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Sonntag, 11. November 2012

Randnotizen zu Zwillingsschwestern und Olivia de Havilland

Wie ich schon angekündigt habe, gibt es noch zwei Besprechungen von Bruno, die wir euch nicht vorenthalten wollen. Diese hier ist die erste, die zweite folgt dann nach meinem nächsten Text in ungefähr zehn Tagen.

Manfred




Der schwarze Spiegel
(The Dark Mirror, USA 1946)

Regie: Robert Siodmak
Darsteller: Olivia de Havilland, Lew Ayres, Thomas Mitchell, Richard Long, Charles Evans, Lela Bliss u.a.

Wen hätte es erstaunt, wenn Olivia de Havilland nach ihrer für einen Oscar nominierten Melanie Hamilton in “Gone With the Wind” (1939) nur noch als sich aufopfernde Frau mit engelhaftem Gesicht zu sehen gewesen wäre? - Tatsächlich sollte ihre Karriere jedoch einen anderen Verlauf nehmen, was nicht zuletzt mit einem Prozess zusammenhing, den sie gegen Warner Brothers führte und im Gegensatz zu ihrer Freundin Bette Davis, die in den 30ern etwas Ähnliches versucht hatte, auch gewann. Dieser Prozess ging zwar mit einer dreijährigen Zwangspause einher , ermöglichte der Schauspielerin, von der man behauptet, sie sei privat alles andere als “engelhaft” gewesen (sie soll mit ihrer Schwester Joan Fontaine zeit ihres Lebens kein Wort mehr gewechselt haben, weil diese vor ihr einen Oscar erhielt), aber anschliessend ein wesentlich vielfältigeres Rollenspektrum.

Olivia de Havilland ging schon früh einen jener berüchtigten Siebenjahresverträge mit Warner ein und wurde in der Folge mit Vorliebe als Partnerin von Errol Flynn besetzt, der dafür bekannt war, dass er sämtliche gut aussehenden Frauen und Männer, mit denen er spielte, ins Bett zu kriegen versuchte, während ausgerechnet die Schauspielerin, in die er sich hoffnungslos verliebte, nicht an ihm interessiert war. - Es kam zu einem ersten Konflikt mit ihrem Studio, als man sie für “Gone With the Wind” nicht an Selznick ausleihen wollte. Anfangs der 40er Jahre wurde de Havilland von Warner suspendiert, weil sie sich weigerte, eine Rolle anzunehmen. Gleichzeitig entliess man sie nicht aus ihrem mittlerweile abgelaufenen Vertrag. Gegen diese Allmacht der Studios zog die Schauspielerin bis vor den Obersten Gerichtshof der USA. Ihr Sieg läutete den Beginn einer neuen Ära ein.

Nach ihrer Rückkehr ins Filmgeschäft war de Havilland zwar weiterhin auch in Melodramen zu sehen (ihren ersten Oscar erhielt sie für die Mitchell Leisen-Schnulze “To Each His Own”, 1946); aus heutiger Sicht interessanter dürfte jedoch ihre Entscheidung sein, vor allem auch zwielichtige, zwiespältige, ja in sich gebrochene Charaktere zu spielen - denn solche Rollen ermöglichten es ihr, in der zweiten Hälfte der 40er Jahre Gestalten auf die Leinwand zu bringen, wie man sie bis anhin nicht gesehen hatte. Dass solche Rollen überhaupt in den Bereich des Möglichen gerieten, hatte mit dem aufflammenden Interesse Hollywoods am Psychoanalytischen zu tun, das dank über 400 aus Europa emigrierter Psychiater und Psychoanalytiker dabei war, die USA zu erobern. Und es waren, was wohl nicht erstaunlich ist, vor allem ursprünglich aus Europa stammende Regisseure, die das Interesse mit zum Teil kleinen Meisterwerken zu bedienen wussten. --- Hier soll an einen Film erinnert werden, mit dem Olivia de Havilland nach ihrem Comeback das Publikum überraschte: "The Dark Mirror".


Es war nicht zuletzt der amerikanischen Kriminalfilm, der sich psychoanalytischer Elemente begeistert annahm und dem von John Huston und Billy Wilder (“Double Indemnity”, 1944) geprägten Modell (desillusionierter Mann erliegt einer “femme fatale”) ein zweites entgegenstellte, das sich ebenfalls einiger Stilelemente des "Film noir" bediente und in dem ursprünglich psychologische Elemente von Drehbuchautoren oft derart popularisiert wurden, dass sie kaum mehr etwas mit der eigentlichen Wissenschaft zu tun hatten (Hitchcocks “Spellbound”, 1945, Langs “Secret Beyond the Door”, 1947, Ophüls’ “The Reckless Moment”, 1949). - Robert Siodmak, ein Regisseur, dem ein typisch deutsches Emigranten-Schicksal beschieden war (er hatte 1929 in Deutschland als Co-Regisseur mit dem Meisterwerk “Menschen am Sonntag” begonnen und endete auch in Deutschland mit Karl May-Filmen!), drehte im Exil in Hollywood einige Klassiker des psychologisch angehauchten Krimis, darunter einen der grossen Nägelkauer der Filmgeschichte, “The Spiral Staircase” (1945). - “The Dark Mirror” zeigt schon zu Beginn, dass er diesem Subgenre zuzuordnen ist, machen doch bereits hinter dem Vorspann die berühmten Rorschach-Tintenkleckse auf sich aufmerksam. Ein Arzt wird in seiner Wohnung ermordet aufgefunden, und der Fall scheint für Lieutenant Stevenson auf den ersten Blick so gut wie gelöst zu sein: Mehrere Zeugen sagen aus, der Ermordete habe mit Terry Collins ein Verhältnis gehabt, und diese sei nach der Tat beim Verlassen der Wohnung beobachtet worden. Plötzlich tauchen aber auch Zeugen (darunter ein Polizist) auf, die Terry zur Tatzeit in einem weit entfernten Park gesehen haben. Die junge Frau scheint also ein perfektes Alibi zu haben. Der verzweifelte Lieutenant begibt sich noch einmal in die Wohnung der ursprünglich Verdächtigten - und es erwartet ihn eine Überraschung: Terry hat eine (identische) Zwillingsschwester namens Ruth! Von nun an zeigen sich die beiden Frauen (beide gespielt von Olivia de Havilland) wenig kooperativ, was den Polizisten dazu veranlasst, die Hilfe des Psychologen Dr. Scott Elliott in Anspruch zu nehmen. Dieser soll es mithilfe “psychologischer” Ermittlungsverfahren ermöglichen, zwischen einer “guten” und einer “bösen” Zwillingsschwester zu unterscheiden.

