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Dienstag, 21. Dezember 2010

Whoknows' Weihnachtsfilm

Eigentlich wollte ich keinen Weihnachtsfilm besprechen. Denn, ach, was werden sie nicht jährlich durchgekaut, diese Warnungen vor dem Licht im Dunkeln, das lediglich unsere Brieftaschen leert und zu Streitereien führt, weil wir eine derartige Ansammlung von Feiertagen gar nicht ertragen - von "A Christmas Carol" (1938) über "The Bishop's Wife" (1947) bis hin zu "The Nightmare Before Christmas" (1993) und "Love Actually" (2003)! - Doch dann erschien mir nächtens (vielleicht war ich auch nur besoffen) ein Engel und sprach also zu mir: "Gebenedeit bist du unter den Bloggern, Whoknows! Siehe: Der Herr hat dich auserkoren, über einen Weihnachtsfilm zu schreiben, der üblicherweise gar nicht als solcher wahrgenommen wird. Und nun hurtig: Klemm dich in den A***h, bevor ihn dir mono.micha (woher kennen die himmlischen Heerscharen den alten Schlawiner bloss?) für seinen Schweizer-Film-Marathon vor der Nase wegschnappt!" - Na schön, dachte ich, ist immer noch besser als eine Jungfrauengeburt...


Gilberte de Courgenay
(Gilberte de Courgenay, Schweiz 1941)

Regie: Franz Schnyder
Darsteller: Anne-Marie Blanc, Erwin Kohlund, Heinrich Gretler, Ditta Oesch, Rudolf Bernhard, Jakob Sulzer, Hélène Dalmet, Zarli Carigiet, Max Knapp, Schaggi Streuli u.a.

Wer je mit der Bahn von Delémont aus Richtung Porrentruy in die Ajoie, jene seltsame nördliche Ausbuchtung der Schweiz gegen Frankreich hin, gefahren ist, darf sich rühmen, das grenznahe Dörfchen Courgenay kennen gelernt, vielleicht sogar einen Blick auf das Hôtel de la Gare erheischt zu haben, das dank eines Films beinahe zur Legende wurde. In diesem “Hôtel” arbeitete zur Zeit des Ersten Weltkriegs die junge Gilberte Montavon und bewirtete Tausende  Soldaten und Offiziere, die sie und ihr freundliches Wesen schwärmerisch verehrten. Der Bänkelsänger Hanns in der Gand komponierte sogar ein Lied, das der berühmten “Gilberte de Courgenay” gewidmet war.

Nach dem Abzug der Truppen im Sommer 1918 kehrte in Courgenay wieder Ruhe ein, und auch die berühmte Wirtstochter geriet langsam in Vergessenheit. Doch während des Zweiten Weltkriegs erfuhr sie als Vorbild für die “Geistige Landesverteidigung” eine unerwartete Renaissance und wurde zur Idealgestalt einer Soldatenfürsorgerin erhoben. Im Jahr 1939 erschienen ein Roman und ein darauf beruhendes Theaterstück, das in mehreren Schweizer Städten sehr erfolgreich aufgeführt wurde. - Der Stoff bot sich, dies erkannte Lazar Wechsler, Produzent der Praesens-Film gleich, förmlich für eine vom Nationalfonds geförderte Verfilmung an. Wechsler hatte jedoch den Unmut patriotischer Kreise auf sich gezogen, weil er die Regie für den ersten Schweizer Propaganda-Film, “Füsilier Wipf” (1938, mit Paul Hubschmid, der sich später je nach Angebot Hollywood oder den Nazis zur Verfügung stellte, ohne je ein bedeutender Schauspieler zu werden, in der Titelrolle),  dem Ausländer Leopold Lindtberg übertrug. “Gilberte de Courgenay” gehörte, dies galt als Voraussetzung für eine Förderung, in die Hände eines Schweizers - und als Wunschkandidat bot sich der junge Theaterregisseur Franz Schnyder an, der später als Verfilmer von Gotthelf-Romanen in die Geschichte des Schweizer Films eingehen sollte - und von mir an anderer Stelle “gewürdigt” wurde. Erst kurz vor den Dreharbeiten 1941 liess sich General Guisan, der dem Projekt skeptisch gegenüberstand, dazu überreden, Truppen für die Soldatenszenen zur Verfügung zu stellen.

