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Samstag, 18. August 2012

Ein Senator sieht rot: durch Western-Genre und zeitgeschichtliche Paranoia in sechs Kostümen

JOHNNY GUITAR
USA 1954
Regie: Nicholas Ray
Darsteller: Joan Crawford (Vienna), Mercedes McCambridge (Emma), Sterling Hayden (Johnny Guitar), Scott Brady (Dancing Kid), Ward Bond (John McIvers)


Emma steht total auf den Dancing Kid. Der wiederum hat nur Augen für Vienna, die sich nur auf Johnny einlassen möchte. Johnny fährt ebenso auf Vienna ab, aber die beiden brauchen noch ein bisschen Zeit, um zueinander zu finden. Das Problem ist, dass Vienna dermaßen sexy ist, dass alle am liebsten mit ihr schlafen möchten. So zum Beispiel auch Turkey, der jüngste Kumpel des Dancing Kids. Möglicherweise könnte auch Emma eine gewisse Anziehung zu Vienna verspüren. Da jedoch niemand positive Gefühle oder geschlechtliche Neigungen ihr gegenüber hat, entwickelt sie sich zu einer verbitterten Intrigantin, die mithilfe ihrer düsteren und humorlosen Kumpels dafür sorgen möchte, dass gar niemand sich mit niemanden vergnügen kann.

Was bestenfalls wie eine schlechte Sitcom, schlimmstenfalls wie das Drehbuch zu einer albernen Softerotik-Komödie klingt, ist eigentlich einer der großartigsten (Anti-)Westerns aller Zeiten, ein kühnes farbdramaturgisches Filmexperiment, eine radikale Infragestellung des Western-Genres im allgemeinen und traditioneller Gender-Rollen im speziellen, und eine mächtige Anklage gegen die antikommunistische Hexenjagd McCarthy‘ischer Art. 

„Johnny Guitar“ wurde von der zeitgenössischen US-amerikanischen Kritik regelrecht verrissen: als inkonsistenter Film ohne jegliche spannende Handlung und mit grässlichen Darstellern. Besonders Joan Crawford bekam dabei ihr Fett weg. Französische Filmkritiker hingegen konnten sich vor lauter überschäumender Begeisterung für „Johnny Guitar“ kaum halten. Für die späteren nouvelle vague-Regisseure François Truffaut und Jean-Luc Godard war Nicholas Rays Western ein ikonischer Kultfilm, den man unbedingt in den eigenen Filmen augenzwinkernd zitieren musste. Während Truffaut von einem filmischen „Delirium“ sprach, von einem „Die Schöne und das Biest des Westerns“, erklärte Godard Nicholas Ray geradezu zum Filmgott. Amerikanischen Filmkritiker (und auch Regisseure) zogen, wenngleich ohne große Superlative, später nach und würdigten „Johnny Guitar“ als eines der außergewöhnlichsten Werke der Filmgeschichte. Truffauts „Delirium“-Metapher sowie ähnliche Bezeichnungen werden immer wieder gerne verwendet: „weird“, „bizzare“, „madhouse“, ...

Auch wenn François und Jean-Luc nicht immer überall recht hatten, so demonstriert Rays Werk, wie Stil und Subtext einen trivialen Genre-Film mit einer banalen Handlung zu großer Kunst erheben können. Das Drehbuch ist in der Tat scheinbar banal: Vienna (Joan Crawford) hat sich am Rande einer Kleinstadt mit ihren Ersparnissen ein Saloon aufgebaut. Sie wartet darauf, dass eine geplante Eisenbahnstrecke vor ihrer Tür gebaut wird und mehr Kunden bringt. Mit ihrer unabhängigen Art ist die Wirtin ein Dorn im Auge der Stadtnotablen. Besonders Emma Small (Mercedes McCambridge) hasst die starke und selbstbewusste Vienna und will sie aus der Stadt drängen. Als eine Postkutsche überfallen wird, beschuldigt Emma die Gang um den Dancing Kid (Scott Brady), die regelmäßig bei Vienna einkehrt. Sie überzeugt Marschall McIvers (Ward Bond), den Dancing Kid und seine Bande zu verbannen und den Saloon zu schließen. Als Vienna am nächsten morgen in der Stadt ihr Sparkonto schließen möchte, wird die Bank vom Dancing Kid und co. überfallen: sie wollen sich mit einem wirklichen Verbrechen für die unrechtmäßig ausgesprochene Verbannung rächen. Emma sieht nun die Gelegenheit, um mit Vienna endgültig abzurechnen und versammelt einen Lynch-Mob zu ihrem Saloon...

