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Freitag, 1. August 2014

Vier Hausmädchen


Eine junge Frau aus einfachen Verhältnissen wird als Hausmädchen in einer Familie aus einer gehobeneren Schicht eingestellt. Sie soll in erster Linie die hochschwangere Herrin des Hauses bei heimischen Arbeiten entlasten. Als es jedoch zwischen dem Hausherren und dem Hausmädchen zu einem Verhältnis kommt und letzteres schwanger wird, beginnen die Leidenschaften hochzukochen.

Eine einfache Geschichte, die in vier Filmen variiert wird. Drei von ihnen inszenierte Kim Ki-young, einer der großen Außenseiter und Exzentriker des koreanischen Kinos von den 1960er bis 1980er Jahren. Das Konzept, eigene Filme mit fast der selben Geschichte zu variieren, war keineswegs neu. Howard Hawks drehte 1959 RIO BRAVO: 1966 und 1970 folgten die Variationen EL DORADO und RIO LOBO. Ein wesentlich passenderer Vergleich mit Kims „Hausmädchen-Trilogie“ sind jedoch Fritz Langs WOMAN IN THE WINDOW (1944) und SCARLET STREET (1945). 2010 drehte Im Sang-soo einen Film, der gemeinhin als Remake bezeichnet wurde – den Begriff Variation halte ich für fruchtbarer. Aber der Reihe nach...


HANYO (THE HOUSEMAID)
Republik Korea 1960
Regie: Kim Ki-young
Darsteller: Lee Eun-shim (das Hausmädchen), Kim Jin-kyu (der Hausherr), Ju Jeung-ryu (die Hausherrin)

HANYO präsentiert uns zu Beginn eine Familie wie aus dem Bilderbuch: Vater, Mutter, Tochter, Sohn. Sie leben in scheinbarer Harmonie: von einer kleinen Wohnung sind sie in ein kleines zweistöckiges Haus umgezogen. Die Frau ist hochschwanger, und engagiert deshalb ein Hausmädchen, um bei den häuslichen Arbeiten auszuhelfen. Doch schon bevor die todbringende Haushaltshilfe ankommt, wird deutlich, dass irgendetwas nicht stimmt. Die rasende Kamera und die dissonante Musik (im Vorspann) sind erste Hinweise, aber auch kleine gewalttätige Ausbrüche machen deutlich: das Hausmädchen wird keine intakte Familie zerstören, sondern einer Gruppe von bereits gestörten Menschen den Spiegel vors Gesicht halten.

Rattengift und voyeuristischer Blick
Die immer wieder suggerierte Deutung von HANYO sieht das Hausmädchen schlimmstenfalls als Monster, bestenfalls als Bösewicht. Wer genau hinschaut, wird merken, dass Sympathien und Antipathien nicht eindeutig verteilt sind und Kim es sich selbst und dem Zuschauer alles andere als einfach macht.

Der Hausherr etwa ist als Musiklehrer für Fabrikarbeiterinnen angestellt. Die Unterrichtung, so sehr er immer mal einen kleinen Witz auf den Lippen trägt, versteht er auch immer als Akt der sozialen Unterwerfung. Er sieht die Arbeiterinnen als minderwertig an und hat auch keine Angst, ihnen gegenüber handgreiflich zu werden – oder eine von ihnen bei der Fabrikverwaltung zu denunzieren, für einen Liebesbrief, der offensichtlich eher verliebt-schwärmerisch als aggressiv sexuell ist (HANYO wird danach eine Art Versuchsanordnung aufbauen, die indirekt dem Hausherrn ins Gesicht sagt „Fühlst du dich von diesem harmlosen Zettel bedroht? Warte erst mal ab, was das Hausmädchen mit dir anstellen wird!“).
Den Klassenunterschied zu den Arbeiterinnen und dem Hausmädchen markiert der Hausherr auch sehr deutlich, indem er sie systematisch mit „du“ anspricht, während die jungen Frauen ihn immer siezen (so durchgehend in den verfügbaren französischen und deutschen Untertiteln). Die koreanische Sprache kennt wohl sechs verschiedene Honorativ-Formen, von denen drei geläufig sind – und offenbar zwei Formen des Duzens. Das widerspiegelt die Bedeutung, die soziale Hierarchien im Koreanischen haben, und es ist zu vermuten, dass der Film damit in der gegenseitigen Anrede der Figuren bewusst spielt (mangels Kenntnis der koreanischen Sprache mag ich da keine tiefer gehenden Interpretationen vorlegen).
Auch zuhause, als Hausherr, offenbart der Musiklehrer schnell seine dunkle Seite. Er ist herrisch, latent gewalttätig, und gebiert sich offen grausam gegenüber seiner gehbehinderten Tochter (er lässt sie kaltblütig auf der Treppe stürzen mit der Begründung, dass sie eben mehr trainieren müsse) und seinem Sohn (als dieser einer kleinen Bitte nicht sofort nachgeht, reißt er ihm ein Spielzeug aus der Hand und droht damit, es zu zerstören). 

Doch das bedeutet nicht, dass in HANYO die Kinder unschuldig sind. Der Junge hänselt immer wieder seine Schwester, die nur langsam auf Krücken gehen kann. Das Mädchen hingegen hat die sozialen Klassenambitionen ihrer Eltern gut internalisiert, und begegnet dem neuen Hausmädchen mit Verachtung, Misstrauen, sehr schnell gar mit Paranoia – noch bevor es dafür nur den geringsten Anlass gibt. So erscheint das Hausmädchen schlussendlich als selbst-erfüllende Prophezeiung der Ängste, die die Mittelklasse-Familie plagen.