“Gilberte de Courgenay” erzählt eine gradlinige, selbstverständlich fiktive Geschichte: Im Winter 1915/16 quartiert sich eine Artilleriebatterie in Courgenay ein. Die Soldaten (darunter mehrere Schauspieler wie Zarli Carigiet oder Schaggi Streuli, die später zu nationalen Berühmtheiten aufstiegen) denken, der Krieg sei bis Weihnachten beendet und sie könnten rechtzeitig zu ihren Familien zurückkehren. Um ihre Enttäuschung zu lindern, organisiert die junge Gilberte, die ihnen schon kurz nach der Ankunft eine deftige Berner Platte - Sauerkraut, Würste, Speck, Kartoffeln - aufgetischt hatte, für sie ein Weihnachtsfest, das - schmacht! - jeder Hollywood-Schnulze Konkurrenz zu machen vermag  - und steigt rasch zum Frauenideal der “Geistigen Landesverteidigung” überhaupt, dem besten Beispiel für die uneigennützige Einsatzbereitschaft der Frau im Dienste der Armee, auf. - Sie kümmert sich um die Sorgen der Männer, auch um die von Kanonier Hasler, den sie heimlich liebt - und auf den sie am Ende vorbildlich verzichtet.

Franz Schnyders Erstling, in dem die Vorgesetzten mit Ausnahme des Fouriers nette Kerle sind und ihre Soldaten die meiste Zeit im “Hôtel” herumsitzen lassen (eine Darstellung, die ich, der ich als Schweizer Wehrmann doch auch eine gewisse Zeit in der Ajoie verbrachte, so nicht unterschreiben kann), erhielt mässige Kritiken, wurde jedoch zum Publikumserfolg und gilt heute wohl als DER Klassiker unter den Filmen zur “Geistigen Landesverteidigung”. Dies verdankt er vor allem jener jungen Schauspielerin, die der Gilberte ein Gesicht verlieh und mit dieser Rolle sogleich den Höhepunkt ihrer (filmischen) Karriere erreichte: Anne-Marie Blanc (1919-2009) hatte zwar schon in einzelnen Filmen mitgespielt (etwa Lindtbergs Verfilmung von Gottfried Kellers Novelle “Die missbrauchten Liebesbriefe”, 1940), ihre Darstellung als ebenso charmante wie rührende Gilberte sollte sie jedoch bis an ihr Lebensende begleiten. Obwohl Anne-Marie Blanc auch vereinzelt Rollen in ausländischen Filmen annahm (sie spielte etwa Hedwig Pringsheim in “Die Manns - Ein Jahrhundertroman”, 2001), blieb sie dem Schweizer Film treu, schlug sogar einen Siebenjahresvertrag aus Hollywood aus. Dass sie sich stattdessen mit Rollen in vergessenswürdigen Machwerken wie “Palace Hotel” (1952) oder “Klassezämekunft” (1988) begnügte, dürfte nicht zuletzt daran gelegen haben, dass sie, die Autodidaktin, eine passionierte Bühnendarstellerin blieb und neben Therese Giehse und Maria Becker als dritte “Grande Dame” in die Geschichte des Zürcher Schauspielhauses einging, immer wieder in bedeutenden Uraufführungen mitspielen oder sich etwa in Peter Hacks Solostück “Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe” ausleben konnte. - Wenn man jedoch bedenkt, dass Billy Wilder in “One, Two, Three” (1961) aus der Schweizerin Liselotte Pulver eine durchaus beachtliche robuste Version der Monroe zu erschaffen vermochte, dann kommt man kaum umhin, in Anne-Marie Blancs stiller Eleganz etwas von Ingrid Bergman zu entdecken.

“Gilberte de Courgenay” wirkt gegenüber späteren Propaganda-Filmen für die Schweizer Armee wie dem primitiven “Achtung, fertig, Charlie!” (2003) noch immer liebenswert und mit Freude am Detail in Szene gesetzt, mag er auch etwas Staub angesetzt haben. Aber wer lässt sich von einer solch hübschen und fürsorglichen jungen Frau wie Gilberte schon nicht verzaubern? Und verdiente dieses holde Wesen nicht sein eigenes Lied, das  der Zuschauer natürlich auch im Film geniessen darf?




Ein solches Lied - nicht zuletzt ein Dank für das schöne Weihnachtsfest - sollte doch auch einmal unter dem heimischen Weihnachtsbaum gesungen werden. Es könnte die Glöcklein zum Wimmern und die Engel zum Kreischen bringen. - In diesem Sinne wünsche ich meinen Lesern


Donnerstag, 16. September 2010

Zum (wohl unausweichlichen) Gedenken

Süsses Gift (Alternativtitel: Chabrols süsses Gift)
(Merci pour le chocolat, Frankreich/Schweiz 2000)

Regie: Claude Chabrol
Darsteller: Isabelle Huppert, Jacques Dutronc, Anna Mouglalis, Rodolphe Pauly, Matthieu Simonet

