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Mittwoch, 21. April 2010

"Alzheimer"

An ihrer Seite
(Away From Her, Kanada 2006)

Regie: Sarah Polley
Darsteller: Gordon Pinsent, Julie Christie, Michael Murphy, Olympia Dukakis, Kristen Thomson, Wendy Crewson, Alberta Watson u. a.

Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die Filmindustrie warte lediglich darauf, dass sich ein bis anhin ängstlich gemiedenes Thema  doch als publikumswirksam erweist - um es dann geradezu inflationär auszuweiden. Dies scheint mir etwa beim Thema “Alzheimer” (der Zuschauer ist mit dem Begriff einigermassen vertraut und muss sich nicht mit der komplexen Differentialdiagnose im Bereich der Alters-Demenz auseinandersetzen)  der Fall zu sein. - Es begann wohl mit dem Erfolg von “Iris” (2001), dem Film über die berühmte britische Schriftstellerin Iris Murdoch, die im Alter von 74 Jahren an Alzheimer erkrankte und deren Verfall, der zugleich der Verfall einer seltsamen Liebe zwischen zwei Intellektuellen war, schonungslos und hervorragend gespielt gezeigt wurde. Auf  “Iris” folgte 2004 die unerträglich kitschige Schnulze “The Notebook”, zu der sich Gena Rowlands wohl nur herabliess, weil ihr Sohn Nick Cassavetes Regie führte; der hierzulande nur wenig bekannte Film “Aurora Borealis” (2005) mit Donald Sutherland und die Tragikomödie “The Savages” (2007) setzten die Reihe fort, in der an Alters-Demenz leidende Menschen nicht einfach nur als komische oder die Hauptdarsteller belastende Nebenfiguren auftraten, sondern in den  Mittelpunkt gestellt wurden.

Besonders grosses, beinahe einhelliges Kritikerlob erntete der Regie-Erstling der kanadischen Schauspielerin Sarah Polley, “Away From Her”, dem man zubilligte, die Thematik ausserordentlich  nüchtern anzugehen. Da Julie Christie, die ich zu einer meiner persönlichen Göttinnen auserkoren habe und üblicherweise zuerst wegen ihrer englischen Filme rühme, in diesem Film ihre bislang letzte Rolle spielte, fällt es mir nicht unbedingt leicht, solchem Kritikerlob ähnlich nüchtern entgegenzutreten:

Fiona und Grant sind seit über 40 Jahren miteinander verheiratet, und obwohl es  auch schwierige Zeiten gab (der ehemalige Schulprofessor scheint früher “Freude” an seinen Studentinnen gehabt zu haben), zeugen die gleichmässigen Spuren zweier Skipaare im Schnee von einem mittlerweile harmonischen Zusammenleben in einer verschneiten kanadischen Landschaft.  Dann setzen bei Fiona erste Anzeichen von Vergesslichkeit ein, und eines Tages findet die immer noch rüstig wirkende  Dame von einem Skiausflug den Heimweg nicht mehr (Grant entdeckt sie völlig verwirrt auf einer Brücke). Die Diagnose: Alzheimer. - Fiona fordert ihren Mann auf, sie in ein Pflegeheim einzuweisen. --- Grant willigt zögernd ein und muss feststellen, dass er dort wegen einer “Karenzzeit” seine Frau dreissig Tage lang nicht besuchen darf. Nach Ablauf der Frist findet der entgeisterte Grant ein Wesen vor, das sich voll und ganz einem Mitpatienten, Aubrey, widmet und ihn nur noch als leicht aufdringlichen täglichen Besucher duldet. Fiona hat ihn vergessen. Und nun liegt es an Grant, sich zu entscheiden: Will er an der Veränderung seiner Frau  selber zerbrechen oder sich ihr anpassen und abwartend zuschauen?



Polley, die mehrere Male mit Atom Egoyan zusammengearbeitet hatte und ihn auch hier als Executive Producer im Hintergrund walten liess, macht es uns nicht leicht, weil sie auf eine chronologische Abfolge der Geschehnisse verzichtet. So erfahren wir erst mit der Zeit, dass es sich bei Marian, die Grant ziemlich zu Beginn des Films aufsucht, um die desillusionierte Frau von Aubrey handelt, die ihren Mann aus Kostengründen nicht länger im Heim lassen konnte - was zu einem Voranschreiten der Krankheit bei Fiona führte. - Man kann der jungen Regisseurin jedoch nicht vorwerfen, es gelänge ihr nicht, den Zuschauer zu packen,  beinahe schmerzhaft zu berühren. Bloss: Tut sie dies mit einer Liebesgeschichte oder einer Geschichte über Alters-Demenz? Ist es Grant’s Geschichte oder die von Fiona?