Die Ehefrau und Hausherrin hingegen lebt in einer materialistischen Blase und hängt einem recht pervertiertem Bild von Familie nach: ihrer Meinung nach ist die größte Bedrohung für die Familienwerte Sex – während Raub oder gar Mord völlig in Ordnung gehen, solange man sie richtig vertuschen kann.

Nasse Fenster und Lust
Das Hausmädchen hingegen, absolut wunderbar von Lee Eun-shim dargestellt (meiner Meinung nach die beste Hausmädchen-Darstellerin aller vier Filme), bleibt in vielem ein Geheimnis. Man weiß nur, dass sie vom Land kommt. Es gibt zu Beginn Anzeichen dafür, dass sie geistig etwas zurückgeblieben ist, was sich als Trugschluss entpuppt. Psychisch labil mag sie sein, aber auf eigene Weise ist sie auch eine eiskalte Rationalistin, die zumindest im Rahmen ihrer eigenen Logik konsequent handelt – wenngleich mörderisch und selbstzerstörerisch. Sicher ist, dass sie eine proaktive Figur ist: in den beiden folgenden Filmvariationen wird das Hausmädchen vom Hausherren vergewaltigt und in der Variation von 2010 von ihm verführt – der HANYO von 1960 ist so der einzige Film der Reihe, in der das Hausmädchen aktiv den Hausherren verführt.

HANYO kann als bitterböse Satire auf eine rein materialistische Aufsteiger-Mentalität gedeutet werden. Die Familie, in die das Hausmädchen gerät, steigt, wenn man so will, von der niedrigen Mittelklasse in die mittlere Mittelklasse auf und umgibt sich gerne mit Statussymbolen. Dazu gehört das Klavier im Wohnzimmer ebenso wie das Fernsehgerät (das ähnliche fetischisierende Äußerungen auslöst wie in Douglas Sirks Melodrama ALL THAT HEAVEN ALLOWS). Das Mädchen vom Lande nehmen diese Mittelschichtsangehörigen letztendlich völlig irrational als Bedrohung für ihren sozialen Status an und haben durchaus keine Hemmungen, einen „Klassenkampf von oben“ gegen sozioökonomisch Niedrigstehende zu entfesseln.
Sehr bemerkenswert ist, dass in HANYO die Hausherren KEINE Reichen sind, sondern tatsächlich aufsteigende Mittelschicht. Das ändert sich im Laufe der Hausmädchen-Filme: die Hausherren werden stetig wohlhabender, das Haus immer größer – bis sie schließlich in HANYO (2010) Multimillionäre sind. Die materialistischen Ängste der Hausherren werden aber nirgendwo so deutlich wie in HANYO (1960): der Aufstieg ist frisch, die Abwehrmechanismen gegenüber Arbeiterschichten sind wesentlich lebendiger. Und das Hausmädchen kann ihre Rolle als brutale Strafe wesentlich wirkungsmächtiger entfalten. HANYO kann als bitterböse Satire über seelenlosen Materialismus gelesen werden, auch wenn er natürlich in erster Linie ein psychosexueller Thriller ist und bleibt (und – in Hollywood-Begriffen – Hitchcock oder vielleicht besser Nicholas Ray näher steht als sagen wir Stanley Kramer).

HANYO ist stilistisch äußerst bemerkenswert. Die „establishing shots“ bei den Szenenübergängen sind dynamisch, gar teilweise verwirrend schnell geschnitten, aber der Film ist vor allem für seine eleganten Plansequenzen bekannt, gefilmt entlang der Terrasse des Hauses mit Blick in das Innere der Räume: ein aufdringlicher, bedrängender, voyeuristischer Blick, der dem aufdringlichen, bedrängenden und voyeuristischen Charakter des Hausmädchens entspricht.
Im Inneren herrscht Bedrängung: die Familie mag in einem zweistöckigen Haus wohnen, das wesentlich größer ist als die vorherige Wohnung, aber die Räume sind trotzdem eng. Oder werden stets eng gefilmt. Etwa aus dem Inneren eines Küchenschranks, wo die Flasche Rattengift lagert, die wie ein Damoklesschwert über die Geschichte hängt. Das Haus ist außerdem voller Flügeltüren: immer wieder werden sie zugeschoben, meist vor der Nase einer anderen Figur. Es ist eine Geste, die sich im Verlauf des Films immer wiederholt und stetig deutlicher macht, dass jegliche Kommunikation im Hause immer mehr zusammenbricht und zunehmend von Zorn, Raserei und Wahnsinn überlagert wird. Die bedrückende Geräuschkulisse fördert die Enge der Räume noch mehr: ein penetrant gespieltes Klavier (verschiedene Motive, ob gerade der Hausherr spielt oder das Hausmädchen manisch dissonante Akkorde reinhackt), das permanente Rattern der Nähmaschine, draußen der tobende Regen – ein nervenzerrendes Sounddesign, das die Spannung des Films bis kurz vor der Explosion steigert.

Drastische Bilder
Kim erschafft in HANYO immer wieder extreme, brutale, drastische Bilder voller psychischer und physischer Grausamkeit, die in einem Film von 1960 schier erstaunlich sind (und das ist das Jahr, in dem PSYCHO und PEEPING TOM herauskamen): permanente Morddrohungen, kaltblütiger Mord, Selbstverletzung... Das Hausmädchen beginnt in einer Szene, die Tochter des Hauses unter Zwang zu füttern: sie stopft sie regelrecht mit Reis (der Film lässt in diesem Moment offen, ob der Reis nicht möglicherweise vergiftet ist). Diese Szene mag in ihrer emotionalen Grausamkeit etwas subtiler sein als der Mord am Sohn des Hauses, oder der Versuch des Hausherren, das Hausmädchen mit bloßen Händen zu erwürgen – sie zeugt aber vom großen Talent Kims, eine Atmosphäre der permanenten Bedrohung, Beklemmung und des Unbehagens zu schaffen. Sexualität wird, dem Entstehungsjahr entsprechend, größtenteils eher bedeckt inszeniert: ein Gewitterblitz, das in einen Baum einschlägt, muss dann eben als Ersatz für eine richtige Sexszene herhalten. Dennoch beginnt in einer Art Akt sexueller Selbstunterwerfung das Hausmädchen an einer Stelle, die nackten Beine des Hausherrn im Morgenmantel frenetisch zu küssen.

