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Donnerstag, 13. Mai 2010

Ein Alterswerk

Der Garten der Finzi Contini
(Il giardino dei Finzi-Contini, Italien/Deutschland 1970)
Regie: Vittorio De Sica
Darsteller: Lino Capolicchio, Dominique Sanda, Fabio Testi, Romolo Valli, Helmut Berger u.a.

Ich habe mich nie intensiv mit dem italienischen Film beschäftigt, kenne nur seine wichtigsten Strömungen und die Hauptwerke bedeutender Regisseure. Trotzdem empfand ich es als beinahe beschämend, mich von 3sat belehren lassen zu müssen, dass der grosse Neorealist Vittorio De Sica (“Ladri di biciclette”, 1948, “Umberto D.”, 1952), von dem ich immer dachte, er habe sich ab den 60er Jahren zunehmend auf  belanglose Unterhaltungsfilme spezialisiert, mit “Il giardino dei Finzi-Contini” 1970 noch einmal sowohl Zuschauer als auch Kritiker zu begeistern vermochte - und  sogar den “Auslandsoscar” holte. De Sicas später Erfolg ist allerdings nicht nur  auf vielsagende Weise in Vergessenheit geraten, sondern wirkt  in mancherlei Hinsicht seltsam untypisch für den Regisseur, ja kommt dem heutigen Betrachter eigentümlich “unzeitgemäss” vor:

Als Mussolinis Rassengesetze 1938 den jüdischen Italienern die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben verbieten, öffnet der angesehene Literaturprofessor Finzi Contini seinen Garten in Ferrara für die Allgemeinheit, um seinen Kindern Micòl und Alberto (sie wurden gerade aus dem Tennisclub ausgeschlossen) ein Refugium zu bieten, in dem sie mit ihren Freunden - Juden und Nicht-Juden - ihre Freizeit verbringen und die Realität vergessen können. Der scheinbar riesige, von herbstlichen Sonnenstrahlen durchflutete Garten wirkt tatsächlich beinahe wie ein Märchenland, in dem die jungen Leute sich der Illusion hingeben können, Heranwachsende in einer normalen Zeit zu sein - vielleicht ein wenig intensiver und grausamer. - Der junge Giorgio erinnert sich daran, wie er schon als Kind von der verführerischen Micòl
in den Garten gelockt worden war, und er hofft, aus der langen Freundschaft werde sich nun eine Liebesbeziehung entwickeln. Micòl, inzwischen eine kühle Schönheit, lässt ihn jedoch - immer noch halb lockend, halb abweisend - wissen, sie sähe in ihm lediglich einen zweiten Bruder. Tatsächlich verbringt sie ihre Nächte mit dem von ihr in der Öffentlichkeit abgelehnten Nicht-Juden Bruno Malnate, um den wiederum Alberto regelrecht buhlt (Helmut Berger darf die homoerotische Komponente seines Begehrens voll ausspielen).

Doch auch ausserhalb des Gartens gibt man  sich zu Beginn Illusionen hin. So behauptet etwa Giorgios bürgerlicher Vater, der in den Finzi Continis nicht in erster Linie Juden, sondern eine andere Klasse sieht, der Faschismus sei immer noch menschlicher als der Nationalsozialismus. Langsam vergehen jedoch mit der Herbstsonne die Hoffnungen, im faschistischen Italien “davonzukommen”. Es beginnt mit anonymen Telefonanrufen während der Sabbat-Feier; dann wird dem Studenten Giorgio der Zutritt zur Bibliothek verwehrt (grandios, wie  der Leiter der Bibliothek seine Hände in Unschuld zu waschen versucht). Am Ende, 1943, finden sich diejenigen, denen nicht rechtzeitig die Flucht gelang, in einem Schulzimmer wieder, in dem sie auf ihre Deportation nach Deutschland warten. Zu ihnen gehören auch die Finzi Contini und Giorgios Vater, der Micòl mitteilen kann, sein Sohn und die restliche Familie seien entkommen.

Man könnte De Sicas Verfilmung eines autobiographisch getönten Romans von Giorgio Bassani  jener Reihe von italienischen Filmen zuordnen, die sich um 1970 mit Faschismus und Nationalsozialimus beschäftigten. Sie scheint mit ihren luftigen, pastellfarbenen Bildern und ihrer schier altmodisch erzählten Geschichte jedoch einfach nicht so recht  an das anschliessen zu wollen, was Visconti mit dem 1968 gedrehten und heftig umstrittenen “La caduta degli dei” (ich denke etwa an das wächserne Gesicht von Ingrid Thulin, die von ihrem Sohn sexuell missbraucht wurde) oder Bertolucci mit der visuellen Umsetzung seiner Geschichte in “Il conformista” (1970) dem damaligen Publikum im wahrsten Sinne des Wortes zumuteten. Sogar Fellinis auf den ersten Blick nostalgischer “Amarcord” (1973), der den Faschismus nur scheinbar hintergründig  thematisiert (Tittas Vater wird verdächtigt, Kommunist zu sein), wirkt wesentlich realitätsnaher als die Bilder der “weichgespülten” Jugendlichen auf ihren Fahrrädern, die  wie einer Werbung entflohene Elfen
Einlass in den Park des unbeschwerten Heranreifens begehren - und ihn auch erhalten. Man mag sich deshalb des Eindrucks nicht erwehren, De Sica, der “Il giardino dei Finzi-Contini” denn auch nie als eines seiner Meisterwerke bezeichnen sollte, habe sämtliche geradezu revolutionäre Entwicklungen des italienischen Films in den 60er Jahren verschlafen, es sei ihm um eine romantische Liebesschnulze in Hollywood-Manier gegangen (worauf etwa die Rückblenden in die Jugendzeit hindeuten) --- und genau das habe dem damaligen, sich lieber Verklärungen hingebenden Publikum zugesagt. - Aber darf man es sich wirklich so einfach machen?