An den Filmen des am 12. September dieses Jahres verstorbenen Claude Chabrol zeigte sich auf eigenartige Weise, wie manche Kritiker dem Wunsch nach Pauschalisierung nachgeben: Da der Regisseur mit “Le Beau Serge” (1958) oder “Les Cousins” (1959) nicht bloss als Mitbegründer der Nouvelle Vague galt, sondern auch bekennender Maoist war und sich mit sozialkritischen Filmen über die Bourgeoisie (“Les biches”, 1968, “La femme infidèle”, 1969) einen Namen gemacht hatte las man sozusagen von jeder neuen Regiearbeit des Franzosen schon floskelhaft, er halte mit seinem neuen Meisterwerk dem Bürgertum wieder  einmal gnadenlos den Spiegel vor - eine Meinung, die oft erst im Nachhinein und nach einigen ehrlichen Rezensionen in mehrfacher Hinsicht revidiert werden musste.

Denn erstens ging es Chabrol, der sich - um es deutlich auszusprechen - als Gourmet in der von ihm kritisierten Bourgeoisie mittlerweile bequem eingerichtet hatte, gelegentlich auch einfach darum, eine Geschichte ohne “hintergründige Angriffe” auf eine bestimmte Gesellschaftsschicht zu erzählen (etwa im gelungenen Psychothriller “Le cri du hibou”, 1987, oder in “Une affaire des femmes”, 1988, dem schon beinahe nach einem Klassiker aussehenden Film über eine Engelmacherin im von den Deutschen besetzten Frankreich der 40er Jahre - mit Isabelle Huppert in einer ihrer grössten Rollen); und zweitens teilte er mit vielen etwas gar fleissigen Regisseuren das Schicksal, ein paar höchst durchschnittliche Filme gedreht zu haben, was nicht zuletzt die öfters eingesetzte Huppert zu verschleiern vermochte, weil sie mit ihrem einzigartig herben Gesicht alles auszudrücken vermag - und selbst wenn sie nichts ausdrückt, den Eindruck erweckt, ihr Schweigen spreche Bände...

“Merci pour le chocolat”, gerade von Schweizer Kritikern bejubelt (es handelte sich um eine Co-Produktion), scheint mir zu diesen mittelmässigen Arbeiten zu gehören: Mika, die Erbin eines Schokoladenkonzerns, lebt mit ihrem Mann André, einem berühmten Pianisten, der ohne das starke Schlafmittel Rohypnol nicht leben kann, in einer luxuriösen Villa hoch über Lausanne. Die beiden waren schon einmal verheiratet, trennten sich aber, weil sich André in Mikas Schwester Lisbeth verliebte, die bei einem Autounfall ums Leben kam. Jetzt scheint die Familienidylle, an der auch Mikas Stiefsohn Guillaume teilhat, perfekt zu sein - bis eines Tages die junge Musikerin Jeanne auftaucht und behauptet, sie könnte nach der Geburt vertauscht worden und vielleicht Andrés Tochter sein. Mika bemerkt, wie ihr zunächst skeptischer Mann zu seiner möglichen Tochter, die bei der Familie ein Wochenende verbringen darf, eine emotional starke Bindung entwickelt, ihr regelrecht “verfällt”. Er offeriert der jungen begabten Frau Piano-Lektionen, in denen er völlig aufgeht (Warnung: Der Trauermarsch von Franz Liszt wird bis zum Überdruss eingeübt!) - und darüber ganz vergisst, dass er noch eine Frau hat, die sich freilich nichts anmerken lässt, sondern weiterhin die freundliche und “perfekte” Gastgeberin spielt.


Dies der Ausgangspunkt eines Psychothrillers nach einem Roman von Charlotte Armstrong, der auch in die Vergangenheit führen wird, dessen Plot man aber recht schnell durchschaut. Die eigentlich banale Geschichte, die - das Klavierspiel nachahmend - durch Andeuten und leichtes Akzentuieren einer Vernachlässigung gekonnt vorgibt, mehr zu sein als sie ist, bedarf schon allerhand interpretatorischer Kunststücke, wenn man sie zum in der Tradition von Chabrols frühen Filmen stehenden sozialkritischen Meisterwerk erheben will - indem man etwa zu erkennen glaubt, die Kernaussage von “Merci pour le chocolat” (ein inhaltlich ziemlich verräterischer Titel!) sei: Der in der bürgerlichen Familie lebende Mensch ist gezwungen, zum Künstler oder zum Mörder zu werden (so Georg Seesslen in einer Rezension, die nur stellvertretend für viele stehen soll). --- Natürlich geht es um eine kranke, verletzte Seele, die zum Unheil einer an sich kranken Familie, wie man sie übrigens in allen Gesellschaftsschichten finden könnte, wird (die Familienidylle erweist sich grundsätzlich als so trügerisch wie der ruhige Genfersee, der uns - um seine Symbolik zu verdeutlichen - ähnlich oft und mit aufdringlicher Regelmässigkeit vor Augen geführt wird wie das Sanatorium in Geissendörfers “Zauberberg”, 1982). Man darf sich jedoch fragen, wer in dieser Familie der Mörder ist; denn es gibt auch Seelenmörder. - Dies ist aber auch schon alles, was ich, der ich sonst jeder nicht allzu phantasievollen Interpretation gesonnen bin, der höchstens leidlich spannenden Geschichte zu entnehmen vermag. Der Film gibt nämlich all das, was man in ihn hineinzulegen versucht, bloss scheinbar her. Er könnte auch als durchschnittlicher “Tatort“, der ein klein wenig an der bürgerlichen Fassade kratzt, durchgehen.