Falls diese Ausführungen alle etwas unaufgeräumt klingen, hängt das damit zusammen, dass in HANYO nur schwer eine Ordnung reinzubringen ist: alle rasenden Emotionen überlagern sich nach und nach immer heftiger. Hilfe bietet erst der Epilog, in dem der Hausherr sich direkt an die Zuschauer wendet (nachdem er eigentlich gerade gestorben ist). In einer kleinen Rede entzaubert er das eben Gesehene als reine Fantasie, die er sich nach der Lektüre eines reisserischen Zeitungsartikels ausgemalt hat. In einem Interview sagte Kim, dass er den Schluss ganz bewusst hinzugefügt hat, um die lineare Chronologie des Films und jegliche Unterscheidung zwischen Realität und Fantasie zu brechen – Zensur spielte bei dieser Entscheidung offenbar keine Rolle. Eskalierende Sex- und Gewalt-Plots, die sich als Traum oder Trugbild entpuppen, hatte es schon in SCHATTEN (1923) von Arthur Robison oder in THE WOMAN IN THE WINDOW (1944) von Fritz Lang gegeben. Letzterer ist ein passender Vergleich: Lang inszenierte ein Jahr später fast die gleiche Geschichte mit den gleichen Schauspielern noch einmal, mit dem Unterschied, dass in SCARLET STREET die sex-and-crime-story endete, ohne dass sie als (innerfilmische) Fantasie aufgelöst wurde. Kim Ki-young ging einen ähnlichen Weg, als er 1970 HWANYEO ebenso ohne „Happy End“ filmte.



HWANYEO (WOMAN OF FIRE)
Republik Korea 1970
Regie: Kim Ki-young
Darsteller: Yoon Yeo-jeong (das Hausmädchen), Namkoong Won (der Hausherr), Jeon Gye-hyeon (die Hausherrin)

Auch in HWANYEO bricht Kim die Chronologie auf. Die Rahmenhandlung spielt in einem Seouler Polizeipräsidium, wo  die Todesumstände eines Mannes und seines Hausmädchens untersucht werden. Der Hauptteil des Films ist daher eine Rückblende (die an manchen Stellen eigene Rückblenden hat).

Das neue Hausmädchen und die Hühnerfarm
Das Hausmädchen in HWANYEO ist wieder ein Mädchen vom Lande, aber sie hat nun eine Vorgeschichte: sie ist schon zu Beginn eine Mörderin. Zusammen mit ihrer besten Freundin wird sie in ihrem Heimatdorf von zwei Schmieden vergewaltigt und tötet sie beide in Notwehr. Die beiden jungen Frauen fliehen nach Seoul, wo sie von einem schmierigen Arbeitsvermittler Jobs vermittelt bekommen. Die eine wird Tänzerin/Animateurin/Begleiterin (im Klartext: Prostituierte) in einer Bar. Die andere wird als Hausmädchen vermittelt. In dem Haus, in dem sie arbeitet, wird sie de facto als Sklavin gehalten: sie kriegt kein Gehalt, sondern nur Kost und Logis (jedoch auf eigenen Wunsch: die Hausherrin soll für sie irgendwann einen geeigneten Ehemann finden und sie verkuppeln – was ja auf einer gewissen Art und Weise auch passieren wird).

Der Hausherr komponiert Poplieder. Er hat offenbar ein kleines Alkoholproblem, lebt aber weitestgehend eine glückliche bürgerliche Existenz mit Frau, Tochter und Sohn. Anfänglich behandelt er das neue Hausmädchen mit Verachtung und Hohn: für ihn ist sie eine stinkende und vulgäre Bäuerin. Das ist insofern interessant, als dass sich das Haus in einem ländlich geprägten Vorort befindet (inwiefern gutsituierte Bewohner Seouls in den 1960er Jahren dazu neigten, in Suburbs zu ziehen, kann ich schwer sagen). Unmittelbar neben dem Haus steht die Hühnerfarm, die die Ehefrau betreibt, wobei angedeutet wird, dass sie mehr zur Haushaltskasse beiträgt als der Mann. Naturnah-bäuerlich ist das ganze allerdings nicht, sondern es ist eine Massenhaltung, die die Hausherrin mit einem sehr effizienten und kalten Geschäftssinn führt: Hühner, die ein gewisses Legequorum nicht erfüllen, werden sofort getötet und zu Grillhähnchen verarbeitet. Ein matching cut vom Füttern der Hühner im Stall zu einer Platte mit Hähnchen, die aus dem Kühlschrank geholt wird, macht diese Verwertungskette ganz deutlich. Doch die eiskalte Haltung hat die Hausherrin nicht nur gegenüber Hühnern, sondern auch gegenüber Menschen. Als sie für einige Tage mit den Kindern verreist und den Ehemann zurücklässt, weist sie das Hausmädchen an, aufdringliche Besucherinnen und potentielle Liebhaberinnen ihres Mannes rücksichtslos rauszuwerfen – oder falls nötig auch gleich zu töten (was sie eindeutig ohne Anflug von Ironie äußert). Später wird eine Szene aus dem ersten Teil variiert, als der Mann gestehen möchte, dass das Hausmädchen von ihm schwanger ist: er fragt seine Frau, ob es sie stören würde, wenn er jemanden ausrauben würde (nein), wenn er jemanden töten würde (nein) oder wenn er eine andere Frau schwängern würde (woraufhin sie mit ihm de facto bricht).

