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Samstag, 11. September 2010

Die Verwirrungen des Produzenten mit dem "O." in der Mitte

Jenny (Alternativtitel: Jennie - Das Porträt einer Liebe)
(Portrait of Jennie, USA 1948)

Regie: William Dieterle
Darsteller: Jennifer Jones, Joseph Cotten, Ethel Barrymore, Lillian Gish, Cecil Kellaway, David Wayne, Albert Sharpe, Henry Hull u.a.

Es war einmal - die Märchenfloskel dürfte in diesem Zusammenhang angebracht sein - ein Produzent, der hatte gerade den “grössten Film aller Zeiten” herausgebracht, als ihm eine junge Frau begegnete, in die er sich Knall auf Fall verliebte, deren Karriere er von nun an zu seiner Lebensaufgabe machte - und mit der er unbedingt einen noch grösseren Film als  den “grössten Film aller Zeiten” produzieren wollte. Was aber kommt dabei heraus, wenn ein erwachsener Mensch derart seinen Verstand verliert, dass er sich   - deshalb die Anspielung auf Musils “Törless” im Titel - einem spätpubertären Taumel hingibt, der ihn die Kontrolle über sich und sein Handeln verlieren lässt?

Tatsächlich vermochte David O. Selznick seiner “Neuentdeckung”, die er als Jennifer Jones unter einen langjährigen Vertrag genommen hatte, gleich für ihre erste Hauptrolle in “The Song of Bernadette” (1943) zu einem Oscar zu verhelfen. Doch er überschätzte das Talent der von ihm heillos bewunderten Schauspielerin und späteren Frau, der er ein möglichst breites Rollenspektrum zwischen Heiliger und Hexe, Unschuld und Hure auf den Leib schreiben liess - und er wollte nicht erkennen, dass sie sich in kleineren Filmen wesentlich besser machte als in den pompösen Schinken, mit denen er sie zum leuchtendsten Stern am Filmhimmel aufzubauen versuchte. So musste etwa “Duel in the Sun” (1946), in dem sie ein zügelloses “Halbblut” spielte und an dem man tatsächlich jahrelang gedreht hatte, kläglich an “Gone With the Wind” (1939) scheitern, und die folgenden Jahre bescherten Jennifer Jones, die Selznick regelrecht ergeben war und sich von ihm lenken liess, eine beachtliche Reihe von Misserfolgen (etwa “We Were Strangers” ,1949, oder “Madame Bovary”, 1949). Doch der einst instinktsichere Produzent, der weiterhin darauf bestand, sie in “Über”-Filmen wie der Hemingway-Adaption “A  Farewell to Arms” (1957) einzusetzen, kürzte etwa de Sicas Klassiker “Stazione Termini” (1953), in dem sie für einmal überzeugend eine verheiratete amerikanische Frau, die sich in Rom in eine Affäre einlässt, spielte, für das Publikum in den USA auf 62 Minuten  - und segnete 1965 nach mehreren Herzattacken und weiteren vergeblichen Versuchen, Jennifer in den ultimativen Superstar zu verwandeln (“Tender Is the Night”, 1962), das Zeitliche - was auch die Filmkarriere der Schauspielerin mehr oder weniger beendete. Einer ihrer grossen schauspielerischen Momente - und dies zeigt, in welcher Kategorie von Filmen sie wirklich zu würdigen Rollen hätte finden können - sollte ihr als eurasischer Ärztin in der Liebesschnulze “Love is a Many-Splendored Thing”, dem Kassenhit des Jahres 1955, beschieden sein.



“Portrait of Jennie”, die Verfilmung eines Romans von Robert Nathan, war einer jener vergeblichen Versuche Selznicks, dem Namen Jennifer Jones zu erneuter Popularität  zu verhelfen. Die kleine Geschichte eines Bildes, das ein verarmter Maler möglicherweise von einer jungen Frau aus einer anderen Zeit (einem ihm Modell stehenden Geist) malte, beinhaltet denn auf den ersten Blick auch den Stoff für einen hübschen, durchaus erfolgversprechenden Fantasy-Film: Im Jahre 1934 streift der mit seiner Arbeit unzufriedene Maler Ebden Adams, dessen künstlerisches Potential einzig von der älteren Galeristin Miss Spinney erkannt wird (“I’m an old maid, and nobody knows more about love than an old maid“), durch ein abendliches New York, als ihm ein junges Mädchen begegnet und ihn auf eigenartige Weise fasziniert. Es nennt sich Jennie Appleton, trägt altmodische Kleider und scheint überhaupt in seiner eigenen Welt zu leben. Bevor es verschwindet, wünscht es sich, Ebden Adams möge auf es warten, bis es erwachsen sei. - Der Maler fertigt eine Skizze von dem Mädchen an, die er sogleich zu verkaufen vermag. --- Monate später begegnet ihm eine überraschend älter gewordene Jennie wieder in der winterlichen Stadt, und er beschliesst ein Porträt von ihr zu malen. Mit jeder Begegnung reift das seltsame Wesen mehr zur jungen Frau heran, die noch immer von einer Vergangenheit erzählt, in der sie zu leben scheint. Zwischen Maler und Modell entwickelt sich eine Liebesbeziehung, deren eigentümlich übersinnliches Wesen von Jennie stets erneut betont wird (“The strands of our lives are woven together and neither the world nor time can tear them apart”).  - Als Ebden Adams in einem Kloster Erkundigungen über seine Geliebte einholt, erfährt er, dass sie vor Jahrzehnten bei einem Sturm ums Leben kam. Vermag er sie durch einen “Sprung” in ihre Zeit zu retten und in die seine herüberzuholen? - Oder benötigte der Maler - diese Möglichkeit räumt insbesondere Miss Spinney immer wieder ein - die angebliche Erscheinung lediglich als Inspiration für sein einziges künstlerisch vollendetes Werk?