Der Film musste mit einem kleinen Budget gedreht werden, was man ihm an vielen Details anmerkt: Lew Ayres, der nach seiner Hauptrolle in Lewis Milestone's "All Quiet On the Western Front" (1930) vor allem mit seinen Dr. Kildare-Filmen eine gewisse “Berühmtheit” erlangt hatte, wirkt als sich langsam in die unschuldige Schwester verliebender - langweiliger - Psychiater so deplaziert wie manche andere Darsteller, die man wohl verzweifelt akzeptieren musste; das Drehbuch, dessen Pseudo-Anleihen bei der Psychoanalyse gelegentlich zum Lachen reizen und Mark Rutland's nächtliche Analyse seiner Frau in Hitch’s “Marnie (1964) direkt professionell erscheinen lassen, strotzt vor Ungereimtheiten (der “Kenner” der Materie negiert die Möglichkeit, dass Zwillinge die gute und die böse Seite im Menschen repräsentieren können, was aber genau der Clou dieser Neuauflage von “Dr. Jekyll and Mr. Hyde” mit weiblicher Besetzung ist, der man allerdings zugute halten muss, dass sie nicht darauf aus ist, einem klassischen “Whodunit” Konkurrenz zu machen). Auch die Musik von Dimitri Tiomkin übertreibt es in gewissen Szenen (beim Test mit dem Lügendetektor wird jeder Ausschlag mit der Nadel musikalisch derart hysterisch unterstützt, dass der Eindruck entsteht, man eile dem unausweichlichen Höhepunkt, einer Katastrophe entgegen). Sogar Siodmak scheint sich einige Nachlässigkeiten zu erlauben: Warum etwa muss er die beiden Schwestern durch Halsketten und Broschen mit Namen voneinander unterscheiden, wo Olivia de Havilland’s Gestik und Mimik doch bereits mehr als deutlich verraten, mit wem wir es gerade zu tun haben (die unschuldige Schwester tritt stets freundlich, aber mit gesenktem Blick und unruhig gefalteten Händen, die schuldige selbstbewusst, sich ihrer zu sicher, auf). Ein typisches B-Movie eben! Oder doch nicht so ganz?

“The Dark Mirror” beeindruckte mich als kleinen Knirps, der sich in den 60ern auch Krimis erlaubte, zutiefst. Eine kürzlich erfolgte Neusichtung  liess mich ihn vor allem als Kind seiner Zeit verstehen und früher nicht bemerkte Details schätzen: Ich denke etwa an die in vielen Szenen unauffällig platzierten Spiegel und das raffiniert eingesetzte Schüfftan-Verfahren, mit dessen Hilfe eine hervorragend spielende Olivia de Havilland als Zwillingsschwestern Terry und Ruth im gleichen Bild gezeigt werden konnte. Und noch immer weist die beängstigende Entwicklung zwischen den Schwestern (die Mörderin versucht ihre zunehmend besorgt reagierende Schwester in den Wahnsinn zu treiben, indem sie ihr einredet, sie leide unter Halluzinationen) auf die dunkle Seite der menschlichen Psyche hin, lässt uns an Freuds “Das Unheimliche” denken. Als dann gegen Schluss die eine (böse) Variante von de Havilland der Polizei einzureden versucht, ihre tot geglaubte Schwester habe den Mord begangen, blitzt der blanke Wahnsinn aus ihren Augen. Diese schauspielerische Meisterleistung (wer hätte sie von “Melanie Hamilton” je erwartet?) kann man nur bewundern. - Sie lässt das tatsächliche Zerbrechen eines Spiegels am Ende des Films wie eine Erlösung erscheinen.


Der zügig inszenierte Thriller erhielt immerhin eine Oscar-Nominierung für das Drehbuch, was zeigt, dass er dem entsprach, was die Zuschauer damals von einem psychologisch angehauchten Krimi erwarteten. Wenn man ihn kritisiert, dann muss man es auf hohem Niveau tun, ihn etwa mit den oben genannten Filmen von Hitchcock oder Lang vergleichen. Dass ein 1984 gedrehtes Remake mit Jane Seymour in der Hauptrolle in die Hosen (der Geschichte!) gehen musste, liegt auf der Hand.