Vergewaltigung und eskalierende Affäre
Im Gegensatz HANYO kommt es in HWANYEO zunächst nicht zu einer „richtigen“ Affäre. Vielmehr vergewaltigt der Mann im alkoholischen Vollrausch das Hausmädchen (gleichwohl im Glauben, dass es sich um eine Arbeitskollegin auf Besuch handelt, die er sexuell bedrängt hat, jedoch geflüchtet ist) – die visuell verzerrten Bilder der beiden Schmiede, die auf ein glühendes Eisen hämmern und die Doppel-Vergewaltigung zu Beginn visualisieren, kommen hier wieder zum Einsatz. Für den Hausherren ist die Vergewaltigung des Hausmädchens nicht wirklich der Rede wert, und er möchte das ganze lieber unter den Tisch kehren. Das geht nicht so einfach, weil zum einen das Hausmädchen schwanger ist und zum anderen immer aggressiver zu einer richtigen Affäre drängt, die er gar nicht haben wollte.

HWANYEO fächert den Komplex um Schuld und Gewalt noch etwas mehr als im Film von 1960 auf. Die Hausherrin zwingt das Hausmädchen zur Abtreibung des Kindes, woraufhin diese kurz danach das Neugeborene des Hauses tötet. Wie in HANYO (wo sie allerdings den älteren Sohn tötet) vollzieht das Hausmädchen die grausame Logik, wonach sie dem Ehepaar ein Kind wegnimmt, nachdem ihr das Kind weggenommen wurde. Wie mit der Leiche des getöteten Kindes umgegangen wird, erfahren wir wie in HANYO auch hier nicht (nur, dass das ganze nach außen hin um jeden Preis vertuscht wird).

Doch ein weiterer Tötungsfall schweißt das Trio noch enger zusammen. Der schmierige Arbeitsvermittler, der von seinen Mädchen stets Geld oder Sex als Vermittlungsgebühr abpressen will, sucht die als Hausmädchen verkaufte junge Frau auf und versucht, sie zu vergewaltigen. Wie einst auf dem Land tötet sie ihren Vergewaltiger in Notwehr (mit einem roten Nachttopf!). Es folgt eine komplexe Arbeitsteilung im Bereich der Schuldbewältigung: Das Hausmädchen tötet den Angreifer, drapiert die Leiche so, dass der Hausherr denkt, er habe den Mord im Vollsuff selbst begangen, während wiederum die Hausherrin dann die Leiche beseitigt (wie es scheint auf eine besonders krasse und makabre Art und Weise). Schuld ist ansteckend. Und schweißt das Trio zu einer noch unheilvolleren Allianz zusammen.

Kunstvoller Einsatz von Farbe
in geometrischer Architektur
Stilistisch schließt sich HWANYEO in einigen Punkten an HANYO an. Die Kamerafahrten auf der Terrasse mit dem voyeuristischen Blick in das Innere, der permanente Regen... Doch die expressive Verzerrung der Bilder, die 1960 noch knapp kontrolliert wurden, wird 1970 vollkommen entfesselt. HANYO war sicherlich schon von geometrischen Formen gezeichnet, doch in HWANYEO sind harte, kantige, geometrische Formen geradezu hegemonial. Das Bildformat 2,35:1 ermöglicht einen noch komplexeren Bildaufbau und bietet mehr Chancen, die Bilder zu fragmentieren. Sie werden verfremdet, indem sich immer irgendetwas in den Vordergrund schiebt, oder etwas verdeckt, oder die Figuren nur in der Hälfte oder gar einem Drittel des Bildes sichtbar agieren können. Eine zu Fragmenten zerschlagene Welt.
Am auffallendsten ist natürlich das – schlichtweg fantastische! – Zusammenspiel aus Licht und Farbe. Emotionale Szenen werden stets in vollkommen unnatürliches Licht getaucht, in tiefem Blau und Rot, was die irreale, fieberhafte, irrsinnige Atmosphäre des Films steigert. HWAYNEO ist ein roter Film, ein Popart-Terror-Thriller. Einige Fans Kim Ki-youngs bezeichneten ihn wohl einmal als „Douglas Sirk auf Acid“.


HWANYEO ’82 (WOMAN OF FIRE ’82)
Republik Korea 1982
Regie: Kim Ki-young
Darsteller: Na Young-hee (?) (das Hausmädchen), Chon Moo-song (?) (der Hausherr), Kim Ji-mee (?) (die Hausherrin)

HANYO und HWANYEO waren expressionistische, surrealistische Fieberträume. HWANYEO ’82 markiert hingegen einen Einbruch von „Realismus“ in die Hausmädchen-Geschichte. Das tut dem Film allerdings nicht wirklich gut – um es mal vorsichtig auszudrücken... 

Geöffnete Räume, 80er-Jahre-Einrichtung
HWANYEO ’82 ist von den drei HANYO-Variationen die einzige, die sich tatsächlich ein wenig wie ein lustloses Remake anfühlt, in dem Elemente der früheren Filme zusammengeworfen werden, ohne, dass das irgendwie passt oder eine Eigendynamik entwickelt – wie eine Collage aus halbherzigen Zitaten. Diese Lustlosigkeit, dieser Mangel an Dynamik kann teilweise auch an der Laufzeit erkannt werden: mit 122 Minuten ist HWANYEO ’82 der längste „Hausmädchen“-Film, und er fühlt sich auch so an.