Weshalb komme ich im Zusammenhang mit Chabrols Tod also überhaupt auf  "Merci pour le chocolat" zu sprechen? - Es geht mir einzig um die grosse Isabelle Huppert, die ich bewundere, seit ich sie in Claude Gorettas “La dentellière” (1977), einem leider etwas in Vergessenheit geratenen Zeitdokument,  zum ersten Mal sah. Es wäre ein Leichtes, sie für einen ihrer grossen Filme zu loben. Dass sie jedoch - umgeben von blass gezeichneten Darstellern - den kammerspielartigen “Thriller” von Chabrol zu einem Ereignis macht, ist ein Verdienst sondergleichen. Man muss sie bloss als scheinbar geduldige Gattin still auf dem Sofa sitzend oder bei der Zubereitung der allabendlich ihrem Stiefsohn kredenzten Schokolade (sie lässt - malheureusement! - die Kanne fallen) beobachten; dann weiss man, was “Merci pour le chocolat” in den fähigen Händen eines das Abgründige betonenden Regisseurs tatsächlich sein könnte. Sogar ihr letzter Blick auf ihren Mann lässt Zweifel aufkommen, ob die Schein-Idylle nicht doch aufrecht erhalten bleibt. Er lässt den Zuschauer verunsichert zurück. - Es ist sicher eine undankbare Aufgabe für eine Schauspielerin, die ich als Jahrhundertereignis bezeichnen möchte, Mittelmass mit ihrem Glanz zu erfüllen; dass sie es dennoch mit Bravour bewältigt, scheint mir eine Erwähnung wert.

Zum Schluss eine kleine Anregung für unsere Freunde der etwas abwegigen und weit hergeholten Interpretationen: Warum rücken sie nicht den Genfersee mit seiner im wahrsten Sinne des Wortes tiefgründigen Bedeutung etwas mehr ins Zentrum des Interesses? Führt Chabrol mit ihm nicht sämtliche Vorstellungen des für unsere antik-christlich geprägte Kultur so entscheidenden Begriffs vom Grunde - von der “causa” der antiken Philosophie mit all ihren Implikationen bis zum der mittelalterlichen Mystik zu verdankenden religiösen “Seelengrund” - ad absurdum und läutet ein völlig neues Zeitalter ein, weil man auf dem Grund des Sees schlicht --- ersäuft?

Mittwoch, 9. Juni 2010

Gespenster für wenige Zuschauer

Welthund
(Welthund, Schweiz 2008)
Regie: Ueli Ackermann
Darsteller: Bea Schneider, Claude Bärtschi, Florian Schneider, Sylvia Bossart, Urs Bosshardt, Ueli Ackermann u.a.

Die ländliche Gegend um Basel ist sicher nicht mehr als andere Gebiete mit Gespenstern und seltsamen Ereignissen gesegnet, aus denen sich Sagen machen lassen. Was wir jedoch hatten: Zwei unermüdliche Forscher, Paul Suter und Eduard Strübin, die den zum Teil mündlich überlieferten, zum Teil schriftlich festgehaltenen Geschichten für schlaflose Nächte auf den Grund gingen und sie in ihren “Baselbieter Sagen” einem interessierten Publikum zugänglich machten. - Und so komme auch ich in den Genuss, Besuchern mit all den Dingen, die sie im Dörfchen, in dem ich wohne, erwarten, einen gehörigen Schrecken einzujagen (bilde ich mir zumindest ein); denn noch jetzt stolpert man hinter jedem Winkel, in jeder nächtlichen Gasse, im tiefen Wald über Tote, die “ums Verrecken” keine Ruhe finden können. Im 19. Jahrhundert predigte ein Pfarrer nachts in der Kirche vor ihnen,  im Schuppen des Totengräbers hörte man sogar das Geschirr klappern, wenn mal wieder jemand an der Reihe war - und nebenbei dienen unsere Ungeheuerchen auch noch als ausserordentlich zuverlässige Wetterpropheten.