Zugegeben: “Away From Her” gehört ganz der grandiosen Julie Christie, deren Darstellung einer unter Alters-Demenz leidenden Fiona zu Recht erneut für einen Oscar nominiert wurde. Man glaubt beinahe so etwas wie zarte, ironische Liebenswürdigkeit im Gesicht dieser ihre Identität langsam verlierenden, ihre Würde aber behaltenden Dame zu erkennen. Es muss auch festgestellt werden, dass der kanadische Schauspieler Gordon Pinsent und Olympia Dukakis, die sonst allein schon durch ihre schiere Präsenz jeden Film an sich reisst, ihr Spiel im Sinne einer “Botschaft” zurückhalten, was ihre kleinen Gesten, ihre Blicke nicht weniger eindrücklich macht. - Es stechen denn auch einige Szenen hervor, in denen das bemerkenswerte Zusammenspiel der Hauptfiguren weniger ein “An ihrer Seite” als ein “Away From Her” betonen: Fiona erinnert auf dem Weg zum Heim ihren Mann sanft verzeihend daran, dass ihre Ehe nicht immer problemlos verlief; Grant sitzt - seine Augen nicht von seiner Frau lassend - auf dem Sofa und schaut zu, wie sie sich um Aubrey kümmert; er liest Fiona, deren Familie aus Island stammte, aus W.H. Auden’s “Letters from Iceland” vor, während sich das verwirrte Wesen neben ihm an nichts erinnern kann...

Dennoch  muss ich “MovieMaze”-Kritiker Harald Witz zustimmen: “Weil es Polley vor allem um die Darstellung der Liebe geht, fällt ihr Bild von der Alzheimer-Erkrankung und des Pflegeheims geradezu naiv und idyllisch aus.”  Ein Film, dem es um eine realistische und authentische Darstellung  ginge, müsste weniger appetitliche Aspekte im Umgang mit den immer schwerer zu pflegenden Patienten mit einbeziehen und auch  auf ein gewisses Pathos in Sachen Dialog (ich denke an den Pflegeheim-Engel Kristy: “It’s never too late to become what you might have been”) verzichten. - Was “Away From Her” und die meisten Filme über Alters-Demenz zeigen, ist nämlich bloss der - für schauspielerische Glanzleistungen “wie gemachte” - Beginn eines langen Prozesses, der Jahre der Stagnation beinhalten kann, aber zunehmend das Eingeben von Essen, die Unterstützung bei Gehübungen, Wechseln der Windeln, die Hilfe bei der Stuhlentleerung, intensivste Pflege und Verhinderung von Wundliegen - und Begleitung in einen vielleicht unwürdigen Tod hinein  erfordert. Diese Fortsetzung des Prozesses dürfte Schauspieler und Zuschauer weniger anziehen, kann aber vom Pflegenden (besonders wenn er einen nahe stehenden Menschen bis kurz vor dessen Tod bei sich behalten durfte) besonders dankbar in Erinnerung behalten werden. Anders ausgedrückt: Hier spricht einer, dem es vergönnt war und der deshalb “Alzheimer”-Filmen mit einem gewissen Verständnis, aber auch der nötigen Skepsis entgegentritt.

“Away From Her” gehört also wie auch die anderen erwähnten Filme über Alters-Demenz einem bestimmten, zur Genüge auf seine Publikumswirksamkeit hin abgetasteten Genre an: Er ist ein Liebesfilm, ein Film über einen Mann, der nur noch Liebe geben, sie aber nicht mehr von einer sich ihrer selbst entfremdenden Frau erwarten darf. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass Grant mit der fordernden Marian ins Bett geht, weil er Fiona noch einmal ein - sich als vergeblich herausstellendes - Zusammentreffen mit Aubrey ermöglichen möchte.



Sicher: Julie Christie durfte noch einmal zeigen, wozu sie fähig ist, und sie durfte es in einem formal grandiosen, visuell durchaus an Egoyan erinnernden und jederzeit empfehlenswerten  Film tun (schliesslich wurde sie von der Halbwaisen Sarah Polley auch als eine Art Ersatzmutter betrachtet). Dennoch wünscht man sich gelegentlich einen Film, der das Thema “Alters-Demenz” schonungslos bis zum Ende illustriert. “Iris” mit einer sich in keiner Hinsicht zurückhaltenden Judi Dench hatte dazu Hand geboten. Keiner der nachfolgenden “Alzheimer”-Filme wagte es jedoch auch nur annähernd, den Applaus von Kritikern und Publikum der Wahrheit zuliebe aufs Spiel zu sezten.