Am ehesten lässt sich HWANYEO ’82 als Versuchsanordnung zu verstehen: man kann sich vorstellen, dass Kim Ki-young mal austesten wollte, was passieren würde, wenn man die expressionistischen Elemente der Erzählung (man könnte auch sagen: den offenen Wahnsinn) zügelt und den Raum noch weiter öffnet (letzteres eine lineare Entwicklung in der Reihe – dazu mehr später). Das Resultat ist weitestgehend misslungen. Die Bilder sind flach. Das Haus sieht realer aus, aber eben auch weniger atmosphärisch, weniger klaustrophobisch: das ist nicht mehr der Vorhof der Hölle, sondern in der Tat nur ein biederes Suburbia-Haus. Die Farbgestaltung drückt nicht mehr den entrückten geistigen Zustand der Figuren aus, sondern eher ihren zweifelhaften Geschmack bei Fragen der Inneneinrichtung.

Gleichzeitig erscheint es so, als hätte sich Kim selbst wohl mit dem realistischen Look nicht wirklich wohl gefühlt: immer wieder (also eigentlich: erneut) „zerbricht“ er die Bilder durch Gläser, Gitter, nasse Spiegel und Feuer, was den Gesamteindruck des Films noch inkohärenter macht. Überhaupt will vieles nicht so recht zusammenpassen. Wie in HWANYEO vergewaltigt der Hausherr das Hausmädchen im Vollrausch, und zwar wenige Augenblicke, nachdem er zwei kleine Schlücke Reiswein getrunken hat. Auch Zuschauer, die das Jagen und Sammeln sogenannter Logiklöcher für kunstfeindliche und biedere Pedanterie halten, werden doch anmerken müssen, dass eine unpassende, und völlig angespannte Theatralik entsteht, wenn dieser Mann nach zwei Schlücken sich so verhält, als hätte er gerade stundenlang gezecht. Überhaupt spielt der Hausherr viel zu theatralisch auf für einen Film, der sich ansonsten nüchtern und gediegener präsentieren möchte.

"Zerbrochene" Bilder
Neben dem flachen Look der Bilder krankt HWANYEO ’82 generell an den eher schwachen Darstellern. Am überzeugendsten ist vielleicht die Hausherrin. Doch gerade das Hausmädchen dürfte die gravierendste Fehlbesetzung des Films sein – blass, ohne Eigenschaften, etwas lustlos Dialogsätze rezitierend. Bemerkenswert und interessant ist, dass HWANYEO ’82 die ältesten Hausherren der Reihe hat. Die Alterung der Hausherren-Figuren war bis dahin linear, und brach 2010 wieder ab.

Mit dem späteren HANYO teilt HWANYEO ’82 allerdings den Drang, mit dem Holzhammer zusätzliche Figuren einzuführen, die „funktional“ zu sein haben. Der „kollektive“ Mord aus HWANYEO wird auch 1982 variiert. Das Opfer ist ein Hühnerfarm-Mitarbeiter, der aus heiterem Himmel plötzlich auftaucht (vorher betrieb die Hausherrin ihre Hühnerfarm wie in HWANYEO offensichtlich alleine) und von der Hausherrin als passender Ehemann für das Hausmädchen rausgesucht wird: die Figur wird holprig eingeführt, um sofort danach fast ebenso holprig ermordet zu werden.

Es bliebe noch viel Schlechtes über HWANYEO ’82 zu sagen, etwa, dass die Musik sich als schwer erträgliches Synthie-Gequake entpuppt, aber im Grunde sollte man von diesem Film tatsächlich als misslungenes Experiment sprechen. 2010 hat HANYO einiges vom misslungenen Experiment übernommen. Doch zunächst einige Worte dazu, wer eigentlich hinter diesen bizarren Filmen steckt...



Kim Ki-young

Kim Ki-young wurde ungefähr 1919 in Seoul geboren. 1919 stand in seinem Pass, 1922 war nach eigener Aussage sein eigentliches Geburtsdatum. Er wuchs in Pyongyang auf und lebte auch eine Zeitlang in Japan, der damaligen Kolonialmacht über Korea. Hier lernte Kim fließend Japanisch lesen, schreiben und sprechen und sah in den Kinos der größeren Städte Filme Fritz Langs und Josef von Sternbergs, die ihn nachhaltig beeindruckten. An der Universität Seoul studierte Kim Medizin und machte seinen Abschluss als Hals-Nasen-Ohren-Arzt. In seiner Studienzeit interessierte er sich jedoch sehr für das Theater und gründete ein eigenes universitäres Ensemble, das vor allem klassische westliche Stücke aufführte. Die Hauptschauspielerin, die Studentin der Zahnmedizin Kim Yu-bong, wurde 1951 seine Ehefrau – die Ehe bestand bis zum tragischen und gemeinsamen Tod am 5. Februar 1998. Im Gegensatz zu ihrem Ehemann praktizierte Kim Yu-bong später ihren erlernten Beruf, und als erfolgreiche Zahnärztin unterstützte sie finanziell ihren Ehemann in mageren Zeiten und bezuschusste viele seiner Filme. Die Mäzenin soll angeblich regelmäßig nach der Sichtung von Kims Filmen in Tränen ausgebrochen sein und dabei gefragt haben, was er nur mit ihrem ganzen Geld angestellt habe. Dies belastete aber offensichtlich weder die Ehe noch ihre Bereitschaft, den Ehemann weiterhin finanziell und moralisch zu unterstützen. Ob sich die Situation der Ehepartner teilweise ironisch in den Filmen widerspiegelte? In HWANYEO und HWANYEO ’82 ist die Hausherrin, die einen „grundständigen“ Beruf ausübt, die Hauptverdienerin der Familie, während der künstlerisch tätige Hausherr offensichtlich verhältnismäßig wenig zur Haushaltskasse beitragen kann.