Und der von Sterling Hayden gespielte Titelgeber selbst? Die Johnny Guitar-Figur ist dramaturgisch (wenngleich nicht symbolisch) relativ unbedeutend, genauso wie alle anderen männlichen Figuren. Nicht umsonst ging der Kultfilm in die Geschichte ein als „revisionistischer“ Frauen-Western, der mit großer Freude traditionelle Gender-Rollen brachial ins Umgekehrte drehte. Vienna ist eine „paternalistische“ Matriarchin: eine selbstbewusste Kleinunternehmerin, die ihre größtenteils männliche Umgebung vollends im Griff hat - angefangen bei ihren Angestellten, von denen einer zu Beginn beichtet: „Never seen a woman who was more of a man. She thinks like one, acts like one, and sometimes makes me feel like I‘m not.“ Manch zeitgenössischer Filmkritiker warf Joan Crawford völlig zu unrecht vor, asexuiert zu spielen. Der gute Mann ging wohl eher von seinen eigenen Problemen aus, denn Vienna ist Sex-Appeal in reiner Form. Roger Ebert traf den Punkt schon eher, wenn er andeutete, dass die Vienna-Figur im ersten Akt, mit ihren engen dunklen Hosen und Lederstiefeln und der umgegurteten Pistole wie eine Domina aus einem zeitgenössischen Fetisch-Pornoheft aussah, die sich in einen Western verirrt habe. Das erklärt auch, warum mindestens drei männliche Film-Figuren Vienna begehren, ganz besonders, wenn sie im wörtlichen Sinne „die Hosen anhat“. Gerade wenn sie „Männer“-Kleidung trägt, ist ihr Sex-Appeal völlig ungezügelt. Vienna ist sich sehr wohl der Gender-Problematik bewusst, wenn sie Johnny aufgebracht mitteilt: „A man can lie, steal, and even kill. But as long as he hangs on to his pride, he‘s still a man. All a woman has to do is slip once. And she‘s a tramp. Must be a great comfort to you to be a man.“

Emma ist hingegen in vielerlei Hinsicht das Gegenteil: eine verbitterte und verklemmte „alte“ Jungfer, die keiner begehren will. Sie ist ohne jeglichen Sex-Appeal: kreischt ununterbrochen hysterisch, geifert Verachtung und Hass. Außerdem versagt ihr Ray das Tragen von sexy Hosen: nur im ersten Akt darf sie sich ein wenig farbig gekleidet zeigen. Während des restlichen Films versprüht sie ihr Gift in einem Kleid, dessen schwarze Farbe und weiter Schnitt alle Körperformen verhüllt.

Und ganz offensichtlich ist Emma zutiefst sadistisch veranlagt - sowohl metaphorisch wie auch in einem ganz wörtlichen, sexuellen Sinne. Erregt ist sie im Zusammenhang mit graphischen Gewaltandrohungen und tatsächlich ausgeübter physischer Gewalt, sei es gegen den Dancing Kid, gegen seine Kumpanen oder gegen Vienna. Zum Flirten ist sie  hingegen gänzlich unfähig. In einem der zahlreichen unglaublichen Momente des Films beweist Johnny Guitar dem Dancing Kid, dass er tatsächlich spielen kann, indem er ein Lied anstimmt. Der Dancing Kid zeigt dem „Guitar Man“, dass er wirklich tanzen kann, indem er sich kurzerhand Emma schnappt und mit ihr einige Runden durch Viennas Saloon dreht. Emma ist dermaßen fassungslos, dass sie darauf nicht reagieren kann und nach dem Tänzchen blickt sie, als hätte der Dancing Kid sie vor der ganzen Versammlung vergewaltigt, mindestens aber unsittlich angefasst. Sie erholt sich aber rasch und keift anschließend Vienna und Johnny Guitar umso aggressiver an.

Worin sie Vienna durchaus gleicht ist, hingegen ihre autoritäre Dominanz gegenüber der rein männlichen Umgebung: es ist ihr extremistischer Aktivismus, der sie zur unumstrittenen Chefin des Lynch-Mobs macht, genauso wie Vienna sich mit ihrem resoluten Auftreten als geistige Führerin der sozialen Außenseiter behauptet. Manch Filmkritiker sieht auch eine noch engere Verbindung zwischen Emma und Vienna und interpretieren die Figur Mercedes McCambridges als „closet lesbian“. Eine durchaus diskutable These, die zumindest durch die obsessive Fixierung Emmas auf Vienna (und ihre Zerstörung) eine gewisse Grundlage hat.