Zu erneuter Popularität verhalf unseren Sagengestalten die Autorin und Journalistin Barbara Saladin, die einige von ihnen in ihrem zuerst in Fortsetzungen erschienenen Roman “Bachpflattli” (“Ein etwas anderer Sommer”) zu den Auslösern einer spannenden Geschichte, in der die Vergangenheit in unser postmodernes Leben eingreift, machte. Ihr in der Nordwestschweiz gern gelesener Roman schrie förmlich nach einer Verfilmung, und so entstand die Idee, den “ersten Oberbaselbieter Film” zu verwirklichen, eine Idee, die erstaunlicherweise regelrecht vom Glück verfolgt war: Profischauspieler, die ohne Gage zu arbeiten bereit waren, stellten sich dem speziell für das “No Budget”-Projekt gegründeten unabhängigen Verein “WH-Films” zur Verfügung, dank Sponsoren gelangte man zu (höchst bescheidenen!) 80 000 Franken, die hauptsächlich für die Postproduktion eingesetzt wurden - und die Zusammenarbeit mit der Dorfbevölkerung (es wurde ausschliesslich vor Ort in verschiedenen Gemeinden des Oberbaselbiets  gedreht), funktionierte hervorragend, wobei diverse Freiwillige die Profis als Laiendarsteller unterstützen durften:

Nach Jahrzehnten kehrt Sarah Hirt an den Ort ihrer Kindheit, ins (fiktive) Dorf Rauringen, zurück, wo sie den Haushalt ihres verstorbenen Grossvaters auflösen soll. Der Empfang fällt nicht gerade herzlich aus; denn einerseits galt Sarahs mit dem Vaganten Ruedi befreundeter Gossvater als “seltsamer Kauz”, andererseits grassiert im Dorf eine seltsame Hautkrankheit, ein eitriges Ekzem, von dem viele betroffen sind und dessen Ursache man sich nicht erklären kann. - Bald entdeckt Sarah, deren Bruder einen riesigen schwarzen Hund beobachtet hatte und nun auch an einem Hautausschlag leidet, in einem alten Sagenbuch jedoch einen Hinweis auf den “Welthund” (die Sagengestalt kommt in vielen deutschsprachigen Gegenden vor und wird unterschiedlich gedeutet), dessen gespenstische Rückkehr ins Dorf nichts Gutes verheisst, weil er  für gewöhnlich ungesühnte Schuld einfordert. Der Gemeinderat will freilich von den Ideen, die Sarah und der Landstreicher einbringen, nichts wissen, kämpft beinahe schon hysterisch gegen die “politische Instrumentalisierung” der Gespensterfurcht an. Doch da ist noch die alte Louise, die - vielleicht vom plötzlichen “Sagenfieber” gepackt? - allerlei über vergrabene Schätze zu berichten weiss, deren Bergung jedoch unweigerlich mit der Erlösung einer ruhelosen Seele zusammenhängt. Bald befindet sich halb Rauringen auf Schatzsuche und begegnet diversen Geistern...

Der ländliche Grusler, der, wie es sich für einen echten Horrorfilm gehört, sogar mit einem (leider etwas kurz geratenen und leicht zu übersehenden) “final twist” aufwartet, kann natürlich nicht mit beeindruckenden Special Effects glänzen, er weist auch trotz stimmungsvoller Bilder technische Mängel auf (die Szenenübergänge wirken zum Teil regelrecht abrupt), der Spannungsbogen wird nicht durchgehend aufrecht erhalten, da man etwas gar viele Handlungsstränge anschneidet  - und die Zusammenarbeit zwischen Profis und Laien lässt - um die Liste der gelegentlich kritisierten Punkte zu vervollständigen - selten den Eindruck aufkommen, man habe es mit “gehobenem Laientheater” zu tun (Ähnliches wurde übrigens Markus Imhoofs für den Academy Award nominierten “Das Boot ist voll”, 1980, auch vorgeworfen). - Dennoch kann ich mich Michael Sennhauser nicht anschliessen, der in seinem von mir sonst sehr geschätzten Filmblog die Meinung äusserte, der in den Kinos der Region Basel ausserordentlich erfolgreiche “Welthund” (er schaffte es leider nicht einmal ins “Schweizer Fernehen DRS”, sondern musste sich mit der Ausstrahlung in einem Regionalsender begnügen) sei wie etwa der von mir übrigens auch sehr geschätzte Dokumentarfilm “Der letzte Coiffeur vor der Wettsteinbrücke” (2003) nur “bedingt exportfähig”, ziehe - dies wohl Sennhausers eigentliche Botschaft - die  Zuschauer vor allem wegen seines Lokalkolorits an (man erkennt Schauplätze und fühlt sich “daheim“). Es scheint mir vielmehr, ein guter Verleiher hätte ein Näschen für das in “Welthund” steckende Potential (der Film ist wesentlich besser als diverse staatlich subventionierte Streifen fürs Fernsehen) entwickeln und das Baselbieter Projekt einer “Post-Post-Production” (gleitendere Übergänge,  notwendige Straffungen, kleine technische Ausbesserungen und eine Verdeutlichung des überraschenden Endes) unterziehen müssen. Eine beachtliche Zuschauerzahl wäre zumindest schweizweit garantiert gewesen, da wir Baselbieter unsere Sagengestalten schliesslich nicht für uns gepachtet haben. Kommt hinzu, dass das “5,5 Millionen Franken”-Projekt “Sennentuntschi” (es dreht sich auch um eine Sagengestalt, allerdings aus den Alpen) von Michael Steiner, das im Oktober 2010 endlich in die Kinos kommen soll, bereits hoch verschuldet und keineswegs erfolgversprechender als “Welthund” ist.