Nach seinem Uni-Abschluss jedenfalls begann Kim gar nicht erst, als Hals-Nasen-Ohren-Arzt zu arbeiten, sondern drehte im Auftrag der United States Information Agency antikommunistische Dokumentarfilme – der laufende Koreakrieg schuf einen „Bedarf“ an solchen Werken und Kim verdiente mehr Geld, als wenn er als Arzt praktiziert hätte. Er drehte im Auftrag der Amerikaner auch einen Spielfilm. Sein zweiter Spielfilm, das historische Melodrama YANGSANDO (YANGSAN PROVINCE), wurde von Kritikern als geschmacklos verschmäht, konnte aber beim Publikum gute Erfolge erzielen. 1956 gründete Kim die „Kim Ki-young Productions“ und drehte weiterhin Melodramen, nunmehr aber als Unabhängiger. Seine Filme standen wegen ihren vielen stilisierten Elementen in einem Gegensatz zum damals dominierenden Realismus im koreanischen Kino. Mit HANYO brach Kim 1960 definitiv mit jeglichem Realismus.

1960 war die „goldenste“ Zeit der „goldenen“ Jahre des koreanischen Kinos. Die sogenannte April-Revolution beendete in diesem Jahr die autoritäre Herrschaft des Präsidenten Rhee Syng-man und ebnete den Weg für die Zweite Republik. Diese führte zu einem offeneren, liberaleren Klima, wurde aber wiederum im Mai 1961 von einem Armeeputsch hinweggefegt. Während dieser kurzen liberalen Zeit sorgten zwei Filme für Sensation. Yu Hyun-moks OBALTAN (AIMLESS BULLET) prangerte in sozialrealistischer Weise und ästhetisch am italienischen Neorealismus orientiert die sozialen Missstände in Korea an und portraitierte eine Familie am Rande der Armut. Kims HANYO, ebenfalls ein großer Kinoerfolg in Korea, zeigte die Gesellschaft vielleicht auf noch viel trostlosere Weise, und demonstrierte zugleich eine Alternative zum im koreanischen Kino: Surrealismus und Expressionismus mit grotesk verzerrter Satire statt sozialem Realismus mit politisch-pädagogischem Bewusstsein. 

HANYO etablierte Kim Ki-young als Regisseur der Genre-Vermischungen, des Surrealismus, des expressionistischen Horrors, der sexuellen Obsessionen, des Grotesken. Auch nach dem Militärputsch 1961, der eine stärkere Kontrolle über die Filmindustrie brachte, inszenierte und produzierte Kim unabhängig und mit geringen Budgets bizarre und provokante Filme. Er drehte in vielen Genres: ein Melodrama über die Geschichte eines zwangsrekrutierten koreanischen Soldaten in der japanischen Armee (HYEONHAETANEUN ALGOITTA / THE SEA KNOWS, 1961), ein ländliches Drama über einen Bauern, der seine alte kranke Mutter zum Sterben in die Berge trägt (GORYEOJANG / BURYING OLD ALIVE, 1963 – eine Geschichte, die auch im japanischen Kino davor und danach verfilmt wurde), ein Rache-Thriller (ASPHALT, 1964), ein Film über die Liebe eines Haarfetischisten zu einer todkranken Frau (YEO / WOMAN, 1968).

In den 1970er und 1980er Jahren geriet Kim in immer größere Schwierigkeiten. Die Militärdiktatur übte eine stärkere Zensur gegen koreanische Kinofilme aus. BAN GEUM-RYEON / THE STORY OF PAN KUMYON, ein im alten China spielendes Eifersuchtsdrama, wurde 1975 verboten und wurde erst 1982 in einer um 40 Minuten zensierten Fassung freigegeben. Ein Jahr später wurde Kim von der Regierung gezwungen, einen antikommunistischen Film zu drehen ((HYEOLYUKAE / LOVE OF BLOOD RELATIONS). Mehreren Quellen zufolge „rächte“ sich der Regisseur, in dem er sich ganz auf den Bösewicht (eine nordkoreanische Spionin) konzentrierte und sie in eine verführerische, sexy femme fatale verwandelte. Größere Schwierigkeiten brachte die zunehmende Popularität des Fernsehens als Konkurrenz zum Kino und auch die Aufhebung von Importrestriktionen für westliche und vor allem US-Filme.

Kim, der meist auch als Drehbuchautor, Produzent und Cutter seiner Filme tätig war und sich stets persönlich in Fragen des Setdesigns involvierte, galt auch persönlich als Exzentriker. Angeblich schrieb er seine Drehbücher nicht zuhause, sondern mietete sich dafür in Billighotels in schäbigen Wohngegenden ein. Er verfasste sie in Japanisch, weil ihm die japanische Sprache als Schriftsprache wohl wesentlich lieber war als das Koreanische und dies ihm zugleich ermöglichte, den Inhalt vor den meisten seiner Mitarbeiter geheim zu halten. Seine Fähigkeit, aus geringen Budgets viel machen zu können, galt als unbestritten, wobei er mit dem Sparen bei sich selbst anfing: zu den Filmsets fuhr er stets im Bus, und nicht mit Chauffeur oder Taxi und kleidete sich stets etwas nachlässig.

Ende der 1980er und Anfang der 1990er inszenierte Kim seine Filme weitestgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit. Doch ab Mitte der 1990er Jahre wurde er nach und nach wieder entdeckt. Eine große Retrospektive in Korea wurde ihm beim Internationalen Filmfestival in Busan 1997 gewidmet. Im selben und darauffolgenden Jahr gingen seine Filme durch Festivalretrospektiven und Cinematheken auch im Ausland. 1998 sollte die erste Kim-Retrospektive außerhalb von Korea bei der Berlinale stattfinden und der Regisseur sollte als Ehrengast anreisen. Sie fand jedoch unerwartet posthum statt: Einige Tage vor der Reise starb Kim zusammen mit seiner Ehefrau bei einem Hausbrand, den wohl ein Kurzschluss ausgelöst hatte. Er war 78 Jahre alt. 