Viel eindeutiger ist jedoch was anderes. Emma ist eigentlich ein Senator aus Wisconsin. Emma Small ist Joseph McCarthy! Denn mehr als eine Gender-Groteske ist „Johnny Guitar“ auch ein politisches Manifest. Diese Beschäftigung mit den antikommunistischen Hexenjagden der späten 1940er und frühen 1950er Jahre ist aufgrund ihrer Offensichtlichkeit schon gar nicht mehr als Subtext zu bezeichnen, sondern bildet den eigentlichen Kern des Films. Noch einmal zur Story: eine Gruppe „respektabler“ Bürger, die sich auf Seite des Gesetzes wähnt, tritt eine geradezu irrationale und rücksichtslose Hetzjagd gegen soziale Außenseiter los, denen man im rechtsstaatlichen Sinne nichts vorzuwerfen hat.

Das Problem ist dabei nicht nur, dass die Beschuldigungen irrational, absurd und durchweg paranoid sind: ob der Dancing Kid und seine Gang-Kollegen tatsächlich zu Beginn des Films die Postkutsche ausgeraubt haben, bleibt unklar und ist letztlich irrelevant. Vielmehr ist das Urteil schon à priori festgelegt worden: Die Unschuldsvermutung wird aufgehoben und Indizien kann man mit viel Phantasie in „Beweise“ uminterpretieren. So hat der offensichtlich noch unter Schock stehende Fuhrmann der ausgeraubten Kutsche aufgrund des Sonnenstands die Räuber nicht genau sehen können. Emma und McIvers brüllen ihn so lange an, bis er „zugibt“, dass es vier Männer waren: es „musste“ sich also um den Dancing Kid und seine drei Kollegen handeln.

Vienna hingegen macht sich nur durch die Tatsache verdächtig, dass die Dancing-Kid-Bande jeden Freitag Abend in ihr Lokal einkehrt. Das ist der Grund, warum die unentschlossenen „respektablen“ Männer Emma folgen. Johnny Guitar ist hingegen per se verdächtig, weil er ein unbekannter Fremder ist. Dass er keine Waffe trägt, macht ihn noch verdächtiger (vielleicht habe er die Kutsche ja überfallen und dann die Waffen beseitigt). Seine Begründung für die Waffenlosigkeit - „Because I‘m not the fastest draw West of the Pecos“ - bringt Vienna und Dancing Kid & Co. zum lachen. Das wiederum bringt Emma auf die Palme: die Gesetzeslosen würden McIvers auslachen.

In nicht einmal einer Viertelstunde entlarven Nicholas Ray und Drehbuchautor Ben Maddow die Mechanismen der Kommunistenjagd. Das „House Committee on Un-American Activities“ (HCUA), ursprünglich zur Untersuchung faschistischer Gruppierungen gegründet, wurde ab Ende des Weltkriegs von rechten Republikanern zum Hauptorgan der Kommunistenjagd umfunktioniert. Sie diente vor allem der radikalen Abrechnung mit der New-Deal-Ära. Hollywood war dabei eine besonders öffentlichkeitswirksame Zielscheibe. Der HCUA arbeitete mit wilden Beschuldigungen, Anprangerungen und Beweisumkehrungen. Geladene Zeugen, die sich als „unfreundlich“ erwiesen und sich auf die Verfassung beriefen, wurden wegen Missachtung („Auslachen“) des Abgeordnetenhauses zu Gefängnisstrafen verurteilt, darunter die berühmten „Hollywood Ten“. Und wenn das Komitee selbst keine Strafen aussprach: „respektable“ Bürgerversammlungen (die Studios und „freundliche“ Zeugen) konnten dank schwarzer Listen faktische Berufsverbote aussprechen oder die Angeklagten noch etwas mehr durch den Dreck ziehen.
Das Komitee für unamerikanische Umtriebe (als Lynch-Mob getarnt)
McIvers verbannt den Dancing Kid und seine Bande administrativ und schließt Viennas Saloon. Für Emma ist dies jedoch nicht genug. Der Lynch-Mob versammelt sich am nächsten Abend wieder bei Vienna, die in der Zwischenzeit den Jüngsten der Dancing-Kid-Bande, Turkey, bei sich versteckt hält. Vienna weigert sich, über den Aufenthaltsort der anderen auszusagen. Als Turkey entdeckt wird, zwingen ihn Emma und McIvers dazu, gegen Vienna auszusagen. Von der Aussicht gelockt, nicht an den Galgen zu kommen, schwärzt er sie als Anstifterin an. Emma brennt das Saloon nieder und der Mob macht sich auf, um Turkey und Vienna unter der nächsten Brücke zu erhängen.
Dieser Höhepunkt des zweiten Akts macht dem Ruf des Films als „halluzinatorisches“, „bizarres“ Werk alle Ehre (siehe einen Teil dieser atemberaubend inszenierten Szene hier), thematisiert aber auch eines der meist diskutierten Komplexe der antikommunistischen Hexenjagd Hollywoods: das Denunzieren von Kollegen („naming names“). Da der HCUA die Namen aktueller oder ehemaliger Mitglieder der Kommunistischen Partei so oder so schon kannte, hatten die Denunziationen oberflächlich keinen Zweck, schafften es aber erfolgreich, die Solidarität progressiver und linker Kreise zu untergraben. Die Bandbreite an persönlichen Motivationen für die Aussagen vor dem HCUA ist groß: zwischen fanatischen, begeisterten Kommunistenjägern auf der einen und verzweifelten „blacklistees“, die durch Denunziation hofften, wieder Arbeit in Hollywood zu bekommen, auf der anderen Seite. Turkey gehört zweifelsohne zu den letzteren: schließlich ist er auf fast schwärmerische Weise in Vienna verliebt.