Wie gesagt: der Stoff für eine bezaubernde Fantasy-Liebesgeschichte, die - dies hatte schon “The Ghost and Mrs. Muir” (1947) gezeigt - durchaus Erfolg versprechend  gewesen wäre. Doch Selznick drohte bereits im Trailer (“...perhaps the most unusual David O. Selznick production since ‘Gone With the Wind‘...”) mit einem ehrgeizigeren Projekt. Und tatsächlich sollte dem 89 Minuten dauernden Filmchen ein Prolog vorangestellt sein, der uns hoch über den Wolken - begleitet von den geheimnisvollen Klängen, die Dimitri Tiomkin und Bernard Herrmann, Motive von Claude Debussy intensiv beanspruchend, komponiert hatten -   nicht nur schier endloses pseudophilosophisches Raunen (“Since time began, man has looked into the awesome reaches of infinity and asked the eternal questions: What is time? What is life? What is space? What is death? ...”) zumutet, sondern auch noch Euripides und Keats bemüht, bevor anstelle der Credits das verheissungsvolle “And now: Portrait of Jennie!” ertönt. - Darauf folgen durchaus ansprechende Aufnahmen eines herbstlichen New Yorks (Selznick bestand auf Originalschauplätzen, was die Kosten des Films enorm in die Höhe schnellen liess), durch das ein resignierter Joseph  Cotten schlendert, der uns bei jeder unpassenden Gelegenheit aus dem Off erzählen muss, wie er sich gerade fühlt und was er gerade tut (Bewunderer des grossen Schauspielers, der seine Gefühle und sein Handeln durchaus ohne Kommentare zum Ausdruck zu bringen vermochte, warten ängstlich auf ein “And then I sneezed”, worauf man dann tatsächlich ein Niesen in Grossaufnahme zu sehen bekäme). - Aber letztlich dient eben alles der raunenden Beschwörung des Geheimnisvollen, muss sich dem “Übersinnlichen“ unterwerfen, welches auch durch eine völlig unglaubwürdig inszenierte atmosphärische Veränderung der Stadt und das Einsetzen der Debussy-Klänge vor dem “Erscheinen” des  geheimnisvollen Wesens vermittelt werden soll.

Joseph Cotten - er hatte schon zweimal mit Jennifer Jones zusammengearbeitet - vermag trotz seiner 43 Jahre den jungen Maler überzeugend darzustellen, zeigt wie auch die grosse Ethel Barrymore und Lillian Gish, dass es Selznick noch immer gelang, einzigartige Schauspieler für ein geradezu peinlich aufgeplustertes Projekt zu gewinnen. - Die 29-jährige Hauptdarstellerin hingegen wirkt schon als Schulmädchen  höchst gekünstelt; und Selznick zelebriert sie als schmachtende junge Frau in derart aufdringlichen Bildern, dass die Effekthascherei unübersehbar ist. - Als Gegensätze zur übernatürlichen Grundstimmung sollen - auch dies ein Fehlgriff, der Selznick zu verdanken sein dürfte - David Wayne und Albert Sharpe als höchst diesseitige komödiantische Figuren dienen, für die der Maler in einem irischen Pub ein patriotisches Bild herstellt.



Der allmächtige Produzent bestand auf einer Viragierung (“film tinting”)  der beiden Teile am Schluss des Films: die Szene, in der Adams seine Geliebte im Sturm zu retten versucht, nimmt einen grünen Farbton an, sein Erwachen und ein letztes Gespräch mit der Galeristin einen braunen. Vermutlich wollte Selznick die Stimmung des Höhepunkts auf diese Weise noch deutlicher vermitteln. (Ich möchte mich an dieser Stelle bei meinen Freunden von MovieMaze bedanken, die mich darauf hinwiesen, dass Viragierungen keineswegs nur in Stummfilmen vorkamen, sondern etwa auch in Kriegsszenen von Samurai-Filmen bewusst eingesetzt werden. Es scheint, als habe gelegentlich jede farbliche Tönung ihre spezielle Bedeutung.) - Am Schluss von “Portrait of Jennie” sieht man das vollendete Bild in Farbe im Museum hängen, ein Effekt, der ganz offensichtlich von Albert Lewin’s “The Picture of Dorian Gray” (1945) übernommen wurde.

Der Film - es handelte sich verständlicherweise um William Dieterle’s einzige Zusammenarbeit mit Selznick - erwies sich als Flop. Die Zuschauer waren mit dem leeren Pathos, das er ihnen auftischte, aus für mich einleuchtenden Gründen nicht zufrieden. Man könnte sagen, in “Portrait of Jennie” seien grosse Darsteller, grosse Komponisten  und Fotografen - vielleicht sogar gute Drehbuchschreiber, die nach den Eingriffen Selznick’s nichts mehr von dem entdecken konnten, was sie geschrieben hatten - für die verworrene Beweihräucherung einer Schauspielerin verheizt worden. - Wer heute Recherchen anstellt, muss jedoch zur Kenntnis nehmen, dass er kaum noch auf negative Beurteilungen des damaligen Debakels stösst. Im Gegenteil: “Portrait of Jennie” wird von vielen nicht nur als “kleine Perle des phantastischen Films” betrachtet, sondern geradezu kultisch verehrt. Und die Anhängerschaft kann sich auf keinen Geringeren als Luis Buñuel berufen, der sagte, Selznick’s Ausflug ins Übersinnliche habe ihm "ein grosses Fenster geöffnet”. - Ein jeder möge sich sein eigenes Urteil bilden!