Es wäre - dies als kleine Schlussbemerkung -  schön gewesen, wenn man die DVD (ist sie überhaupt noch erhältlich?) des ersten Oberbaselbieter Films mit deutschen Untertiteln versehen hätte. Freunde kleiner Mystery-Thriller aus Deutschland hätten sich bestimmt auf sie gestürzt, und ich kann mir vorstellen, dass  zum Beispiel meine Blogger-Freunde Alex (Hypnosemaschinen) und Oliver (Remember it for later) sich “Welthund” mit Vergnügen reingezogen hätten - wobei ich nicht zu sagen vermag, wer von den Beiden  sich während des  Anschauens wessen zerhackten Oberschenkel  hätte munden lassen...

Freitag, 9. April 2010

Auch ein 100. Geburtstag

 Die Käserei in der Vehfreude
(Die Käserei in der Vehfreude, Schweiz 1958)
Regie: Franz Schnyder
Darsteller: Annemarie Düringer, Franz Matter, Heinrich Gretler, Ruedi Walter, Margrit Rainer, Margrit Winter, Max Haufler u.a.

Alle Welt - vor allem mein Blogger-Freund “mono.micha” vom “Schneeland“, der anlässlich dieses die Bedeutung des japanischen Regisseurs relativierenden Eintrags die Palme respektive den Bonsai hochgehen dürfte - gedenkt dieser Tage des 100. Geburtstags von Akiro Kurosawa. Darüber vergisst man ganz, dass am 5. März auch ein Schweizer Regisseur hundert Jahre alt geworden wäre. Sein Name war Franz Schnyder, und er wurde in einem Dokumentarfilm sogar als “das Kino der Nation” bezeichnet - allerdings im abwertenden Sinne...

Franz Schnyder gilt als der wichtigste Regisseur, der neben Kurt Früh nach einer Zeit, in der sich der Schweizer Film kritisch mit mit der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit auseinandergesetzt hatte * (als Höhepunkte wären etwa Leopold Lindtbergs “Die letzte Chance”, 1945,  Fred Zinnemann’s “Die Gezeichneten”, 1948, oder "Die Vier im Jeep", 1951, zu nennen),  in den 50er Jahren die geistige Enge als Ideal regelrecht zelebrierte. Während sich Früh vor allem um das Kleinbürgermilieu kümmerte, schloss sich   Schnyder  der erfolgreichen Heimatfilmwelle im deutschsprachigen Raum an - und fand in den Romanen des Emmentaler Pfarrers Jeremias Gotthelf (eigentlich Albert Bitzius, 1797-1854) scheinbar dankbare Vorlagen für Filme, die dem damaligen Selbst - und Heimatverständnis vieler Eidgenossen (“Schweizerart ist Bauernart”) entgegenkamen und ihn zum erfolgreichsten Schweizer Regisseur aller Zeiten machten.

