen Sänger hielt (dass Johnny Depp in “Cry-Baby” gar nicht selber singen durfte, erfuhr man erst später, auch über seinen bereits vollzogenen Karrierestart als Schauspieler in den USA war kaum etwas bekannt ) und von dem man mit Bedauern annahm, er werde wohl nie wieder in einem Film zu sehen sein. Welch ein Irrtum!


Die Geschichte, die “Cry-Baby” erzählt, ist eigentlich banal und nimmt jenes Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Weltanschauungen, das Waters von “Pink Flamingos” (1972) bis zum wieder nicht mehr so gesellschaftsfähigen “A Dirty Shame” (2004) beinahe durchgehend beschäftigte, zum Ausgangspunkt für eine “Romeo und Julia”-Variation. Im Baltimore des Jahres 1954 bekämpfen sich zwei Gruppen: die langweiligen “Squares” aus gutem Hause, deren Anstandswauwau Mrs. Vernon-Williams, Leiterin einer Benimmschule, wo natürlich dem Doo Wop gehuldigt wird, ist, und die rebellischen “Drapes” mit ihrem unsittlichen Haarschnitt und Gesang. Ausgerechnet Mrs. Vernon-Williams’ jungfräuliche Enkelin Allison hat es satt, mit ihrem Freund Baldwin, einem Pat Boone-Verschnitt, rumzuhängen und schliesst sich dem “Drape” Cry-Baby Walker und seiner aus herrlichen Freaks bestehenden Truppe, die eben im “falschen” Quartier haust, an. Dort, im Turkey Point, wird aus Allison ein richtiger “Drape” gemacht, und beim gemeinsamen Singen von “King Cry-Baby” verlieben sich die beiden jungen Leute, die sich schon beim Impfen in der Schule schmachtende Blicke zugeworfen hatten,  endgültig ineinander - wobei Allison nicht nur erfährt, dass Zungenküsse keine Mononukleose verursachen, sondern auch, dass Cry-Baby wie sie ein Waisenkind ist (sein Vater war der Alphabetbomber, den man auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet hatte). - Das sich anbahnende Glück passt Baldwin und seinen gar nicht so braven “Squares” natürlich nicht in den Kram, und sie zetteln eine Schlägerei an, die vor dem Richter endet - der ausgerechnet den unschuldigen Cry-Baby in eine Jugendstrafanstalt verbannt, wo er sich schon bald eine Träne unter sein Auge eintätowieren lässt.

Wie sich das Schicksal nicht nur der beiden Liebenden trotz kleiner Komplikationen zum Guten wendet, soll hier nicht verraten werden, lebt doch der Film gerade von all diesen gelegentlich durchaus konventionell-witzigen, dem Mainstream  entgegenkommenden, manchmal aber immer noch an frühere Geschmacklosigkeiten erinnernden Details (wenn etwa Allison ein mit Tränen gefülltes Glas austrinkt oder  die berüchtigte Zungenkuss-Szene beinahe in eine “Schlacht der Zungen” ausartet). - All diese Details, die auch den Nebenfiguren in Erinnerung bleibende Auftritte ermöglichen (ich denke an frömmelnd-fundamentalistische Eltern, die ihren Kindern Kreuze entgegenstrecken und  vor Gericht "in Zungen" zu sprechen beginnen, an das von Traci Lords gespielte Flittchen Wanda, das als Austauschschülerin nach Schweden verfrachtet werden soll und lieber in den Wagen eines stadtbekannten Spanners steigt - oder an die fröhlich schwangere Schülerin Pepper, die ihre ersten beiden Kinder in einer irrwitzigen Aktion aus dem Waisenhaus befreien muss), machen “Cry-Baby” natürlich nicht zum kleinen Klassiker, vielleicht nicht einmal zu Kult. Sie gewährleisten jedoch jedem einen unterhaltsamen (Sommer-)Abend, der sich dem Spektakel nicht mit festgefahrenen Erwartungen an einen Waters-Film annähert . Hinzu kommen die Musiknummern, die gelegentlich den 50ern alle Ehre machen (“Doin’ Time for Bein’ Young”  ist eine wunderschöne Hommage an den jungen Presley), im Falle des von Allison auf einer Kühlerhaube stehend gesungenen und von den “Drapes” begleiteten “Please, Mr. Jailer” sogar die Protestsongs der Vietnam-Generation vorwegzunehmen scheinen. --- Und wir begegnen einem Schauspieler  in einer seiner frühen Rollen, dem es später vergönnt sein sollte, in herausragenden Filmen wie “What’s Eating Gilbert Grape” (1993), “Ed Wood” (1994) oder “Dead Man” (1995) mitzuwirken - der sich jedoch gelegentlich auch für Projekte zur Verfügung stellte, über die ich mich hier lieber nicht auslassen möchte, da es mir nur Ärger einbrächte, würde ich mich zu weit aus dem “Secret Window” hinauslehnen.

“Cry-Baby” wurde übrigens nicht zum von den Studios erwarteten Erfolg und spielte in den Kinos der USA die Produktionskosten nicht ein. Erst TV-Ausstrahlungen und die Veröffentlichung auf DVD verhalfen dem Film zu Anerkennung und einer Fangemeinde. Diese erkannte auch, dass Johnny Depp der weitaus  bessere John Travolta war.

So! Damit verabschiedet sich ein völlig ausgebrannter Whoknows  für drei, vier Wochen von seinem Blog und begibt sich mit rund 700 Doo Wop-Titeln und nicht viel weniger Filmen in die hoffentlich verdiente