Auch Sterling Hayden gehört tendenziell in die letztere Kategorie. Hayden war kurzfristig Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen. Beigetreten war er aus Bewunderung für die jugoslawischen Partisanen, an deren Seite er als US-Soldat im Weltkrieg gekämpft hatte. Als nach „The Asphalt Jungle“ Angebote ausblieben, vermutete er, dass er auf eine schwarze Liste geraten war. Er bot sich daraufhin als „freundlicher“ Zeuge an und „nannte Namen“. Diese Tat bereute Hayden fortan. Sie trieb ihn in lebenslangen Selbsthass (und wahrscheinlich auch in den Alkoholismus). Auch sein Filmcharakter nennt einen Namen: seinen eigenen (Johnny Logan). Dass Namen wie „Johnny Guitar“ oder „Dancing Kid“ eigentlich völlig bescheuert sind, darin sind sich bis auf die zwei Betroffenen alle einig. Die symbolische Bedeutung liegt jedoch auf der Hand.

Der eigentliche (!) Drehbuchautor von „Johnny Guitar“, Ben Maddow, blieb hingegen jahrelang auf der schwarzen Liste. Der offizielle Szenarist Philip Yordan hatte lediglich seinen Namen zu den Credits beigetragen. Als engagierter Linker hätte eigentlich auch Nicholas Ray „geschwarzlistet“ werden müssen, zumal er schon - freilich etwas untergründiger und subtiler - in früheren Filmen die Kommunistenjagd thematisiert hatte. Die persönliche Protektion des RKO-Chefs Howard Hughes (ironischerweise ein paranoider Anti-Kommunist) bewahrte ihn wohl vor der Knochenmühle.

Außerordentlich merkwürdig war jedoch die Beteiligung von Ward Bond, einem Mitglied der „Motion Picture Alliance for the Preservation of American Ideals“. Dieser 1944 gegründete Verband rechter konservativer Hollywood-Leute unterstützte voll und ganz die Hexenjagd des HCUA, und stellte gerne „freundliche“ Zeugen zur Verfügung, um Hollywood vor der kommunistischen Infiltration zu retten. Selbst sein bester Kumpel John Wayne hielt Bond für einen radikalen Fanatiker. Dass er ausgerechnet den Marschall McIvers spielt, der dem Lynch-Mob einen Schein von Legitimität verleiht, lässt einen ziemlich sprachlos. Trotz des „halluzinatorischen“ Charakters von „Johnny Guitar“ war die Realität hier fast noch unglaublicher als die Fiktion selbst - wenngleich nicht in solch exquisiten Bildern festgehalten.

Gerade die Farbdramaturgie ist ein dermaßen zentrales Element des Films, dass sie ihn sogar präzise gliedert. Sechs Kostüme in ganz bestimmten Farbgebungen teilen „Johnny Guitar“ in genau sechs Abschnitte, die paarweise jeweils einen Akt darstellen. Hier die Einteilung, nach den sechs (sichtbaren) Facetten der Vienna-Figur benannt.