Ganz entscheidend bei der „Wiederentdeckung“ Kims war eine Garde jüngerer Regisseure, die seine Filme auf Video oder in abseitigen Kinos entdeckt hatten: Filmemacher wie Park Chan-wook (OLDBOY, SYMPATHY FOR LADY VENGEANCE, STOKER), Bong Joon-ho (THE HOST, MOTHER, SNOWPIERCER) und Kim Ki-duk (SAMARIA, HWAL, PIETÀ) erklärten Kim Ki-young zu einer Art heiligen Schutzpatron. Park Chan-wook nannte HANYO als den Film, der ihn am meisten beeinflusst hat, und es ist gar nicht so schwer, den Hauch des Klassikers in STOKER wieder zu entdecken. Zu den Kim-Verehrern gehört auch Im Sang-soo, der 2010 HANYO neu verfilmte – bzw. erneut variierte.


HANYO (THE HOUSEMAID)
Republik Korea 2010
Regie: Im Sang-soo
Darsteller: Jeon Do-yeon (das Hausmädchen), Lee Jung-jae (der Hausherr), Seo Woo (die Hausherrin), Yoon Yeo-jeong (die Gouvernante), Park Ji-young (die Mutter der Hausherrin)

Gleiche Geschichte, anderer Regisseur, neuer Film.

Riesige Räume 
Die auffallendste Änderung an HANYO besteht in der kompletten Öffnung des Raums. Der Raum wird sogar so weit geöffnet, dass er dadurch wieder zerstört wird. HANYO ist (ich weiß, psychiatrisch ist der Begriff ungenau) ein agoraphobischer Thriller, ein Film der riesigen Räume. Das Haus der Hausherren ist kein Haus mehr, sondern eine herrschaftliche Villa, die noch zusätzlich durch Wochenendhäuser „ergänzt“ wird. Die riesigen Räume verschlucken die Figuren. Sie sind auch so vielfältig, dass man sie selten wieder erkennen kann. Auch wiederkehrende Räume, wie etwas das Badezimmer der Herren, der Eingangsbereich oder das Klavierzimmer, werden aus inkonsistenten Perspektiven gefilmt. Egal, wo man gerade steht, man fühlt sich in diesem Labyrinth hoffnungslos verloren. Jede neue Szene bringt einen anderen Ort, den man nicht kennt – so verliert sich das Hausmädchen auch immer mehr, wie sie sich auch in den Intrigen der Hausherren verliert.

Diese Öffnung und gleichzeitige Zerstörung der Räume ist die originellste Erneuerung des alten Hausmädchen-Konzepts. Leider bleibt es nur intellektuell spannend, und geht leider nicht wirklich auf. So bleibt das Gefühl des Verlorenseins in der Weite weniger beklemmend als die klaustrophobische Kammerspiel-Atmosphäre in HANYO oder HWANYEO.

Wenn man Filme in „warm“ oder „kühl“ unterteilt, so markiert HANYO ebenfalls einen Bruch mit seinen Vorgängern. Kims Filme waren allesamt bis kurz vor dem Explodieren überhitzt. Ims HANYO hingegen ist nicht nur ein unterkühlter, sondern geradezu ein kalter Film. Das manifestiert sich auch in seiner Farbdramaturgie. Verwischte, entsättigte, monochrome Farben dominieren das Bild – fast wie ein kontrastarmer Schwarzweiß-Film. Diese Kälte ist auch ein Symptom der Distanz, die Im zu dem Geschehen und teilweise auch zu den Figuren aufbaut. Fast teilnahmslos wirkt in HANYO die Kamera – als diskreter Beobachter, nicht als teilnehmender Voyeur.

Hausherrin, Hausherr und Hausmädchen
HWANYEO ’82 legte den Grundstein dazu: HANYO 2010 versucht im Grunde, die gleiche Geschichte um das Hausmädchen rationaler, gediegener, bodenständiger, im Grunde „realistischer“ zu erzählen. Das Problem mit dieser Herangehensweise liegt auf der Hand: der Film wird zu einem sehr langsamen Melodrama (und zu keinem besonders guten). Der pure Wahnsinn, der in Kims Filmen herrschte, wird für ein wenig überzeugendes Showdown aufbewahrt, das wohl Kims Filmtitel von 1970 („Die Feuerfrau“) etwas zu wörtlich genommen hat. Der überaus bizarre, mit extremem Weitwinkelobjektiv gefilmte Epilog, der kaum an das Gesehene anknüpft, erscheint wesentlich interessanter. Graphisch ist HANYO etwas aufgesexter als Kims Filme, aber dafür erstaunlich unspektakulär. Die Verknüpfung von Sex, Wein-Fetischismus und nouveau-riche-Satire ist jedoch ein Glanzlicht!

Das weitere Problem taucht etwa in der Mitte des Films auf (und knüpft im Grunde an eine Schwäche aus HWANYEO ’82 an): es ist die Figur der manipulativen Mutter der Hausherrin. Man kann sie zwar als ganz nette Hitchcock-Hommage lesen, doch sie wirkt rasch wie das materialisierte Sprachrohr ihrer Tochter und ihres Schwiegersohns. Sollen die beiden Hausherren vielleicht absichtlich degradiert, ja geradezu entmündigt werden? Schwierig zu sagen. Richtig überzeugend ist diese urplötzlich und mit dem Holzhammer eingeführte Figur jedenfalls nicht.