Es wäre freilich ungerecht, Schnyder auf den rückständigen Heimatfilmer zu reduzieren: Gleich seine zweite grössere Arbeit, “Wilder Urlaub” (1943), nahm sich inmitten der Kriegswirren eines regelrecht heissen Eisens an, indem sie die Geschichte eines Soldaten schilderte, der seinen Vorgesetzten niederschlägt und seine Einheit verlässt, um ins Ausland zu fliehen (der Misserfolg des Films hatte zur Folge, dass man Schnyder praktisch zehn Jahre lang kalt stellte). Auch seinen Erfolgen mit den Gotthelf-Verfilmungen, die nie ganz ins gnadenlos Kitschige abrutschten, aber den grossen Romancier zu sehr aus christlich-moralischer Sicht angingen, versuchte er gelegentlich mit provokativeren Arbeiten (“Der 10. Mai”, 1957), die  sich der jüngeren Vergangenheit annahmen,  zu entfliehen. Er schlug diesen Weg der Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Fragen im Gegensatz zu Kurt Früh, dem mit “Dällebach Kari” (1970) der Anschluss an den “Jungen Schweizer Film”  noch gelang,  jedoch nie konsequent ein, sondern buchstabierte sich immer wieder zu gefälligen Stoffen zurück, weshalb ihn der Historiker Felix Aeppli nach seinem Tod 1993 (Schnyder starb als verbitterter Mann, der neidisch auf die Erfolge einer jüngeren Generation schielte) in einem Artikel mit dem Titel “Die Konformität des Nonkomformisten” würdigte.

Nun könnte man versucht sein, im Jahr des 100. Geburtstags von Franz Schnyder seine erste Gotthelf-Verfilmung “Uli, der Knecht” (1954) zu besprechen,  begründete sie doch nicht nur den Ruhm von Liselotte Pulver, sondern dürfte sich auch heute noch im ganzen deutschsprachigen Raum (ausserhalb der Schweiz allerdings mit katastrophaler Synchronisierung!) einer gewissen Beliebtheit erfreuen. Als Literaturfreund muss ich jedoch meinen persönlichen Geschmack berücksichtigen; und von allen Romanen Gotthelfs las ich schon immer “Die Käserei in der Vehfreude”, den Schnyder 1958 verfilmte, mit besonderem Vergnügen, weil der grosse Schriftsteller, dessen wuchtige, von Dialektausdrücken durchsetzte Sprache wohl nur ein Schweizer ganz zu würdigen vermag, in diesem Spätwerk seiner kleinen Welt nicht nur wie gewohnt den etwas idyllisch abgeschwächten Spiegel vorhielt, sondern eine mit groteskem Humor durchsetzte Gesellschaftssatire schrieb, die ihresgleichen in der deutschen Literatur sucht. - Schnyders verharmlosende, die Probleme der schweizerischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte im 19. Jahrhundert ausklammernde Filmversion wurde zwar von der Kritik längst nicht so gut aufgenommen wie vom Publikum und erhielt - was einiges über den Schwerpunkt, für den man sich entschieden hatte, aussagt - in Deutschland damals sogar den Verleih-Titel “Wildwest im Emmental”. - Trotzdem sei hier an die “Käserei” erinnert:

Die Bewohner des rückständigen Emmentaler Dorfes Vehfreude haben beschlossen, sich dem Befehl der Regierung aus Prinzip zu widersetzen und statt der Schule eine Käserei zu bauen, weil die genossenschaftliche Käseproduktion in Mode gekommen ist und langfristig Geld verspricht. Insbesondere Eisi vom Dürlufthof, ein boshaftes Weib, das jeden Sonntag - vergeblich - in einem anderen Dorf den Gottesdienst besucht, weil sie denkt, der Pfarrer würde dort ausnahmsweise nicht über ihre Sünden predigen, freut sich hämisch über den Entscheid, bedenkt aber nicht, dass die Frauen von nun an um ihr Milchgeld kommen und sich viele Bauern (auch ihr dümmlicher Mann Peterli) beim Kauf von milchträchtigen Kühen verschulden oder gar betrogen werden. Einzig das den Bauern vom Dürluft entgegengestellte Musterehepaar Sepp und Bethi vom Nägeliboden, das einen heruntergewirtschafteten Hof wieder hochbringen will, geht die Sache vernünftig an und spielt auch nicht mit, als viele Bauern plötzlich mehr Milch abliefern, weil sie sie mit Wasser strecken und die Produktion von anständigem Käse gefährden.  - Bald verschreit die neidische Eisi die anständige Bäuerin als Hexe und begegnet beim nächtlichen Versuch, sie hinter dem Miststock totzubeten, möglicherweise tatsächlich dem Teufel...

Am meisten hat Änneli, Bethis Schwester, unter den Intrigen zu leiden, muss es die Milch doch ins Dorf tragen und wird von Felix, dem Sohn des Amtmanns beschützt, was zu erneuten Gerüchten führt, weil Felix  als Schürzenjäger gilt - und  auch tatsächlich bald ans Fenster des Mädchens zu klopfen beginnt, weil er von ihm ein “Müntschi” (= Kuss) will (mehr war bei den kleinen Fenstern von Emmentaler Bauernhäusern auch nicht möglich). - Vorerst warten die Bauern jedoch hoffnungsvoll auf die Käsehändler, deren “König” ihnen vorschlägt, auf den Markt nach Langnau zu gehen, wo sie zweifellos auf einen satten Gewinn hoffen dürften.  In Langnau wird ihnen freilich viel weniger Geld geboten als erwartet, was zu einer regelrechten Prügelei unter rund zweihundert Männern führt. Ein hinterlistiger Dorfbewohner sorgt dafür, dass der Verkauf doch noch zustande kommt, sahnt dabei aber mächtig ab. Felix ist darüber so erzürnt, dass er sich auf der Heimfahrt mit ihm ein “Ben Hur”-würdiges Wagenrennen mit Peitschenhieben liefert, wobei er Änneli über den Haufen fährt und verletzt.


