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Dienstag, 21. September 2010

Kurzbesprechung: Urbania

Urbania
(Urbania,  USA 2000)

Regie: Jon Shear (anderer Name: Jon Matthews)

Mit Michel Bodmer verfügt das Schweizer Fernsehen (SF DRS) über einen Redaktionsleiter, der die Zuschauer nicht mit dem üblichen filmischen Einheitsbrei, wie man ihn von deutschen Privatsendern her kennt, versorgt, sondern - wofür ich ihm ausserordentlich dankbar bin - in seinen “Delikatessen” immer wieder kleine Perlen präsentiert, die selbst der Liebhaber aussergewöhnlicher Filme sonst wohl nie kennen gelernt hätte. “Urbania”, das mehrfach ausgezeichnete Erstlingswerk von Jon Shear, ist eine dieser Perlen. Der Film könnte hierzulande zu Unrecht in der Abteilung “Gay Movies” Staub ansammeln, weil er einem schwulen Publikum nicht unbedingt das bietet, was es erwartet, von Heterosexuellen jedoch wegen des schwulen Protagonisten leicht in eine bestimmte Schublade gesteckt zu werden droht. - Sein eigentliches Thema sind nämlich die “urban legends”, jene unwahrscheinlichen, skurrilen Geschichten, derer sich jede Grossstadt rühmt und die längst die ländlichen Sagen abgelöst haben.

“Heard any good stories lately?” - Mit diesen Worten beginnt “Urbania”, die Verfilmung eines Bühnenstücks von Daniel Reitz, die das Erzählen als solches thematisiert und visuell auf höchst eigenwillige Weise umzusetzen vermag. Im Mittelpunkt steht der Schwule Charlie (Dan Futterman), dessen Odyssee durch ein nächtliches New York zu verschiedenen Begegnungen - geplanten und zufälligen - führt. Und alle diese Begegnungen gehen mit jenen seltsamen Erzählungen, deren "Glaubwürdigkeit" vom Freund eines Freundes bestätigt wurde, einher, weil die Menschen im Dschungel der Anonymität reden und angehört werden wollen. - Charlie, der auf der Suche nach einem bestimmten Mann ist (er beschreibt ihn gegenüber einem Barkeeper als jemanden, der sich auf der Schwelle befinde, wo Schönheit in Hässlichkeit umschlägt), wird selber von Halluzinationen, Bildern und Erinnerungen an seinen Freund Chris, den er aus irgendeinem Grund zu vermissen scheint, gequält. - Als er den Gesuchten, Dean,  findet, stösst er auf einen rassistischen, homophoben Kerl, der völlig dem Alkohol verfallen ist und von dem er sich als angeblich Heterosexueller zu einem Schwulentreffpunkt mitschleppen lässt, wo der Besoffene ein wenig “Gay Bashing” betreiben will. Doch auch Charlie hat sich nicht aus freundschaftlichen Gründen auf die Suche nach Dean ("who's going to make everything right") gemacht. Was er vorhat, lässt eher auf einen Mann schliessen,  der emotional am Ende ist und dessen Handeln ihn vielleicht selber zur “urban legend”  werden lassen könnte.

Mehr soll und darf man - der Bitte der Herausgeber folgend - nicht verraten. Der Zuschauer muss sich die erste rätselhafte Hälfte, deren Flashbacks und eigenartige Kamerawinkel für Verwirrung sorgen mögen, selber zumuten. Er wird mit einer tragischen Geschichte, deren Mischung aus  Surrealismus und Hyperrealismus an unerwarteter Stelle eine faszinierende, sich dem Traum annähernde Atmosphäre erzeugt, belohnt. Und Dan Futterman's Gestaltung der Hauptfigur in diesem trotz seiner grellen Farben dunkeln und ehrgeizigen Film überzeugt voll und ganz.