Bassanis Roman widmet sich Erinnerungen, Erinnerungen an eine Jugendzeit, in der man das, was sich in der Wirklichkeit ereignete, wohl besonders zwanghaft (siehe etwa das Verhalten von Micòl) zu verdrängen versuchte. Solchen Erinnerungen ist vielleicht das Traumhafte besonders angemessen. Traumhaft mutet De Sicas elegisches Alterswerk denn auch an. Dies lässt sich nicht nur an der impressionistischen- grandiosen! - Fotografie erkennen, sondern vor allem an den für Träume bezeichnenden fragmentarischen Handlungssträngen, die es leider auch Fabio Testi und Helmut Berger verunmöglichen, die Komplexität der von ihnen dargestellten Charaktere in diesem knapp 90 Minuten dauernden Film wirkungsvoll  auszugestalten (Albertos Tod, von dem man nicht weiss, ob er die Folge einer Krankheit oder seines Verzerrens nach seinem Freund ist, ein Aufenthalt in Frankreich, wo - ohne Konsequenzen - über die Konzentrationslager der Nazis gesprochen wird, die seltsame Abgehobenheit der aristokratischen Finzi Contini von der nicht zur Kenntnis genommenen Wirklichkeit). Auch den erotischen Szenen haftet etwas unwirklich Traumaftes, nach der Perfektion der Erinnerung Strebendes an (Micòls durchsichtige Bluse, als sie während eines plötzlichen Regens zusammen mit Giorgio in einem Schuppen Unterschlupf gefunden hat). - Man muss vielleicht sagen, alle Protagonisten von “Il giardino dei Finzi-Contini” seien in einen Traum geflüchtet, nähmen nur Fetzen der Realität wahr -  und De Sica habe sich in seiner Verfilmung ohne Zugeständnisse diesem Umstand angepasst. Darauf weist schon der Vorspann, der Sonnenstrahlen der Unschuld (in einer solchen Zeit!) durch Blätter dringen lässt, hin. Auch spätere Bilder des Gartens,  dessen Grösse der Zuschauer nicht annähernd einzuschätzen vermag (er scheint  der Jugend  gemäss keine Grenzen zu kennen), wirken wie das Innere der Villa der Finzi Contini (die Bibliothek, die  Giorgio zur Verfügung gestellt wird, ist noch besser, “erlesener” als die, aus der er verstossen wurde) unermesslich, irreal. - Dieses “traumhafte” Wahrnehmen einer letztlich poetischen Geschichte erwartet der Film wohl vom Publikum, fordert es ein, und man scheint anfangs der 70er Jahre begierig darauf gewesen zu sein, der Forderung nachzukommen, waren doch die hartherzigeren Konfrontationen mit einer schrecklichen Zeit alles andere als willkommen.



Der heutige Betrachter weiss allerdings gar nicht so recht, was er mit der herbstlich-impressionistischen Romanze, deren Erzähl-“Fetzen” in einem Schulzimmer enden, anfangen soll, zumal er auch aus der von Dominique Sanda verkörperten (überbewerteten) Figur nicht schlau wird: Hat ihr zweideutiges, sich entziehendes Verhalten mit einer aristokratischen Abgehobenheit zu tun, ist es beinahe  hysterischer jugendlicher Übermut - oder entwickelt sich Micòl tatsächlich zu jener “reifen” Frau, als die sie uns, während sie beim erzwungenen Verlassen des Guts auf die Villa zurückblickt, präsentiert wird? Es verharrt alles irgendwo im Schwebenden , Ungewissen. --- Vor allem fragt man sich rund vierzig Jahre nach dem Entstehen von “Il giardino dei Finzi-Contini” - und wesentlich weniger zurückhaltenden Leinwandbegegnungen mit dem Faschismus: Was ist die Botschaft des Films, falls er überhaupt eine hat? Geht es ihm einfach um die der Erinnerung zu “verdankende” Verklärung einer Romanze in einer schweren Zeit? Oder möchte er tatsächlich als realistische Darstellung verstanden werden?

Es ist anzunehmen, dass ein Teil des seinerzeitigen Lobs mit De Sicas unerwarteter Rückkehr zum anspruchsvollen Film zu tun hatte. Entsprechend wird der Film heute in einem veränderten Kontext (womit sich wieder einmal zeigt, dass der Untertitel meines Blogs durchaus Sinn macht, mag dieser gelegentlich auch herbeigezwungen werden) wohl eher als Kuriosum wahrgenommen. Dennoch lohnt sich eine erneute Begegnung mit  den bemerkenswert gut gespielten Erinnerungsfragmenten (De Sica kehrte insofern zum Neorealismus zurück, als er bloss die wichtigsten Rollen mit professionellen Schauspielern besetzte!), werfen sie doch allerlei Fragen zum filmisch adäquaten Umgang mit dem Faschismus - respektive mit einer möglichen anderen Annäherung an das Thema - auf. Und man sollte sich “Il giardino dei Finzi-Contini” unbedingt in der (lebendigen) italienischen Originalfassung anschauen; die deutsche Synchronisation erweckt nämlich zu Unrecht den Eindruck, man  habe es mit einem Schlafmittel zu tun...