Die manipulative Mutter: eine überflüssige Figur?
Eine weitere nette Hitchcock-Hommage ist sicherlich die Figur der älteren Gouvernante, die als Chefin des Dienstpersonals das Hausmädchen in die Gepflogenheiten des Hauses einführt – Mrs. Danvers lässt grüßen. Auch diese Figur wirkt wie die Mutter eher als Dämpfer, wenn es um die direkten Reibereien zwischen Hausherren und Hausmädchen geht, und es ist zu mutmaßen, ob die Rolle nicht speziell geschrieben wurde, damit Yoon Yeo-jeong, die Darstellerin des Hausmädchens 1970, eine Rolle spielen konnte.

Wo zu viele Figuren eingeführt werden, müssen andere wiederum vernachlässigt werden. Die kleine Tochter der Hausherren etwa lässt ein interessantes Potential erkennen, denn im Gegensatz zu Kims Filmen freundet sich das Hausmädchen regelrecht mit ihr an, ja die beiden werden fast schon zu Verbündeten – ein Aspekt, den der Film leider rasch liegen lässt und nicht weiter verfolgt.

Die vielleicht größte Schwäche von HANYO ist jedoch die eindeutige Sympathieverteilung, die er vornimmt. Aus Kims todbringendem Hausmädchen hat Im eine Art Märtyrer-Hausmädchen gemacht. Ein Opfer. Während Kims Filme – entgegen manch bizarrer Interpretation des Hausmädchens als Bösewicht – die Kategorien zwischen gut/böse, Opfer/Täter vollkommen auflöst, baut Im sie plakativ auf, und beraubt seinen Film, ja eigentlich das ganze Konzept der Hausmädchen-Geschichte, jeglicher Spannung, jeglicher Ambivalenz und jeglichen Unbehagens. Das gute, naive Hausmädchen gerät den Intrigen der verkommenen Hausherren, die auch noch reiche Bonzen sind, zum Opfer – ein Konzept, das sich nicht gerade als sehr tragfähig erweist.

Dennoch ist es völlig egal, wie man es dreht und wendet: die Sache, die man Ims Film als allerletztes vorwerfen könnte, ist, dass es sich um ein reizloses Eins-zu-eins-Remake handle. HANYO ist ein durch und durch eigenständiger Film, und seine Stärken und Schwächen sind fast komplett originär. Im hat Kims Filmen eine sehenswerte Variation hinzugefügt, die durchaus eigenständig für sich stehen kann.



Infos zur Verfügbarkeit der Filme

HANYO 1960
Von den 32 Filmen, die Kim Ki-young gedreht hat, sind lediglich 22 vollständig erhalten. Hinzukommt ein Filmfragment und ein Film ohne erhaltene Tonspur – die anderen acht sind verschollen. Für einen Regisseur, der seine Karriere Mitte der 1950er Jahre begonnen hat, scheint das etwas verwunderlich. Aber das hängt mit der besonders prekären Geschichte der Film-Konservation in Korea zusammen. Filme wurde in den 1950er bis 1970er Jahre auf teils skurrile (und aus cinephiler Sicht fürchterliche) Weise „wiederverwertet“: 35- und 16-mm-Kopien wurden in der Hutindustrie verarbeitet. Zelluloid gab den Hüten Glanz und Stabilität. Nebenbei wurde auch aus vielen Kopien Silber extrahiert. Die Folge ist, dass etwa 70 % aller koreanischen Filme vor 1960 als verschollen gelten. Erst seit Beginn der 1990er Jahre gibt es so etwas wie eine Pflege des Filmerbes in Korea.
Kim hatte HANYO mehrheitlich aus seinem eigenen Geld finanziert und bewahrte das Negativ zu Hause auf. Allerdings fehlten ihm aus heute wohl nicht mehr nachvollziehbaren Gründen zwei Rollen. Eine vollständige Kopie wurde Anfang der 1990er Jahre entdeckt, allerdings hatte sie überdimensionierte und schlecht eingepflegte englische Untertitel. Neben dem üblichen und starken Schmutz mussten auch diese Bild für Bild entfernt werden und die überdeckten Areale rekonstruiert werden. Die im Negativ nicht vorhandenen Szenen wurden so wieder vervollständigt. Die ungleichwertige Erhaltung sieht man dem Film heute an: über weite Strecken hat er eine sehr gute bis hervorragende Qualität, zwei etwas längere Passagen von knappen über 10 Minuten haben eine deutlich schlechtere Bild- und Tonqualität.
HANYO ist in dieser Restauration in einer koreanischen und französischen DVD-Edition sowie in der US-amerikanischen Criterion Collection erhältlich.

HWANYEO
Sehen kann man HWANYEO ganz einfach hier bei youtube! Und zwar völlig legal vor folgendem Hintergrund: das koreanische Filmarchiv betreibt eine eigene youtube-Seite, auf der es Dutzende seiner Filme zur freien Sichtung hochlädt. Einzige Barriere: man muss sich anmelden. Englische Untertitel sind stets vorhanden.
Von Kim Ki-young sind sieben Filme dort zu sehen.

HWANYEO ’82
Darunter auch HWANYEO ’82. Ein Blick jenseits der Kim Ki-young-Playlist in andere Filme dürfte sich natürlich auch lohnen!

HANYO (2010)
Das koreanische Filmarchiv postet auch Filme aus den 1990er Jahren, aber ich glaube, mit den 2000er Jahren ist auch Schluss.
HANYO ist aber auch nicht so tricky zu besorgen wie Kims Filme. Es gibt deutsche, britische, französische und US-amerikanische DVD- und Blu-ray-Editionen.