I. Akt
Autorität (Schwarze Lederstiefeln, dunkelbraune Hose und schwarzes Hemd mit türkis-farbener Hals-Schleife): Einführung der Charaktere und ihrer Konflikte. Vienna als matriarchalische, dominante Saloon-Besitzerin.
Begierde (Purpurnes Kleid mit dunkelrotem Umhang): Neben-Story um die vergangene und künftige Liebe zwischen Vienna und Johnny. Vienna als liebende Frau.
II. Akt
Sehnsucht (Graues Alltags-Kleid mit roter Hals-Schleife): Vienna sehnt sich nach einem bürgerlichen Leben mit Johnny und fährt zur Bank, um ihr Konto aufzulösen (wo der Überfall des Dancing Kid stattfindet). Vienna als respektable Bürgerin.
Unschuld (Weißes, teils durchsichtiges Ball-Kleid mit dünner schwarzer Hals-Schleife): Vienna hofft darauf, ihren Saloon zumindest als Wohnung beizubehalten und wird von Emmas Lynch-Mob (ganz in schwarz gekleidet) überfallen. Vienna als unschuldige Kulturbürgerin und Mutter Pieta.
III. Akt
Flucht (Knallrotes Hemd mit blauer Hose): Vienna ist dem Lynch-Mob entkommen. Ihr Saloon und ihr weißes Kleid sind verbrannt und sie flieht zusammen mit Johnny zum Versteck des Dancing Kid. Vienna als Flüchtling.
Rache (Knallgelbes Hemd mit roter Schleife und schwarzer Hose): Vienna bereitet sich mit Johnny und dem Dancing Kid auf den Showdown gegen Emma und ihrem Mob vor. Vienna als zorniger Rache-Engel.
Das Setdesign von „Johnny Guitar“ meistert hingegen eine Gratwanderung zwischen kargem Minimalismus, barocker Überfrachtung und überdrehter Stilisierung. Spuren von„Realismus“ findet man nicht einmal mit der Lupe. Teilweise wirkt das Set geradezu schäbig und sieht nicht wie das Innere eines Saloons, einer Bank oder einer Berghütte aus, sondern eben wie eine billige Kulisse. Was teilweise noch heute bemängelt wird, verstärkt jedoch gerade auch die surreale Stimmung des Films. Viennas Saloon ähnelt auch schon vor der „offiziellen“ Schließung mehr einer Berghöhle, in der ein Eisenbahn- und Kutschenmodell-Fetischist seinen Hobbyraum eingerichtet hat. Natürlich versinnbildlicht dies Viennas Hoffnung auf jene Verkehrsmittel, die mehr Kunden an die permanent leeren Roulettentische bringen soll. Es ist jedoch nicht logisch erklärbar, warum der Saloon so aussieht, als wäre er an einem Stück Fels angebaut worden, so dass ein Teil der Wand keine Wand ist, sondern braune Gestein-Struktur. Wenn Vienna davor in ihrem weißen Ball-Kleid am Klavier sitzt, sieht es auf jeden Fall umso surrealer aus, während Johnny mit seiner Wildlederjacke in dieser Umgebung fast verschwindet.


Diese magische „halluzinatorische“ Wirkung könnte der Film selbstverständlich nicht entwickeln, wenn irgendeine der Figuren auch nur annähernd wie ein normaler Mensch spräche oder sich verhielte. Das völlig überdrehte Overacting, besonders der beiden Hauptdarstellerinnen, aber auch die stilisierten und geradezu poetischen Dialoge würden in einem anderen Kontext lächerlich wirken. Für Leute, die den Film nicht mögen, wirken diese Elemente tatsächlich lächerlich.

„Johnny Guitar“ ist also mehr als nur die Summe seiner Teile. Aber wie magisch sind schon die Teile an sich! Wenn Vienna ohne mit der Wimper zu zucken Rühreier zubereitet, während Dancing Kid und Johnny nur ganz kurz davor sind, sich gegenseitig umzubringen. Wenn Johnny und Vienna sich über die Gefährlichkeit Emmas und ihrer Kumpanen vor einem Sonnenuntergang unterhalten, der wie gemalt aussieht (weil er es vielleicht auch ist!). Wenn man merkt, dass der Lynchmob auf der Suche nach dem Dancing Kid sich beim Reiten die schwarze Kleidung mit braunem Schmutz eingesaut hat. Vienna am Piano. Und dieser Shootdown zwischen Vienna und Emma...

Hinweis:
Mit den bescheuerten Verleihtitel-Zusätzen à la „Wenn Frauen hassen“ oder „Gehasst, gejagt, gefürchtet“ ist „Johnny Guitar“ auch in Deutschland relativ kostengünstig zu erwerben. Üblicherweise noch kostengünstiger ist die UK-DVD, auf deren Sichtung sich die Besprechung stützt.