Am Tag der Auszahlung des ersten Gewinns stellt sich heraus, dass die Dürluftbauern der Käserei sogar noch Geld schulden, weil sich Eisi ständig Schleckereien kaufte und anschreiben liess. Bethi und Sepp dürfen hingegen eine anständige Geldsumme entgegennehmen.  Als eigentlicher Höhepunkt, der zu einem glücklichen Ende führen muss, ist jedoch ein Ereignis während eines Gottesdienstes zu werten, bei dem Felix, wie es einem frommen Kirchgänger wohl ansteht, einschläft und während eines Traums ein für alle Besucher laut vernehmliches “Änneli, gib mir ein Müntschi!” von sich gibt. --- Haben die Bauern aus dem ersten Jahr mit der Käserei ihre Lehren gezogen? Werden sie  zu vernünftigen Einsichten zurückfinden?

Diese Zusammenfassung der Handlung mag den Eindruck erwecken, es handle sich bei der “Käserei in der Vehfreude” um eine ausgesprochen kitschige, schablonenhafte Angelegenheit. Dem ist nicht so, werden doch Korruption und Betrug, aber auch die oft einer Boshaftigkeit entsprungene Dummheit selbst im Film heftig angeprangert. Trotzdem erweist sich Schnyders Versuch, die bäuerliche Welt des 19. Jahrhunderts wieder zum Leben zu erwecken, im Zusammenhang mit der “Käserei” als besonders problematisch, was jedem Leser des z.T. mit bitterer Häme geschriebenen Romans sofort auffällt. Schnyder kommt einfach nicht um Zugeständnisse an sein Publikum herum, muss eine derbe Schlägerei mit Volksmusik unterlegen und seiner Liebesgeschichte unverhältnismässig viel Platz einräumen.

Mehr als beachtlich sind allerdings die Leistungen der profilierten Darsteller, die als “Volksschauspieler” in der Schweiz nicht zu Unrecht hohes Ansehen genossen. Sie wurden von Franz Schnyder, einem leicht tyrannischen Vollprofi, regelrecht zu gelegentlich etwas übertriebenen, an das expressionistische Theater erinnernden Grimassen angetrieben, mussten sich auch, was in einem Land, in dem die unterschiedlichsten Dialekte auf derart engem Raum aufeinanderprallen, alles andere als einfach ist, die Emmentaler Variante des Berndeutschen perfekt aneignen, so perfekt, dass selbst ein richtiger Emmentaler keinen Züricher- oder Basler-Akkzent mehr bemerkte. - Hervorragend auch die Fotografie von Konstantin Tschet, der man gar nicht anmerkt, wie schwer es bereits in den 50er Jahren war, im ländlichen Emmental noch Einstellungen zu finden, die die Illusion eines von Industrie und allgemeinem Fortschritt unberührten 19. Jahrhunderts zu erwecken vermochten.

Mein Tipp: Man schaue sich zuerst Franz Schnyders Film (wobei Filmfreunde aus Deutschland wohl die unsägliche Synchronisation in Kauf nehmen müssen) an und geniesse anschliessend - vorausgesetzt, man stammt nicht gerade aus dem hohen Norden - Gotthelfs gnadenlos mit dialektalen Wendungen durchsetztes boshaft-satirisches Meisterwerk. Auf diese Weise wird man wohl am ehesten Stärken und Schwächen der gelegentlich “volkstümelnden”, sich jedoch nie den schlimmsten deutschen Heimatfilmen der 50er Jahre annähernden Verfilmung erkennen.

Und mit dieser “Würdigung” bin ich hoffentlich dem “Kino der Nation” halbwegs gerecht geworden.

* Ich schrieb ursprünglich, es habe sich um eine Zeit gehandelt, in der man sich im Film kritisch mit der  Schweiz auseinandergesetzt habe, was im Falle von "Die Gezeichneten" und "Die Vier im Jeep" als unverzeihlicher Lapsus zu betrachten ist. Manfred Polak hat mich in einem Kommentar freundlicherweise darauf hingewiesen, wofür ihm auch an dieser Stelle gedankt sei.